Legasthenie: Möglichkeiten der Diagnose und Förderung für lese- und rechtschreibschwache Kinder


Hausarbeit, 2008

29 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung

2. Die Entwicklung des Lesens und Schreibens
2.1 Die Lese- Rechtschreibforschung im Wandel
2.2 Modelle zum Schriftspracherwerb
2.2.1 Das Modell von Frith (1986)
2.2.2 Der Ansatz von May (1986)
2.2.3 Das Modell von Scheerer- Neumann (1987)
2.3 Kritische Betrachtung der Modelle

3. Das Konzept Legasthenie
3.1 Begriffsklärung
3.2 Ursachen von Lese- Rechtschreibstörungen
3.2.1 Entwicklung der Integration
3.2.2 Entwicklung der Hirndominanz
3.2.3 Entwicklung der visuellen und auditiven Wahrnehmung
3.2.4 Entwicklung der Motorik
3.3 Das Verhalten von Legasthenikern
3.3.1 Konzentration und Ausdauer
3.3.2 Frustrationstoleranz
3.3.3 Schulische Leistung
3.3.3.1 Anzeichen im Vorschulalter
3.3.3.2 Anzeichen im Alter von 6 bis 9 Jahren
3.3.3.3 Anzeichen im Alter von 9 bis 12 Jahren
3.3.3.4 Anzeichen bei Kindern mit 12 Jahren und älter
3.3.4 Umgang mit einem Legastheniker
3.4 Die Intelligenzentwicklung
3.4.1 Korrelative Zusammenhänge zwischen Intelligenz/ Rechtschreibleistung
3.4.2 Die Vorhersage der Lese- Rechtschreibleistung
3.4.3 Die Bedeutung beim Schriftspracherwerb

4. Diagnose
4.1 Fragebögen
4.2 Informelle Diagnosemöglichkeiten
4.2.1 Begriffliche Abgrenzung
4.2.2 Lernzielkontrollen diagnostisch nutzen
4.2.3 Lesen
4.2.4 Rechtschreiben
4.3 Standardisierte Testverfahren
4.3.1 Auswahl einiger Testverfahren
4.3.2 Hamburger Schreibprobe (HSP)

5. Förderung
5.1 Spielerische Förderung im Vorschulalter – Das Würzburger Trainingsprogramm zur phonologischen Bewusstheit
5.2 Fördermöglichkeiten in der Grundschule
5.2.1 Entwicklung eines Förderkonzepts
5.2.2 Organisation von Förderunterricht
5.2.3 Fördermaterialien
5.2.4 Förderprogramme
5.2.4.1 Marburger Rechtschreibtraining
5.2.4.2 Kieler Lese- und Rechtschreibaufbau

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Fähigkeiten des Lesens und Rechtschreibens sind in den industrialisierten Ländern hoch eingeschätzte Kulturtechniken. Daher ist ein Scheitern auf diesem Gebiet häufig mit generellen Schwierigkeiten während der gesamten Schullaufbahn verbunden. Schlechte Rechtschreib-leistungen wurden im naiven psychologischen Verständnis lange Zeit als Zeichen verminderter Intelligenz betrachtet. Nicht selten wurde von der Rechtschreibleistung eines Kindes unmittelbar auf seine Begabung geschlossen, sodass auch der Übertritt auf eine weiterführende Schule erheblich von den schriftsprachlichen Konsequenzen eines Schülers abhing. Auch wenn in den letzten Jahren verstärkt Bemühungen unternommen wurden, das schulische Fortkommen weniger von den schriftsprachlichen Leistungen abhängig zu machen, ist die Annahme eines engen Zusammenhangs zwischen Intelligenz und Lese- Rechtschreibleistung nach wie vor präsent. Deutlich wird dies am Beispiel der Legasthenie, da die Diskrepanzdefinition letztendlich auf der Annahme gründet, dass der IQ ein gutes Maß zur Vorhersage der Lese-Rechtschreibleistung ist und ein zumindest normal intelligentes Kind ohne größere Schwierigkeiten, Lesen und Schreiben erlernen müsste.

In der folgenden Arbeit möchte ich mich mit dem Thema Legasthenie auseinandersetzen und vor allem Fragen klären, wie „Welche Rolle spielt die Intelligenz eines Kindes beim Schriftspracherwerb tatsächlich?“ oder „Ist der Zusammenhang zwischen Intelligenz und Lese- Rechtschreibleistung wirklich so hoch, dass sich damit Schlussfolgerungen auf das Bildungsniveau oder das Diskrepanzkonzept der Legasthenie rechtfertigen ließen?“

Bevor ich auf die Ursachen einer Legasthenie und das Verhalten eines Legasthenikers eingehen werde, möchte ich einige bekannte Modelle des ungestörten Schriftspracherwerbs betrachten und einen kurzen Abriss über die wichtigsten Veränderungen geben, die sich in den letzten Jahren in der Lese- Rechtschreibforschung vollzogen haben. Im letzten Teil meiner Arbeit werde ich verschiedene Diagnose- und Fördermöglichkeiten darstellen, da das Thema Diagnose und Förderung sehr wichtig für mich als spätere Grundschullehrerin ist.

