Konsequenzen der post-empiristischen Sprachphilosophie für die metaethische Diskussion

Moralischer Realismus und die Frage nach der Begründung der Moral


Doktorarbeit / Dissertation, 2004

251 Seiten, Note: (1) Magna Cum Laude


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

I. EINLEITUNG. DIE FRAGE NACH DER BEGRÜNDUNG DER MORAL UND DIE WIEDERKEHR REALISTISCHER ANTWORTSVERSUCHE
1. Wiederkehrende Aspekte einer Begründung der Moral. Erörterung einer realistischen Perspektive
2. Neuere Versuche einer realistischen Begründung der Moral. Zum Gegenstand dieser Untersuchung
3. Das sprachphilosophische Verständnis einer realistischen Begründung moralischer Überzeugungen
4. Der Debatte um den Moralischen Realismus in der gegenwärtigen Philosophie

II. KONSEQUENZEN DER POSTEMPIRISTISCHEN SPRACHPHILOSOPHIE FÜR DIE METAETHISCHE DISKUSSION
KAPITEL I. HISTORISCHER RÜCKBLICK: DER ÜBERGANG VON EINER POSITIVISTISCHEN ZU EINER PRAGMATISCH-PHÄNOMENOLOGISCHEN WELTSICHT
1.1. The ,Bluring of Boundaries' - Die Preisgabe des modernen Projektes einer auf der sinnlichen Erfahrung basierenden Demarkation unseres Wissens
1.2. Der Übergang von einem starken zu einem schwachen Verifikationismus
Exkurs
KAPITEL II. ZENTRALE ARGUMENTE FÜR DEN MORALISCHEN KOGNITIVISMUS
2.1. ERSTES ARGUMENT: DER LOGISCH_SYNKTAKTISCHE GEBRAUCH MORALISCHER AUSSAGEN
2.2. ZWEITES ARGUMENT: 'MORALISCHES REGELFOLGEN'
Fazit

III. DIE FRAGE NACH DER WAHRHEIT DICHTER MORALISCHER AUSSAGEN
KAPITEL III. DIE IDEE PERSPEKTIVISTISCHEN MORALISCHEN WISSENS. BERNARD WILLIAMS UNTERSCHEIDUNG ZWISCHEN NATURWISSENSCHAFTLICHEM UND MORALISCHEM WISSEN UND WAHRHEIT
3.1. WILLIAMS 'NON-OBJEKTIVISTISCHER' KOGNITIVISMUS
3.2. PUTNAM KRITIK AN WILLIAMS
KAPITEL IV. HABERMAS AUSEINANDERSETZUNG MIT DEN "POSTWITTGENSTEINIANISCHEN UND NEOARISTOTELISCHEN ANSÄTZE
4.1. HABERMAS ÜBER DIE OBJEKTIVITÄT MORALISCHES WISSENS
4.2. PUTNAMS KRITIK AN HABERMAS VERSTÄNDNIS ETHISCHER WERTURTEILE
4.3. WIE SOLL DANN DICHTE BEGRIFFE UND DEREN GEBRAUCH VERSTEHEN
4.4. ZURÜCK ZU PUTNAMS KRITIK AN HABERMAS
4.5. INWIEFERN IST DANN PUTNAMS KRITIK AN HABERMAS' POSITION ZUTREFFEND?

IV. KONDENSETHIK, MORALISCHE NORMEN UND DIE FRAGE NACH DER BEGRÜNDUNG DER MORAL
KAPITEL V. VON DER WAHRHEIT DICHTER MORALISCHER AUSSAGEN ZU DER RICHTIGKEIT MORALISCHER NORMEN
5.1. HABERMAS VERSTÄNDNIS MORALISCHER RICHTIGKEIT
5.2. ZWEI INTERPRETATIONSMODELLE DER ABHÄNGIGKEITSVERHÄLTNISSE ZWISCHEN MORALISCHEN NORMEN UND MORALISCHEN WERTAUSSAGEN
5.3. WELCHEN STELLENWERT HAT FÜR HABERMAS DIE RICHTIGKEIT MORALISCHER NORMEN KAPITEL VI. REALISTISCHE UND ANTI-REALISTISCHE AUFFASSUNGEN DER RICHTIGKEIT MORALISCHER NORMEN
6.1. HABERMAS AUSEINANDERSETZUNG MIT DER REALISTISCHEN LEKTÜRE DER DISKURSETHIK VON C. LAFONT
6.2. ÜBERTRAGUNG AUF DEN MORALISCHEN FALL
KAPITEL VII. DIE FRAGE NACH DER RICHTIGKEIT MORALISCHER NORMEN UND DER ANSPRUCH AUF EINE REALISTISCHE BEGRÜNDUNG DER MORAL
7.1. DAS PROBLEM DER BEGRÜNDUNGSRICHTUNG
7.2. RICHTIG IN MORALISCHEN SINNE UND DIE NORMATIVE FRAGE NACH DER RICHTIGKEIT MORALISCHER NORMEN
7.3. ERGEBNISSE

V. BIBLIOGRAPHIE

I EINLEITUNG. DIE FRAGE NACH DER BEGRÜNDUNG DER MORAL UND DIE WIEDERKEHR REALISTISCHER ANTWORTSVERSUCHE

Philosophische Reflexion scheint häufig nicht so sehr durch die Originalität ihrer Fragestellungen charakterisiert zu sein, sondern eher durch die hartnäckige Wiederkehr ein und derselben Fragen. In dieser Hinsicht ist das hier zu behandelnde Thema keine Ausnahme. Und nicht nur die Fragen, sondern auch gewisse Antworttendenzen scheinen ihre zyklische Wiederkehr zu feiern. So überrascht es auch nicht, wenn heute erneut realistische Ansätze zur Begründung unserer moralischen Überzeugungen Gang und Gebe sind.

Gott, die Menschen selbst und die unabhängige Realität bilden die klassische Triade einer möglichen Begründung der Moral. Entweder wird uns die Moral von einer äusseren Autorität vorgegeben oder sie enstspringt gleichsam aus uns — sei es als Schöpfung der eigenen Vernunft oder als Beschaffenheit bzw. Disposition unserer Natur — oder wir können sie in einer objektiven Realität vorfinden. Selbstverständlich ist dies eine grobe Vereinfachung des Begründungspanoramas. Dennoch lassen sich diese drei oder, genauer gesagt, vier Tendenzen in der Tat, wenn auch in komplex ausgearbeiteten Gestalten, an den unterschiedlichen Positionen der philosophischen Tradition wiedererkennen. Allerdings wird oft übersehen, daß der Rekurs auf diese unterschiedlichen ‘Quellen’ nicht immer denselben Begründungszwecken dient. Bei den vorgegebenen metaethischen Positionen, die an die Autorität Gottes bzw. eines Legislators, an die menschliche Vernunft, die menschliche Natur oder die Realität appellieren, findet man auch unterschiedliche Deutungen der Begründungsfrage. Dieser Unterschied in der Perspektive ist womöglich auch der Grund dafür, weshalb trotz deren antiker Herkunft der Hauptkern dieser allgemeinen Orientierungen nicht so einfach auszulöschen ist.

1. Wiederkehrende Aspekte einer Begründung der Moral. Erörterung einer realistischen Perspektive

Ein gutes Beispiel für die Tendenz die unterschiedlichen Begründungsmodi der Moral als konkurrierende Antworten auf die gleiche Frage darzustellen, liefert Christine Korsgaard vieldiskutiertes Buch The Sources of Normativity. Nach Korsgaard lassen sich die "Quellen der Normativität” in Begriffen von Voluntarismus, menschlicher Autonomie, affirmativer Natur ("Reflektive Endorsement”) und Realismus beschreiben Diese vier Positionen sollen unterschiedliche Erklärungen des Ursprungs moralischer Normativität entsprechen. Auf diese Weise wird das Problem der Begründung in Korsgaards Termini ”the seek of a philosophical foundation” hauptsächlich zum Problem des Ursprungs von Normativität, also dem verpflichtenden Charakter bzw. der Autorität moralischer Normen. Es ist auch im Hinblick auf die Frage, daß sie diese vier verschiedenen historischen Antworten ausfindig macht. Ihrer Darstellung nach wurde in der Moderne der zwingende Appell moralischer Normen entweder auf die Autorität Gottes oder die eines Legislators auf die unausweichliche Autorität der eigenen Vernunft, auf die reflexive Akzeptanz der Beschaffenheit bzw. Dispositionen der eigenen Natur oder auf die Realität zurückgeführt. Der Versuch, die entsprechenden ethischen Positionen, die hiermit gemeint sind, d. h. Voluntarismus und Kontraktualismus, Kantianismus, Projektivismus à la Hume und Realismus als alternative parallele Antworten auf dieselbe Frage zu verstehen, scheint mir jedoch etwas gezwungen. Ohne hier auf die Position Korsgaards ausführlicher eingehen zu wollen, möchte ich vor allem auf die mögliche Asymmetrie zwischen diesen Positionen aufmerksam machen. Diese läßt sich anhand ihrer je unterschiedlichen Betrachtung der Begründungsfrage erkennen.

Obwohl jede diese Positionen historisch gesehen aus einer kritischen Betrachtung der Mängel der vorherigen entwickelt haben mag, werden sie meist auf einer Ebene gegeneinander abgewogen. Sie können dadurch als vier alternative Erklärungen des Ursprungs von Normativität bzw. der Autorität moralischer Normen betrachtet werden, die diese Funktion mit mehr oder weniger Erfolg erfüllen und zwischen denen man wählen kann. Dem gegenüber scheint mir gerade der unterschiedlichen Erfolg dieser vermeintlich alternativen Erklärungen bei der Beantwortung verschiedener Aspekte der Begründungsfrage das interessanteste Phänomen. Damit meine ich folgende Aspekte: (i) was ist der genealogische Ursprung moralischer Normen; warum findet man moralische Normen in menschlichen Gesellschaften; wie wurden sie eingeführt und für welche Zwecke; (ii) die Autorität oder zwingende Kraft moralischer Normen: warum ist die Moral für uns wichtig, warum sollen wir die Förderungen solcher Normen an uns, die zwingenden Kraft des moralischen Sollens akzeptieren; (iii) der Ursprung und die Rechtfertigungsgrundlage des kognitiven Gehalts moralischer Überzeugungen: wo kommt der konkrete Inhalt der moralischen Überzeugungen, die sich in moralischen Normen ausdrücken her, und wie läßt er sich rechtfertigen. Obwohl diese drei Aspekte zueinander in interessanten Verbindungen stehen, sollte man die Differenzen zwischen ihnen nicht übersehen.

Beim Voluntarismus ist der Wille Gottes genealogische und autoritative Quelle gleichzeitig: er ist der Grund sowohl der Existenz moralischer Normen als auch für deren verpflichtenden Charakter. Die 'Nobles' der Quelle soll aber nicht nur deren Autorität über uns rechtfertigen, sondern weiterhin auch für die Gültigkeit ihres kognitiven Gehaltes sprechen. ("Weil Gott es sagt, ist es auch richtig so"). Dasselbe gilt für die Idee eines sekularen Legislators. Die Autorität der staatlich gegebenen Normen leitet sich einerseits aus ihrem legitimen Ursprung her, wird aber andererseits auch durch einen Sanktionsapparats durchgesetzt. Es handelt sich dann primär um eine genealogische Erklärung, die gleichzeitig die Frage nach dem Grund, warum wir moralisch sein sollen und die Frage nach der Rechtfertigung des Inhalts moralischer Überzeugungen beantworten will. Weil es von der staatlische Autorität kommt und diese die legitime Instanz ist, gesellschaftliche Normen zu bestimmen, um das Zusammenleben zu ermöglichen, müssen wir ihre Bestimmungen anerkennen.

Kurioserweise haben wir es bei der Idee der autonomen Vernunft im kantischen Sinne mit einem in gewissem Sinne ähnlichen Phänomen zu tun. Moralische Normen sind demnach Vernunftsnormen, die das reflexive Subjekt selbst erzeugt (genealogisch) und unter deren Autorität es sich willentlich stellt. Gerade weil es frei ist, muß sich das autonome Subjekt an Vernunftsnormen orientieren, um über sein eigenes Handeln im praktischen Bereich bewußt zu entscheiden. Die zwingende Kraft moralischer Normen (Frage (ii)) hat dann ihren Ursprung in dieser Einsicht des Subjekts in die Notwendigkeit, sich nach allgemeinen Vernunftsnormen regieren lassen zu müssen. So kann man schließlich sagen, daß die normative Autorität moralischer Normen aus der anerkannten und unausweichlichen Autorität der eigenen Vernunft herrührt. Genau wie bei der Idee eines Legislators, sei sie religious oder sekulär verstanden, finden wir hier folgendes Problem: obwohl die erste und zweite Frage deutlich behandelt worden sind, ist der Erfolg dieser Positionen bei der Beantwortung der dritte Frage (oder 'Inhaltsfrage') nicht so klar. Wenn die genannte autoritative Quelle die einzige Basis der Gültigkeit substantieller moralischen Normen sein soll, dann ist der genealogische Ursprung und die autoritative bzw. normative Kraft moralischer Normen mit der Rechtfertigungsgründlage moralischer Überzeugungen vermischt worden. Damit wären sowohl im Fall der menschlichen Autonomie, als auch im Fall des Voluntarismus und Kontraktualismus die resultierenden Normen von den Konstruktionen der Vernunft her noch nicht begründet, außer, so würde man sagen, man hält die Einhaltung des rationalen Verfahrens (Prozederes) schon für eine Garantie der Gültigkeit der Ergebnisse, oder so mag es zumindest scheinen.

