In der heutigen Zeit nehmen Eltern verstärkt Beratung in Anspruch, weil sie sich mit ihrem Erziehungsauftrag überfordert fühlen. Gefühle wie Verzweiflung, Wut und Versagensängste sowie die Hoffnung, durch professionelle Ratschläge eine schnelle Hilfe zu erhalten, sind dominierend. Oft wird das Hilfeangebot jedoch erst sehr spät wahrgenommen, wenn sich eine Krisensituation so verfestigt hat, dass die Eltern am Ende ihrer Kräfte sind und sich nicht mehr im Stande fühlen, das Problem allein zu bewältigen.
Die Angelegenheiten, mit denen sich Ratsuchende an eine Erziehungsberatungsstelle wenden, gestalten sich immer komplexer und vielschichtiger, was auf einen gestiegenen Hilfebedarf hinweist, der mitunter eine Folge des schnellen Wandels in der Gesellschaft darstellt. Um den Anspruch, Kinder und Eltern auf ihrem Lebensweg durch das gesellschaftliche Dickicht zu begleiten und zu unterstützen, gleichermaßen professionell und qualitativ erfüllen zu können, muss Erziehungsberatung immer auf dem neuesten Stand sein.
Die in der Praxis bestehende, nahezu ausschließliche Alleinherrschaft der Psychologen in der Erziehungsberatung halte ich nicht für gerechtfertigt, da eine psychologisch ausgerichtete Beratungsarbeit vornehmlich durch psychotherapeutischen Methoden und Konzepten geprägt ist. Diese lassen eine eher durchstrukturierte Beratungssituation vermuten, in der dem Berater nur wenig Freiraum und Möglichkeit für ein klientenorientiertes Handeln bleibt. Vielmehr scheint sich (psychologische) Beratung verstärkt auf die Probleme von Ratsuchenden zu fokussieren und sich von den Menschen und ihrer je individuellen Lebensgeschichte zu entfernen.
Der Pädagogik per se stehen keine spezifischen Methoden zur Verfügung, denn sie ist, dadurch dass sie in viele Lebensbereiche hineinreicht, nicht ohne weiteres fassbar. Pädagogen konzentrieren sich in ihrem Handeln auf ihr Gegenüber, auf den Menschen in seiner Gesamtheit – nicht nur reduziert auf seine Probleme, sondern mit all seinen Fähigkeiten und Eigenschaften – und machen ihn zum Ausgangspunkt der Beratung, der Erziehung, des Gesprächs, der zwischenmenschlichen Interaktion, mit dem Ziel, ihm zu Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit zu verhelfen.
Die Frage ist: kann die Erziehungsberatung mit ihren jetzigen Sichtweisen und Methoden den vielfältigen Veränderungen gerecht werden und sich diesen anpassen oder sollte sie vielmehr ihre Arbeit hinsichtlich ihres momentanen Aufgabenverständnisses neu überdenken?
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- Vorwort
- Einleitung
- Kindheit im Wandel - Aktualität und Bedarf von Beratung
- Auswirkungen einer zunehmenden Komplexität der Lebenswelt
- Pluralisierung der Familienformen
- Erziehungsberatung in Theorie und Praxis
- Vorabklärung zentraler Begrifflichkeiten
- Erziehung
- Beratung
- Erziehungsberatung
- Historische Entwicklung der Erziehungsberatung
- Die Anfänge der institutionalisierten Erziehungsberatung
- Erziehungsberatung im Nationalsozialismus
- Erziehungsberatung seit 1945
- Aufgaben der Erziehungsberatung
- Vorüberlegungen zum Aufgabenspektrum
- Vom JWG zum neuen KJHG
- Erziehungsberatung im Kontext der Jugendhilfe
- Erziehungsberatung und ihre Doppelfunktion als Prävention und Intervention
- Methoden
- Diagnostik in der Erziehungsberatung
- Zur Bedeutung der Diagnostik heute
- Diagnostik als offener Prozess innerhalb des Beratungsgeschehens
- Exkurs: Spiel als diagnostisches Medium
- Der Einfluss psychotherapeutischer Konzepte auf die Erziehungsberatung
- Psychoanalytische Verfahren
- Der klientenzentrierte Ansatz
- Das Konzept der Verhaltensmodifikation
- Offene Formen der Beratung
- Familientherapeutische bzw. systemische Perspektive
- Rahmenbedingungen und Grundsätze in der Beratungsarbeit
- Teamwork
- Teamarbeit als Prinzip in der Erziehungsberatung
- Beteiligte Berufsgruppen: Aufgaben- und Rollenverteilung im Team
- Gleichberechtigung und hierarchische Teamstrukturen
- Teamarbeit aktuell
- Schweigepflicht
- Kostenfreiheit für den Klienten
- Freiwillige Inanspruchnahme
- Hilfe zur Selbsthilfe
- Überlegungen zu einer pädagogischen Theorie der Erziehungsberatung
- Theoriebildung allgemein – Beratungstheorie konkret
- Von der Hypothese zur Theorie
- Gegenüberstellung von Alltagstheorie und Wissenschaft
- Alltagstheorien im Beratungsprozess
- Anforderungen an eine Beratungstheorie
- Schwierigkeiten der Formulierung einer Beratungstheorie
- Pädagogik als Beratungswissenschaft
