Robert Musil wird unter den Leitfiguren der Moderne vorwiegend als Essayist genannt, und nicht im Hinblick auf seiner Poetik. Seine Modernität besteht weniger auf der Oberfläche seines Romans, als in der Tiefstruktur seines Werkes. Wie er die literarischen Figuren konstruiert, oder wie er seine Konzeption vom Funktionieren der Geschichte umsetzt, zeigt die Komplexität seiner dargestellten Welt.
Die Auflösung der Person zählt zu den modernen Aspekten, die Musil in seinem umfangreichen Buch, das er 1921 begonnen hat, Der Mann ohne Eigenschaften, prägt. Die Demontage der Identität knüpft an das Motiv der Eigenschaftslosigkeit an, mit dem ich mich in dieser Arbeit auseinandersetzen werde.
Eigenschaftslosigkeit heißt nicht Mangel der Eigenschaften, sondern ist eine bewusste Haltung, die ihren Grund hat, und ein bestimmtes Ziel anstrebt. Was eigenschaftslos bedeutet, und welche Konsequenzen es einbezieht, möchte ich weiterhin präsentieren.
Musils Roman wird als „zeitkritische Auseinandersetzung und Erprobung damals anliegender geistesgeschichtlicher Lösungsversuche“ beurteilt. Der Zustand der Eigenschaftslosigkeit weist mehrere Facetten auf, die wesentlich fundiert sind in einer Diagnose der Zeit, und in philosophischen Theoremen, mit denen sich der Autor beschäftigt.
Ziel meiner Arbeit ist es, diesem Phänomen zugrunde zu gehen, indem ich einerseits den Roman textnah analysiere und andererseits verschiedene Sichtpunkte, die in der Sekundärliteratur vertreten sind, in den Vordergrund bringe. Klaus Laermann, Hartmut Böhme oder Tim Mehigan bestimmen Zentralpositionen mit denen ich mich auseinandersetzen werde.
Zunächst möchte ich auf den philosophischen Hintergrund des Romans eingehen und erst danach Aspekte aus Ulrichs Leben darstellen, um schließlich ein kaleidoskopisches Bild des Motivs der Eigenschaftslosigkeit darlegen zu können.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Philosophischer Hintergrund
- Ernst Mach und die Auflösung des Ichs
- Die Rezeption Nietzsches
- Essayismus und der Möglichkeitsmensch
- Eigenschaft und Charakter
- Ulrichs Haus
- Rollenzwang und das Individuelle
- Der Urlaub vom Leben
- Der andere Zustand
- Das Scheitern des Experiments
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit dem Motiv der Eigenschaftslosigkeit in Robert Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften". Sie untersucht, wie Musil die Auflösung der Person als ein zentrales Thema der Moderne in sein Werk integriert und welche philosophischen Ideen, insbesondere von Ernst Mach und Friedrich Nietzsche, dabei eine Rolle spielen.
- Die Auflösung der Person und die Demontage der Identität in "Der Mann ohne Eigenschaften"
- Der Einfluss von Machs Philosophie auf Musils Werk, insbesondere die Kritik am Essentialismus und der Substanzontologie
- Die Rezeption von Nietzsches Ideen in Bezug auf die Geschichte, den unzureichenden Grund und den Perspektivismus
- Die Rolle des Essayismus und des "Möglichkeitsmenschen" in Ulrichs eigenschaftslosem Zustand
- Die Beziehung zwischen Eigenschaft und Charakter in Musils Roman und die Kritik an einer substantialistischen Auffassung der Eigenschaft
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel gibt einen Einblick in die philosophischen Grundlagen des Romans und stellt die zentralen Ideen von Ernst Mach und Friedrich Nietzsche vor, die Musils Konzept der Eigenschaftslosigkeit prägen. Das zweite Kapitel erläutert, wie Machs Lehre von der Auflösung des Ichs in "Der Mann ohne Eigenschaften" umgesetzt wird. Es untersucht, wie Musil Machs Theorie des psychophysischen Monismus in die Darstellung eines Systems übersetzt, das fixierte Subjekt-Objekt-Beziehungen als Funktionselemente registriert. Das dritte Kapitel befasst sich mit Nietzsches Einfluss auf Musils Werk und analysiert die Rezeption von Nietzsches Thesen zur Geschichte, zum unzureichenden Grund und zum Perspektivismus. Das vierte Kapitel beleuchtet das Konzept des Essayismus und des "Möglichkeitsmenschen" in "Der Mann ohne Eigenschaften". Es zeigt, wie Ulrich die Wirklichkeit als eine Hypothese betrachtet, die nicht endgültig geklärt ist, und sich gegen eine normative Moral wendet. Das fünfte Kapitel analysiert die Beziehung zwischen Eigenschaft und Charakter im Roman und beleuchtet Musils Kritik an einer substantialistischen Auffassung der Eigenschaft. Es zeigt, wie Ulrich als ein "imaginärer Treffpunkt des Unpersönlichen" dargestellt wird, der sich als ein Zusammenhang von Teilen begreift, die sich nicht zu einem festen Charakter zusammenfügen lassen. Das sechste Kapitel beleuchtet die Problematik des Rollenzwangs in "Der Mann ohne Eigenschaften". Es untersucht, wie Ulrich die konventionelle Moral als allgemeine zwanghafte Gleichschaltung wahrnimmt, die das Wesen der Einzelperson nicht trifft. Das siebte Kapitel beschäftigt sich mit dem "Urlaub vom Leben", den Ulrich nimmt, um sich von den Identifikationszwängen der Gesellschaft zu lösen. Es zeigt, wie dieser Urlaub ihm die Möglichkeit eröffnet, sich von den Zwängen des sozialen Handelns zu befreien und seinen Möglichkeiten im Leben offen zu begegnen. Das achte Kapitel analysiert den "anderen Zustand", der durch Ulrichs Beziehung zu seiner Schwester Agathe entsteht. Es untersucht, wie diese Beziehung Ulrich einen neuen Weg eröffnet, sich selbst zu erkennen und mit der Welt in Verbindung zu treten. Es stellt die Frage nach der Einheit des Ichs und der Liebe im Kontext der Eigenschaftslosigkeit. Das neunte Kapitel befasst sich mit dem Scheitern von Ulrichs Experiment, seinen "anderen Zustand" in der Realität zu stabilisieren. Es zeigt, wie die Mächte, denen er sich entziehen wollte, gegen ihn selbst wiederkehren, weil sein Inneres zur Bühne der Außenwelt wird, die er zuvor von außen betrachtet hat.
Schlüsselwörter
Die Arbeit konzentriert sich auf die Themen Eigenschaftslosigkeit, Auflösung der Person, Identität, Philosophie, Mach, Nietzsche, Essayismus, "Möglichkeitsmensch", Charakter, Rolle, Entfremdung, "anderer Zustand", Nihilismus, "Der Mann ohne Eigenschaften". Sie untersucht, wie Musil diese Konzepte in seinem Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" integriert und welche gesellschaftlichen und philosophischen Implikationen sie haben.
- Quote paper
- Claudia Spiridon (Author), 2009, Der Zustand der Eigenschaftslosigkeit in Robert Musils "Der Mann ohne Eigenschaften", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/162749