Wie sieht es dann beim Realismus aus? In Korsgaards historischer Herangehensweise taucht das oben genannte Problem bereits bei ihrer Erläuterung der realistischen Kritik am Voluntarismus auf. Wir können diese Kritik allerdings auf die folgende allgemeine Frage zuspitzen: Warum soll, was der Schöpfer produziert, inhaltreich gültig sein? Diese ist meines Erachtens die entscheidende Frage des Realisten und sie bezieht sich auf die substantiellen Konstruktionen der autonomen Vernunft. Wenn dies aber die Frage ist, dann hat der Realist sie unter der Hand eigentlich geändert. Dessen ungeachtet, präsentiert er sich selbst als jemand, der moralische Verpflichtungen bzw. Normativität in der Realität selbst findet. Es wird angenommen, dass eine realistische Antwort auf die Frage nach der Inhalt und Bestätigung moralischer Überzeugungen eine realistische Begründung moralischer Normativität liefern kann. Moralische Normativität ist real, ihr verpflichtender Charakter ist ein Teil der Natur der Dinge. Korsgaards Schilderung ist daher insofern gerechtfertigt, als auch der Realist weitgehend der Anspruch hat die drei Begründungsfragen beantworten zu können.

Meiner Meinung nach ist dabei jedoch der qualitativen Wendung der Fragestellung, die der Realist dabei vollzieht, nicht genügend Beachtung geschenkt worden. Unabhängig davon, welche die eigene Antwort des Realisten ist, hat er gegenüber den anderen Positionen die Frage nach der Verpflichtung in die Frage nach der Grundlage und Rechtfertigungsbasis konkreter moralischer Inhalte umgedeutet und sucht jetzt in der Realität eine Antwort. Der Akzent liegt bei ihm sozusagen in der dritten Frage. Im Gegenteil zu den anderen Positionen, was man sich jetzt fragen könnte, ist inwiefern er damit Erfolg bei der Beantwortung der zwei anderen Begründungsfragen hat. Damit werde ich mich auch im Laufe dieser Untersuchung beschäftigen. Bei einem realistischen Begründungsversuch so umgedeutet, geht es zunächst um die Wahrheit moralischer Wertensichten bzw. um die Grundlage der Überzeugungen, die den Inhalt normativer Konstruktionen bestimmen. Wie es allgemein bei Fragen nach der Gültigkeit eines kognitiven Gehalts der Fall ist, lassen sich hierauf sowohl realistische wie sogenannte 'anti-realistische' Antworten geben, wobei allerdings zu klären wäre, was mit diesen 'labels' jeweils genauer gemeint ist.

Dies scheint mir der Grund zu sein, warum das parallel mit den anderen Begründungsversuche nicht funktioniert. Genau genommen sind Normen immer von einer externen Autorität, wie Gott oder von den vernünftigen Subjekten selbst gegeben oder ,hervorgebracht‘, und es sind immer auch menschliche Subjekte, die den Appell der Normen akzeptieren. Der Grund, warum wir diese Verpflichtungen akzeptieren ist beim Voluntarismus oder Kontraktualismus und auch beim Konzept der autonomen Vernunft direkt auf diesen Ursprung zurückzuführen, entweder aus Respekt oder Angst vor der Autorität des Legislators oder aus Einsicht in die Notwendigkeit, sich an allgemeinen Vernunftnormen orientieren zu müssen. Die Idee der Realisten ist, dass der Inhalt moralischer Überzeugungen eine andere Herkunft haben muss und dies ist es gerade, was aus der realistischen Perspektive gesucht wird. Nur im Fall Gottes als Urheber wäre eine Schöpfung aus dem Nichts möglich. Deswegen fragt er, wie den Voluntarist gefragt wurde, ob Gott sich bei der Schöpfung moralischer Normen an der Natur der Dinge orientiert. Auf ähnliche Weise könnte man auch fragen, ob sich die menschliche Vernunft bei ihrer 'Schöpfung' von Normen an die Realität hält. Gerade weil die Frage des Realismus sich auf einer ganz anderen Ebene bewegt, läßt sich eine Antwort auf sie (im realistischen oder anti-realistischen Sinne) sowohl mit dem Voluntarismus, als auch mit dem Kontraktualismus und der autonomen menschlichen Vernunft versöhnen.

Nun, unter diese Frage der Realisten stecken eigentlich zwei: a) wie wird es entschieden, welche Normen moralisch richtig sind (bzw. wie kommt man zu manchen moralischen Einsichten)?, woran orientieren sich die verschiedene Bestimmunsinstanzen, um dies zu entscheiden?; b) wie überprüfen wir, und auf welcher Basis, ob die ausgewählten Normen (die vertrettenen moralischen Überzeugungen) wirklich richtig sind? Diese Fragen sind meistens bei den Realisten nicht auseinander gehalten oder die Impikationen ihrer Abhängigkeitsverhältnisse nicht genugend Achtung geschenkt. Es lässt sich sogar eine verstärkte Tendenz beim Realisten beobachten, im Laufe der Geschichte sich immer mehr auf die zweite Frage zu konzentrieren: die Frage nach der Richtigkeit moralischer Normbestimmungen oder der Wahrheit moralischer Überzeugungen , wie ich sie vorhin schilderte. Es wird angenommen, dass eine Antwort auf diese zweite Frage in realistischen Termini möglich ist und dass dadurch die realistische Grundlage der Moral gezeigt werden kann. Nun Ursprung und Bestätigung haben letzlich dieselbe Basis und deswegen hängt der Status der zweite Frage vollkommen von der Status der erste und nicht andersherum. Keine realistische Antwort auf die zweite Frage könnte erfolgen, wenn die erste nicht realistisch ausfehlt.

Relevant ist auch zu bestimmen, inwiefern, eine Antwort auf diese beide Fragen, uns eine Begründung der Moral im Sinne von Korsgaard, eine Begründung moralischer Normativität, liefern kann. Es mag sich herausstellen, dass dies nicht ohne Rekurs auf der anderen Quellen erreicht werden kann, was gewisse Implikationen für realistischer Begründungsansprüchen haben könnte. Auf der anderen Seite müssten wir womöglich noch mal überprüfen, inwieweit der Anspruch dieser anderen Begrüdungspositionen, die dritte Frage (im Sinne von a)) beantworten zu können, vollkommen gescheitert ist.

Schließlich müssen wir auch einen genaueren Blick auf den Versuch werfen, den Ursprung der Normativität in der menschlichen Natur zu finden. Menschliche Emotionen, Reaktionen und Empfindungen sind z.B. für Hume das, was hinter unseren moralischen Normen steht. Wir selbst sind es, die ihre Emotionen und Reaktionen in die Welt hineinprojizieren und dann glauben, sie in dieser vorzufinden. Die Frage mit der wir es hier zu tun haben, ist aber in gewissem Sinne auch die dritte. Ein Naturalist dieses Typs, fragt auch wie der Realist, nach dem Ursprung des Inhalts moralischer Überzeugungen, sucht dabei aber nicht nach einer Rechtfertigung sondern nach einer Erklärung. Während der Realist nach Objektivität bzw. Wahrheit in der Moral sucht, verlangt der Empirist eine externe Erklärung solchen menschlichen Verhaltens. Eine kausale Erklärung soll die Suche nach einer begründenden Fundierung ersetzen. So haben wir es eigentlich mit einer ganz anderen Perspektive zu tun. In diesem Fall wäre die Natur die Quelle der Moral und damit wäre die genealogische Frage geantwortet. Die Beantwortung der zweiten Frage hängt, wie Korsgaard zu recht merkt, davon ab, inwiefern wir uns verpflichtet fühlen, die Dispositionen der eigenen Natur zu begutachten; die dritte Frage, warum wir den Inhalt solcher Normen akzeptieren sollen, hängt davon ab, inwiefern Ursachen als Gründe gelten können. Auch hier, vermischt der Naturalist die zwei oben unterschiedenen Fragen a) und b). Wahrend er eine nicht kognitivistische Antwort auf die erste Frage a) bietet, will er letzten Endes dies als kognitivistische Rechtfertigung moralischer Einsichten im Sinne der zweiten Frage b) bieten.

Korsgaard bezieht sich in ihrer Darstellung vor allem auf die Moderne. Dennoch hatten, wie sie selbst sagt, diese vier ‘Quellen der Normativität’ auf ihre Art schon in der Antike ihre Vorläufer und wurden seitdem in den unterschiedlichen historisch-philosophischen Kontexten in verschiedenen Fassungen vertreten. So kann man in der Tat von Haupttendenzen reden, die sich dann in den konkreten historischen Zeiträumen mehr oder weniger durchgesetzt haben. Relevant scheint mir, zu überlegen, inwiefern diese Perspektiven einander in Frage stellen oder ob es sich nicht eher herausstellen könnte, daß sie möglicherweise einander ergänzen und vielleicht verschiedenes leisten. Meine Absicht bei diesem Abschnitt ist zunächst gewesen, den Hauptkern der Begründungsfrage einer realistischen Position, so wie sie meistens gestellt wird, vor diesem Hintergrund zu erörtern. Eine Frage also, mit der wir uns auch in der heutigen Debatte um den moralischen Realismus konfrontiert sehen.

2. Neuere Versuche einer realistischen Begründung der Moral. Zum Gegenstand dieser Untersuchung

Von der Wiederkehr der Fragen abgesehen, ist durchaus neu die Art und Weise, wie die im Lauf der Zeit gewonnenen philosophischen Einsichten und die dazu kommenden wissenschaftlichen und sozialen Entwicklungen auf unsere Einschätzung, unser Verständnis und die Darstellung der dazugehörigen Probleme wirken. Die alten Fragen werden so unter neuen Aspekten bearbeitet, was wiederum neue Einsichten erlaubt, die das gesamte philosophische Bild bereichern. In diesem Sinne kann meines Erachtens ein angemessenes Verständnis der heutigen Debatte um den moralischen Realismus nur vor dem Hintergrund der Entwicklungen der Sprachphilosophie in diesem Jahrhundert gewonnen werden. Erst aus dieser Perspektive wird begreiflich, wieso einem Verständnis moralischer Begründung aus der realistischen Perspektive heute wieder so große Aufmerksamkeit zuteil wird.

So sehe ich als meine erste Aufgabe in dieser Arbeit, jenen argumentativen Hintergrund explizit zu machen, der zu den spezifischen Termini der Diskussion führt, in der sich heute die Frage nach einer realistischen Begründung der Moral stellt.. Das übergreifende Ziel meiner Untersuchung ist dann aber, zu klären, ob überhaupt eine Begründung moralischer Einsichten in gerade diesen Termini zu erreichen ist, und welche Alternativen es sonst gäbe, Fragen nach dem Inhalt und der Rechtfertigung moralischer Überzeugungen zu beantworten. Als Ergebnis dieser Untersuchung verspreche ich mir schließlich auch, das Verhältnis der Begründungsfrage des Realismus zu den anderen vorhin erwähnten Fragen etwas genauer beleuchten zu können.

Die zunächst im angelsächsichem Sprachraum eröffnete Debatte um den moralischen Realismus will ich im Kontext einer Begründung der Moral plazieren und sie als einen erneuten Versuch verstehen, die Begründungsfrage des Realismus wiederaufzunehmen. Diese Debatte nimmt die Form einer Auseinandersetzung zwischen Realisten und Anti-Realisten an. Auf der einen Seite stehen diejenige, die glauben, es sei möglich, unsere moralischen Einsichten an bestimmter evaluativ geprägten Eigenschaften der Realität zu überprüfen, und insofern in der Realität eine Begründungsgrundlage für unsere moralischen Überzeugungen zu finden meinen. Auf der anderen Seite diejenige, die dieses bestreiten und beansprüchen, die Frage nach dem Inhalt und Akzeptanz moralischer Einsichten anders zu erklären. Die von mir befürwortete externe Annährung an diese Debatte soll erstens erlauben, die historisch bedingten Prämissen sichtbar zu machen, unter denen sie heute stattfindet. Hinter den entgegengesetzten Positionen der Debatte um den Moralischen Realismus stehen oft verschiedene Interpretationen der Implikationen, die die wesentlichen Einsichten innerhalb der postempiristischen Sprachphilosophie der letzten Jahrhunderthälfte auf die ontologische Ebene haben könnten. Das Beispiel der Moral hat aber auch neue Aspekte für die sprachphilosophische Problematik mit sich gebracht, die dazu zwingen, unsere Antworten auf ontologische Fragen innerhalb eines vollständigeren Rahmens zu präzisieren. Dies kann meines Erachtens eine Bereicherung unserer Perspektive in beide Richtungen darstellen. Das Hauptmerkmal der heutigen Debatte um den Moralischen Realismus besteht darin, daß, im Gegensatz zu der früheren Diskussion zwischen Intuitionisten und Expressivisten bzw. Emotivisten Anfang des Jahrhunderts der Kognitivismus in der Moral die weitgehend herrschende Position ist. Unter der gemeinsamen Voraussetzung kognitivistischer Prämissen bezüglich des assertorischen Charakters und der Wahrheitsfähigkeit moralischer Aussagen werden nun sowohl realistische als auch anti-realistischen Positionen vertreten. In diesem Zusammenhang muß die für diese Debatte relevanteste Frage gesehen werden. Diese scheint dann nicht mehr die Frage nach der Wahrheitsfähigkeit moralischer Aussagen, sondern die nach dem Sinn der Rede von Wahrheit beziehungsweise Richtigkeit in der Moral zu sein. Was besagt die kognitivistische Akzeptanz der Wahrheitsfähigkeit moralischer Aussagen? Welche ontologischen Implikationen folgen daraus, wenn überhaupt? Diese Fragen sind meines Erachtens in dem breiteren Rahmen einer Aufklärung der Möglichkeit eines Demarkationsprojekts unseres Wissens nach der sogenannten sprachpragmatischen Wende der Philosophie einzusiedeln. Darunter verstehe ich den Versuch unter der unterschiedlichen Diskurstypen gemeinsamen assertorischen Gebrauchsweise von Aussagen, sei es in der Naturwissenschaften der Soziologie, Äesthetik, Mathematik, Psychoanalyse, Moral, oder Philosophie, unterschiedliche Sinnfunktionen und Beziehungen zur Realität zu unterscheiden. Es geht dabei zu klären, ob wir z.B. zwischen Diskurse, die uns über 'realen' von uns entdeckten 'Tatsachen' der Welt berichten, und Diskurse, die eher vielleicht ein Resultat eigener Zwecksetzungen, Erklärungs oder Orientierungsbedürfnisse sind, oder unseren eigenen Emotionen oder Attituden über die Welt ausdrücken, zu unterschieden. Es muß aber vor allem geklärt werden, welche Kriterien wir uns in postempiristischen Zeiten bedienen können, um zwischen den kognitiv gehaltvollen Diskursbereichen, diejenigen, mit deren Wahrheit wir die Existenz entsprechenden Eigenschaften der Realität annehmen wollen, von denjenigen abzugrenzen, bei denen dies nicht so ist.