2. Die Entwicklung des Lesens und Schreibens

In der Forschung zum Schriftspracherwerb hat sich seit den achtziger Jahren ein deutlicher Wandel vollzogen. Es eröffneten sich neue Forschungsbereiche insbesondere durch Modelle, die beschreiben, wie Kinder lesen und schreiben lernen. Bevor ich im Folgenden auf einige Modelle des Schriftspracherwerbs genauer eingehen werde, möchte ich zunächst die wichtigsten Veränderungen in der Lese- Rechtschreibforschung darstellen.

2.1 Die Lese- Rechtschreibforschung im Wandel

Lange Zeit wurde angenommen, dass es sich beim Lesen und Rechtschreiben um inverse[1] Prozesse handelt, wobei das Lesen dem Rechtschreiben vorgeordnet sein sollte. Ein geschriebenes Wort wurde beim Lesen als Reiz angesehen, beim Schreiben als Reaktion. Die Analyse der Phonem-Graphem-Beziehung/ Graphem-Phonem-Beziehung schien nach dem gleichen Prinzip abzulaufen, nur in jeweils umgekehrter Richtung. Somit lag der Schwerpunkt bei der Erforschung des Schriftspracherwerbs lange Zeit bei der Untersuchung des Lesenlernens. Im Laufe der Zeit wurde jedoch erkannt, dass beide Prozesse getrennt voneinander betrachtet werden müssen. Ein Beispiel dafür ist die Tatsache, dass die Buchstabe-Laut- und die Laut- Buchstabe-Zuordnungsregeln nicht symmetrisch aufgebaut sind, d.h. dass mehr Grapheme für ein Phonem stehen können als Phoneme für ein Graphem. Der Rechtschreibvorgang ist somit als wesentlich schwieriger anzusehen, da für ein Phonem das passende Graphem ausgewählt werden muss. Darüber hinaus können auch ungeübte Leser beim Erlesen eines Wortes Wiedererkennungsstrategien nutzen, wobei beim Schreiben eine genaue Reproduktion einer bestimmten Buchstabenfolge erforderlich ist. Auch die immer wieder festgestellten intraindividuellen Unterschiede in der Lese- und Rechtschreibkompetenz sprachen für die Unterschiedlichkeit beider Prozesse. In Folge dessen wurden getrennte Modelle für den Erwerb des Lesens und Schreibens entwickelt, wobei ich drei bekannte Modelle darstellen möchte.

2.2 Modelle zum Schriftspracherwerb

2.2.1 Das Modell von Frith (1986)

Das Prozessmodell des Lesens und Rechtschreibens von Frith (1986) gehört mittlerweile zu den bekanntesten Modellen des Schriftspracherwerbs. Dieses Modell stellt die Entwicklung der Lesekompetenz in den Mittelpunkt. In Abhängigkeit von der jeweils erworbenen Strategie unterscheidet sie zunächst drei aufeinander aufbauende Phasen des Lesenlernens.

Im ersten logographemischen Stadium ist die Aufmerksamkeit auf die Wortebene gerichtet. Anschließend folgen das alphabetische Stadium, indem die Buchstabe-Laut-Beziehung berücksichtigt wird und das orthographische Stadium, welches in einer dialektischen Verbindung die beiden ersten Phasen integriert (vgl. Weber 2003, S. 25).

Frith entwickelt dieses Dreiphasenmodell weiter zu einem sechsstufigen Modell, in dem sowohl die Lese- als auch die Rechtschreibentwicklung einbezogen werden. Lesen und Rechtschreiben erfordern nach diesem Modell zwar ähnliche Strategien, der Zeitpunkt ihrer Anwendung ist allerdings verschieden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 – Stufenmodell nach Uta Frith[2]

Die logographemische Stufe kann zunächst nur für das Lesen genutzt werden (Stufe 1a). Das Kind kann ein bekanntes Wort bzw. einen bekannten Satz lediglich durch wenige herausragende Details identifizieren. Da zunächst nur ein (Wieder-) Erkennen des Wortbildes stattfindet, wobei hervorstechende Merkmale berücksichtigt werden, ist die interne Repräsentation zu ungenau um diese für das Schreiben zu nutzen. Erst durch den wiederholten Umgang mit der Schrift, kann die logographemische Strategie für das Schreiben verwendet werden (Stufe 1b).

