Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
A Inhaltsverzeichnis (1. Teil)
Einleitung oder »Was die kulturelle Globalisierung mit Graffiti zu tun hat...«
Globalisierung als Synonym für globale Vernetzungsprozesse
Technisierung & Medialisierung als die Wegbereiter der Globalisierung
Globalisierte & regionalisierte Kultur und Identitätsbildung
Fremdheit & Differenz als wesentliche Elemente der Identitätsbildung
Des Sprayers Herz schlägt höher
B Literaturverzeichnis (1.Teil)
EINLEITUNG ODER »WAS DIE KULTURELLE GLOBALISIERUNG MIT GRAFFITI ZU TUN HAT...«
»Think globally, act locally.«
(David Ross Brower, 1912-2000)
Dieser auffordernden Aussage, global zu denken und lokal zu handeln, nachkom- mend, wird sich die nachstehende Hausarbeit mit dem Thema der Verortung globaler Ideen und Gedanken in lokalem bis regionalem Bereich durch das Medium Graffiti beschäftigen.
Der erste Teil dieser Hausarbeit wird sich mit den mehr theoretischen Hintergründen (kultureller) Globalisierung, deren Entwicklungsgeschichte, welche eng mit der Kommunikationsgeschichte verbunden ist, und den globalen Prozessen, welche zu Globalität, kultureller Identitätsbildung und der Verbreitung von global existierenden Ideen, Gedanken und Wertvorstellungen führen, beschäftigen. Der zweite Teil dieser Hausarbeit dagegen wird überwiegend auf das Medium der Graffiti eingehen sowie deren Bedeutung für die Visuelle Geographie, denn nichts anderes betreibt man, wenn man ein Graffito so zu deuten versucht, wie wir es im empirischen Teil dieser Hausarbeit, welcher an den zweiten Teil angegliedert ist, getan haben.
Zur Frage, warum es von Bedeutung sei, sich mit der Erforschung der kulturellen Globalisierung und deren Auswirkungen zu beschäftigen, fand die Bundeszentrale für Politische Bildung in ihrer Ausgabe »Aus Politik und Zeitgeschichte« (12/2002) folgende, in unseren Augen sehr passende Antwort:
»Die Herausbildung einer Weltliteratur, einer Weltmusik und einer Weltkunst im 19. und 20. Jahrhundert sind Vorläufer der kulturellen Globalisierung, die heute unser Leben prägt. Es handelt sich dabei um Internationalisierungsprozesse, die einen kulturellen Teilbereich, die Künste, betrafen - und auch hier nur einen Teil. Der zentrale Unterschied früherer und heutiger Formen kultureller Globalisierung besteht darin, dass sie heute weit über die Künste hinaus reichen und die Alltagskulturen sowie teilweise auch die mit Kultur und Kunst verbundenen Werthaltungen und Bedeutungen umfassen. Zudem zeichnet sich der gegenwärtige durch die Globalisierung bewirkte kulturelle Wandel durch eine bis in die letzten Zipfel der Erde reichende Ausbreitung aus sowie eine ungeheure Geschwindigkeit und eine gesteigerte Intensität, mit der die Kulturen in Kontakt stehen, sich austauschen, vermischen und neue Kulturen hervorbrin- gen. Diese neue Qualität kultureller Globalisierung geht vor allem auf drei zentrale gesellschaftliche Ver- änderungen zurück, die alle Länder, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß prägen: die Herausbildung einer Weltgesellschaft durch die ökonomische Globalisierung, die weltweiten Migrationsprozesse und die Medienentwicklung (APuZ 12/2002).«
»[...] eine gesteigerte Intensität, mit der die Kulturen in Kontakt stehen, sich austau- schen, vermischen und neue Kulturen hervorbringen [...]«, erkennen wir in scheinbar achtlos auf Häuserwände gesprühten Graffiti nicht auch eine eigenständige neue Kul- tur der Meinungsäußerung und der lokalen Verbreitung globaler Gedanken, wie ein- gangs das Zitat David Ross Browers bereits implizieren durfte? Wir meinen »Ja!« und versuchen in den folgenden Kapiteln eingängig darzulegen, warum die Lokalisierung globaler Kultur durch Graffiti »große Globalisierungsthemen« erfahrbarer macht.
GLOBALISIERUNG ALS SYNONYM FÜR GLOBALE VERNETZUNGSPROZESSE
Einleitend möchte ich mit der Annäherung an die Frage, was »Globalisierung« als Begriff und Phänomen denn sein könnte, beginnen. Das ist nötig, da der Begriff »Globalisierung« äußerst inflationär in der aktuellen Gegenwartsliteratur verwandt wird und so allzu oft zum Synonym unterschiedlicher Aspekte moderner Gesellschaf- ten geworden zu sein scheint.
Rein Etymologisch abgeleitet bedeutet das Wort »Global« soviel wie weltumspannend, die ganze Erde betreffend und ist entlehnt von Globus, aus dem Lateinischen, die Kugel.