3. Das sprachphilosophische Verständnis einer realistischen Begründung moralischer Überzeugungen

Im ersten Abschnitt habe ich dargelegt , wie die Frage nach der Begründung der Moral nach realistischem Verständnis lautet. Allerdings muß an dieser Stelle gefragt werden, was mit dem heute üblichen Verständnis einer realistischen Begründung moralischer Überzeugungen genauer gemeint ist. Aus diesem Grund möchte ich zunächst kurz das Problemgebiet erläutern, mit dem wir es hier zu tun haben. Bei der metaethischen Frage nach einer moralischen Begründung wird heute besonders die sprachliche Verfasstheit unserer moralischen Überzeugungen berücksichtigt. Die klassische Begründungsfrage ist aus dieser Perspektive die Frage nach dem Ursprung, dem Gehalt und der Rechtfertigung sprachlich verfaßter moralischer Überzeugungen. Wie kommen wir zu unseren moralischen Überzeugungen? Wieviel wird uns mit dem Erlernen einer Sprache in einer bestimmten Lebenspraxis schon vermittelt? Wie sind Werte und verwandte Begriffe unseres moralischen Vokabulars zu verstehen? Sind unsere moralischen Aussagen Aussagen über die Realität? Worauf beziehen sie sich, was besagen sie und wie sind sie, wenn überhaupt, zu rechtfertigen? Implizieren die intersubjektiven Gebrauchskriterien, die wir uns beim Erwerb des moralischen Vokabulars zu eigen machen, daß wir die Richtigkeit moralischer Urteile an gemeinsamen Maßstäben messen lassen müssen? Wie "parroquial”, um einen Ausdruck von Bernard Williams zu gebrauchen, bzw. wie provinziell und kulturabhängig sind solche Maßstäbe?

Die Feststellung der tiefen Verwurzelung moralischer Werte in unserer Sprache - wie z. B. bei sogenannten ,dichten‘ moralischen Begriffe, wie ,großzügig’, ,gemein’, ,egoistisch’, ,tapfer' usw., die sowohl eine moralische Bewertung als auch eine Beschreibung enthalten - scheint zu der Annahme zu berechtigen, daß unsere moralischen Einstellungen in einem nicht zu vernachlässigenden Maße durch sprachliche Sozialisierung geprägt werden. In welchem Ausmaß aberist dies der Fall? Denn genauso unbestreitbar, wie die Existenz intersubjektiv geteilter moralischer Überzeugungen, die durch die Sprache tradiert und damit jeweils zu einem gewissen Grad schon vorausgesetzt werden müssen, ist, wie ich meine, die Möglichkeit einer distanzierenden Reflexion, Argumentation und Kritik. Ein kritisches Potential, das zunächst nicht immer auf Fragen der Richtigkeit von konkreten Anwendungen eines in der jeweiligen Kultur gegebenen moralischen Vokabulars reduziert zu sein scheint. Wir können die sprachlich verfaßten - und nach den geltenden intersubjektiv geteilten sprachlichen Kriterien für richtig gehaltenen - moralischen Einsichten derjenigen Kultur, in der wir sozialisiert worden sind, kritisieren und uns gegebenenfalls den mehrheitlich akzeptierten moralischen Überzeugungen entgegenstellen. Wir sind auch in der Lage, die moralischen Auffassungen verschiedener Kulturen miteinander zu vergleichen und gegeneinander zu bewerten. Von welchem 'externen' Standpunkt aus aber sind solche Bewertungen möglich? Ist die Richtigkeit unserer moralischen Urteile nicht an unseren jeweiligen intersubjektiv geteilten sprachlichen Maßstäben zu messen? Ist die Infragestellung der Maßstäbe, deren wir uns in moralischen Urteilen bedienen, durch einen irgendwie externen beziehungsweise realen Standpunkt möglich oder wohnt die Möglichkeit der Distanzierung von tradierten Maßstäben moralischer Bewertung diesen gleichsam inne?

Was also steckt hinter solchen reflexiven Prozessen: Können wir von einer über unsere jeweiligen Auffassungen hinausreichenden Objektivität und Wahrheit in der Moral sprechen? - Und was sollte in diesem Fall unter solchen Begriffen verstanden werden? Diese Art der Fragestellung sollte m. E. aus den Gründen, die ich unter Punkt (2.) erwähnt habe, zunächst von der nach dem prozeduralen Weg, über moralische Probleme zu entscheiden, beziehungsweise der Frage, wie entsprechende Geltungsansprüche einzulösen sind, getrennt werden. Es geht hier vor allem darum zu klären, inwiefern die moralischen Einsichten, die wir nach einer solchen Prozedur für gerechtfertigt halten, im gleichen Sinne wahr sind - ob wir nur nach eigener Maßgabe bestimmen können, was gut ist, oder ob wir uns darüber von der Realität belehren lassen können - beziehungsweise sollten - inwiefern unser argumentativer Konsens schon von kulturell geteilten und gegebenenfalls historisch bedingten moralischen Hintergrundwertauffassungen abhängig ist, die nicht mehr begründet hinterfragt werden können. Sollten wir dann eine gewisse Distanz zu den in einem kontingenten historischen Moment allgemein akzeptierten Überzeugungen halten oder können wir davon ausgehen, daß wir nicht mehr hinterfragbare universelle moralische Prinzipien oder Werte entdeckt oder erreicht haben?

Da wir uns in unserem Handeln, in unserem Verhalten zueinander und zu anderen Kulturen an moralischen Prinzipien orientieren, die weitreichende Folgen haben können, ist es besonders wichtig, daß wir uns auf diese verlassen können. In den Naturwissenschaften haben wir uns daran gewöhnen müssen, daß Theorien, die einstmals als gesichertes Wissen erGleisen, sich als falsch erwiesen haben. Inwiefern verhält es sich in der Moral anders und wenn ja, warum?

Sicherlich tauchen hier aus sprachphilosophischer Perspektive die altbekannten Streitfragen zwischen moralischen Relativisten und moralischen Universalisten wieder auf. Allerdings wird nun die Einstellung, die man zur solcherart Problemen hat, als ein Ergebnis grundlegender Annahmen zum Status und zur Funktion der Sprache in bestimmten Bereichen des Diskurses sein. Diese für die Philosophie der Naturwissenschaften längst charakteristische Prozedur und die Probleme, die aus der internen Abhängigkeit der Wahrheit unserer Aussagen von einem bestimmten, oder möglicherweise vielen verschiedenen Sprachsystemen sich ergaben, überträgt sich jetzt auch auf die Moralphilosophie. Der Grund dafür ist naheliegend: Sobald moralische Aussagen als ebenbürtige wahrheitsfähige Aussagen aufgefaßt werden, kann das Problem eines universalistischen Verständnisses der Wahrheit dieser Aussagen in genau der gleichen Weise thematisiert werden, wie in jenen Diskursbereichen, die schon vorher als wahrheitsfähig galten.

4. Der Debatte um den Moralischen Realismus in der gegenwärtigen Philosophie

Die oben dargelegten Fragestellungen bestimmen den eigentlichen Kem dessen, warum es dem Moralischen Realismus geht und sie schildern zugleich auch das Problemgebiet, mit dem ich mich in dieser Arbeit konfrontieren werde. Unter dem Stichwort ,Moralischer Realismus‘ ist in den letzten circa 25 Jahren vor allem im angelsächsischen Sprachraum eine lebhafte Diskussion geführt worden, die zu einem richtigen Modethema geworden ist. Sicherlich sind die ersten Überlegungen, die zu diesem Thema geführt haben noch früher zu datieren. Die Abkehr von der positivistischen Sichtweise der ersten Jahrhunderthälfte und die Folgen eines neuen phänomenologisch geprägten Weltbilds ließen sich langsam feststellen. So werden in der gebräuchlichen Literatur hierüber z.B. die Überlegungen von Elizabeth Anscombes (1958) und Philippa Foots (1958-59) zum kognitiven Gehalt moralischer Aussagen genannt. Besonders relevant auch sind Peter Geach's (1969) Analysen über die Struktur und logische Funktion moralischer Aussagen, Iris Murdochs (1970) Abhandlungen über die tiefe Verwurzelung moralischer Werte in unserer Weltbeschreibung, oder Thomas Nagels (1979) Bemühungen um die Verteidigung der Objektivität von Werten. Einsichten, die die philosophische Atmosphäre und vor allem die metaethische Reflexion für Fragen des Moralischen Realismus empfänglich machten. Wo auch immer man anfangen mag, auf jeden Fall gab John Mackies Buch Ethics, inventing Right and Wrong (1977) einen entscheidenden Anstoß zu einer unmittelbaren Diskussion über die Subjektivität von Werten, an der sich unter anderen Autoren wie John McDowell, David Wiggings, Simon Blackburn, Bernard Williams beteiligten. In diesem Rahmen wurden Standardargumente für und gegen den moralischen Realismus ins Spiel gebracht, die einen Teil der weiteren Diskussion auslösten. Zahlreiche Publikationen folgten diesen ersten Veröffentlichungen. Unter diesen könnte man Sabina Lovibonds (1983), Johathan Dancys (1986), David O. Brinks (1986) als schon klassisch gewordene Arbeiten über den Moralischen Realismus bezeichnen. Hervorzuheben sind weiterhin die Überlegungen von Crispin Wright zum Problem von Wahrheit in der Ethik und die Arbeiten von Mark Johnston bezüglich der Reaktions-Abhängigkeit ("Response-Dependence”) des moralischen Diskurses, die für einen weiteren Schub in der Diskussion gesorgt haben. Ein anderer interessanter Beitrag dazu sind m. E. Peter Railtons Überlegungen zum Thema Objektivität und seine naturalistische Verteidigung eines moralischen Realismus. In letzter Zeit haben sich darüberhinaus auch Autoren wie Hilary Putnam (1991), dessen Arbeit durch seine Ablehnung des Fakten/Werte­Dualismus eigentlich immer schon in diese Richtgung tendierte, Cora Diamond (1995) und Ronald Dworkin zum moralischen Realismus bekannt.

Auch im deutschsprachigen Raum haben sich jüngst etliche Autoren mit diesem Thema beschäftigt. Zwischen diesen finden sich auf der einen Seite Autoren wie Peter Schaber, der in gewissen Sinne das angelsächsiche Thema in die deutsche Debatte importiert hat. Auf der anderen Seite hat Habermas‘ in seiner Stellungnahme zu dieser Debatte eine etwas andere Richtung eingeschlagen, nach der sich die an Kant orientierten diskursethischen Ansätze der Moralbegründung an eine realistische Verteidigung der Objektivität von Normen annähert. Hierzu gehört auch die aufschlußreiche Diskussion, die in den letzten Jahren zwischen Putnam und Habermas unter den Titel ,Werte und Normen‘ geführt worden ist, und die in gewissem Sinne an die hegelsche Kantkritik erinnert. Die Diskursethik läuft nach Putnam nämlich Gefahr , ein zu einem ,leeren‘ Formalismus zu verkommen, wenn sie nicht bereit ist, die Objektivität von Werten zuzugestehen. Ein ganz ähnlicher Vorwurf wird, wenngleich aus einer etwas anderen Perspektiv, auch von Christina Lafont erhoben. Anstatt jedoch, eines moralischen Realismus durch das Postulat der Existenz von Werte zu verteidigen, schlägt Lafont eine realistische Lesart der Diskursethik vor. Der Diskursesthik drohe, zu ein rein dezisionistischen Theorie zu degenerieren, wenn sie nicht zugestehe, daß sich die Richtigkeit moralischer Normen an der tatsächlichen Existenz eines von unseren epistemischen Auffassungen unabhängigen Bereiches verallgemeinbarer Interessen zu bemessen hat.

