Leseprobe
Gliederung
1. Einleitung
2. Definition und Abgrenzung sowie Merkmale und Ursachen
2.1 Aussprachestörungen
2.2 Phonetische und Phonologische Störungen
2.2.1 Phonetische Störungen
2.2.2 Phonologische Störungen
2.3 Dyslalien
3. Phonetische Störungen: Lautfehlbildungen
4. Phonologische Störungen: Phonologische Prozesse
5. Diagnostik phonetisch-phonologischer Fähigkeiten
5.1 Traditionelle Diagnostikverfahren
5.2 Aktuelle Verfahren
6. Therapie von phonetischen und phonologischen Störungen
6.1 Phonetisch orientierte Therapie
6.2 Phasen der phonetischen Therapie an einem Fallbeispiel des Rhotazismus
6.3 Phonologisch orientierte Therapie
7. Zusammenfassung
8. Literaturverzeichnis
9. Anhang
10. Eigenständigkeitserklärung
1. Einleitung
lichtung
manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum!
(ernst jandl)
Ernst Jandl (1925-2000)[1] zählt zu den experimentellen Lyrikern der Gegenwart. Seine Werke zeichnen sich durch humoristische Sprachkunst aus und faszinieren vor allem Kinder immer wieder. Doch auch eine gewisse Ernsthaftigkeit ist in den Arbeiten des Österreichers zu verzeichnen.
So auch in dem aufgeführten Gedicht. Bei dem vergnüglichen Wortspiel, in dem stets „r“ und „l“ vertauscht werden, handelt es sich nämlich um eine Aussprachestörung. Was hier natürlich amüsieren soll und auch noch gut zu verstehen ist, kann in der Realität leider manchmal ganz anders aussehen.
Vor allem Kinder mit Aussprachestörungen stellen einen Großteil der Patienten in einer logopädischen Praxis dar. Es existieren oft so viele Fehler in ihrer Aussprache, dass die Kinder fast überhaupt nicht verstanden werden können (Vgl. Fox 2009, S.85).
Bei circa fünf bis zehn Prozent aller Kinder, unabhängig ihrer Muttersprache, mit der sie aufgewachsen sind, werden Probleme der Ausspracheentwicklung festgestellt (Vgl. Fox; Groos; Schauß-Goleki 2009, S.11). Für deutsche Kinder wird sogar angenommen, dass bis zu zwanzig Prozent aller vier- bis sechsjährigen es nicht schaffen, dem regelrechten Verlauf der Sprachentwicklung zu folgen (Vgl. Fox 2009, S.85).
Während der ersten Lebensjahre erwerben Kinder die meisten Laute. Durch bereits viele mehrmonatige Praktika in Kindertagesstätten kann ich dies nur bestätigen. Diese Entwicklung, welche mit verschiedenen Phasen verbunden ist, müsste ungefähr im Alter von fünf Jahren beendet sein (Vgl. ebd.). In der Regel werden die Kinder im Alter von vier Jahren an die Logopädie überwiesen, da leider erst zu so einem späten Zeitpunkt Eltern, Erzieher oder Ärzte beunruhigt sind und sich um die Aussprache der Sprösslinge sorgen (Vgl. ebd.).
Auch im Zusammenhang mit der frühpädagogischen Förderung in Kindertagesstätten sind Sprachstandsfeststellungen und die daraus resultierende Sprachförderung aufgrund der gravierenden sprachlichen Mängel bereits fest im Tagesablauf vieler Kindertagesstätten verankert.
Einige Kinder haben dabei nur geringe Lautbildungsschwierigkeiten (zum Beispiel Lispeln), während andere fast unverständlich für ihre Umwelt sein können (Vgl. Fox; Groos; Schauß-Goleki 2009, S.11).
