War die neronische Verfolgung eine "Christenverfolgung"?


Hausarbeit, 2001

16 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung

2. Die neronische Verfolgung
2.1. Die Berichte
2.2. Die Frage des institutum Neronianum

3. Die Verfolgungen unter Diokletian
3.1. Das Christenedikt im Rahmen des tetrarchischen Systems

4. Schluss

Literatur

1. Einführung

Es herrscht Uneinigkeit, ob die Verfolgung, die 64 n. Chr. unter dem römischen Kaiser Nero stattgefunden hat, als tatsächliche „Christenverfolgung“ oder eher als Strafverfolgung der angeblichen Brandstifter zu werten ist, die das Ziel hatte, die Schuld auf eine gesellschaftliche Randgruppe abzuwälzen. Sehr eindeutig ist hingegen das Ziel der unter Diokletian angestoßenen Verfolgungen: die Kirche und den christlichen Glauben sollten vernichten werden. Der Vergleich und die Beleuchtung der Hintergründe dieser beiden Ereignisse lässt Gemeinsamkeiten und Unterschiede in ihrer Durchführung und Zielsetzung erkennen und gibt damit einen klareren Blick auf die Bedeutung und Charakter der neronischen Verfolgung.

2. Die neronische Verfolgung

2.1. Die Berichte

Der Historiker und Senator Tacitus (ca. 55-120 n. Chr.) berichtet in seinen Annalen über die Ereignisse nach dem Brand Roms im Jahre 64:

(2) Aber weder durch menschliche Hilfeleistungen noch durch Schenkungen des Kaisers, noch durch Sühneopfer für die Götter ließ sich dem üblen Gerücht ein Ende machen, daß der Brand auf Befehl gelegt worden sei. Um also dieses Gerede aus der Welt zu schaffen, schob Nero die Schuld auf andere und bestrafte sie mit ausgeklügelten Martern. Es handelte sich um die wegen ihrer Untaten (per flagitia) verhaßten Leute, die das Volk Christen zu nennen pflegte. (3) Der Name geht auf Christus zurück, der unter der Herrschaft des Tiberius durch den Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden war. Dadurch für den Augenblick unterdrückt, flammte der verhängnisvolle Aberglaube (exitiablis superstitio) später wieder auf, nicht nur in Judäa, der Heimat dieses Übels, sondern auch überall in der Hauptstadt, wo alle schrecklichen und schändlichen religiösen Bräuche von überall her zusammenkommen und geübt werden. (4) Also ergriff man zuerst die Geständigen (qui fatebantur), dann auf ihre Anzeige hin eine ungeheure Menge von Leuten (multitudo ingens), die allerdings nicht gerade der Brandstiftung, aber doch des Hasses gegen das Menschengeschlecht (odio humani generis) überführt wurden. Mit den zum Tode Verurteilten trieb man auch noch ein grausames Spiel: In Tierhäuten steckend wurden sie von Hunden zerrissen oder ans Kreuz geschlagen und angezündet, um als Fackeln für die nächtliche Beleuchtung zu dienen, sobald der Tag zu Ende gegangen war. (5) Seine Gärten hatte Nero für dieses Schauspiel zur Verfügung gestellt. Er gab auch ein Zirkusspiel und mischte sich als Wagenlenker verkleidet unters Volk oder stellte sich auf einen Rennwagen. Mit jenen Menschen, die doch schuldig waren und härteste Strafen verdient hatten, regte sich daher Mitleid, als müßten sie nicht für das öffentliche Wohl (utilitate publica), sondern wegen der Grausamkeit eines einzelnen sterben.[1]

Für Tacitus steht außer Frage, dass die Christen nicht die Brandstifter waren. Er ist aber dennoch der Ansicht, dass diese für ihre Untaten und ihren Aberglauben verhasste Gruppe die ihr auferlegten Strafen, die den Strafen für Brandstifter entsprachen[2], allein schon für ihren Menschenhass verdient hatte und dass ihre Bestrafung dem öffentlichen Wohl diene. Auch Sueton zählt das harte Vorgehen Neros gegen die der superstitio anhängenden Christen zu seinen lobenswerten Taten.[3] Die übrigen zeitgenössischen Quellen (Plinius d. Ä., Cassius Dio) erwähnen zwar den Brand und bezichtigen Nero der Urheberschaft, geben jedoch keinen Hinweis auf eine Verfolgung von Christen.[4]

superstitio

Sowohl Tacitus als auch Sueton verwenden den Begriff superstitio, der, zunächst nur die besondere religiöse Hingabe bezeichnend, von beiden mit Unheil verdeutlichenden Adjektiven in Verbindung gesetzt und damit in Gegensatz zur philosophisch geläuterten, staatstragenden religio gesehen wird. Der Vorwurf, einen fremdländischen Aberglauben zu pflegen, konnte aber höchstwahrscheinlich nicht Grundlage für das Vorgehen öffentlicher Stellen sein und ist eher als ein Topos des traditionsbewussten römischen Senators zu sehen.[5]