Damit scheinen mir die wichtigsten - oder jedenfalls die nach meiner Einschätzung interessantesten Ebenen dieser Debatte benannt zu sein. Da ich mit dieser Arbeit nicht beabsichtige dem Anspruch auf Vollständigeit der genealogische Rekonstruktion genüge zu tun , diente die die vorstehende Aufzählung lediglich dem Zweck der notwendigen Orientierung. Die Liste von Autoren, die sich an verschiedenen Aspekten dieser Diskussion konstruktiv beteiligt haben, wäre sonst erheblich länger.

Die Debatte um den Moralischen Realismus ist in gewissem Sinne ein Spezialfall der allgemeineren Debatte zwischen Realisten und Anti-Realisten, die in den letzten 40 oder 50 Jahren geführt wurde. Dabei wurde besonders die Beziehung zwischen der Bedeutung und Wahrheit unserer Aussagen und deren Verhältnis zur Realität in verschiedenen Diskursbereichen problematisiert. Fragen, die kurioserweise jetzt auf den moralischen Diskurs und auf andere, lange nicht als wahrheitsfähig betrachtete Diskursbereiche, wie z.B. den modalen oder den über das Komische, übertragen werden. Interessant gegenüber der ursprünglichen dummettianischen Diskussion, ist, wie C. Wright hervorgehoben hat, daß die Einteilung der Positionen in diesen neuen Diskursen nicht immer in die von Dummett bevorzugte Darstellung der Debatte paßt. Für Michael Dummett charakterisiert sich eine realistische Position gerade dadurch, daß sie die Wahrheit einer Aussage als unabhängig von menschlichen Fähigkeiten sie zu erkennen und als solche festzustellen versteht. Oder anders gesagt, die Wahrheit unserer Aussagen verdankt sich Sachverhalten, deren eigentliche Natur menschlichen Fähigkeiten entgehen könnte und deren Existenz nicht von uns abhängt. Dies ist aber in der moralischen Debatte und auch in manchen anderen nicht unbedingt so. Moralische Realisten behaupten in der Tat, daß es Sachverhalten gibt, die moralische Aussagen wahr machen können. Nicht viele aber würden behaupten wollen, die Sachverhalten, von denen die Wahrheit moralischer Aussagen abhängt, könnten in Unabhängigkeit von der menschlichen Fähigkeit für sie empfänglich zu sein, konzipiert werden. Eigentlich nichts anfangen kann man hier mit der Vorstellung von existierenden moralischen Werten die in ihrer unabhängigen Existenz auch bestünden, wenn es keine Menschen gäbe. Eine Vorstellung, die freilich mit der Idee einer unsere Erkenntnis transzendierenden Wahrheit schon einhergehen könnte. Denn gerade weil die Existenz der Natur und ihre intrinsischen Eigenschaften als unabhängig von uns gedacht sind, macht es überhaupt Sinn zu sagen, unsere Erkenntnisse über sie dürfte mit ihrer transzendierende Natur nicht gleich zu setzen sein. Wenn sich jetzt die moralischen Realisten nicht mehr durch diese Wahrheitsauffassung definieren wollen, muß man, so Wright, den Unterschied zwischen Realisten und Anti-Realisten, zumindest für Diskurse wie den moralischen, neu definieren. Der Unterschied zwischen ihnen müßte dann direkt auf der metaphysischen Ebene gesucht werden. Es soll nicht von der jeweiligen Auffassung der Wahrheit abhängen, sondern von der Interpretation der ontologischen Implikationen, die die Wahrheitszuscheibung in den verschiedenen Diskursbereichen haben soll; d.h. ob wir mit der Wahrheit einer Aussage uns auf die Existenz entsprechender Eigenschaften der Realität festlegen oder nicht, und was wir sonst damit meinen können.

Die Diskussion schließt sich aber andererseits auch an die an, die in den dreißigen Jahren zwischen moralischen Expressivisten und Intuitionisten geführt wurde. Damals ging es darum, ob überhaupt moralische Aussagen einen kognitiven Gehalt zum Ausdrück bringen und wahrheitsfähig sind. Der Unterschied zwischen einer realistischen und einer nicht- realistischen oder anti-realistischen Position ließe sich direkt an dieser Frage entscheiden. Sie positiv zu beantworten, bedeutete, sich schon als Parteigänger des Realismus zu bekennen. Hinter der scheinbar deskriptiven Struktur moralischer Aussagen einen anderen Sprechakt- Typ als den der Behauptung sehen zu wollen, kennzeichnete dagegen die Nicht-Realisten bzw. Anti-Realisten. So meinten die Expressivisten — zu denen man Emotivisten wie Ayer (1936) oder Stevenson (1937) und Präskriptivisten wie Hare (1952) rechnet — es sei nicht die Aufgabe moralischer Aussagen, Fakten festzustellen, sondern eher unsere Einstellungen oder Emotionen auszudrücken und dabei etwas zu empfehlen oder von etwas abzuraten. Der moralische Diskurs wäre prinzipiell nicht deskriptiv, sondern eher expressiv oder präskriptiv zu verstehen. Er solle uns nicht berichten, wie die Sachverhalten wirklich liegen, sondern welche Emotionen oder Haltungen wir ihnen gegenüber empfinden. Die Intuitionisten (Moore, Ross) vertraten ihrerseits eine Art platonistischen Realismus. Moralische Wertaussagen wie z.B. "Leiden zu mindern ist gut” würden einen irreduzierbaren kognitiven Gehalt ausdrücken, der nicht auf natürliche Eigenschaften der Welt zurückführbar wäre. Die Wahrheit solcher Aussagen verdanke sich dann einer speziellen intuitiven Fähigkeit, die uns in die Lage versetze, nicht natürliche Eigenschaften der Welt zu erfassen.

Der Unterschied zwischen den gegenwärtigen moralischen Realisten und ihren Gegnern läßt sich allerdings auch nicht nach diesem Schema verstehen. Bei der heutigen Version der Entgegnung zwischen moralischen Realisten und Anti-Realisten ist das neue, daß es bei den Anti-Realisten meistens nicht mehr darum geht, den deskriptiven Charakter moralischer Äußerungen oder ihre Wahrheitsfähigkeit zu bestreiten. Vielmehr dreht sich die Diskussion darum, was man unter deren Wahrheit und sogar deren Faktizität verstehen soll. Sowohl die Realisten als auch die Anti-Realisten zeigen sich jetzt bereit, den alltäglichen wahrheitsorientierten Gebrauch moralischer Aussagen anzuerkennen und ihm gerecht zu werden. Die Gründe dafür sind verschieden und ich werde sie in der Arbeit ausführlich nachgehen, sie lassen sich aber zunächst als logisch-syntaktische, pragmatische und semantische aussortieren. Einerseits geht es um Argumente, die auf die Struktur und den logischen Gebrauch moralischer Aussagen eingehen, andererseits wird auf die Art und Weise, in der sie in der Alltagspraxis gebraucht werden und den spezifischen deskriptiven-evaluativen Charakter mancher moralischen Begriffen Bezug genommen.

Von beiden Seiten wird als eine nicht zu leugnende Tatsache anerkannt, daß wir uns in unserer alltäglichen moralischen Praxis ernsthaft darum bemühen, unsere moralischen Meinungen zu rechtfertigen, ihre Richtigkeit zu verteidigen, für sie zu argumentieren oder sie gegebenenfalls im Lichte anderer Einsichten zu ändern. Allerdings müßte man zwischen den Anti-Realisten zwei Gruppen unterscheiden: einerseits diejenigen, die in dieser assertorischen Praxis einen mit anderen kognitiven Diskursbereichen vergleichbaren wahrheitsorientierten Gebrauch sehen. Andererseits diejenigen, die diesen alltäglichen Gebrauch moralischen Diskurses zwar zugeben, aber ihn noch immer als ein letztendlich irreführendes Phänomen verstehen wollen, hinter dem tiefreichendere Erklärungen gesucht werden müssen. Diese revisionistische Idee findet man wiederum bei verschiedenen Autoren in unterschiedlichen Auffassungen. So beanspruchen Autoren wie Simon Blackburn, die syntaktische Struktur und den assertorischen, wahrheitsorientierten Gebrauch moralischer Aussagen vollkommen rechtfertigen zu können. Dabei schlagen sie eine absolute Uminterpretation des Wahrheitsbegriffs in der Moral vor. Womit letztendlich gesagt wird, es sei etwas anderes als die Wahrheit, was wir ausdrücken wollen, wenn wir einer moralischen Aussage Wahrheit zuschreiben und zwar so etwas wie eine emotionale Zusage oder der Zustimmung entsprechenden Zwecken sollen in einer idealen Welt erfüllt werden. Eine andere Version dieser revisionistischen Tendenz sieht folgendermaßen aus: Nicht nur werden moralische Aussagen wirklich genauso wie gewöhnliche assertorische Aussagen gebraucht und nicht nur zeigen sie dieselbe syntaktische Struktur wie diese, sondern wir meinen in der Tat, sie wären wahr im gewöhnlichen Sinne des Wortes. Leider aber ist die Alltagspraxis nur eine Illusion eines naiven Commonsenses, die nicht wissenschaftlich gewachsen ist. Dies ist z.B. die Position eines ‘Irrtums-Theoretikers’ wie John Mackie. Hierunter habe ich die Gruppe revisionistisch orientierter anti-realistischer Positionen eingestuft, die in ihrer hauptsächlichen Einstellung der vorher genannten Gruppe der Expressivisten sehr nahe liegen. Meines Erachtens gehören Positionen wie die von Simon Blackburn oder Allan Gibbard und die von John Mackie, trotz der offensichtlichen Unterschiede zwischen ihnen eigentlich in dieselbe Gruppe. Diese charakterisiert sich durch eine revisionistische Attitude gegenüber der Alltagspraxis und einem dazu gehörigen sehr stark empiristisch geprägten Weltbild.

Eine ganz andere Position vertreten die erstgenannten Anti-Realisten. Diese zeigen keine revisionistischen Ansprüche. Moralische Aussagen sind in der Tat ihrer syntaktischen Struktur und ihrer Funktion nach genuine Behauptungen, die wörtlich wahr oder falsch sein können, und sogar unter mancherlei Präzisierungen "moralische Fakten” ausdrücken. Insoweit haben sich diese Anti­Realisten den Realisten angenähert. Sie würden jedoch auf jeden Fall bestreiten, daß das, was wir unter der Wahrheit moralischer Aussagen verstehen, den Einklang unserer Aussagen mit bestehenden Eigenschaften der Realität, ob moralisch oder nicht, impliziert. Wir sind diejenigen, die das letzte Wort darüber haben, was wirklich moralisch gut oder schlecht ist. Unsere aufgeklärte Akzeptanz einer diskursiv gerechtfertigten moralischen Aussage ist alles, was es hier an ,Wahrheit‘ gibt. Es gibt keine moralischen Eigenschaften an sich, an denen wir unsere moralischen Meinungen überprüfen und bewahrheiten könnten. Die Moral gebraucht keine spezielle Ontologie für sich. Was wir mit der Wahrheit moralischer Aussagen ausdrücken, mögen wir "moralische Tatsachen” nennen. Aber dann sollen wir diese nicht ontologisch lesen wollen, da es sich nicht um vorgefundene Eigenschaften der Realität handelt, die wir als Tatsache feststellen, sondern eher um von uns eingeführte und für uns nützliche soziale Konstruktionen. Hierunter würde ich z. B. die Positionen von Bernard Williams und Crispin Wright zählen. Die beiden unterscheiden differenzieren sich jedoch dadurch, daß während Williams die Wahrheit moralische Aussagen letzten Endes nur einen relativistischen Sinne beimißt, legt sich Wright dazu nicht fest und legt den Akzept auf den Sinn, den wir mit der Rede von Wahrheit bei moralischen Aussagen verbinden mögen.

Auf diesem Weg haben wir die Position eines gegenwärtigen Vertreters des Realismus in der Moralphilosophiue schon recht genau bestimmt. Ein moralischer Realist ist derjenige, der nicht nur behauptet, moralische Aussagen können wahr oder falsch sein, sondern auch, daß ihre Wahrheit von gewissen Eigenschaften der Realität abhängt. Die Feststellung der Existenz solcher Eigenschaften und dadurch auch der Wahrheit einer moralischen Aussage drückt eine moralische Tatsache aus. So gibt es für den Realisten gewisse wertgeladene Aspekte der Realität, für die wir Menschen empfindsam sind und derer wir uns kognitiv bewußt werden können. Ihrer qewahr zu werden entspricht der Feststellung von moralischen Tatsachen. Mit der Rede von moralischen Tatsachen wollen Realisten der behaupteten Objektivität moralischer Urteile sozusagen eine ontologische Prägung geben, indem sie die Existenz bestimmter feststellbarer wertgeladener Eigenschaften in der der Realität behaupten Dies ist m. E. der gemeinsame Nenner aller realistischen Positionen, auf den Autoren wie John McDowell, und, mit gewissen Einschränkungen Präzisierungen, auch Hilary Putnam zu bringen sind. Darüber hinaus gibt es natürlich wie immer, wenn man unterschiedliche Autoren unter eine gemeinsamen Kategorie bringen will, einige Abweichungen, die ich später ausführlicher erläutern werde.