Aufgrund dieser erschreckenden Fakten und Zahlen, welche in der heutigen Zeit leider mit einer steigenden Tendenz zu vernehmen sind, ist es umso wichtiger, sich einmal mit einigen Fragen und Problemen dieses Themas zu beschäftigen: Was sind überhaupt Aussprachestörungen? In welchem Zusammenhang stehen sie mit den vielen anderen Begriffen aus dem Bereich Sprache und Sprechen (wie zum Beispiel Lispeln)? Lassen sich diese etlichen Begriffe eventuell klassifizieren oder anders voneinander abgrenzen? Welche Merkmale und Ursachen besitzen Aussprachestörungen und wie treten sie in Erscheinung beziehungsweise äußern sie sich? Wichtig ist es in diesem Zusammenhang auch zu klären, welche Möglichkeiten existieren Aussprachestörungen zu erfassen und zu behandeln.
In der folgenden Arbeit möchte ich mich mit diesen Fragestellungen beschäftigen, um einen Überblick über kindliche Aussprachestörungen zu ermöglichen.
Deswegen werde ich zunächst „Aussprachestörungen“ definieren und dabei Merkmale, Unterteilungen sowie Ursachen dieser näher beleuchten. In einem zweiten Schritt wird der Versuch unternommen, Aussprachestörungen konkret von „phonetischen und phonologischen Störungen“ sowie „Dyslalien“ abzugrenzen. Auch hier sollen Definitionsversuchen, Eigenschaften und Gründe von phonetischen, phonologischen Störungen sowie Dyslalien näher bestimmt werden. Im Folgenden werden die konkreten „Erscheinungsbilder“ der phonologischen und der phonetischen Störungen, also „phonetische Fehlbildungen“ und „phonologische Prozesse“, genauer erklärt. Im nächsten Punkt sollen die Diagnosemöglichkeiten phonetisch-phonologischer Fähigkeiten Aufschluss darüber geben, wie Aussprachestörungen erfasst werden. Dadurch werden auch Vor- und Nachteile der einzelnen Methoden aufgedeckt. Darauf schließt sich der Punkt der Behandlung an, welcher in phonetisch orientierte und phonologisch orientierte Therapie unterteilt sein wird. Auch werden die einzelnen Beispiele der Therapieverfahren kritisch hinterfragt. Des Weiteren soll ein spezielles Fallbeispiel die therapeutische Vorgehensweise beim Rhotazismus näher beleuchten und so den Ablauf einer möglichen phonetisch orientierten Therapie anschaulich darstellen. In einem letzten Punkt wird noch einmal das Wichtigste zusammengetragen und die Ergebnisse knapp wiedergegeben. Außerdem soll ein kurzer Ausblick erfolgen.
Um die Fragestellungen zu klären und die geplante Vorgehensweise zu realisieren, nehme ich sowohl sachgemäße Literatur wie Monografien und Lehrbücher über das Thema Sprach- und Sprechstörungen als auch fachgerechte Lexika, den Ausspracheduden und einen Ratgeber Zuhilfe. Bei der Erarbeitung werde ich vor allen die aktuellsten Werke, wie Fox (2009) oder Siegmüller (2010), mit einbeziehen.
2. Definition und Abgrenzung sowie Merkmale und Ursachen
Die Terminologie, die sich auf Kinder mit Aussprachestörungen bezieht, ist sehr zahlreich und zum Teil schwierig zu durchschauen. Auch haben sich die entsprechenden Begrifflichkeiten im Laufe der Zeit immer wieder gewandelt.
„Forschungsentwicklung und unterschiedliche Sichtweisen“ führten zu einer verschiedenen Verwendung der Begriffe in diesem Gebiet (Vgl. Fox; Groos; Schauß-Goleki 2009, S.11). So werden Begriffe wie „Stammeln“ (ältester Begriff des Deutschen), „Dyslalie“, „Artikulationsstörung“, „Aussprachestörung“ oder „phonetisch-phonologische Störung“ teilweise synonym verwendet, um Probleme mit der Aussprache (beziehungsweise Lautbildung) zu beschreiben (Vgl. Böhme 2001, S.5). Hinzu kommt, dass der betroffene Laut oft mit einem Fremdwort bezeichnet wird (zum Beispiel „sch“ „Schetismus“ oder „k“ „Kappazismus“) (Vgl. Fox; Groos; Schauß-Goleki 2009, S.11).
Aus diesen Gründen soll im Folgenden näher auf die Problematik der unterschiedlichen Begrifflichkeiten eingegangen werden und ein Versuch unternommen werden, diese zu erklären, eventuell voneinander abzugrenzen und Ursachen aufzuzeigen.