Laut Frith wird die alphabetische Strategie vorerst für das Schreiben verwendet (Stufe 2a), während das Lesen anfangs noch nach der logographemischen Strategie erfolgt. Bei den Kindern entsteht nach und nach das Bewusstsein, dass sich gesprochene Wörter aus einzelnen, in der Reihenfolge festgelegten Lauten zusammensetzen lassen und Laute in Buchstaben übertragen werden können. Wird diese Strategie ausreichend beherrscht, kann sie für das Lesen verwendet werden (Stufe 2b). Zu diesem Zeitpunkt können auch unbekannte Wörter von den Kindern Buchstabenweise erlesen werden.

Die orthographische Stufe kann zunächst wiederum nur für das Lesen genutzt werden (Stufe 3a). Das Kind kann nun orthographische Einheiten von Wörtern, bspw. Morpheme oder oft vorkommende Buchstabenfolgen erkennen und davon beim Lesen profitieren. Der Lesevorgang wird ökonomischer, da größere Einheiten auf einmal gelesen werden können. Hat diese Fähigkeit ein gewisses Niveau erreicht, kann diese letzte Stufe schließlich auch für das Rechtschreiben eingesetzt werden (Stufe 3b).

2.2.2 Der Ansatz von May (1986)

May ist der Auffassung, dass der Schriftspracherwerb im Gegensatz zu den bereits bewältigten Entwicklungsaufgaben, wie Sprechen oder Laufen nicht mehr unbewusst abläuft, sondern das Kind mit anfänglichem Unvermögen konfrontiert. Somit stellt das Lesenlernen ein Aneignungsproblem dar, welches für ihn neben dem Problemlöseprozess des Schrifterwerbs als eines der bedeutendsten Probleme gilt.

May geht ähnlich wie Frith von drei aufeinander folgenden Strategien aus, die ein Kind beim Schriftspracherwerb anwendet. Dabei schreibt er diesen Strategien jedoch keine diskreten Stufen zu, sondern sieht den Schriftspracherwerb als einen Problemlöseprozess bestehend aus fünf verschiedenen Phasen. Da die ausführliche Beschreibung der Phasen an dieser Stelle zu weit führen würde, möchte ich diese kurz am Beispiel des Leselernprozesses in einem von mir zusammengestellten Schaubild darstellen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 - Leselernprozess nach May

2.2.3 Das Modell von Scheerer- Neumann (1987)

Scheerer- Neumann stützt sich bei ihrem Entwicklungsmodell zur Analyse von Rechtschreibschwierigkeiten ebenfalls auf die Konzeption von Frith. Dabei betont sie allerdings den diagnostischen Aspekt. Aufgrund der Kenntnis von Rechtschreibfehlern, die kennzeichnend für bestimmte Entwicklungsstufen sind, sollen unmittelbar Interventionsmaßnahmen abgeleitet werden.

Typische Fehler der logographemischen Stufe sind beispielsweise Buchstabenauslassungen oder -Umstellungen. Charakteristisch für die alphabetische Strategie ist dagegen die „Skelettschreibweise“, beispielsweise „HML“ für „Hummel“ oder „HS“ für „Hose“. Zu diesem Zeitpunkt ist die Fähigkeit des Kindes auf die hervorstechenden Laute eines Wortes beschränkt. Während sich die Kinder auf der alphabetischen Stufe befinden, entwickeln sie sich weiter, sodass es durch genaues Einprägen richtig geschriebener Wörter bei der Reproduktion zu Fehlschreibungen ehemals korrekt geschriebener Wörter kommen kann. Durch häufige Übung wird schließlich die letzte Stufe, die Phase des weiteren Erkennens von orthographischen und morphematischen Strukturen, erreicht. Es überwiegt das Abrufen von Lernwörtern im Gegensatz zur Konstruktion (vgl. Weber 2003, S. 29).

2.3 Kritische Betrachtung der Modelle

Die aufgezeigten Stufenmodelle der Lese-Rechtschreibentwicklung sind zum größten Teil sehr beliebt, da sie gut mit dem Stadien- Gedanken der Entwicklungspsychologie, wie er beispielsweise von Piaget vertreten wurde, vereinbar sind. Bei einem Stufenmodell kann die aktuell verwendete Lese- bzw. Rechtschreibstrategie Aufschluss über die momentane Entwicklungsstufe eines Kindes liefern. Probleme bei der Aneignung der Schriftsprache können als Problem, sich die Strategie der folgenden Stufe anzueignen, interpretiert werden und die Fehlertypen können auf das erreichte Niveau zurück geschlossen werden.