Schließlich werde ich auch die vorhin erwähnte, etwas anders gelagerte Diskussion des deutschsprachigen Raumes miteinbeziehen. Mir scheint, daß die von Habermas und Apel verfolgte Form der Begründung des objektiven Charakters moralischer Normen eigentlich in einem anderen Sinne gemeint bzw. ihre primäre Fragestellung nicht mit der des Realismus gleichzusetzen ist, sondern eherder oben angeführten Frage (ii) entspricht. Auch von Apel und Habermas wird beansprucht, eine abgeleitete Antwort auf die Frage nach der Rechtfertigung moralischer Gehälte geben zu können, und auf dieser Ebne wird eine kognitivistische Position vertreten. Insofern sich die von Habermas geführte Diskussion in letzter Zeit auch auf die Frage der Rechtfertigung und Richtigkeit moralischer Normen konzentriert hat, kann man in diesem Rahmen in einem ähnlichen Sinne zwischen realistischen und anti-realistischen Interpretationen unterscheiden. Habermas selbst schlägt vor, die Frage nach der Richtigkeit moralischer Normen zwar in einem kognitivistischen, aber dennoch nicht realistischen Sinne zu verstehen. Die Position afonts, mit der sich Habermas hierüber auseinandersetzt, stellt dagegen einen Versuch dar, diese Frage im realistischen Sinne zu deuten, womit zugleich für die Notwendigkeit einer realistischen Ergänzung der kantischen Perspektive plädiert wird.

Durch eine Abgrenzung der gegenwärtigen Debatte gegenüber anderen, verwandten Diskussionen, möchte ich zunächst eine grobe Skizzierung und Einordnung ihrer Grundzüge erreichen. Es ist dagegen nicht meine Absicht, mich im einzelnen intern mit den verschiedenen Positionen und Autoren auseinanderzusetzen. Aus diesem Grund mag jemand eine ausführlichere Darstellung realistischer und anti-realistischer Positionen vermissen.

Meine Arbeit ist in folgender Weise konzipiert: Erstens (i) betrachte ich die Debatte im Sinne eines erneuten Versuchs, die Frage nach einer Begründung der Moral im Sinne des Realismus anzugehen. Zweitens (ii) werde ich die Debatte vor dem historischen Hintergrund ihrer in der post- empiristischen Sprachphilosophie begründeten Voraussetzungen beleuchten. Drittens (iii) setze ich mich mit den m. E. wesentlichen Argumenten auseinander, die zur Plausibilität und Dominanz eines kognitivistischen Verständnisses moralischer Aussagen innerhalb der heutigen Debatte beigetragen haben. Viertens (iv) untersuche ich die Implikationen des Zugeständnisses der Wahrheitsfähigkeit moralischer Aussagen auf der Basis eines wertgelandenen sprachlichen Hintergrundkonsenses. Fünfte (v) setze ich mich mit einem Paradoxon auseinander, das sich meines Erachtens in diesem Zusammenhang ergibt, und versuche es aufzuklären. Daraus ergibt sich (v) eine Verbindung zu der von Habermas geführten Diskussion über den Status der Richtigkeit von Normen mit der ich mich schließlich (vi) kritisch auseinandersetze. Auf diesem Wege komme ich dann zur Einleitungsproblematik und der Frage nach möglichen Begründungsweisen der Moral zurück. Denn von hier aus läßt sich sowohl der Erfolg eines realistischen Versuches, die Moral zu begründen, als auch das Verhältnis der realistischen Begründungsfrage zu den anderen von mir differenzierten Begründungsfragen beurteilen.

Bevor ich zu dieser Aufgabe übergehe, möchte ich noch ein paar Bemerkungen zur hier gewählten Form der Darstellung machen. Ich habe mich bei der bisherigen kursorischen Einführung in die Debatte weitestgehend auf die für ihre Selbstcharakterisierung typische Begriffswahl gestützt. Dennoch bin ich mir bewußt, daß es sich hier um schwerwiegende Begriffe wie "Realität”, "Eigenschaften der Realität", "Natur", "Konstruktion" etc. handelt,, deren alltäglicher und philosophischer Gebrauch ziemlich vage sind. Das gewisse Unbehagen, das man bei der philosophischen Arbeit innerhalb dieses unübersichtlichen Terrains erlebt, ist mir aus eigener Erfahrung bzw. nach umfangreicher Lektüre duraus vertraut. Allerdings bin ich zu der Ansicht gelangt, daß es gerade das Ziel dieser ganzen Diskussion ist, heute so unscharf gewordenen Begriffe klarere Grenzen zu ziehen oder sie neu zu definieren. Ich bin der Ansicht, daß, erst wenn unsere alten alltagsprachlichen Selbstverständlichkeiten durch neue philosophische Einsichten erschüttert wurden, wir dazu aufgefordert sind, ihre Reichweite genauer zu prüfen. Bei der Diskussion um den moralischen Realismus geht es nicht nur um eine Aufklärung des moralischen Diskurses, sondern auch um eine Aufklärung dessen, was wir sinnvollerweise zum Bereich des ’’Realen” rechnen sollen.

II KONSEQUENZEN DER POSTEMPIRISTISCHEN SPRACHPHILOSOPHIE FÜR DIE METAETHISCHE DISKUSSION

Die augenscheinliche Virulenz, mit der sich die Debatte um den moralischen Realismus ausgebreitet hat, so wie die schnelle Akzeptanz, die die entsprechenden Fragestellungen gewonnen haben, hat beimanchen Philosophen eher einen gewissen Skeptizismus hervorgerufen. Nicht immer ist die Dominanz einer gerade vorherrschenden Debatte eine rein rational rekonstruierbare Angelegenheit. Meine Absicht in diesem Kapitel ist es daher zunächst, die Aktualität dieses Themas selbst zum Thema zu machen um auf diese Weise auch die Relevanz der entsprechenden Fragestellung hinsichtlich des Problems einer Begründung der Moral zu untersuchen. Es scheint mir ein bereits an sich interessantes Phänomen, daß die Rede von der ,Wahrheit‘ moralischer Aussagen und der Existenz moralischer 'Tatsachen' auf einmal für viele Philosophen so überzeugend erscheint, daß sich sogar die Anti-Realisten bereit zeigen, sie zu akzeptieren bzw. eine entsprechende Redeweise zu übernehmen. Immerhin waren vor knapp 50 Jahren die Kognitivisten innerhalb der Moralphilosophie noch eher in der Minderheit.Welches sind die maßgeblichen philosophischen Argumente, die zu diesem Einstellungswechsel geführt haben?

Die tiefgreifenden philosophischen Wandlungen, die in der letzten Jahrhunderthälfte zum genannten Einstellungswechsel beigetragen haben, sind im großen und ganzen bekannt. Eine andere Frage ist aber, wie bewusst und klar die Zusammenhänge und wie überzeugend die Argumente wirklich sind, die hierbei eine Rolle gespielt haben. Im folgenden, möchte ich den philosophischen Gedankengang nachzeichnen, der die heutige Sichtweise auf die Frage nach der richtigen Deutung des kognitiven Gehaltes moralischer Aussagen geprägt hat und damit die Grundlage der hier zur Diskussion stehenden Debatte bildet. Daran anschließend soll eine inhaltliche Analyse der Hauptargumente erfolgen, die für den Vorrang eines kognitivistischen Verständnisses der Moral vorgebracht wurden bzw. werden.

KAPITEL I. HISTORISCHER RÜCKBLICK: DER ÜBERGANG VON EINER POSITIVISTISCHEN ZU EINER PRAGMATISCH PHÄNOMENOLOGISCHEN WELTSICHT

1.1. The ,Bluring of Boundaries‘ - Die Preisgabe des modernen Projektes einer auf der sinnlichen Erfahrung basierenden Demarkation unseres Wissens

Den ersten Paragraphen seiner berühmten ,Zwei Dogmen des Empirismus‘ beendet Quine mit einer ebenso kühnen, wie folgenreichen Prognose. Bekanntermaßen stellt Quine in diesem Aufsatz zwei entscheidende Grundsätze des Empirismus in Frage: Auf der einen Seite die Unterscheidung zwischen analytischen und synthetischen Aussagen, auf der anderen den Reduktionismus, d. h. die im Empirismus postulierte Reduzierbarkeit bzw. logische Zurückführbarkeit jeder sinnvollen Aussage auf Aussagen über die unmittelbare sinnliche Erfahrung. Nachdem er den Leser deshalb dazu auffordert die gennanten ,Dogmen‘ aufzugeben, fügt er hinzu:[1]

One effect of abandoning them is, as we shall see, a blurring of the supposed boundary between speculative metaphysics and natural science. Another effect is a shift towards pragmatism (W. O. Quine, 1953, S.20)[2]

Trotz seiner eigenen szientistischen Gesinnung ist sich Quine der entscheidenden Bedeutung eines solchen Schrittes bewußt, und er schätzt dessen Wirkung nicht geringer ein, als die eines radikalen Umbruchs im zukünftigen philosophischen Denken. Er plädiert (damit) nicht nur für die Preisgabe des empiristischen Programms, sondern sieht darin zugleich die Auflösung einer der wesentlichen philosophischen Bestrebungen, nämlich des Versuches, eine klare Grenze zwischen dem zu ziehen, was wir als genuine Erkenntnisse über die unabhängige Realität betrachten können und dem was, zunächst sehr generell (grob) gesagt, wir Menschen hinzufügen. Besonders mit der Entwicklung der modernen Erfahrungswissenschaffen nahm diese Idee eines Demarkationsprojekts unseres Wissens eine spezifische Gestalt an, eines Projektes, das in der kantischen Kritik an der spekulativen Metaphysik seinen höhsten Punkt erreicht und in der semantischen Sinn- bzw. Abgrenzungskriterien der Logischen Empiristen seine Fortsetzung findet.

Von der heutigen Perspektive her gesehen, kann man wohl sagen, daß die von Quine verkündeten Grenzverwischungen (,blurring of boundaries’) gemeinsam mit Wittgensteins sprachpragmatischer Wende zu einem der entscheidenden Merkmale der Philosophie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geworden ist. Mit dem Niedergang des Logischen Empirismus - und damit zum grössten Teil auch der von Russell und dem frühen Wittgenstein inspirierten szientistischen Orientierung der analytischen Philosophie - schien das moderne Vertrauen in die Möglichkeit, Kriterien zu finden, um den wissenschaftlichen Diskurs gegenüber anderen, nicht empirisch überprüfbaren Diskursformen kognitiv zu priviligieren, mit unterzugehen. Die Zurückführbarkeit auf sinnliche Erfahrung kann nicht mehr das entscheidendes Kriterium liefern, um zwischen kognitiv berechtigten und nicht berechtigten Diskursen, zwischen Diskursformen, die uns einen zuverlässigen Zugang zu den wirklichen/echten (im Sinne von empirisch überprüfbaren) Tatsachen der Welt garantieren und diejenigen, die dies nicht beanspruchen können zu differenzieren.

Auf der epistemischen Ebene läßt sich die Aufgabe des Versuches einer Formulierung eines Abgrenzungskriteriums im Logischen Empirismus an dem ablesen, was man als den Übergang von einem ,starken‘ zu einem ,schwachen‘ Verifikationismus charakterisieren kann. Damit ist der Verzicht auf ein ziemlich restriktives Kriterium hinsichtlich derjenigen Aussagen gemeint, die uns eine zuverlässige Feststellung wirklicher Tatsachen erlauben sollten, zugunsten eines permissiveren, pragmatischen Kriteriums.Die Frage nach dem genauen Erkenntnisprozess, der es uns in der Beziehung zu einer von uns unabhängigen Welt jeweils erlaubt, eine Aussage zu verifizieren, wird nun als zweitrangige oder sogar unentscheidbare Frage betrachtet. Als maßgeblich soll nur die Tatsache gelten, daß wir in der Praxis die Fähigkeit haben, in einer bestimmten kulturellen Umgebung gemeinsame sprachliche Kriterien zu erlernen, die es uns zunächst in unproblematischen Fällen erlauben, eine Entscheidung über die Richtigkeit bzw. Wahrheit einer Aussage zu fällen. Während die Logischen Empiristen mit ihrem strengen Verifikationismus unsere Auffassung der faktischen Welt von allen nicht auf die Erfahrung zurückführbaren Aussagen zu entvölkern trachteten, hat nun diese schwache Version eines Verifikationismus gerade den gegenteiligen Effekt. Verstanden im Sinne von Gebrauchs- oder Rechtfertigungskriterien bewirkt der laxere pragmatische Verifikationismus eine Art von ,Grenzöffnung‘: Der Bereich des Faktischen oder Tatsächlichen öffnet sich nun für all diejenigen Diskurse, die unsere jeweiligen pragmatischen Kriterien erfüllen - was freilich, um in der verwendeten Metaphorik zu bleiben, eine entsprechendeÜberbevölkerungsgefahr mit sich bringt.