2.1 Aussprachestörungen
Fox verwendet „Aussprachestörung“ als Oberbegriff für alle Kinder, deren Aussprache in irgendeiner Weise gestört ist (Vgl. ebd.).
Menschen mit Aussprachestörungen unterscheiden sich hinsichtlich ihres Störungsschweregrades, ihrer Ätiologie, ihrer Symptomatologie und ihrer Reaktion auf Therapieansätze, sodass sie keine homogene Gruppe bilden (Vgl. Fox 2009, S.90). Dadurch wird die Notwendigkeit der Klassifikation von Aussprachestörungen weithin akzeptiert, wobei verschiedene Klassifikationsansätze (zum Beispiel Böhme 1997, Dodd 1995) verwendet werden und die Diskussion, welcher Ansatz denn der sinnvollste sei, noch nicht beendet ist (Vgl. ebd.). Jedoch ist in der Literatur eine generelle Differenzierung von organischen und funktionellen Aussprachestörungen unumstritten (Vgl. ebd., S.90f.).
Nicht organisch bedingte Störungen dominieren unzweifelhaft im Kindesalter, organisch indizierte Störungen stehen dagegen im Erwachsenenalter im Vordergrund (Vgl. Böhme 1997, S.19).
Organische Aussprachestörungen sind Störungen der Aussprache, „[…] deren Ursache in einem eindeutigen Zusammenhang mit einer organischen Störung gesehen werden kann.“ (Fox 2009, S.91; Auslassung: T.P.) Dazu gehören Aussprachestörungen bei Zerebralparese[2] in Form einer kindlichen Dysarthrie[3], Syndromen (zum Beispiel Downsyndrom), Spaltbildungen[4] (zum Beispiel Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte), Hörstörungen (vor allem angeboren oder frühkindlich erworben) oder auch Aussprachestörungen als Teilsymptomatik bei geistiger Behinderung (Vgl. Fox; Groos; Schauß-Goleki 2009, S.37). Aufgrund organischer Ursachen zeigen sich Einschränkungen in den rezeptiven und expressiven sprachlichen Fähigkeiten, sodass eine frühzeitige logopädische Behandlung sinnvoll und vor allem notwendig ist (Vgl. ebd.).
Bei Aussprachestörungen aufgrund funktioneller Ursache besteht vordergründig kein eindeutiger Zusammenhang mit einer organischen Störung, sodass in den meisten Fällen keine klare medizinische Diagnose vorliegt, welche die Aussprachestörung erklärt (Vgl. ebd.). Zur genauen Unterscheidung ist eine Differenzialdiagnostik notwendig, welche sie beispielsweise Dodd 1995 vorgenommen hat (siehe auch 2.2.2) (Vgl. ebd., S.38).
Folgende Klassifikationsansätze beziehen sich ebenfalls ausschließlich auf Menschen mit funktionellen Aussprachestörungen, sollen jedoch, wegen des Umfangs dieser Hausarbeit, an dieser Stelle nur genannt werden: medizinisch-ätiologische Einteilungen, Einteilung nach Schweregrad, linguistisch-deskriptive Ansätze (Vgl. Fox 2009, S.94ff.). Modelle der kognitiven Neuropsychologie und der Psycholinguistik beispielsweise sehen kindliche Aussprachestörungen als Störungen, die auf unterschiedlichen Ebenen der Sprachverarbeitung (Ebene der Inputverarbeitung, der Speicherung und der Outputverarbeitung) stattfinden können (Vgl. ebd., S.89). Dies betont, dass Störungsebenen vielfältig sind und auch mehrere Ebenen gleichzeitig betroffen sein könnten (Vgl. ebd.).
Zu einer Neuinterpretation von medizinisch-ätiologischen Klassifikationssystemen und zu einer Unterscheidung in ein „phonetisches“ und ein „phonologisches“ Störungsbild kam es in den 80er Jahren (Vgl. Springer 2005, S.49). „Entsprechend wurden die Begriffe ,organische’ und ,funktionelle’ Störungen durch die linguistischen Termini ,phonetische’ und ,phonologische’ Störungen ersetzt.“ (Vgl. ebd.).
