Ökologischer Idealismus und globale Verantwortung

Der stumme Frühling von Rachel Carson im Spannungsfeld zwischen Ideal und Wirklichkeit


Seminararbeit, 2005

28 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Die Wirkungen von DDT
1.2 Der Weg zum Buch
1.3 Die unmittelbaren Folgen von „Der stumme Frühling“

2. Analyse und Diskussion des Buches „Der stumme Frühling“
2.1 Zur inhaltlichen Gestaltung des Buches
2.2 Die Sprache des Buches
2.3 Die wissenschaftlichen Methoden von Rachel Carson : Betrachtung ausgewählter Textstellen

3. Zusammenfassung

4. Bibliographie

1. Einleitung

Das Buch „Der stumme Frühling“ von Rachel Carson, erstmals erschienen 1962 in den USA1, beschäftigt sich mit den Auswirkungen der exzessiven landwirtschaftlichen Nutzung von Pestiziden und Insektiziden - insbesondere der, des DDT. Der „stumme Frühling“ ist eine Metapher, die das Sterben der Singvögel durch den DDT-Einsatz in der Landwirtschaft beschreibt, die im Frühling nicht mehr singen und damit den Frühling verstummen lassen. Seither ist dieses Buch im höchsten Maße kontrovers diskutiert worden und die Liste der Gegner und Fürsprecher ist ebenso prominent wie lang. Der Grund sind die immensen Folgen die dieses Buch mit dem Verbot des DDT in den USA 1972, in Europa2 und der Dritten Welt nach sich zog. Auf der einen Seite sehen die Anhänger des Umweltschutzes, wie z.B. der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore in seinem Vorwort zur Neuauflage 1994 schrieb, in Rachel Carson die Vorreiterin und Begründerin des modernen Umweltschutzes, dessen Notwendigkeit und Richtigkeit für unser aller Überleben auf diesem Planeten außer Frage steht. Auf der anderen Seite stehen Millionen von Toten, die an epidemischen Krankheiten starben, die nach dem DDT-Verbot erneut ausbrachen. DDT ist das Mittel gegen die Malaria übertragende Anopheles-Mücke und andere Vektoren der Krankheiten Typhus, Cholera, Pest und der Schlafkrankheit gewesen. In vielen Teilen der Welt aber vor allem in Afrika und Südostasien brach die Malaria nach bereits erfolgreicher Eindämmung bzw. Ausrottung wieder aus und kostete seither mehr als 100 Millionen Menschen das Leben3. Die Zahl der Malariatoten beträgt pro Jahr bis zu 2.7 Millionen Menschen, wobei 75 % davon Kinder und davon vor allem Kinder unter 5 Jahren sind4. Pro Jahr sind allein 900 Millionen Erkrankungen registriert. Nach Schätzungen der WHO wird sich diese Zahl bis 2020 verdoppeln5.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1 : Die Grafik stellt die Malariatoten im Verhältnis zur Gesamtfläche der Länder der Welt dar. Darunter sind die Bevölkerungszahlen korrespondierend zur Länderfläche graphisch dargestellt.6

Dennoch ist die Frage zu erörtern, inwiefern dieses Buch wirklich für das DDT-Verbot verantwortlich zu machen ist, ebenso, wie es zweifelhaft erscheinen muss, einer einzelnen Frau dafür die Schuld zu geben, die zwei Jahre nach der Veröffentlichung an Brustkrebs starb und mit der weiteren Entwicklung nicht notwendigerweise in Zusammenhang zu bringen ist. Dieses Buch ist darüber hinaus auch nicht das Ergebnis einer einzelnen Frau, die mit Akribie und großem persönlichen Einsatz jahrelang recherchierte, sondern ist vielmehr Ausdruck einer aufkommenden Bewegung in den 50iger und 60iger Jahren in den USA, die das Bewusstsein für den Umweltschutz und die Schäden, die durch die massenhafte Anwendung von Chemikalien in der Landwirtschaft entstehen können, schürte. Es muss daher auch dem vielfach zitierten Eindruck widersprochen werden, dass Rachel Carson ein Pionier auf diesem Gebiet gewesen sei. Vielmehr steht sie auf dem Fundament einer ganzen Reihe von Wissenschaftlern, Ökologen, Biologen, wie sie selbst und Geologen, die mit Rachel Carson erstmals für eine breite Öffentlichkeit wirksam, die Schäden für verschiedene Tierarten, die Nahrungskette, die falsche Nutzung des Bodens und den übermäßigen Einsatz von giftigen Chemikalien in der Natur beschrieben. Inwiefern sich die weitere Entwicklung und ihre Folgen als Missbrauch des Buches „Der stumme Frühling“ für ganz andere ökonomische und politische Interessen darstellen und wie sich die ganze Problematik differenzierter analysieren lässt, soll Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein.