Daß dieses Wegfallen klarer Demarkationskriterien, die zwischen kognitiv berechtigten und nicht berechtigten Diskursformen unterscheiden, Folgen für die Frage nach dem kognitiven Charakter moralischer Diskurse haben wird, liegt auf der Hand. Es bildet die entscheidende Grundlage, auf der eine bestimmte Form des moralischen Kognitivismus historisch hervortreten konnte. Demgegenüber bildet die sich heute auf alle möglichen Gebieten immer mehr ausbreitende Debatte zwischen Realisten und Anti-Realisten ein entscheidendes Symptom dafür, daß man das Gespür für wesentliche epistemologische und ontologische Fragen nicht so einfach mit dem pragmatistischen ,Rassiermesser‘zum Verschwinden bringen kann. Allerdings müßte gezeigt werden, welche Kriterien uns unter postempiristischen Bedingungen zur Verfügung stehen, um die Beziehung der Aussagen

unterschiedlicher Diskursbereiche zur Realität zu unterscheiden. Dies ist eine Problem, die natürlich auch die hier vor allem interessierende Frage nach einer realistischen Interpretation moralischen Diskurses unmittelbar betrifft.

Ohne Anspruch auf eine ausführliche historische Untersuchung zu erheben, werde ich die entscheidenden Linien und Ausgangsprobleme kurz skizzieren, die für die oben genannte philosophische Entwicklung innerhalb der analytischen Philosophie maßgeblich waren. Konkret werde ich dafür dem Gedankengang nachgehen, den ich vorhin als den Übergang von einem ,starken‘ zu einem ,schwachen‘ Verifikationismus bezeichnet habe, ein Übergang, der sich im historischen Wechsel vom Einfluß des Logischen Empirimus zu dem von Wittgensteins Spätphilosophie vollzieht.

1.2. Der Übergang von einem starken zu einem schwachen Verifikationismus

Wie sieht nun jener Prozess genauer aus, der in der gegenwärtigen Philosophie dazu führte, das Demarkationsprojekt des logischen Empirismus zugunsten jener neuen Perspektive aufzugeben, aus der die Möglichkeit problematisiert wird, die Beziehung unserer Aussagen zu einer unabhängigen Realität überhaupt bestimmten zu können; und der zumindest den Anstoß zu philosophischen Positionen gab, die dies eine Art Ohnmacht oder ,Endzustand‘ der Philosophie deuten, weshalb heute solche Positionen auch als ,Quietismus‘ bezeichnet werden.

Um der ontologischen Angleichung entgegenzuwirken, die aus der epistemologischen Kriterienlosigkeit und der Akzentverschiebung unter dem Einfluß Pragmatismus hervorgeht, stellen sich heute, sei es in der Moral, der Ästhetik, der Mathematik oder der Physik, erneut dringliche epistemologische und ontologische Fragen nach der Möglichkeit von Erkenntnis, der Objektivität und dem Realitätbezug unserer Überzeugungen bzw. der Existenz entsprechenden Eigenschaften der Welt. Allerdings läßt sich m. E. die heute wieder aufgenommene Frage nach Entscheidungskriterien für oder gegen kognitivistische und/oder realistische Interpretationen eines jeglichen Diskurses nur in der ernsthaften Auseinandersetzung mit jenen Motiven, die zur Aufgabe des letzten anspruchvolles Versuches einer Unterscheidung unserer Diskurse im diesem Hinsicht führten, in adäquater Weise angehen.

1.2.1.Der starke Verifikationismus des Logischen Empirismus

Unter die Rubrick ,Logischer Empirismus‘ sind philosophische Positionen und entsprechende Fragestellungen zu rechenen, deren ausführliche Behandlung selbstverständlich den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Dazu käme auch die Entwicklung, die jede dieser Positionen unter dem Einfluß ständiger Kritik im Laufe der Zeit durchgemacht hat. Dies sind Aspekte, die den Versuch, sie als einheitliche,philosophische Bewegung’ zu charakterisieren, oft als unbefriedigend erscheinen lassen. Ich möchte mich hier allerdings weder mit den spezifischen Merkmalen und Besonderheiten der verschiedenen Autoren beschäftigen, noch kann ich eine erschöpfende Charakterisierung dieser philosophischen Bewegung‘ bieten. Vielmehr möchte ich in einer eher schematischen Annährung diejenigen Aspekte hervorheben, die mir für die hier in Frage stehende Problematik als wesentlich erscheinen. Dazu zählt vor allem die aus den Verifikations-und Sinnkriterien des Logischen Empirismus folgende Auffassung von Tatsachen und ihre Schwierigkeiten.

Auf den ersten Blick beschäftigten sich die Logischen Empiristen nicht direkt mit ontologischen Fragen. Vielmehr ging es bei der Aufstellung ihres Verifikationskriteriums um zunächst rein semantische odersyntaktische bzw.die logische Form betreffende Fragen. Durch dieses Kriterium wurde jedoch zugleich auch in einer mehr oder minder eindeutigen Weise festgelegt was überhaupt zur Welt der Tatsachen gehören soll. In diesem Sinne folgt aus dem Verifikationskriterium eine Antwort auf die Frage danach , was es gibt, und zwar eine ziemlich restriktive Antwort. Von der andere Seite her betrachtet wurde damit die kantische Kritik an der Metaphysik insofern radikalisiert, als nicht nur ihre Erkenntnisansprüche und die dazugehörigen Objektbereiche in Frage gestellt wurden, sondern darüber hinaus auch die Sinnhaftigkeit bzw.die Semantik des metaphysischen Diskurses selbst.

Die Auffassung der logischen Empiristen bezüglich dessen, was eine Tatsache ist, entsprach letzen Endes der aus Wittgensteins Tractatus stammenden Idee, nach der eine Tatsache nichts anderes ist als das, was der Inhalt einer wahren Aussage zum Ausdruck bringt. Nach dem Verifikationskriterium gibt es nur zwei Arten und Weisen, durch die eine Aussage wahr sein kann. Entweder ist sie analytisch wahr oder sie läßt sich auf die Sinneserfahrung zurückführen. Aus einer epistemischen Perspektive betrachtet bringen analytische Aussagen keinen zu verifizierenden Gehalt zum Ausdruck. Es handelt sich vielmehr um Tautologien, die auf Grund ihrer logischen Form oder linguistischer Konventionen notwendig wahr sind. Daraus folgerten die Logischen Empiristen, daß die einzigen tatsachenfestellenden Aussagen diejenige sein können, die in der Sinneserfahrung ihre Fundierung finden. Dies läßt sich schematisch wie folgt zusammenfassen:

- Eine Tatsache ist das, was der (epistemisch relevante) Inhalt einer wahren Aussage zum Ausdruck bringt.
- Analytische Aussagen sind dank ihrer logisch-syntaktischen Form wahr, aber epistemisch betrachtet, drücken sie keinen verifizierbaren Gehalt aus.
- Nur diejenige Aussagen, die sich direkt oder indirekt auf Sinneserfahrungen stützen können, besitzen einen epistemisch verifizierbaren Gehalt
- Die einzigen Tatsachen, die es überhaupt gibt, sind diejenigen, die auf der Basis von Sinneserfahrungen verifiziert (bzw. verifizierbar) sind.

Sicherlich sind die Logischen Empiristen nicht unbedingt als Realisten verstanden worden, und sie selbst beanspruchten auch gar nicht, durch ihre Bestimmung des Faktischen die Existenz von ,ready mades‘ bzw. von jeglicher menschlichen Auffassungen unabhängige Entitäten zu postulieren. Der

Rückgriff auf die Sinneserfahrung sollte jedoch die Verankerung unserer Aussagen in der Welt garantieren. Daraus folgte dann, nach dem die Aussagen der Metaphysik und alle nicht auf die Erfahrung zurückführbaren Aussagen, (darunter auch evaluative Aussagen) ausgeschlossen waren, ein ontologisches Bild, welches allerdings ein ziemlich karges war. Wenn aber erstmal die Möglichkeit in Frage gestellt worden ist, diese ,rein synthetische Erkenntnis‘ (die auf zuverlässige Weise induktiv aus der Erfahrung gewonnen bzw. ihr gegenüber überprüfbar sei) von unseren restlichen theoretischen Überzeugungen abzutrennen, fallen die ,Barrieren‘ dieses durch unsere Sinneseindrücke vermeintlich gut fundierten Weltbildes, was unmittelbar zur Folge hat, daß die vorher ausgegrenzten Diskursbereiche, wie z. B. die spekulative Metaphysik, mit demselben Recht beanspruchen könnten, uns darüber zu unterrichten, wie die Tatsachen in der Welt liegen - wie sich jedenfalls ohne größere Schwierigkeiten behaupten ließe.

Die Weltauffassung des Logischen Empirismus geriet bekanntermaßen durch eine Vielzahl an sowohl interenen als auch externen Schwierigkeiten in die Krise. Es ist also sinnvoll, solche Probleme nicht aus den Augenzu verlieren, will man die nachfolgenden Entwicklungen, die zu den neueren Auffassungen der Beziehung Sprache-Welt führten, in ihrer problemlössungsorientierten Motivation verstehen. Diese neuen Positionen, sogar diejenigen, die den Geist des Empirismus im wesentlichen treue bleiben, stellen nämlich unter anderem unterschiedliche Versuche dar, diesen Schwierigkeiten zu entgehen. Welches waren nun im einzelnen die Probleme, unter denen das moderne empiristische Projekt zusammenbrach? Es lassen sich zumindest die folgenden fünf nennen:

a) Ein ziemlich unvorteilhaftes Ergebnis dieser Position war, daß ein großer Teil unserer sprachlichen Praxis als gehaltlos bzw. sinnlos eingestuft werden müßte. Das Verifikationskriterium war, wie gesagt, im Grunde ein Sinnkriterium, nach dem der Sinn einer Aussage in der Methode ihrer Verifikation bestehen sollte. Und verifizieren müsse man auf der Basis der sinnlichen Erfahrung. Dies hatte nicht nur zur Folge, daß es keine anderen sinnvollen Aussagen geben könnte, als solche, die auf sinnnliche Erfahrung reduzierbar sind, sondern - was noch schwieriger zu verdauen war - daß diejenigen Aussagen, die sich nicht auf eine solche Weise verifizieren ließen, einfach als kognitiv gehaltlos bzw.sinnlos charakterisiert werden müßten. (Worauf selbstverständlich die Kritiker bald mit dem Gegenvorwurf reagierten, daß dann das Verifikationskriterium seinen eigenen Maßtäben nach selbst sinnlos wäre)

b) Keine Formulierung des Kriteriums schien dazu geeignet, den beanspruchten Zwecken zu genügen. Die Empiristen, wie etwa Alfred Ayer, bemühten sich wieder und wieder ohne Erfolg darum, das Verifikationskriterium adäquat zu reformulieren, so daß zumindest die theoretischen Aussagen der Naturwissenschaften nicht ausgeschlossen werden müßten. Das Problem, auf der einen Seite nicht zu restriktiv zu sein, auf der andern nicht alle möglichen zufälligen Aussagen zuzulassen, schien durch solche Reformulierungs-und Abschwächungsversuche einfach nicht unter Kontrolle zu bekommen.

Die Schwierigkeiten, das reduktionistische Programm im Detail zu explizieren, wurden bei den verschiedenen Versionen dieses Programms deutlich. Es schien in der Praxis nicht so einfach, zu zeigen, wie die empirischen Aussagen der Wissenschaften auf Sinnesdaten oder andere epistemische Basiseinheiten zurückführbar sein sollten. Auch die Rekonstruktion der alltäglichen Gegenstände aus solchen Grundbestandteilen wirkte nicht besonders überzeugend. Dies führte dazu, daß schließlich auch Logischen Empiristen, wie Carnap, alltägliche Gegenstände als Basiseinheiten anerkannten.

d) Dazu kam noch der vermeintlich private Charakter, den solche Sinnesdaten haben sollten. DieserAspekt wurde t von Wittgensteins Kritik an der Möglichkeit einerPrivatsprache einer einflußreichen Kritik unterworfen: Unsere Begriffe können nicht so verstanden werden, daß sie auf irgendwelche privaten Sinnesdaten beziehen, da wir sonst nicht auschließen könnten, daß jeder etwas anderes in seinem ,privaten Schädel‘ haben könnte und unser ganzes, vermeintlich geteiltes Wisseneigentlich auf einer subjektiven Basis aufruhte, was dem Solipsismus sehr nahe käme.

e) Einen grundsätzlichen Schlag bildete zweifelslos die erwähnte Kritik Quines an den zwei Dogmen des Empirismus. Die Infragestellung der für die den Logischen Empirismus zentralen Unterscheidung zwischen analytischen und syntetischen Aussagen bringt zugleich den theoretischen Beitrag zur Geltung, der unseren Beobachtungsaussagen prägt, sowie die Unmöglichkeit, unsere Aussagen in isolierter Form zu verifizieren. Diese sind nach Quine vielmehr als Teil eines komplexen Netzes von Aussagen zu verstehen, von dem ihre Bedeutung und ihre Verifikationsbedingungen abhängen. Diese Auffassung fließt schließlich auch in Quines eigene Theorie ein, nach der verschiedene gleichberechtigte bzw. empirisch äquivalente Interpretationen (Theorien) auf der Basis eines sensorischen Inputs möglich sind, womit die Ansprüche des Reduktionismus ein für alle Mal abgewiesen werden.

All die geannten Schwierigkeiten bewirkten insgesamt eine langsame Abschwächung des empiristischen Einflußes, was schließlich unter anderem zur sogeannten pragmatischen Wende‘ in der Philosophie führte.