2.2 Phonetische und Phonologische Störungen
Oft besteht eine undifferenzierte Betrachtung der Aussprachestörungen und es kommt ausschließlich zu einer phonetischen Interpretation (Vgl. Preuser 2000, S.67). Jedoch sollte, genauso wie auch zwischen Phonologie und Phonetik sowie zwischen phonologischer und phonetischer Entwicklung unterschieden wird, auch eine Teilung zwischen „phonologischen und phonetischen Störungen“ stattfinden (Vgl. ebd.).
2.2.1 Phonetische Störungen
„Phonetische Störungen“ werden häufig synonym mit Artikulations-, Sprech-, Lautbildungs-, funktionellen Aussprachestörungen, Dyslalien oder auch veraltet Stammeln verwendet (Vgl. Schwytay 2010, S.117).
„Die Phonetischen Störungen sind gekennzeichnet durch die Unfähigkeit einer Person, bestimmte Sprachlaute produzieren zu können […]“ (Preuser 2000, S.67; Auslassung: T.P.), also laut Dodd „[…] eine wahrnehmungsmäßig annehmbare Version eines Phons zu produzieren, isoliert oder in jeglichem phonetischen Kontext.“ (Fox 2009, S.109; Auslassung: T.P.)
Phonetische Beeinträchtigungen werden in Anlehnung an Jahn als Aussprachestörungen durch organische, sensorische oder motorische Defizite in der Bewegungsausführung für bestimmte Laute definiert (Vgl. Logopädisches Handlexikon 2008, S.168). Des Weiteren beeinflussen auch psychosoziale Faktoren, wie fehlerhafte Sprechvorbilder, die Aussprache (Vgl. Springer 2005, S.49).
Ein typisches Beispiel einer phonetischen Störung wäre die interdentale oder laterale s-Lautbildung: Wenn ein Kind beispielsweise das Wort „Nuss“ als [nuθ] ausspricht, handelt es sich um eine phonetisch abweichende Realisierung des Phonems /s/, denn phonologisch gesehen, hat das Kind das Phonem /s/ korrekt im Wort gebraucht (Vgl. ebd.).
2.2.2 Phonologische Störungen
„Phonologische Störungen“ werden „[…] als Störungen […] definiert, welche die linguistische Organisation von Lauten betreffen und durch den Gebrauch abweichender Lautmuster gekennzeichnet sind.“ (ebd.; Auslassung: T.P.)
„Bei phonologischen Störungen liegt also nicht eine Unfähigkeit vor, bestimmte Sprachlaute produzieren zu können, sondern die Unfähigkeit, produzierbare Sprachlaute in ihrer phonologischen Funktion verwenden zu können.“ (Preuser 2000, S.68)
Als Beispiel für solch eine Sprachstörung schreibt Wirth, dass Kinder beim Nachahmen von Tierlauten und Geräuschen (außersprachliche Laute) fehlende oder fehlgeleitete Laute oft richtig bilden (Vgl. Wirth 2000, S.307).
Ursachen dafür können periphere Hörbeeinträchtigungen (auch vorübergehend bei häufiger Mittelohrentzündung), zentral-auditive Verarbeitungsstörungen, genetische Disposition oder prä- beziehungsweise perinatale Komplikationen sein, wobei jedoch häufig keiner der genannten Faktoren nachgewiesen werden kann (Vgl. Konopatsch 2010, S.54).
Da der Begriff „Phonologische Störungen“ auf eine Störung der Phonemproduktion unter linguistisch-kognitiven Gesichtspunkten verweist, können sie von motorisch bedingten „Artikulationsstörungen“ abgegrenzt werden. (Vgl. Böhme 1997, S.52).
Dodd unterscheidet in seinem Klassifikationsmodell (1995) neben der Artikulations- beziehungsweise phonetischen Störung außerdem die phonologische Verzögerung, die konsequente phonologische Störung und die inkonsequente phonologische Störung (Vgl. Fox 2009, S.108).
