Urban Governance


Hausarbeit, 2003

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Etymologischer Ursprung und Definition

Entwicklung der Governance-Debatte

Neue Politikstrategien auf lokaler Ebene

Modelle städtischer Governance

Grenzen von Governance-Systemen

Die HafenCity in Hamburg

Ausblick

Literatur

Vor dem Hintergrund des aktuellen Zustands der deutschen Kommunen mit ihren massiven wirtschaftlichen und finanziellen Problemen gewinnen die Debatten zu Methoden, Möglichkeiten und Chancen der Verwaltungsreform viel an Bedeutung. Diese Arbeit möchte einen kleinen Teil dieser Diskussion im Bereich der (urban) governance nachvollziehen, also die Bedeutung des Begriffs genau definieren, die Entstehung der Governance-Debatte nachzeichnen und ihre Ausprägungen auf kommunaler Ebene darstellen - sowohl theoretisch anhand der Systematik von Jon Pierre der „ models of urban governance “ wie auch praktisch am Beispiel der HafenCity in Hamburg.

Etymologischer Ursprung und Definition

Das englische Wort governance lässt sich auf lateinische Ursprünge zurückführen, gubernare heißt in seiner Grundbedeutung lenken / steuern und stammt aus der Seefahrt. Im Laufe der Zeit wurde gubernare auch abstrakter gefasst und taucht schließlich in Schriften über Recht und Staatsverfassung unter anderem von Caesar, Cicero und Seneca als regieren / lenken / leiten auf. Der terminus technicus rem publicam gubernare wurde im klassischen Latein als Bezeichnung von Personen in leitenden Staatsämtern verwendet, aber auch in lateinischen Sprichwörtern findet sich gubernare (z.B. bei Livius: gubernare e terra, aus sicherem Orte andere in Gefahr belehren wollen).

Das französische Wort gouvernance, seit dem 13. Jahrhundert Bestandteil der Sprache, bezeichnete zunächst nur die Form des Regierens. Abgeleitet von dem Wort gouvernail (Steuerrad, in der Schifffahrt) lassen sich auch Verbindungen zum deutschen „steuern“ herstellen. Um Regierung(shandeln) zu beschreiben war allerdings der Begriff m é thodes de gouvernment (Methoden des Regierens) gebräuchlicher. Im Zuge der soziologischen und politikwissenschaftlichen Diskussionen der 1970/80er Jahre wurde der Terminus governance, übersetzt mit dem französischen gouvernance, wieder eingeführt, dementsprechend wird der Begriff in der französischen Sprache analog zu der Bedeutung des englischen governance 1 definiert, so z.B. bei Marcou u.a.:

"La gouvernance gilt für die neuen interaktiven Formen der Steuerung, in denen private Akteure, verschiedeneöffentliche Organisationen, Bürgergemeinschaften oder andere Arten von Akteuren an der Verarbeitung der Politik teilnehmen."

(Marcou, Rangeon, Thiebault 1997, zitiert nach Ferry 2003: 77)

Ähnlich sieht es im Spanischen aus, auch dort verbindet man mit gobernaci ó n und gobierno nur das Regierungshandeln bzw. die Regierung, wiederum ist der Ursprung des Worten in der Seefahrt zu finden (gobernar heißt steuern). Im Gegensatz zu Frankreich wird jedoch im wissenschaftlichen Diskurs der englische Begriff governance mit seinen Definitionen verwendet und umgeht so eventuelle zusätzliche Definitionsschwierigkeiten, die bei einer Rückübersetzung ins Spanische entstehen könnten (vgl. u.a. Nicando Cruz o.J.).

In Italien liegen die Ursprünge des Verbs governare ebenfalls in der Seefahrt und wird entsprechend den anderen romanischen Sprachen auch im Sinne von regieren verwendet. Wie im Spanischen wird die Governance-Debatte in der Soziologie mit dem englischen Begriff geführt (vgl. Rivosecchi o.J.).

Was heißt nun Governance genau? Gibt man das Wort in eine Internet-Suchmaschine wie „google“ ein, erhält man zahlreiche, unterschiedliche Ergebnisse, es erscheinen Verweise zu corporate governance, IT governance, e-governance etc. auf, danach finden sich Links zu global governance, good governance usw. Zuerst taucht governance also in ökonomischen Zusammenhängen auf, später auch in politischen - die urban governance ist auf die hinteren Plätze verdrängt. Alles in allem bietet sich dem suchenden Auge eine unübersichtliche Fülle von Ergebnissen, Governance scheint also eine so große Bandbreite von Bedeutungen zu besitzen, dass die jeweilige Verwendung immer in ihrem speziellen inhaltlichen Kontext definiert werden muss. Bevor wir das für den uns interessierenden Bereich der Politik und Planung auf kommunaler Ebene tun, schauen wir uns erst noch einmal die Definition des Begriffs an, die uns ein englisches Wörterbuch (Microsoft Encarta 2003) gibt:

1. manner of government: the system or manner of government
2. state of governing a place: the act or state of governing a place
3. authority: control or authority (formal)

Von governance zu unterscheiden ist government, im Sinne von:

1. politics political authority: a group of people who have the power to make and enforce laws for a country or area
2. politics style of government: a type of political system
3. politics the state viewed as ruler: the state and its administration viewed as the ruling political power
4. politics branch of government: a branch or agency of a government, taken as the whole (informal)
5. control of something: the management or control of something.

