Hugo van der Goes: Der Portinari-Altar (1475/76)


Hausarbeit, 2011

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


1. Einleitung

Im Folgenden befasse ich mich mit Hugo van der Goes’ Portinari-Altar. Zunächst werde ich mich mit dem Leben des Künstlers beschäftigen, bevor ich mich dem Werk widme.

Ich möchte zuerst auf die Hintergründe eingehen, die zur Entstehung des Altares geführt haben, um mich dann dem eigentlichen Werk zuzuwenden. Ich werde das Gesehene beschreiben und das Dargestellte in seinem Inhalt analysieren, bevor ich auf mögliche Auslegungen eingehe.

Als Literatur dienten mir Arndts sehr ausführliche Monographie Van der Goes - Portinari-Altar[1] , welche trotz ihres geringen Umfangs eine Fülle an wertvollen Informationen bietet, Max Friedländers Hugo van der Goes[2] , dass besonders Aufschluss über das Leben des Künstlers gibt, und Joseph van Overbeeks Studien zu dem Werke des Hugo van der Goes[3] , welches einen erschöpfenden Überblick über die Werke des Künstlers verschafft.

2. Hugo van der Goes: Leben

Das genaue Geburtsdatum Hugo van der Goes’ ist nicht bekannt. Die erste sichere Erwähnung ist der 05. Mai 1467 als er seinen Meistertitel in Gent erwirbt. Obwohl sein Name etwas anderes suggeriert, ist er auch in dieser Stadt geboren. Dies geht aus einer offiziellen Urkunde aus Löwen von 1480 hervor, in der es heißt, er sei „gheboren […] van der stad van Ghendt“.[4]

Man kann vom Jahr des Erwerbs des Meistertitels auf das ungefähre Geburtsdatum schließen: Nimmt man die Dauer einer normalen Ausbildung an und dass er vorher nicht noch andernorts tätig war, ist er vermutlich zwischen den Jahren 1440 und 1445 geboren.

Man weiß nicht, wer sein (oder seine) Lehrer sind. Karel van Mander erwähnt in seinen vitae , in denen er einen, wenn auch wenig umfangreichen Text dem Künstler widmet, dass Jan van Eyck sein Lehrer sein soll[5], was jedoch nicht stimmen kann, da letzterer bereits 1441 in Brügge begraben wird.

Auch seine Lehrjahre selbst liegen völlig im Dunkeln. Die Werke van der Goes’ verraten jedoch eine intensive Auseinandersetzung mit mehreren seiner Kollegen und Landsmänner darunter Jan van Eyck, Robert Campin, Rogier van der Weyden und Joos van Wassenhove.[6]

Van der Goes erhält im Laufe seines Lebens viele Aufträge von der Stadt Gent. So wird er zum Beispiel mit der Anfertigung eines Gemäldes anlässlich der Verkündigung eines päpstlichen Sündenerlasses vom August 1467 bis zum August des Folgejahres betraut. Im darauffolgenden Jahr erhält er eine Zahlung für eine Reihe von Gemälden, die die Leidenswerkzeuge Christi darstellen und für einen ähnlichen Anlass an den Stadttoren aufgehängt werden. Für den Zeitraum von 1472/73 sind Zahlungen für anklingende Werke verzeichnet und 1468/69 für den feierlichen Einzug Karls des Kühnen in Auftrag gegebene Flaggen und Figuren, die für die Dekoration der Straßen gedacht sind. Hierbei hat er jedoch eine Reihe von Assistenten, die ihm bei der Anfertigung zur Hand gehen. Im Jahre 1471/72 erhält er Zahlungen für eine größere Flagge mit den Abbildungen von Waffen und Tieren, die er zu Ehren der Anwesenheit Karls des Kühnen anfertigen soll und als Phillip der Gute in Gent aufgebahrt wird, geht im Jahre 1473/74 der Auftrag zur Anfertigung von dreißig Wappen, die das Langhaus der Kirche zieren sollen, ebenfalls an ihn.[7]