1.2.2. Ein schwacher Verifikationismus Wittgensteinscher Prägung

Für den Logischen Empiristen bildete das Verifikationskriterium ein semantisches Kriterium. Durch Wittgensteins Kritik an der Möglichkeit einer privaten Sprache wurde nun aber zugleich auch ein neues Verständnis von Bedeutung etabliert. Schließlich sollte diese zeigen, daß Bedeutung nicht auf etwas beruhen kann, worauf wir nur einen privaten Zugriff haben, seien es ,unsere‘ Sinnesdaten oder etwas anderes. Die Bedeutung unserer Termini soll sich, wie aus den Philosophischen Untersuchungen hervorgeht, vielmehr vor allem ihrem Gebrauch im öffentlichen Raum unserer gemeinsamen Praxis entsprechen. Wir erlernen den richtigen Gebrauch sprachlicher Ausdrücke im Zusammenhang mit bestimmten Lebenssituationen; wir werden in deren Anwendung eingeübt, indem wir anhand von Beispielen Kriterien der richtigen/falschen Gebrauchs zu beherrschen lernen; und wir verstehen ihre Bedeutung, wenn wir wissen, in welchen Situationen z. B. entsprechende Behauptungen gerechtfertigt wären. Aus dieser Perspektive zeigt sich sprachliche Bedeutung als ein soziales, von unseren praktischen Interessen abhängiges Phänomen. Es handelt sich primär nicht um Repräsentationen der Welt, sondern um Gebrauchsmodi mit einer bestimmten Orientierungsfunktion innerhalb bestimmter Lebenssituationen.

Im Grunde genommen wird auch in Wittgensteins Spätphilosophie die Einsicht beibehalten, daß die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke im Sinne ihrer Verifikationsmethode zu verstehen ist. Allerdings wird Verifikation‘ nun in einem viel großzügigeren Sinne verstanden, etwa als ,nach unseren Gebrauchskriterien gerechtfertigt Die wittgensteinschen Überlegungen zum Spracherwerb verweisen auf die enge Verwandschaft zwischen Gebrauchskriterien und Verifikationskriterien der Bedeutung. Dies wurde insbesonderedurch Dummetts semantisches Argument deutlich: Gerade weil wir beim Spracherwerb darin eingeübt werden, die Erfüllungsbedingungen unserer Ausdrücke zu erkennen bzw. zu beherschen, könnten wir bei ihrer Anwendung auf neue Fälle sagen, ob die entsprechenden Behauptungen richtig sind oder nicht. Wären die Bedingungen, die unsere Behauptungen wahr machen, gegenüber unseren Erkenntnismöglichkeiten transzendent, könnten wir eigentlich nie wissen, ob wir unsere Ausdrücke richtig verwenden. So viel scheint bis zu einem gewissen Punkt ein Gemeinplatz zu sein. Tatsächlich scheint es ja so zu sein, daß wir üblicherweise diejenigen Aussagen für wahr, die, nach dem Urteil kompetenter Sprecher, unter den erforderlichen Bedingungen als gerechtfertigt beurteilt werden, und dies gilt inähnlicher Weise für alle Diskursbereiche. Was wir dabei sagen, ist, das die Tatsachen so sind, wie unsere Aussagen sagen. Diese ,Einsichten‘werden heutzutage von vielen Autoren als geteilte und aus einem pragmatisch regelgeleiteten Verständnis unseres Sprachgebrauchs von selbst folgende Bedingungen anerkannt. Ob das, was wir jeweils als die Erfüllung unseren Aussagen erkennen, sich der tatsächlichen Existenz bestimmter Eigenschaften der Realität verdankt oder nicht, ob Aussagen auch von der Realität bewahrheitet werden können, ohne der Bestätigung aus einermenschlichen Perspektive zu bedürfen, ist eine andere Frage. Auf dieser Ebene verzweigen sich die Positionen, wenn auch vor einem gemeinsamen Hintergrund ausgehend, gemäß den jeweiligen Diskursbereichen dann wieder in realistische und anti-realistische.

Damit ist allerdings ein neues Verständnis von ,Verifikation‘ eingeführt worden, das, verglichen mit dem starken Verifikationismus der Empiristen, eine sehr unterschiedliche Auffassung der faktischen Welt zur Folge hat. Wir können die Hauptannahmen dieses schwachen Verifikationismus in folgender Weise zusammenfassen:

- Wir lernen die Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken in unterschiedlichen praktischen Situationen nach Kriterien des richtigen Gebrauchs. Diese bestimmen im konkreten Fall unter anderem auch unsere Kenntnis der Wahrheitsbedingungen von entsprechenden Aussagen.
- Jede Aussage, egal welchem Diskursbereich sie angehören mag, ist wahrheitsfähig, sobald es spezifische Kriterien gibt, die ihren korrekten Gebrauch bestimmen und die es uns erlauben, über ihre Wahrheit zu entscheiden.
- Tatsachen sind das, was wahre Aussagen zum Ausdruck bringen.
- Daraus folgt, daß in allen Diskursbereichen, für die es entsprechende Korrektheitsstandards gibt, egal ob es sich um Mathematik, Physik, Moral, Äesthetik, Soziologie usw. handelt, wir von Tatsachen reden können, nämlich dann, wenn nach den genannten Standards ihre Aussagen gerechtfertigt bzw. wahr sind.

Es ist (nämlich) nicht nur so, daß jede mögliche Aussage, die nach unseren Gebrauchskriterien gerechtfertigt ist, Bedeutung hätte, sondern darüber hinaus auch so, daß das, was diejenigen Aussagen ausdrücken, die wir nach solchen Kriterien für verifiziert halten, zugleich den Status von Tatsachen bekäme. Von dieser Perspektive aus ist der Unterschied zwischen den beiden Auffassungen hinsichtlich dessen, was die faktischen Welt ausmacht, gewaltig. Die Idee der Zurückfuhrbarkeit auf ein nacktes, sprachunabhängig empirisch Gegebenes wird durch eine nun eher verständnisorientierte Idee dessen ersetzt, was wir in einer uns vertrauten Lebenswelt als richtige Erfüllungssituationen von gemeinsamen normativen Sprachkriterien anerkennen. Erlernen wir das moralische Vokabular, also z.B. dichte Begriffe wie ,großzügig‘, ,keusch‘, ,gemein‘, usw. auch anhand gemeinsamer sprachlicher Kriterien, die uns in deren richtiger Anwendung orientieren, und sind solche Kriterien mitunterauch erfüllt, folgt die Rede von moralischen Tatsachen dann scheinbar zwingend. Dasselbe gilt für alle anderen Diskursbereiche. Die Naturwissenschaften verfügten damit offenbarüber keine Sonderkriterien, um gleichsam eine ,genuinere Faktizität‘ für ihre eigenen Aussagen zu beanspruchen und hätten also auch keine Rechtfertigung mehr, anderen Diskursbereichen die Faktizität absprechen zu wollen. Ist keine stärkere Art von Verifikation nachweisbar, die diejenigen Aussagen, die die Naturwissenschaften formulieren ausdrücklich gegenüber anderen wahrheitsfähigen Aussagen privilegiert, muß dieses Resultat eingeräumt werden.

Hieraus folgt ein entsprechend komplexes Weltbild, in dem allem, worüber wir wahrhaftig reden können, in gleicher Weise die Möglichkeit der Existenz zukommt. Dazu gehören sowohl physikalische, biologische oder psychologische Tatsachen, als auch das ganze Repertoir an sozialen Tatsachen (wie bezüglich Geld, Rathäusern, positiven Rechten, Generalsekretären usw.), abstrakten Tatsachen (wie bezüglich Zahlen , Liebe, rationale Notwendigkeit usw.), evaluativen Tatsachen (wie moralischen oder ästhetischen) und anderen. Alles was man nun als zugehörig zu dem was auch als ,phänomenologisches Bild der Welt‘ charakterisieren wird. Damit scheint aber alles in der Welt in undifferenzierter Weise den selben Rang zu bekommen. Egal ob wir über Bakterien, Großzügigkeit, Macht, Quarks, Traurigkeit, Interessen oder das Ich reden, über alle diese Dinge stellen wir Behauptungen auf, und beanspruchen nach bestehenden Kriterien, daß sie wahr sind. Damit käme keinem dieser Bereiche hinsichtlich der in ihnen als möglich vorausgesetzten Tatsachen eine ontologische Sonderstellung zu.

Diese Sicht der Dinge, die zunächst mit dem Versuch entsteht, der von den Empiristen vorgeschlagenen Reduzierung der Tatsachen auf sinnlice ,Gegebenes‘ zu entgehen, gibt, sozusagen kompensatorisch, den Anstoß zur gegenwärtige Debatte zwischen Realisten und Anti-Realisten und sorgt für ihre Ausbreitung auf alle möglichen Diskursbereiche: Letzten Endes geht es auch hier um Fragen der Demarkation, nämlich darum, inwiefern hinter der linguistischen Homogenität assertorischer Diskurse und der in ihnen postulierten Tatsachen nicht doch wesentliche metaphysische Differenzen stecken.

Exkurs

Bevor wir die Konsequenzen dieser Änderung unseres Weltbildes genauer untersuchen, ist ein möglicher Einwand gegen die dargebotene Rekonstruktion zu berücksichtigen. Man könnte eventuell meinen, daß die angebotene Sichtweise über die Existenz wichtiger Alternativen, die zwischen beiden prima facie epistemischen Auffassungen von Wahrheit als Verifikation bestehen mögen, einfach hinwegsieht. Immerhin sei ja einer der wichtigsten Kämpfe des Realismus der gegen die Identifizierung von Wahrheit mit Rechtfertigung bzw. gerechtfertigter Behauptbarkeit. Dies ist sicherlich richtig. Dennoch gilt es zu beachten, daß mittlerweile sogar von vielen derjenigen Autoren, die einen realistischen Standpunkt vertreten, eingeräumt wird, daß es die erlernte Bedeutungskriterien zusammen mit den sie erfüllenden Umständen sind, die entscheidend dafür sind, ob eine von uns behauptete Aussage wahr ist oder nicht. Der Realist kann ohne Schwierigkeiten akzeptieren, daß wir mit der mit einer wahren Behauptung eine Tatsache zum Ausdruck bringen. Allerdings würde er dem wohl nur unter dem Vorbehalt zustimmen, daß wir immer irren können, also unsere Gründe dafür, die Aussage für wahr zu halten, nie verhindern, daß sie gleichwohl falsch sein könnte. Dieser fallibilistische Vorbehalt ist übrigens unabhängig davon, von welchem Diskursbereich die Rede ist; man findet ihn jedenfalls sowohl bezüglich naturwissenschaftlicher, als auch bezüglich moralischer Aussagen. Damit ist also auf keinen Fall unser Recht bestritten, Sätze im Rahmen eines jeden Diskurses mit einem Wahrheitsanspruch zu äußern und das Behauptete dementsprechend vorbehaltlich des Irrtums für eine Tatsache zu halten. So viel zumindest kann als unstrittig gelten.

Dies entspricht auch dem Vorschlag Crispin Wrights in Truth and Objectivity. Es ist nämlich eine der grundlegenden Ideen von Wrights Buch, daß diese, jeder Form von Diskurs gemeinsamen, Aspekte des assertorischen Sprachgebrauchs - Aspekte, die einfach aus dem Zusammenhang zwischen Bedeutungskriterien und jenen Kriterien folgen, welche die Behauptung einer Aussage als wahr bestimmen - von der metaphysischen Frage des Realismus oder Anti-Realismus hinsichtlich eines bestimmten Diskurses unabhängig sind. Die Frage des Realismus sollte nach Wright nicht im Bereich semantischer Kriterien entschieden, sondern auf ihr ursprüngliches, metaphysisches Terrain zurückgeführt werden. Demgegenüber gehöre die Frage der Wahrheitsfähigkeit eines Diskurses auf die Ebene semantischer und pragmatischer Aspekte.

Um diesen Einsichten gerecht zu werden, hält Wright eine Reformulierung der Rahmenbedingungen der Debatte zwischen Realisten und Anti-Realisten für erforderlich. Dabei soll einerseits (1.) die Neutralität der semantisch bedingten Aspekte des wahrheitsfähigen Gebrauchs der Sätze eines Diskursbereichs eingeräumt werden (was keine Verpflichtung zum Anti-Realismus impliziert), andererseits aber auch (2.) die Anerkennung entsprechender kognitivistischer Aspekte für alle Diskursgebiete garantiert werden, in denen ein behauptender Gebrauch stattfindet (was wiederum keine Verpflichtung zum Realismus impliziert).

Mit dieser Reformulierung der maßgebliche Voraussetzungen der Realismus-Anti-Realismus- Debatte distanziert sich Wright gleichzeitig von der Diskussion zwischen Intuitionisten und Expressivisten in den 30 Jahren, als auch von ihrer jüngsten Rekonstruktion durch Michael Dummett Demgegenüber bietet Wright, dem oben erwähnte Grundsatz (2.) entsprechend, eine entscheidende Redefinition der anti-realistischen Position für den moralischen Diskurs an: Der heutigen Anti-Realist kann nach Wright unproblematischerweise zugestehen, daß sowohl die Funktion als auch die Struktur moralischer Aussagen der eines genuinen assertorischen Satzes entspricht, ohne damit bereits zum Realismus konvertieren zu müssen.