Wiederum sind die Bedeutungen von Governance und Government weit gefasst und vermischen sich teilweise. Als erkennbarer Unterschied ist festzuhalten, dass Governance eher systembeschreibend und handlungsbezogen verwendet wird, während Government eher auf Akteure (Akteursgruppen) abhebt. Allerdings können nach diesem Wörterbuch beide u.a. auch „(political) authority“ meinen, so dass eine klare Trennung schwierig ist. Hilfreicher als diese Annäherungen erscheinen die Definitionen von Governance und Government, die Sehested vorschlägt:

„ Government is about a cohesive and integrated public sector with a central political management center - the Government - based on national parliamentary sovereignty and accountability through elections. “

„ Governance indicates a new kind of social-political steering logic in the public sector characterised by a differentiated and multicentered political system with a mix of private and public actors participating directly in the decision making process without any clear hierarchic relation between the many centers and actors. “ (Sehested 2001: 10f.)

Sehested charakterisiert hier Government mit:
- Autorität, Hierarchie,
- Trennung von Politik und Bürokratie,
- Trennung von öffentlichem und privatem Sektor und
- Bezug auf moderne Gesellschaften,

während sie für Governance folgende Eigenschaften nennt:
- gegenseitige Beeinflussung,
- Teilautonomie,
- Verwaltung als Teil politischen Handelns,
- Existenz von Public-Private-Partnerships und
- Bezug auf spät- und postmoderne Gesellschaften.

Dabei geht sie von Governance im Sinne von Rhodes aus, als „ Art und Weise, die Methode oder das System “ (Rhodes 1997, zitiert nach Braun 2001) mit dem eine Gesellschaft regiert wird. Rhodes’ Definition bildet auch die Grundlage der Definitionen nach Braun, Government

versteht er als das Steuerungshandeln von Regierung und staatlicher Verwaltung (was das Gegenteil von dem ist, was die Encarta-Definition aussagt).

Die Unterschiede der Definitionen beider Autoren liegt darin, dass Braun unterschiedliche Beschreibungsebenen eines Untersuchungsgegenstandes in den Vordergrund rückt (Steuerungsmodus vs. -handeln), während Sehested Government und Governance eher als zwei aufeinanderfolgender Steuerungssysteme begreift und den historisch verankerten, strukturellen Unterschied aufzuspüren versucht.

Entwicklung der Governance-Debatte

Die Diskussion2 über Governance-Theorien begann in den 1960/1970er Jahren mit grundlegenden Fragen nach dem Funktionieren politischer Planung, also nach dem politischen agenda setting und der darauf folgenden Umsetzung der jeweiligen politischen Programme. Dementsprechend war der Fokus auf den Staat als Handelnden gerichtet (top- down-Ansatz). Relativ schnell wurde dieser erste Ansatz um bottom-up-Untersuchungen erweitert: Man war zu der Erkenntnis gekommen, dass nicht nur Steuerungsfähigkeit, sondern auch Steuerbarkeit (governability) die Umsetzung von Politik beeinflussen. Angesichts der Bedürfnisse verschiedener sozialer Gruppen und ihres Widerstands gegenüber der Umsetzung von Programmen, die u.U. gar nicht den Kern der Probleme trafen, entstanden so auf die Gruppen zugeschnittene Programme, die u.a. auf die Mithilfe und Beteiligung der Betroffenen setzten (vgl. Kreft/Mielenz 1998: 515f.)

Die nächste Stufe der Governance-Diskussion basierte auf der durch die Integration der bottom-up-Perspektive gewonnenen Einsicht, dass die bis dahin zentrale Annahme, der Staat sei das Zentrum der effektiven politischen Steuerung, nicht mehr aufrechterhalten werden konnte angesichts des Widerstands bestimmter sozialer Gruppen. Thematisiert wurden nun Alternativen zum bestehenden hierarchischen System, wobei sich zwei Hauptlinien ausbildeten, die Debatte über Markmechanismen als Steuerungssystem bzw. über horizontale Selbstorganisation.