1.1 Die Wirkungen von DDT

Die Wirkung des DDT und seine allgemeine chemische, ökologische und biologische Toxizität sind deshalb für diese Arbeit von besonderem Interesse, weil der Stand der Forschung zur eigentlichen Wirkweise von DDT und seinen Metaboliten kontrovers diskutiert wird, jedoch großen Einfluss auf die Argumentationskette hatte, die letztlich zum Verbot der Substanz führte. Dichlordiphenyltrichlorethan, abgekürzt DDT, ist ein Nervengift, das als Insektizid ab den 40iger Jahren aufgrund seiner billigen Herstellung, seiner starken Wirksamkeit gegen Insekten und seiner weitgehend als gering eingestuften Toxizität für den Organismus von Säugetieren und Pflanzen zum flächendeckenden Einsatz in der Forst - und Landwirtschaft kam und bis zu seinem Verbot das am meisten verwendete Insektizid auf der Welt war. DDT ist eine hydrophobe chlorierte zyklische Kohlenwasserstoffverbindung. Es besitzt eine hohe Stabilität und Fettlöslichkeit. Für alle Insekten mit Chitinschicht ist DDT tödlich, hingegen harmlos für Insekten ohne Chitin, wie Blattläuse oder den Säugetieren.

Resistenzentwicklungen sind bekannt7. Damit war es seit den 40iger Jahren möglich, epidemische Krankheiten wie Malaria, Typhus, Cholera und Trypanosomiasis8, deren Vektoren in der Regel Insekten sind, entscheidend einzudämmen bzw. auszurotten.

Abb. 2 : Struktur des DDT

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Toxikologie der Substanz ist sehr umfangreich. Die beschriebenen Nebenwirkungen bei Säugetieren und beim Menschen sind konzentrationsabhängig Schüttelfrost, Tremor, Krämpfe und Rhythmusstörungen bis schließlich zu einer geschätzten letalen Konzentration beim Menschen von 150 - 750mg/kg Körpergewicht9. Interessant ist jedoch, dass chronische Vergiftungen trotz millionenfacher Anwendung im Zweiten Weltkrieg bei Soldaten und der Zivilbevölkerung nicht bekannt geworden sind10.

Das ökologische Hauptproblem der massenhaften Anwendung von DDT ist die Eigenschaft der Anreicherung in der Nahrungskette vor allem auch bei Plankton und Fischen mit einem Faktor von bis zu 8500011. Die Halbwertszeiten betragen hier je nach Klima 0,6 - 16 Jahre. Eine Reduzierung der Konzentration im Boden auf ein Promille der Ausgangskonzentration beträgt im Durchschnitt 10 Jahre12. Das Insektizid ist aber im Fettstoffwechsel der Tiere bedeutend stabiler. Da DDT ausdrücklich fischtoxisch ist, sind insbesondere die fischfressenden Vogelarten von der Anreicherung betroffen. Darüber hinaus wird eine Störung des Kalkstoffwechsels beschrieben, die auf den DDT Metaboliten DDE zurückzuführen ist13 und damit die Brut der Vögel durch zu dünne Eierschalen gefährdete. Sicherlich sind aber die Schäden in den Vogelbeständen der 60iger und 70iger Jahre nicht monokausal auf das DDT zurückzuführen14, sowie auch grundsätzlich eine differenzierte Betrachtung der Problematik die Berücksichtigung vieler Faktoren einschließen sollte, was auch für den politischen, ökologischen und auch literarischen Exkurs gilt. Darüber hinaus muss die Stabilität des DDT heute differenzierter gesehen werden. DDT zerfällt beispielsweise unter UV Bestrahlung sehr leicht in CO2 und HCl. Dies ist auch eine schlüssige Erklärung dafür, warum das DDT sich in der Umwelt nicht anreichert, obwohl es nach wie vor z.B. in Russland oder Ländern der Dritten Welt produziert bzw. angewendet wird.