Trotz der großen Beliebtheit dieser Stufenmodelle kann der Ablauf der Lese- Rechtschreibentwicklung in abgrenzbare Stufen in Frage gestellt werden. Stuart und Coltheart (1988) kritisierten beispielsweise speziell am Stufenmodell von Frith die unzureichende Merkmalsbeschreibung zur Abgrenzung der einzelnen Stufen. Auch die Aussage, dass am Beginn der Leseentwicklung notwendigerweise die logographemische Stufe stehe, wurde bspw. von Ehri, Mannhaupt und Marx oder Klicpera wiederholt kritisiert.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die verschiedenen Modelle einen guten Überblick über das Erlernen von Lesen und Schreiben geben. Eine klare Abgrenzbarkeit der Stufen ist allerdings sehr schwierig, sodass der Lese- Rechtschreibprozess eher als ein allmählicher kontinuierlicher Prozess gesehen werden sollte, bei dem verschiedene Funktionsbereiche miteinander interagieren (vgl. Klicpera & Gasteiger-Klicpera 1995).

3. Das Konzept Legasthenie

3.1 Begriffsklärung

Legasthenie – Dyslexie – Lese-Rechtschreib-Störung – Lese-Rechtschreib-Schwäche –

Lese-Rechtschreibschwierigkeiten

Seit der „Abschaffung“ der Legasthenie Ende der 70er Jahre werden die oben genannten Begriffe häufig synonym gebraucht, ohne die Bedeutungsunterschiede von „Schwäche“ und „Störung“ zu berücksichtigen. Mit der „Wiedereinführung“ der Legasthenie 1999 hat sich die Begriffsverwendung etwas konkretisiert (vgl. Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung 2005, S. 17 ff).

Legasthenie wird dabei als eine Störung des Lesens und Rechtschreibens verstanden, die entwicklungsbiologisch und zentralnervös begründet ist. Diese Lernstörung besteht trotz normaler oder sogar überdurchschnittlicher Intelligenz (siehe 3.4) und trotz normalem familiärem und schulischem Umfeld. Die Begriffe Dyslexie und Lese-Rechtschreib-Störung können bedeutungsgleich mit Legasthenie stehen. Die Lese-Rechtschreib-Schwäche ist zeitlich begrenzt und stellt meist eine Entwicklungsverzögerung im individuellen Lese- und Schreiblernprozess dar. Der Begriff Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS) bezieht sich auf das Lesen- und Schreibenlernen in Form eines entwicklungspsychologischen Stufenmodells. Ausgehend vom Spracherfahrungsansatz versteht sich LRS somit in erster Linie als mangelhafte Verfügbarkeit von Strategien der Informationsverarbeitung auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen.

3.2 Ursachen von Lese- Rechtschreibstörungen

Legasthenie ist eine Teilleistungsstörung, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten für die Schule sichtbar auftritt. Diese Teilleistungsstörung ist eine partielle Hirnreifeverzögerung, die entweder durch eine dominante Vererbung, Lateralitätsprobleme[3], Wahrnehmungsprobleme oder anatomische Schädigungen entstanden ist. Je nach Konstellation/ Ursache kann der Reiferück- stand aufgeholt werden oder ein lebenslanges Problem darstellen (vgl. Lohmann 1997, S. 8 ff).

3.2.1 Entwicklung der Integration

Integration bedeutet in diesem Fall, sich ordnen, organisieren oder unterschiedliche Stimuli der Wahrnehmungen zu einem Ganzen zusammenfügen. Findet keine Integration statt, wirkt das Kind oft unausgeglichen, ungeordnet oder desorientiert. Kann das Kind seine Sinneswahrnehmungen im Gehirn ordnen, kann es auch seine Gefühle und seine Motorik beherrschen. Ist dies nicht der Fall ist das Gehirn häufig über- oder unterstimuliert und das Kind kann seine Reaktionen nicht immer richtig steuern.

3.2.2 Entwicklung der Hirndominanz

Betrachtet man das Gehirn des Menschen, so hat sich in der Evolution eine funktionelle Asymmetrie herausgebildet. Jede der beiden Hemisphären ist dazu in der Lage wahrzunehmen, zu lernen, zu erinnern usw., wobei Unterschiede in der Art der Verarbeitung bestehen. Es ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich, welche der Hemisphären den größeren Teil seines Verhaltens und Denkens bestimmt.