Die Anwendung von Marktmechanismen zur effektiveren Steuerung wurde zunächst in der US-amerikanischen Umweltpolitik diskutiert, fand dann aber eine schnelle Verbreitung durch neo-liberale Politikansätze, die das Spiel der Marktkräfte und die Zusammenarbeit öffentlicher und privater Organisationen als Weg aus der Krise des Fordismus sahen.3 Die zweite Linie ist gekennzeichnet durch „ systems of societal self-regulation in which the state does not directly participate “ (Mayntz 1998: 2), beispielsweise das deutsche Tarifsystem, in dem Arbeitgeber und Gewerkschaften (normalerweise ohne staatliche Intervention) Lohnabschlüsse tätigen. Eine geringere Rolle spielt bei Mayntz die Diskussion um den „alternativen Sektor“ der nicht bezahlten, ehrenamtlichen Arbeit und anderer (lokaler) Ansätze zur Selbstorganisation. Bei den Modellen städtischer Governance werden diese Ansätze aber noch einmal aufgegriffen.

Als Katalysatoren der weiteren Entwicklungsstufen der Debatte über Governance identifiziert Mayntz die fortschreitende Europäisierung und die Globalisierung: Durch Europäisierung und Globalisierung bilden sich neue, supranationale Governance-Strukturen aus, denen die (National-)Staaten Rechnung tragen müssen, z.B. durch die Umsetzung europäischer Richtlinien in nationales Recht, die Notwendigkeit, auf Marktöffnung und dadurch erhöhten Wettbewerb zu reagieren, den Wohlfahrtsstaat den neuen Gegebenheiten anzupassen etc. Eng verknüpft mit diesem Thema ist die Diskussion um Legitimität und Demokratie auf europäischer und noch mehr auf globaler Ebene - ein Problem, das sich bereits in den

Public-Privat-Partnerships der Kommunen erkennen lässt, bei denen eine demokratische Legitimierung häufig auch nicht vorliegt.

Auf globaler Ebene schließlich wird man die Frage nach Governance genereller stellen müssen:

„ At the global level [...] exists no identifiable steering subject and no institutionalized framework containing the object of steering. [...] we speak of governance in the widest sense of basic modes of coordination, because only in this case is the concept not tied to the existence of some sort of political control structure. “ (Mayntz 1998: 5f.)

Governance in einem globalen Zusammenhang wird also ganz andere Fragen aufwerfen als sie in den bisherigen Diskussionen (bezogen auf europäische, nationale, regionale etc. Dimensionen) aufgetaucht sind und könnte zu einer völlig neuen „ theory of social dynamics “ (Mayntz, 1998: 6) führen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle nach Mayntz 1998: The governance paradigm and its extensions.

Demzufolge bietet sie eine differenzierte Definition des Begriffs Governance an, die sich auch aus der Entwicklung der Disziplin ergibt, Governance also als:

1. „ [...] a new mode of governing that is distinct from the hierarchical control model, a more kooperative mode where state and non-state actors participate in mixed public/privat networks.
2. „ [...] different modes of coordinating individual actions, or basic forms of social order.
3. „ The third meaning [...] now includes the two more narrow understandings of the term as sub-types. “ (Mayntz 1998: 1)

Neue Politikstrategien auf lokaler Ebene

Die in den 1970er Jahren beginnende Krise des Fordismus und die ersten Reaktionen zur Bewältigung der dadurch ausgelösten Probleme, die mehrheitlich auf einer Strategie der "liberalen Flexibilität" (in den USA, Großbritannien, Frankreich etc.4 ) zur Stabilisierung des bestehenden Systems aufbauten, konnten das fordistische System nicht retten. Der Zusammenbruch des Fordismus scheint sich nur durch einen "Wandel der Produktionsstrukturen und des Konsummusters durch einen kompatiblen, möglicherweise völlig neuartigen Koordinationsmechanismus" (Bathelt 1994, vgl. auch Friedrichs 2001) bewältigen zu lassen: Der Staat im Postfordismus zieht sich immer stärker aus der Umverteilung und Unterstützung des lokalen Staats zurück, er wird ersetzt durch einen „neo- liberalen, minimalistischen Staat, der mehr und mehr Funktionen zur Sicherung der gesellschaftlichen Reproduktion auf die regionale und lokale Ebene überträgt.“ (Mayer 1996)

[...]


1 Zur genauen Bestimmung des englischen Begriffs siehe weiter unten.

2 Basierend auf Mayntz, Renate, 1998: „New Challenges to Governance Theory“, European University Institute, Jean Monnet Chair Paper RSC no.98/50.

3 Mehr dazu im folgenden Abschnitt.

4 In Japan und Westdeutschland beispielsweise wurden Gewerkschaften und andere Organisationen am Umbauprozess beteiligt („ausgehandelte Einbindung“; Liepitz 1997: 12)

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Urban Governance
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Institut für Stadt- und Regionalplanung)
Veranstaltung
Theorie der Stadt- und Regionalplanung
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
17
Katalognummer
V16813
ISBN (eBook)
9783638215442
Dateigröße
687 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Dichter Text - kleine Schrift.
Schlagworte
Urban, Governance, Theorie, Stadt-, Regionalplanung
Arbeit zitieren
Arend Bewernitz (Autor:in), 2003, Urban Governance, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16813

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