Abb. 2 : Vor- und Nachteile der DDT-Eigenschaften15

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Da DDT als lipophile Substanz an Lipoproteine gebunden im Blut transportiert und im Fettgewebe eingelagert wird, ist die Konzentration im Plasma gering und führt zu keinen toxischen Nebenwirkungen. Dennoch muss berücksichtigt werden, dass die Ausscheidungszeit der Substanz sehr groß und ihr Verbleib im Körper damit praktisch unbegrenzt ist. Die tatsächlichen Mechanismen der Pharmakokinetik des DDT die Absorption, Verteilung und Umverteilung, Speicherung und Bindung, Matabolisierung und Elimination betreffend, sind nicht restlos geklärt. Das resorbierte DDT verteilt sich überwiegend im Fettgewebe, aus dem es nur sehr schwer wieder mobilisierbar ist. Die Eliminationscharakteristik folgt dabei verschiedenen Wegen und ist in ihrer Komplexität keinesfalls verstanden. Der Metabolismus legt folgende Wege nahe : zum einen kann vom DDT enzymatisch HCl abgespalten werden, wobei das Dichlorethylenderivat DDE entsteht, zum anderen wird es reduktiv unter Bildung des Ethan analogen DDD abgebaut. In weiteren nachfolgenden Schritten werden die verbliebenden Produkte oxidativ zu DDA, also der entsprechenden Essigsäure, dechloriert. Dieser Metabolit sowie phenolische Oxidationsprodukte sind leicht nierengängig und könnten also renal ausgeschieden werden. Insbesondere das DDE ist aber, wie schon zuvor erwähnt, toxologisch wirksamer als DDT und wird zudem auch im Fettgewebe gespeichert. Eine weitere Möglichkeit ist die direkte Dechlorierung vor der HCl-Abspaltung. Das dabei entstehende Vinylchlorid wird in ein reaktives Epoxid umgewandelt. Insbesondere dieser Metabolit kann für die an Mäusen beobachtete krebserzeugende Wirkung von DDT verantwortlich sein. 1968 lag die durchschnittliche mit der Nahrung aufgenommen DDT-Menge pro Jahr bei 28millionstel Gramm, was bei einer Toxizität von ab 1g toxikologisch eine praktisch vernachlässigbare Menge ist, zumal der Wert heute noch wesentlich niedriger liegt. Dennoch muss hier explizit erwähnt werden, wenn auch nicht zur Verteidigung der diskutablen wissenschaftlichen Methodik Rachel Carsons, dass es nicht das DDT selbst ist, was die eigentlich toxische Wirkung auch auf Vogeleierschalen verursacht, sondern das 2,4-DDT, das mit einer Häufigkeit von etwa 25% bei der synthetischen Herstellung anfällt. Die zwei chiralen, also spiegelbildlichen, Formen dieser Substanz haben überraschenderweise keine oder nur sehr geringe insektizide Eigenschaften, wohl aber eine oestrogene Wirkung16 und einen negativen Einfluss auf den Kalkstoffwechsel. Es sind also die bei der Synthese auftretenden Isomere, die das DDT so gefährlich machen. Wenn es gelänge das DDT bei der Synthese nochmals aufzureinigen, wäre eine komplett neue Sichtweise auf das DDT denkbar und vielleicht auch eine Rehabilitierung der Substanz möglich.

1.2 Der Weg zum Buch

Rachel Carson wurde am 27.05.1907 als drittes und letztes Kind eines Angestellten und einer presbyterianisch erzogenen Lehrerin geboren. Die Mutter, selbst Botanikerin und Ornithologin, war von der amerikanischen Bewegung Nature Study beeinflusst. Biographen17 geben an, alle drei Kinder der Carson Familie seien von ihrer Mutter auf Ausflügen auf den Ländereien der Familie in Botanik, Vogelkunde und Naturgeschichte unterrichtet worden. Welchen Einfluss diese Erziehung auf Rachel Carson gehabt haben mag, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass im Zentrum der Nature Study das Lernen in und von der Natur als etwas geradezu Heiliges und Beschützenswertes stand. Anspruch der Nature Study war es, vor allem Kindern die Fähigkeit zum Staunen über die Natur zu erhalten und die Liebe zur Natur von Klein auf zu vermitteln. Bereits als Kind wurden erste Geschichten und Erzählungen von Rachel Carson in Zeitungen veröffentlicht.

