Der Wandel der Staatsverfassungen in Platons "Politeia"


Seminararbeit, 2003

17 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die ungerechten Verfassungen und die entsprechenden Menschen
2.1 Timokratie und timokratischer Mensch (545c-550c)
2.2 Oligarchie und oligarchischer Mensch (550c-555b)
2.3 Demokratie und demokratischer Mensch (555b-562a)
2.4 Tyrannis und tyrannischer Mensch(562a-588a)

3 Die Kritik Aristoteles’ im Buch V. seiner „Politik“ (1315b-1316b)
3.1 Die Kritikpunkte Aristoteles’
3.2 Einwände gegen die aristotelische Kritik

4 Deutung und Fazit

Quellen- und Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Auf die Schilderung des besten Staates, seiner Ordnung, der Erziehung seiner Philosophenherrscher und nach dem Erreichen des „kompositorischen Gipfels“[1] der Politeia im Höhlengleichnis, folgt im VIII. und IX. Buch eine Darstellung der ungerechten Staatsverfassungen. Das VIII. Buch beginnt daher zunächst mit einer Bilanz über die im bisherigen Dialog erreichten Ergebnisse. (543a-c) Gleichzeitig schließt es an Buch V an, wo die bereits begonnene Behandlung der schlechten Staatsformen vom Wunsch der sokratischen Dialogpartner, mehr über die Lebensform im besten Staat zu hören, unterbrochen worden war. (449a)

Nach dem Höhepunkt, der Beschreibung des idealen Staates, erfolgt nun die „Vollendung des großen Entwurfs“[2], weshalb dem besten Staat die schlechteren und der schlechteste gegenübergestellt werden. An diesem Vergleich entscheidet sich letztlich die Ausgangsfrage, zu der die Thrasymachos – Position den Anstoß gab und zu deren Beantwortung die ganze Politeia angelegt ist: Ob nicht durch ungerechtes Handeln das größere Glück erreicht wird, als durch die Gerechtigkeit.? Sokrates nimmt daher zu Beginn des VIII. Buches noch einmal ausdrücklich auf Thrasymachos bezug.(545a)

Die nachfolgend dargestellten Verfassungen und ihre Abfolge verdeutlichen Platons Absicht, den Abstand vom besten Staat/ von der besten Stadt in Stufen zu verdeutlichen. Er legt dabei wiederum die Analogie zwischen der Ordnung der Polis und der Ordnung der Seelenkräfte im einzelnen Menschen zugrunde. Die gerechte Polisordnung bezeichnet Platon als Monarchie oder Aristokratie. (445d-e) Dort herrschen die Besten, d.h. die durch lange Erziehung zur höchsten Vernunft Befähigten. Für Platon sind also die politische Verfasstheit und der Charakter der Individuen nicht voneinander zu trennen, d.h. dass die äußere Ordnung immer auch Ausdruck der in ihr zur Herrschaft gelangten Mentalität ist. Im VIII. Buch entfaltet er daher systematisch eine politische Typologie, indem er bei jedem Staatstypus Entstehung und Wesen erklärt und dann nach demselben Schema den ihm entsprechenden Menschentypus charakterisiert.

Die Beschäftigung mit diesem Abschnitt seines Werkes ist noch heute anregend und fruchtbar, weil er auf die Darstellung der „Verfallsreihe“[3] der Staatsformen nicht nur „höchste künstlerische Meisterschaft, sondern auch die ganze Tiefe seines kritischen Geistes angewendet“[4] hat.

2 Die ungerechten Verfassungen und die ihnen entsprechenden Menschen

2.1 Timokratie und timokratischer Mensch (545c-550c)

Zu Beginn seiner Ausführungen zur ersten schlechten Staatsform muss Platon einen Widerspruch lösen: Warum hätte denn sein idealer Staat, so er denn verwirklicht würde, keinen Bestand? („Sein Staat ist ideal- schließt das nicht per definitionem die Möglichkeit der Degeneration aus?“[5]) Sokrates beantwortet diese berechtigte Frage zunächst ganz allgemein:

„Aber da allem Werden ein Untergang bestimmt ist, so wird auch diese Ordnung nicht ewig bestehen, sondern untergehen.“(546a)

Dann ruft er die Musen an (545d), um den Grund für den Niedergang des besten Staates noch zu konkretisieren: Dieser geht deshalb unter, weil die Wächter die „vollendete Zahl“[6] (546b-c) falsch anwenden würden, die bis dahin den optimalen Nachwuchs garantierte:

„Wenn ihrer nicht achten eure Wächter, zur Unzeit vermählen den Männern die Bräute, dann werden die Kinder nicht edel und nicht selig.“(546d)

Die Entstehung der ersten schlechten Staatsform ist also einem „zeugungsmathematischen Rechenfehler“[7] zuzuschreiben. Denn zunehmend werden die Nachkommen in den Ämtern der Regenten und Wächter unwürdiger und unfähiger sein. Die dadurch hervorgerufene Verschlechterung der Regierungs- und Wächterarbeit führt zu einer wachsenden Unordnung und zu Machtkämpfen. Der ehemalige Wächterstand reißt die Herrschaft an sich, enteignet den Bürgen Land, Häuser und Eigentum und verteilt dieses unter sich. Durch die Vernachlässigung der musischen Wächterbildung, die Aufgabe der Frauen- und Kindergemeinschaft und die Wiedereinführung des Privateigentums wandelt sich die beste Herrschaft zur zweitschlechtesten, der Timokratie, wörtlich Herrschaft der Ehre, von dem griechischen Wort time abgeleitet. Platon stellt sie als eine Militärherrschaft dar, in der das Prinzip der Gerechtigkeit, durch das der militärischen Ehre und der Ruhmsucht abgelöst wurde. Die Wächter und Regenten haben das Gemeinwohl vergessen und handeln fortan nur noch aus eigenen Interessen.

Im timokratischen Menschen wird der vernünftige vom mutigen Seelenteil verdrängt. Er ist zugleich ein Abbild der degenerierten staatlichen Verfassung: ungebildet und nicht redebegabt, streitlustig und ehrsüchtig, ein Freund des Sports und der Jagd; er setzt mehr auf Taten als auf Worte und betont seine militärischen Leistungen.(548e-549a) Die Entwicklung des timokratischen Menschen wird in einer Vater-Sohn-Geschichte erzählt. Sie berichtet von einem Vater, der von seiner Frau und seinen Dienstboten wegen fehlenden Ehrgeizes und mangelnden Interesses am Geld verspottet wird.(549d) Deswegen strebt der Sohn, der dies mit ansehen musste, statt eines Lebens der Erkenntnis, eines der Ehre und des Ansehens an.(550b)

Platon ordnet die Timokratie zwischen Aristokratie und Oligarchie, weil sie mit der besten Verfassung die Ehrerbietung gegenüber den Herrschern (545d), mit der nächstschlechteren die Geldgier (548a) gemeinsam hat.

Die Timokratie, mit deren Bezeichnung Platon Schwierigkeiten hatte (545b), wird anfangs auch als die „lakedaimonische“ Verfassung (544c) bezeichnet. In dieser einzigen offenen Bezugnahme des VIII. Buches auf die historischen Gegebenheiten im Griechenland des 4.Jahrhunderts, sehen manche Autoren eine Hochschätzung Platons für die spartanische Ordnung, die immerhin als die zweitbeste Verfassungsform dargestellt wird.[8] Festzuhalten bleibt außerdem, dass Platon, dem von seinen Rezipienten so oft der Idealismus seiner Vorstellungen vorgeworfen wurde, Realist genug ist, um selbst der von ihm entwickelten, besten Staatsform keine Ewigkeit zuzuschreiben.[9]

[...]


[1] Demandt, S.86.

[2] Zehnpfennig, S.132.

[3] Zehnpfennig, S.132.

[4] Vretska, S.595 Anm.1.

[5] Schubert, S.131.

[6] Kersting, S.269, bezeichnet sie als „Paarungszahl“. Schubert, S.131, nennt sie „eugenische Garantiezahl.“ Besonders ausführlich hierzu zur Berechnung der Zahl siehe Hellwig, S.92-104.

[7] Kersting, S.269.

[8] Vgl. Ottmann, S.61; Siehe auch Frede, S.264.

[9] Vgl. Vretska, S.599 Anm.18.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Der Wandel der Staatsverfassungen in Platons "Politeia"
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut Berlin)
Veranstaltung
Politisches Denken in der Antike
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
17
Katalognummer
V15950
ISBN (eBook)
9783638209281
Dateigröße
498 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine Interpretation des VIII. und IX. Buches mit einem Exkurs zur Kritik des Aristoteles
Schlagworte
Wandel, Staatsverfassungen, Platons, Politeia, Politisches, Denken, Antike
Arbeit zitieren
René Schlott (Autor:in), 2003, Der Wandel der Staatsverfassungen in Platons "Politeia", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/15950

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