Kinder mit einer zeitlich verzögerten Ausspracheentwicklung („phonologischen Verzögerung“) zeigen ausschließlich physiologisch phonologische Veränderungen und zwar mindestens sechs Monate länger als Kinder mit einer regelrechten Sprachentwicklung (Vgl. Fox; Groos; Schauß-Goleki 2009, S.39). Zu den häufigsten verzögerten Prozessen (siehe auch 4.) des Deutschen gehören: die Vorverlagerung von Velaren („k, g, ng“ zu „t, d, n“), Vorverlagerung von Sibilanten („sch, ch“ zu „s, z“), Reduktion von Konsonantenverbindungen („Flasche“à[laʃə]) und die glottale Ersetzung von „r“ zu „h“ (Vgl. Fox; Groos; Schauß-Goleki 2009, S.39; Fox 2009, S.111). Die Kinder zeigen keine spezifischen Probleme in der Sprechverarbeitung, sodass angenommen wird, dass externe Gründe die Entwicklung zeitweilig „bremsen“ (zum Beispiel Paukenergüsse[5] ) (Vgl. Fox; Groos; Schauß-Goleki 2009, S.39).
Kinder mit einer nicht regelrechten Ausspracheentwicklung („konsequenten phonologischen Störung“) zeigen mindestens einen phonologischen Prozess, welcher den pathologischen Prozessen (kommen in der regelrechten Sprachentwicklung nicht vor) zugeordnet werden muss (Vgl. ebd., S.40). Zudem können physiologisch altersgemäße und verzögerte Prozesse vorliegen (Vgl. Fox 2009, S.111f.). Häufige pathologische Prozesse sind (siehe auch 4.): die Rückverlagerung von „t, d, n“ zu „k, g, ng“, Plosivierung aller Frikative, Ersetzung aller Wortanfänge durch „h“ oder „d“, Ersetzung aller „f, w“ durch „s, ss“ und die Auslassung von Wortanfängen oder –enden (Vgl. Fox; Groos; Schauß-Goleki 2009, S.40). Diese Kinder zeigen meist deutliche Probleme in der Verarbeitung und Speicherung des Wortmaterials, sodass ein Kind bestimmte Lautkontraste nicht wahrnimmt (beispielsweise den Unterschied zwischen „t“ und „k“ oder zwischen allen Frikativen) (Vgl. ebd., S.40f.).
Eine verschiedene Aussprache für identische Wörter („inkonsequente phonologische Störung“) stellt die schwerste, aber auch seltenste Form einer funktionellen Aussprachestörung dar, wobei ein und dasselbe Wort fast jedes Mal anders ausgesprochen wird (Vgl. ebd., S.41). Ein Einhören in das Sprechen eines Kindes ist durch die ständige Veränderung selbst im engen Familienkreis nicht möglich (zum Beispiel wird „Frosch“ zu „Rosch“, „Fosch“, „Bosch“, „Schof“) (Vgl. ebd.). Bei dieser Störung bestehen Schwierigkeiten, die Laute, welche in einem Wort gehört werden, in die richtige Reihenfolge zu bringen und abzuspeichern (Vgl. ebd.).
Kinder mit phonologischen Entwicklungsbeeinträchtigungen haben also Probleme beim Erwerb des phonologischen Regelsystems der Muttersprache, weshalb aufgrund der Realisation von nicht altersgemäßer phonologischer Strukturen die Aussprache häufig schwer verständlich ist (Vgl. Springer 2005, S.49).
Ein weiteres Beispiel für solch eine Abweichung ist die Ersetzung des Phonems /k/ durch das Phonem /t/ in dem Wort „Kopf“, welches daher als [tɔp͜f] ausgesprochen wird (Vgl. Konopatsch 2010, S.55). Merkmale des Artikulationsortes „alveolar“ (Bildung hinter den oberen Schneidezähnen) und „velar“ (Bildung am weichen Gaumen) werden nicht unterschieden (Vgl. ebd.). „Durch derartige Neutralisationen von Lautkontrasten entstehen semantisch mehrdeutige Wortformen (Homonyme), was zu kommunikativen Missverständnissen führen kann.“ (Springer 2005, S.50)
Es sollte außerdem bedacht werden, dass phonetische und phonologische Störungen auch gleichzeitig auftreten können (Vgl. Konopatsch 2010, S.58).