Als einzige ihrer Geschwister schloss Rachel Carson 1925 die Highschool als Klassenbeste ab. Am Pennsylvania College for Women studierte sie zunächst Englisch als Hauptfach wechselte dann jedoch, gegen den ausdrücklichen Rat des Collegs im Januar 1928 zum Studium der Biologie, dass sie 1929 mit magna cum laude abschloss.

[...]


1 Die Veröffentlichung erfolgte zunächst in Zusammenfassungen in der Zeitschrift „The New Yorker“. Schließlich auch 1962 in Buchform. Seither ist es in zahlreiche Sprachen übersetzt worden und wurde 1994 und 2007 erneut aufgelegt.

2 Schweden verbot als erster den Einsatz von DDT 1968 , es folgten die Schweiz 1970, da die USA die Einfuhr von Schweizer Käse stoppten in dem sich ein zu hoher DDT Gehalt nachweisen ließ, der seinerseits von der mit Pestizidzusatz versehener Farbe stammte, mit denen die Lagerhallen gestrichen waren. Es folgte Deutschland 1971 und schließlich die USA 1972.

3 Internationale Malariahilfe MIM Report 2001 sowie jährliche Malaria Reporte der WHO. Das MIM, die Multilaterale Initiative on Malaria, wurde 1997 gegründet. Es ist eine Initiative von amerikanischen, europäischen und afrikanischen Wissenschaftlern und Gesundheitsorganisationen. http://www.mimalaria.org/

4 Internationale Malariahilfe MIM Report 2001 www.mimalaria.org

5 International Malaria Report 2005. www.who.int

6 Brennpunkt Malaria Der Spiegel : http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,464600,00.html

7 Herrmann Römpp Lexikon Chemie 1.2, New York/Stuttgard, Thieme Verlag 1996 / auch im Internet unter www.roempp.com

8 Afrikanische Schlafkrankheit - Übertragung durch Trypanosoma brucei, einem einzelligen Parasiten, der wie Malaria auch durch Mücken auf den Menschen übertragen wird

9 D. Heinrich dtv-Atlas zur Ökologie173ff, Deutscher Taschenbuch Verlag 1990

10Moeschlin Klinik und Therapie der Vergiftung, Georg Thieme Verlag Stuttgart 1980

11 E. Mutschler, Allgemeine Toxikologie, Georg Thieme Verlag Stuttgart 1978

12 ebd.

13 WHO, Vector Resistance to Pesticides, WHO Technical Report Series 818. World Health Organization 1992

14 Der Einsatz von weiteren chlorierten Kohlenwasserstoffen wie zb. Das BCP die sog. Chlorierten Biphenyle ist weitaus gefährlicher als das DDT

15 zitiert nach Prof. Dr. Peter Bützer : Der „ökologische Sündenfall“ DDT - http://www.buetzer.info/

16 Dies erklärt auch die Beobachtung, dass DDT eine endokrine Disruption verursachen kann, also hormonähnliche Wirkungen entfalten kann

17 Linda Lear: Rachel Carson. Witness for Nature. Owl Books. Henry Holt and Company. New York. 1998.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Ökologischer Idealismus und globale Verantwortung
Untertitel
Der stumme Frühling von Rachel Carson im Spannungsfeld zwischen Ideal und Wirklichkeit
Hochschule
Technische Universität Berlin
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
28
Katalognummer
V167591
ISBN (eBook)
9783640850877
ISBN (Buch)
9783640851140
Dateigröße
532 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Der stumme Frühling, Rachel Carson, DDT, Umweltschutz, Verbot, Malaria, Anopheles-Mücke, Typhus, Cholera, Pest, WHO, Landwirtschaft, Dichlordiphenyltrichlorethan, Toxizität, hydrophobe chlorierte zyklische Kohlenwasserstoffverbindung, Resistenzentwicklung, Trypanosomiasis, Fettstoffwechsel, Kalkstoffwechsel, Akkumulation, Persistenz, Pharmakokinetik, DDE, Oxidationsprodukt, Epoxid, Dechlorierung, Nature Study, College for Women, John Hopkins University, University of Maryland, U.S. Bureau of Fisheries, Velsicol Chemical Corporation
Arbeit zitieren
MA Friedrich Ansgar Drywa (Autor:in), 2005, Ökologischer Idealismus und globale Verantwortung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/167591

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