per flagitia

Was waren die Untaten, derer man die Christen verdächtigte? Es ist davon auszugehen, dass aufgrund der für Außenstehende noch nicht gut zu unterscheidenden Gruppen der Christen und Juden zum einen einfach bereits vorhandene Vorurteile übernommen wurden, zum anderen aus falsch verstandenen Aussagen der christlichen Lehre sich Legenden bildeten. Diesen Schluss legt zumindest der Katalog der Hauptvorwürfe nahe, wie er später im Dialog „Octavius“ des Minucius Felix vom Heiden Caecilius vorgetragen wurde:[6] das Benutzen heimlicher Erkennungsmerkmale, der Name Bruder und Schwestern für die Mitchristen aufgrund unterschiedsloser Geschlechtsverbindungen, Verehrung eines Eselskopfes, Verehrung der Genitalien des Priesters, Verehrung des Kreuzes, kultischer Kindsmord und thyesteische Mähler. Während sich der erste Vorwurf aus dem Status der Kirche als Sekte mit Initiationsriten wie von selbst ergab, die Vorwürfe der tatsächlichen inzestuösen Geschwisterschaft, der Genitalienverehrung (Bußpraxis), des Kindsmords und des Kannibalismus (Verspeisung eines Gottessohnes) eindeutige Missverständnisse waren, die Verehrung des Kreuzes hingegen ein eindeutiger Skandal war[7], wurde die Verehrung des Eselskopfes den Juden schon in vorchristlicher Zeit vorgeworfen.[8] Für die Zeit des Tacitus darf man zumindest von einer Frühform dieses Katalogs ausgehen.

odium humani generis

Mit diesem Begriff wurde, an Cicero anknüpfend[9], die Schädigung des Gemeinwesens durch Vernachlässigung insbesondere der religiösen und politischen Pflichten verstanden. Unter diese, den Juden bereits in hellenistischer Zeit nachgesagte misanqrwpi/a fiel auch das Fernbleiben und Ablehnen von allgemeinen Festen und Schauspielen, die ja gerade Ausdruck paganer Religiosität waren.[10] Der christlichen Gemeinde, die sich in Erwartung der Wiederkehr des durch Rom hingerichteten Verbrechers Christus und dem Kommen seines Königreichs gegen ihre Außenwelt abschloss und durch Mission noch weitere Bürger auf ihre Seite zog, konnte in diesem Sinne nur zu leicht der Vorwurf des Menschenhasses gemacht werden.[11]

Religio war die Beachtung und genaue Befolgung der seit alters her überlieferten Dienste an den urrömischen und den neu hinzugekommenen Göttern. Das Bestreben der Römer, sich in ihrer pietas von niemandem übertreffen zu lassen, war in einer politischen Theologie kulminiert, die die Grundlage für die Erfolge des Imperiums und für dessen Erhalt in der pietas, die Misserfolge und Niederlagen jedoch als Folge der Vernachlässigung des cultus deorum sah. Der offene Widerspruch der Christen gegen die Einforderung dieser Religiosität stellte also eine echte Bedrohung des Gemeinwesens dar und mit ihrer Hinrichtung war dem öffentlichen Wohl (utilitate publica) gedient.[12]

[...]


[1] Tac. ann. 15, 44, 2-5. Soweit nicht anders im Literaturverzeichnis angegeben, stammen sämtliche Quellen und Übersetzungen aus: P. Guyot / R. Klein (Hrsg.), Das frühe Christentum bis zum Ende der Verfolgungen, Bd. 1 u. 2 in einem Band, Darmstadt 1997.

[2] H. Last, Christenverfolgung II (juristisch), RAC II (1954), 1208-1228, 1211

[3] Suet. Nero 16, 2

[4] Vgl. P. Keresztes, The Imperial Roman Government and the Christian Church. I. From Nero to the Severi, ANRW II 23, 1, Berlin / New York 1979, 247-315, 249. Zur Frage der Brandstiftung vgl. A. Giovannini, Tacite, l’«incendium Neronis» et les chrétiens, REAug 30 (1984), 3-23

[5] Vgl. K. Abel, Superstitio, KlP V (1979), 434; R. Freudenberger, Das Verhalten der römischen Behörden gegen die Christen im 2. Jahrhundert, dargestellt am Brief des Plinius an Trajan und den Reskripten Trajans und Hadrians, München 1967, 189-199, bes. 198-199

[6] Min. Fel. 9, 2-6

[7] Vgl. 1 Kor 1, 23

[8] W. Speyer, Zu den Vorwürfen der Heiden gegen die Christen, JbAC 6 (1963), 129-135, 130-132. Der an dieser Stelle zusätzlich genannte Vorwurf sexueller Ausschweifungen kann hier ignoriert werden, weil er sich zu spezifisch auf die Disposition des „Octavius“ bezieht.

[9] Cic. off. 1, 29

[10] J. Vogt, Zur Religiosität der Christenverfolger im Römischen Reich, Heidelberg 1962 (SHAW.PH 1962.1), 19

[11] F. Vittinghoff, „Christianus sum“ – Das „Verbrechen“ von Außenseitern der römischen Gesellschaft, in: W. Eck (Hrsg.), Friedrich Vittinghoff: Civitas Romana. Stadt und politisch-soziale Integration im Imperium Romanum der Kaiserzeit, Stuttgart 1994. 322-347, 331-332

[12] R. Muth, Vom Wesen römischer „religio“, ANRW II 16, 1, Berlin / New York 1978, 290-354, 293-298 u.310-312. Vgl. auch Min. Fel. 6, 2-3

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
War die neronische Verfolgung eine "Christenverfolgung"?
Hochschule
Universität Münster  (Seminar für Alte Kirchengeschichte)
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
16
Katalognummer
V16951
ISBN (eBook)
9783638216494
Dateigröße
462 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Verfolgung, Christenverfolgung
Arbeit zitieren
Christoph Osterholt (Autor:in), 2001, War die neronische Verfolgung eine "Christenverfolgung"?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16951

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