Legasthenikergehirne sind zum größten Teil rechts größer, da keine Asymmetrie zugunsten der linken Hemisphäre stattgefunden hat. Unter Kindern mit Legasthenie gibt es viele sensomotorisch bilateral oder gemischt lateralisierte Kinder. Bei diesen kann bis zum Schuleintritt ein ständiger Wechsel in der Lateralität herrschen, in manchen Fällen kann das Durchringen zu einer Lateralität auch bis zum 12. Lebensjahr andauern.

Ab dem 2. Lebensjahr bildet sich beim Kind die Leithand aus. Gleichzeitig geht der Blick beim Greifen und anderen Bewegungen in Richtung der Leithand. Dadurch entstehen bevorzugte Richtungen auch in den Augenbewegungen. So haben „überspielte“ Linkshänder oft erhebliche Richtungsstörungen und leiden bis ins Erwachsenenalter unter rechts/links Unsicherheiten.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4 – Auf dem Kopf/ auf dem Kopf im Spiegel lesen[4]

3.2.3 Entwicklung der visuellen und auditiven Wahrnehmung

Mit etwa 7 Jahren ist der größte Teil der Entwicklung der visuellen Wahrnehmung abgeschlossen und das Kind erreicht die volle Sehschärfe für Einzelsymbole. Möchte das Kind ein Wort oder einen Text erlesen, müssen dabei beim Fixieren der Wörter die Augen entsprechend mit der Leseentfernung akkommodieren, um scharf sehen zu können. Gleichzeitig richten sich die optischen Achsen beider Augen auf diesen Punkt, was als Konvergenz bezeichnet wird. Sind die optischen Achsen annähernd auf das gleiche Bild fixiert, setzt ein Fusionsreiz ein. Dabei verschmelzen die aufgenommenen Sinneseindrücke zu einem Bild, was allein durch das Gehirn gesteuert wird. Im Idealfall sollte die Kopplung zwischen akkommodativer und fusioneller Konvergenz 60% : 40% betragen. Bei Kindern mit Legasthenie konnte nachgewiesen werden, dass die akkommodative Konvergenz teilweise unter 20% lag und somit zu 80 % fusionell (vom Gehirn her) ausgeglichen werden musste. Bei einer so erhöhten Leistung des Gehirns kommt es schnell zu Ermüdungserscheinungen und einer permanenten Überforderung.

Lernstörungen können in ähnlicher Form auch eine auditive oder akustische Ursache haben. Diese Funktionsstörungen umfassen u.a. Latenzzeitverschiebungen, mangelnde Plastizität des Trommelfells, Gleichgewichtsstörungen, erschwertes Richtungshören, das differenzierte genaue Erfassen einzelner Buchstaben im Wort oder das Konzentrieren auf ein Gespräch unter vielen Nebengeräuschen. Auditive Hörstörungen und Gleichgewichtsprobleme können sich in Form von Kommunikationsproblemen, wie Stimm-, Sprech-, Sing-, Lese- und Schreibschwierigkeiten, aber auch in motorischen Problemen und Haltungsfehlern auswirken.

Weinmann und Chüden haben 1975 herausgefunden, dass bei einem Teil der Legastheniker ein auf beiden Seiten gleichzeitig angebotener Ton unterschiedliche Latenzzeiten hat, d.h. der Empfang der Töne verläuft im Gehirn nicht synchron. Je nach Stärke dieser Verschiebung kann es sein, dass die Kinder nicht nur undeutlich hören, sondern auch undeutlich sprechen. In lauten Räumen schalten sie meist ganz ab oder reagieren nervös.

[...]


[1] invers [lateinisch], umgekehrt

[2] Aus: Scheerer- Neumann, Gerheid. 2003. Entwicklung der basalen Lesefähigkeit. In: Didaktik der deutschen Sprache. Hrsg. v. Bredel, U. u.a. Paderborn

[3] Lateralität wird auch mit Seitigkeit übersetzt und bezeichnet die funktionelle Bevorzugung von Organen oder Gliedmaßen einer Körperseite.

[4] Aus: Lohmann 1997, S. 16

Ende der Leseprobe aus 29 Seiten

Details

Titel
Legasthenie: Möglichkeiten der Diagnose und Förderung für lese- und rechtschreibschwache Kinder
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen
Note
1,5
Autor
Jahr
2008
Seiten
29
Katalognummer
V164797
ISBN (eBook)
9783640799145
Dateigröße
874 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Legasthenie, Grundschule, Modelle zum Schriftspracherwerb
Arbeit zitieren
Sabrina Spahr (Autor:in), 2008, Legasthenie: Möglichkeiten der Diagnose und Förderung für lese- und rechtschreibschwache Kinder, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/164797

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