2.3 Dyslalien
Störungen auf der Lautebene können auch in partielle (ein bis zwei Laute werden fehlgebildet oder ersetzt), multiple (mehr als zwei fehlgebildete Laute, Verständlichkeit vorhanden) und universelle (Kind spricht nahezu unverständlich) Dyslalie unterteilt werden (Vgl. ebd.). Diese Differenzierung stammt aus einer Zeit, in der phonologische und phonetische Störungen noch nicht unterschieden wurden (Vgl. ebd.). Zum Teil wird sie noch genutzt, „[…] verliert aber an Bedeutung, da ihr Aussagewert für die Therapie durch die rein quantitative Bewertung begrenzt ist.“ (ebd.; Auslassung: T.P.)
Von der Dyslalie existieren etliche Definitionsversuche. Werden diese verglichen, lassen sich jedoch stets folgende Gemeinsamkeiten feststellen: „Dyslalien“ (auch Artikulationsstörungen, phonetisch-phonologische Störung, Stammeln und andere) sind Störungen des sprachlichen Lauterwerbs oder –gebrauchs. Sie werden dadurch erkennbar, dass einzelne Laute beziehungsweise Lautverbindungen weggelassen („Blume“à[bu:mə]), durch andere ersetzt („drei“à[gra͜i]) oder falsch gebildet werden („Schule“à[su:lə]) (Vgl. zum Beispiel Wendlandt 1992, S.40; Böhme 2001, S.5; Logopädisches Handlexikon 2008, S.65; Wendler 1996, S.231).
Wirth unterteilt die Dyslalie noch speziell in „Stammeln als Sprechstörung“ (Artikulationsstörung) und „Stammeln als Sprachstörung“ (Störung des sprachlichen Lauterwerbs oder -gebrauchs) (Vgl. Wirth 2000, S.307), wobei die „Sprechstörung“ synonym für eine phonetische Störung und die „Sprachstörung“ gleichbedeutend mit einer phonologischen Störung angesehen werden kann (siehe Anhang Abb. 3).
3. Phonetische Störungen: Lautfehlbildungen
Abhängig von den artikulatorischen Fähigkeiten werden folgende Fehlbildungen in der Literatur am häufigsten beschrieben: der Sigmatismus (S-Stammeln), der Schetismus (Sch-Stammeln), eine Kombination beider und die multiple Interdentalität (Vgl. Schwytay 2010, S.118; Böhme 1997, S.43). Außerdem gehören auch der Chitismus (Ch-Stammeln), der Gamma-/Kappazismus (G- und K-Stammeln) sowie der Rhotazismus (R-Stammeln) dazu, wobei zu beachten ist, dass bei diesen Fehlbildungen wirklich alle phonemischen Kontraste erhalten sind (da diese Fehlbildungen häufig in Verbindung mit der konsequenten phonologischen Störung zu finden sind) (Vgl. Schwytay 2010, S.118; Böhme 1997, S.43).
[...]
[1] Gedicht und Informationen über den Autor wurden seiner Homepage (www.ernstjandl.com) entnommen.
[2] „Synonym zerebrale Kinderlähmung; allgemeine Bezeichnung für Folgen eines frühkindlichen Hirnschadens […].“ (Klinisches Wörterbuch 2004, S.1984; Auslassung: T.P.)
[3] „Sprechstörung infolge der an der Sprechmotorik beteiligten neuromuskulären Strukturen, die sich durch Störungen der Artikulation, vermehrte Sprechanstrengung sowie Veränderungen der Lautstärke und Sprechgeschwindigkeit äußert […]. “ (Klinisches Wörterbuch 2004, S.435; Auslassung: T.P.)
[4] „Embryonale Fehlbildung im Bereich des Schädels […] oder der Wirbelsäule […].“ (Logopädisches Handlexikon 2008, S.202; Auslassung: T.P.)
[5] „Reaktive Flüssigkeitsabsonderung der Mittelohrschleimhäute durch Unterdruck […].“ (Logopädisches Handlexikon 2008; S.164; Auslassung: T.P.)