Gegenüber Dummetts Darstellung der Diskussion schlägt Wright also eine Verlagerung des Schwerpunktes der Debatte auf metaphysische Fragestellungen vor. Während Dummetts Argumentation gegen die Realisten von semantischen Prämissen ausgeht -nämlich der Entsprechung von semantischen Erfüllungsbedingungen und Wahrheitsbedingungen- will Wright, dem oben erwähnten Grundsatz (1.) entsprechend, zeigen, daß diese semantischen Prämissen die Debatte nichts metaphysisches entscheiden können. Sie buchstabierten nämlich lediglich die grundlegenden Implikationen aus, die aus der Akzeptanz eines spät-wittgensteinschen Verständnis von Sprachgebrauch resultieren und können daher auch von Realisten gutgeheißen werden, die dieses Verständnis teilen. Die Idee von Wahrheit als der Erfüllung von Kriterien richtigen Sprachgebrauchs ist, rein formal verstanden, gegenüber metaphysischen Interpretationen neutral und gilt darüberhinaus für alle Bereichen des Diskurses in gleichr Weise.

Wright versucht nun diesen gemeinsamen Kern von möglichen Verständnissen des Wahrheitsbegriffs, d. h. die wesentliche oder "minimale" Idee der Wahrheit , die alle Diskurse und Positionen unstrittigerweise teilen, von möglichen metaphysischen Assoziationen abzulösen. So bietet er eine allgemeine Charakterisierung der Hauptintuitionen an, die eine solche schematischen Idee von Wahrheit kennzeichnen. Diese Charakterisierung bezeichnet Wright als ein ,Mimalismus der Wahrheit‘. Gerade weil allen Diskursbereichen gemeinsam ist, daß wir ihre Aussagen behaupten und für wahr halten können, ist unsere Hauptintuition einfach die, daß eine Aussage zu behaupten (in welchem Diskurs auch immer) heiße, diese für wahr zu halten. Eine Intuition, die sich nach Wright im sogenannten ,zitattilgenden‘ (deflationistischen) Schema ,”p”ist wahr gdw. p‘ ausdrückt. Im Unterschied zum Deflationismus will Wright die Idee von Wahrheit, die damit gemeint ist, als eine substantielle Eigenschaft einer Aussage verstanden wissen. Es handele sich um mehr, als ein theoretisch verzichtbare bzw. redundante Form der Billigung von Behauptungen. Weiterhin sei diese Idee von Wahrheit auch nicht mit gerechtfertigter Behauptbarkeit zu identifizieren.. Wenn wir einer Aussage Wahrheit zuschreiben, meinen wir auch, daß sie sich erstens nicht als falsch herausstellen wird, d. h. daß Wahrheit einen zeitenthobenen Charakter hat; und zweitens, daß wenn etwas nicht wahr ist, es dann falsch ist, Wahrheit also keine graduelle Sache ist, sondern einen absoluten Charakter hat. Unsere Rechtfertigungen dagegen erweisen zeigen sich im Laufe der Zeit oft als scheinbare. Wenn eine Aussage nicht gerechtfertigt Aussage ist , impliziert dies jedoch nicht, daß ihre Negation gerechtfertigt ist, d. h. es handelt sich beim epistemischen Begriff der Rechtfertigung nicht um einen bivalenten Begriff. Diese Intuitionen bezüglich der Absolutheit und zeitliche Stabilität der Wahrheit sollen auch als Hauptcharakteristika einer ,minimalen‘ Auffassung von Wahrheit berücksichtigt werden. In dieser werden also, wie man nun sieht, sowohl typisch anti-realististische Intuitionen als auch typisch als realistische Intuitionen aufgenommen. Hierzu gehört auch die Intuition der Korrespondenz, gemäß der wir mit der Wahrheit einer Aussage sicherlich auch meinen, es gebe etwas, das sie wahr macht. Diese Idee der Korrespondenz ist nach Wright unproblematisch, solange man auch sie in einem rein formalen Sinne versteht, d. h. der metaphysische Status dessen, was eine Aussage jeweils wahr macht, erstmal unentschieden bleibt. Erst ab diesem Punkt könne die Debatte um den Realismus sinnvollerweise eigentlich erst beginnen. Wir müßten uns dann fragen, wann eine realistische Interpretation der entsprechenden Tatsachen wirklich angebracht wäre und wann nicht.

Zusammengefaßt, läßt sich sagen, daß Wright eine formal ausgearbeitete Rekonstruktion dessen anbietet, was oben unter den Stichwort pragmatischer Verifikationismus‘ vorgestellt wurde. Diese soll deutlich machen, daß der damit implizierte Wahrheitsbegriff keine ontologische Festlegung erlaubt. Es handelt sich hierbei nach Wright um allgemeine formale Bedingungen des Gebrauchs unserer Sprache und diese gelten grundsätzlich für alle möglichen Diskurse in gleicher Weise. Die Einsicht, daß wir in den verschiedensten Formen des Diskursen Aussagen behaupten und sie angesichts herrschender Sprachkriterien und bestehender Bedingungen für wahr halten, ist demnach ontologisch neutral und könnte natürlich problemlos auch von einem Realisten akzeptiert werden. Damit wären die am Anfang dieses Exkurses angesprochenen Vorbehalte ausgeräumt .

Diese Darstellung Wrights läßt sich durch den Umstand bekräftigen, daß nicht nur Anti-Realisten sondern auch in der Tat viele Vertreter des Realismus gerade aus den wittgensteinschen Argumenten über Regelfolgen Honig für einen moralischen Realismus saugen wollen. Ein geradezu prototypischer Vertreter dieser Sichtweise ist, wie wir sehen werden, John McDowell, der gerade in der Existenz gemeinsamer Sprachkriterien, die uns bei der Feststellung der Richtigkeit moralischer Urteile orientieren, eines der Hauptargumente für den Kognitivismus und die Wahrheitsfähigkeit moralisches Diskurses sieht. Dies führt ihn aber nicht zu einer epistemischen Auffassung von Wahrheit und ließe sich darüber hinaus durchaus mit einem Realismus kombinieren .

Auch Hilary Putnam, hat auf den Einfluß hingewissen, den Wittgensteins Ideen und Dummetts Bekräftigung der daraus folgenden starken Verbindung zwischen Bedeutungs- und Wahreitskriterien auf die Entwicklung seiner eigene Position hatte. Dies führte bei Putnam schließlich so weit, daß er daraus die Konsequenz zog, eine epistemische Auffassung von Wahrheit zu vertreten, wenn gleich mit der Einschränkung, eine Identifizierung von Wahrheit mit gerechtfertigter Behauptbarkeit zu vermeiden. Damit vertrat Putnam eine Position, die der von Wright in mancher Hinsicht nahe steht, die er aber dennoch als eine realistische versteht.

*

Dieser Exkurs sollte darauf hinweisen, und darauf wollte ich hinaus, inwieweit die oben schematisch charakterisierten Einsichten, die Wrights Position beschreibt, eine breite Akzeptanz innerhalb der heutigen Diskussion genießen. Die erwähnten Beispiele von John McDowell oder Hilary Putnam zeigen, daß sie auch zwischen Realisten wittgensteinianischer Prägung Zustimmung finden. Das aus der beschriebenen Entwicklung folgende pragmatische Bild unserer sprachlichen Beziehungen zur Welt führte zu einem homogenen Verständnis der unterschiedlichen Diskursbereiche. Zwischen ihnen sei, mangels entsprechender Kriterien, keine metaphysisch basierte Differenzierung möglich. Wir können uns ja auf nicht berufen, was jenseits unserer diskursiven Praktiken liegt . Die Lehre aus den Schwierigkeiten des empiristischen Versuches sollte gerade sein, daß es, um es mit Sellars auszudrücken, ein ,Mythos‘ ist, zu denken, wir hätten eine gleichsam ,nakte‘ Verbindung zur Welt, einen direkten Zugang zum ,Gegebenen‘ und insofern wäre der Anspruch, eine Differenzierung unserer Diskurse auf einer solchen Basis aufzubauen, vollkommen unmöglich.

Diesem Vorschlag kann man natürlich mit unterschiedlichen Einstellungen begegenen: Man könnte der Meinung sein, daraus folge (a), daß die Debatte zwischen Realisten und Anti-Realisten und die etwas breiter aufgefasste Idee eines metaphysischen Demarkationsprojekts, welches zwischen verschiedenen Diskursweisen hinsichtlich deren Beziehung zur Realität zu differenziert, aufgegeben werden muß. Wir können diese Einstellung als ,quietistische Einstellung‘ charakterisieren. Eine weitere Möglichkeit wäre (b), daß trotz der Unmöglichkeit, einen solchen außersprachlichen Blickpunktes zu erreichen, ein solches metaphysisches Demarkationsprojekt möglich wäre und zwar indem man sprachinterne Differenzierungskriterien findet. Im Kontrast zu der vorigen Position können wir diese Einstellung die ,innere differenzierende Einstellung‘ nennen. Darüberhinaus läßt sich immer noch die Hauptannahme bestreiten, und damit eine dritte Position (c) verteidigen, welche die Möglichkeit einer Transzendierung unserer sprachlichen Praktiken verteidigt. Diese würde sich dann als ,äußere differenzierende Einstellung‘ charakterisieren lassen.

Zu (a) Quietistische Einstellungen. Hier sind drei mögliche Varianten denkbar, die man auch tatsächlich in der gegenwärtigen Debatte findet, nämlich:

a.1.) Agnostische Interpretation: Wir können nicht wissen, wieviel von unseren

Interpretationen und Auffassungen der Welt entspricht wie diese an sich selbst ist. Deswegen sollen wir uns damit zufrieden geben, von einer Welt ontologisch neutraler oder pragmatisch verstandener

Tatsachen zu reden. In dieser Hinsicht gibt es keinen Unterschied zwischen den unterschiedlichen Diskursbereichen.

a.2.) Globale realistische Interpretation: Die wirkliche Welt, also was wir "Realität” nennen, ist genau das, worüber wir sprechen. Es gibt nämlich keinen anderen Sinn, den wir der Idee einer Realität geben könnten. Einer so verstandenen realen Welt gehören alle uns zugänglichen Tatsachen an, also moralische, soziale, ästhetische, mathematische usw. und sie alle sind in gleicher Weise wirklich. Für sie alle gebe es eine realistische Interpretation. Zu dieser Position gehört die epistemologische Voraussetzung, wonach zwischen der Sprache und dem wovon sie handelt, keine Lücke gibt, keine vermittelnden Instanzen und kein Außerhalb. Die Welt wird durch unsere Begriffe erst konstituiert. Es gibt nicht so etwas wie eine vorbegriffliche Vorstellung der Welt, auf die wir dann unsere Begriffe anwenden. Damit werden die Tatsachen bzw. Wahrheiten in allen Diskursgebieten in einem ontologischen Sinne verstanden.

(Diese Position würde charakteristischerweise einem Realismus wie dem von John McDowell entsprechen).

a. 3) Globale konstruktivistische Interpretation: Unsere Behauptungen über die Realität sind zum größten Teil von unseren Bedürfnissen und Interessen bedingt; dementsprechend sind wir selbst dafür verantwortlich, da wir diejenigen sind, die die Realität mit unseren Begriffen und Kategorien nach eigenem Maß ,erzeugen‘. Epistemologisch gesehen, besteht hier auch keine Lücke zwischen unseren Begriffen und einer äußeren Realität. Die Sprache konstituiert die Realität und zwar nach unseren Bedürfnissen.

Positionen a.2) und a.3) bilden eigentlich zwei Seiten derselben Medaille. Die eine legt Wert darauf, daß es sich um wahre Aussagen handelt die aus einer Auffassung der Wirklichkeit resultiert, wie sie die von unseren jeweiligen Interessen und Werten vermittelt wird. Die andere beharrt darauf, daß es sich um die Realität handelt, weil diese nichts anderes ist, als dasjenige, worüber wir im Rahmen der Bandbreite unserer Begriffe reden können. Im Hinblick auf klassische Verständisse könnte man meinen, daß wir es in beiden Fälle mit einer Form von Idealismus zu tun haben, da es letzten Endes nichts außerhalb unserer Auffassungen oder Einstellungen gibt. Der Unterschied wäre dann lediglich ein terminologischer , und hinge nur davon ab, ob man dies ,Realität‘ nennen will oder nicht. Daher ist es nicht überraschend, daß McDowell sich selbst in der Nähe Hegels verortet, sich gleichzeitig aber auchals Realisten versteht.

(b) Innere differenzierende Einstellung. Hier gibt es zwei unterschiedliche Art und Weisen, diese Idee zu verstehen:

b. 1.) Unterschiedliche Interpretationen der Idee von Wahrheit signalisieren die metaphysischen Differenzen zwischen Diskurse.

[...]


[1] Dieses Kapitel basiert auf einer Untersuchung, die ich über Crispin Wrights Truth and Objectivity als Magister Arbeit in Spanien 1998 eingereicht habe.

[2] Quine(1953) 'Two Dogmas of Empiricism'.

Ende der Leseprobe aus 251 Seiten

Details

Titel
Konsequenzen der post-empiristischen Sprachphilosophie für die metaethische Diskussion
Untertitel
Moralischer Realismus und die Frage nach der Begründung der Moral
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für Philosophie)
Note
(1) Magna Cum Laude
Autor
Jahr
2004
Seiten
251
Katalognummer
V176516
ISBN (eBook)
9783640978533
ISBN (Buch)
9783640978984
Dateigröße
2283 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
konsequenzen, sprachphilosophie, diskussion, moralischer, realismus, frage, begründung, moral, magna, laude
Arbeit zitieren
Olga Ramírez Calle (Autor:in), 2004, Konsequenzen der post-empiristischen Sprachphilosophie für die metaethische Diskussion, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/176516

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