Das Wort »Globalization« wurde erstmals 1961 in englischsprachigen Lexika verwandt. Noch gegen Ende der 1980er Jahre war allerdings der Ausdruck in Wissenschaft wie Lebensalltag annähernd unbekannt. Mittlerweile kommt kein namhafter Politiker, Journalist, Wissenschaftler bzw. Manager ohne jene Vokabel aus (Giddens 2001: 18). Auch in unserem Alltag ist dieser Ausdruck längst angekommen, bleibt aber oft diffus, miss- wie unverständlich und wenig fassbar.
Die Shell-Jugendstudie (2006) stellte in ihren Untersuchungen und Befragungen fest, daß durchschnittlich 75 % aller befragten jugendlichen Personen im Alter von 15 bis 25 Jahren schon einmal den Begriff »Globalisierung« gehört hatten. Sie verbinden in der Mehrzahl mit Globalisierung die eigene Freizügigkeit, z.B. Reisen, Studieren (82%) und die kulturelle Vielfalt (79%), aber auch nachfolgend Arbeitslosigkeit (66%), Kriminalität (59%), Frieden (57%). Alles in allem, so resümieren die Autoren der Shell-Studie letztlich, ist für die große Mehrheit der 15- bis 25-jährigen der Prozess der Globalisierung noch wenig fassbar und wenig konkret. »Insgesamt hat die Skepsis etwas zugenommen, ohne daß die Frage, was die Globalisierung den Einzelnen brin- gen wird, in den Köpfen bereits endgültig entschieden ist« (15. Shell-Studie 2006: 167). Ferner geht man davon aus, daß dies nicht nur für Jugendliche, sondern für die Mehrheit der Menschen in Deutschland gilt.
Essentielles wie zentrales Merkmal der Globalisierung ist die transnational-weltweite Vernetzung von:
- Wirtschaft
- Politik
- Ökologie
- Medien
- Kultur
Dabei gilt diese Vernetzung nicht nur für die gesellschaftlichen Groß- bzw. Makrosys- teme (wie z.B. Unternehmen, Parteien, Rundfunksender, Verlagshäuser), sondern ebenso für die weltweite Vernetzung der individuellen Lebenswelt (z.B. durch die Kommu- nikation im Internet, Last-Minute-Reisen). Das heißt für unser weiteres Vorgehen: die kulturelle Dimension der Globalisierung spielt eine wesentliche Rolle. Jedoch nicht nur sie:
So schreibt Harald Michels (2008: 5), daß Ulrich Beck (2004) in seinem Buch »Was ist Globalisierung?« Begriffe wie »Globalisierung«, »Globalität« und »Globalismus« wie folgt unterscheidet: - » ›Globalisierung‹ beschreibt danach die Entfaltung einer quer zur National- staatlichkeit liegenden Logik weltweiter Vernetzung transnationaler Akteure. Beck betont die Prozesshaftigkeit der Globalisierung. Globalisierung ist ein dynamischer Begriff und bezeichnet ständige Veränderung und Entwicklung. Giddens (2001: 24) hebt hervor, daß es sich nicht nur um einen Prozess handelt, sondern um ›eine komplexe Reihe von Prozessen. Deren Auswirkungen sind durchaus widersprüchlich und gegensätzlich‹.
- ›Globalität‹ steht nach Beck für den Ist-Zustand einer durch Technologien, Me- dien, Reisen, Handeln, etc. vernetzen Weltgesellschaft. Angesprochen sind hier die ›Katalysatoren‹ der Globalisierung, deren Entwicklungszustand und deren Bedeutung für eine ›Weltgesellschaft‹.
- ›Globalismus‹ beschreibt die Auffassung, daß der Weltmarkt das politische Handeln von Institutionen verdrängt bzw. ersetzt. Diese These geht einher mit dem diagnostizierten Verlust nationalstaatlicher politischer Einflussmacht gegenüber globalisierten Märkten, die sich zunehmend unabhängig von politi- schen Restriktionen und Regulationen ungehemmt zu entfalten scheinen.«
Nach diesem anderen, eher prozesshaften Verständnis ist Globalisierung kein rein neuzeitliches Phänomen des letzten Jahrhunderts mehr, sondern hat eine neue, durch weiterentwickelte Produktions- & Kommunikationstechnologien geförderte Qualität und beschleunigte Dynamik erreicht (vgl. von Plate 2003). Globalität bzw. »Weltgesellschaft« ist das »Zauberwort«, sie zu fördern heißt demnach automatisch den globalen Austausch von Ideen und Gedanken zu forcieren und voranzutreiben.
TECHNISIERUNG & MEDIALISIERUNG ALS DIE WEGBEREITER DER GLOBALISIERUNG
Einen essentiell wichtigen Einfluß auf die heutige, gerade ablaufende Phase der Glo- balisierung üben die Kommunikationssysteme aus (vgl. Schweigler 2003: 7 ff.). Kom- munikationsmedien sind in erster Linie Verbreitungs- und Diffusionsmedien von Ideen und Gedan- ken geworden.
Mit der Übersetzung der Bibel (1523-1534) erschütterte Martin Luther die Welt. Vor der Übersetzung waren die Bibeltexte nur einem kleinen elitären Kreis sogenann- ter »Experten« vorbehalten, die die frühe griechischen und lateinischen Versionen zu lesen vermochten.
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