- Pädagogische Beratung als Handlungsdisziplin
- Begriffliche Vorüberlegungen und Einordnung
- Beratung als soziales Phänomen: Die Anfänge pädagogischer Beratung bei K. Mollenhauer
- Was ist pädagogische Beratung – Gegenüberstellung verschiedener Sichtweisen
- Orientierungsprinzipien für pädagogische Beratung
- Erfahrungen in der Erziehungsberatung
- Das Interesse des Pädagogen an lebensgeschichtlichen Erzählungen
- Die Bedeutung von Erfahrungen im Beratungsprozess
- Bereitstellen eines Erfahrungsraumes – ein Konzept von Erziehungsberatung
- Die Berater-Klient-Beziehung
- Beziehung als Hintergrundphänomen
- Gestaltung einer Vertrauensbeziehung
- Schwierigkeiten und Konflikte bedingt durch die Beratungsbeziehung
- Authentizität als treibende Kraft in der Berater-Klient-Beziehung
- Erziehungsberatung im Fokus psychoanalytischer Pädagogik
- Der Beitrag der Psychoanalyse für die Pädagogik
- Eigenschaften einer psychoanalytisch-pädagogischen Erziehungsberatung
- Fördern positiver Übertragungsgefühle mit dem Ziel einer stabilen Arbeitsbeziehung
- Tiefenpsychologisches Verstehen (un-)bewusster Prozesse
- Arbeiten an der Veränderung von Beziehungen im Sinne einer Verbesserung von Entwicklungsbedingungen
- Schließen eines pädagogischen Arbeitsbündnisses
- Erziehungsberatung als Spannungsfeld
- Zur begrifflichen Abgrenzung von Beratung, Therapie und Erziehung
- Beratung vs. Therapie
- Erziehung vs. Therapie
- Erziehungsberatung zwischen Jugendhilfe und Gesundheitswesen
- Zur Frage therapeutischer Leistungen in der Erziehungsberatung
- Auswirkungen des Psychotherapeutengesetzes
- Der Krankheitsbegriff in der Beratung - Tücken und Chancen
- Praxisteil: Befragung von Erziehungsberatungsstellen: „Erziehungsberatung – Beratung oder Therapie?“
- Über Methodik und Fragestellung
- Erörterung und Diskussion der Rückmeldungen
- „Back to basics“ – zurück zur Erziehung oder: Der Versuch einer Aufgaben-Neubestimmung der Erziehungsberatung aus pädagogischer Sicht
- Schlussbetrachtung: Fazit und persönliche Stellungnahme
- Anhang
- Literatur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Diese Diplomarbeit befasst sich mit der Erziehungsberatung aus pädagogischer Sicht. Sie analysiert die aktuelle Situation der Erziehungsberatung und beleuchtet die Frage, ob und inwiefern pädagogische Konzepte und Methoden eine eigenständige Rolle in der Beratungsarbeit spielen können.
- Die historische Entwicklung der Erziehungsberatung
- Die Aufgaben und Methoden der Erziehungsberatung
- Die Bedeutung von pädagogischen Theorien und Konzepten für die Erziehungsberatung
- Die Rolle von Psychotherapie und Jugendhilfe in der Erziehungsberatung
- Die Bedeutung der Berater-Klient-Beziehung
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
- Die Einleitung stellt den aktuellen Bedarf an Erziehungsberatung vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels dar. Dabei werden die Auswirkungen der zunehmenden Komplexität der Lebenswelt und die Pluralisierung der Familienformen auf die Erziehung von Kindern und Jugendlichen beleuchtet.
- Kapitel 2 befasst sich mit der Erziehungsberatung in Theorie und Praxis. Zunächst werden zentrale Begriffe wie "Erziehung", "Beratung" und "Erziehungsberatung" geklärt. Anschließend wird die historische Entwicklung der Erziehungsberatung von den Anfängen bis zur heutigen Zeit dargestellt.
- Kapitel 3 untersucht die Rolle von pädagogischen Theorien und Konzepten für die Erziehungsberatung. Es werden unterschiedliche Ansätze und Perspektiven auf die Beratung beleuchtet und die Bedeutung von Erfahrungen und der Berater-Klient-Beziehung im Beratungsprozess hervorgehoben.
- Kapitel 4 stellt die Ergebnisse einer Befragung von Erziehungsberatungsstellen zum Thema "Erziehungsberatung - Beratung oder Therapie?" vor. Die Ergebnisse werden diskutiert und in den Kontext der aktuellen Debatte um die Rolle von Pädagogen und Psychologen in der Erziehungsberatung eingeordnet.
Schlüsselwörter (Keywords)
Die zentralen Schlüsselwörter der Arbeit sind: Erziehungsberatung, pädagogische Theorie, Beratungstheorie, Methoden der Erziehungsberatung, Psychotherapie, Jugendhilfe, Berater-Klient-Beziehung, Erfahrungen, lebensgeschichtliche Erzählungen, Selbstständigkeit, Eigenverantwortlichkeit, gesellschaftlicher Wandel, Familienformen, Komplexität der Lebenswelt.
- Arbeit zitieren
- Carolin Markert (Autor:in), 2008, Überlegungen zu einer pädagogischen Theorie der Erziehungsberatung , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/167386