Hugo van der Goes verbringt seine aktiv schaffenden Jahre fast ausschließlich in Gent. Er verlässt die Stadt jedoch 1468 mit dem Ziel Brügge. Dort finden zu der Zeit ausschweifende Festivitäten anlässlich der Vermählung Karls des Kühnen mit Margareta von York statt und van der Goes ist einer von vielen Malern, die eiligst ausgeschickt werden, um die lokalen Kunstmaler bei den Dekorationsarbeiten zu unterstützen.[8]

Es könnte sein, dass van der Goes hier den Vertreter der Medici innerhalb Brügges – Tommaso Portinari – kennenlernt, welcher ihm später den Auftrag zur Anfertigung des Portinari-Altars geben soll. Ebenso kann spekuliert werden, dass van der Goes bei den Arbeiten zu dieser Zeit ein Gefühl dafür entwickelt, wortwörtlich im großen Maßstab zu arbeiten, denn die dekorativen Malereien für die Hochzeit verlangen das Arbeiten auf großen Flächen innerhalb kurzer Zeiträume. Van der Goes hat auch im weiteren Verlaufe seines Lebens in und für die Stadt Brügge gearbeitet und eine größere Zahl religiöser Gemälde befindet oder befand sich dort[9].

Er genießt unter seinen Zeitgenossen einen ausgezeichneten Ruf. Albrecht Dürer und van Mander äußern sich beide in ihren schriftlichen Aufzeichnungen ausgesprochen positiv über die gesehenen Werke von der Hand van der Goes’. So überrascht es auch nicht, dass er für das Jahr 1474 und ebenfalls für die zwei darauffolgenden Jahre zum Dekan der Genter Malergilde gewählt wird.[10]

Seine Karriere endet jedoch abrupt im Herbst des Jahres 1475.[11] Ohne dass ein Grund dafür bekannt wäre, entschließt er sich, sein weltliches Leben hinter sich zu lassen und Mönch im Rode Klooster bei Brügge zu werden. In den Jahren vor 1477 ist die Quellenlage über van der Goes’ Leben wenig erschöpfend. Das ändert sich mit dem Eintritt ins Kloster jedoch schlagartig, da einer seiner Mitnovizen, Gaspar Ofhuys, detailreiche Notizen über van der Goes, sein Leben im Kloster und seinen Gesundheitszustand anfertigt. Besagte Notizen können auch Aufschluss über mögliche Gründe für seine jähe Weltflucht geben.[12]

Hugo van der Goes wird ein frater conversus , welche zwar die üblichen religiösen Verpflichtungen wie das Leben innerhalb der Mauern des Konvents in Armut, Gehorsam und Keuschheit haben, aber sonst eher praktische Tätigkeiten aufüben, wozu vor allem die zur Erhaltung des Ordens notwendige Haus- und Feldarbeit gehörte. Man könnte die Mönche also als Diener des Konvents verstehen. Van der Goes nimmt an diesen Tätigkeiten aber wahrscheinlich nicht teil und auch sonst werden ihm bemerkenswerte Sonderrechte durch den Abt, der scheinbar über Kunstverständnis verfügt, eingeräumt. Da van der Goes es zuvor zu Ruhm und Namen innerhalb der Gesellschaft gebracht hat, erlaubt ihm der Prior, weiterhin der Malerei nachzugehen und Ablenkung in den unterschiedlichsten Dingen zu suchen. Es ist verständlich, dass der Abt van der Goes Trieb, weiterzumalen nur unterstützt, denn auf diese Weise erhält das Kloster des Öfteren hohen Besuch. So unter anderem auch durch den Erzherzog und späteren Kaiser Maximilian I., der den Wunsch verspürt, van der Goes’ Gemälde zu sehen. Anlässlich solcher Besuche wird für gewöhnlich das Gästezimmer hergerichtet, in dem auch ausladende Essen stattfinden, und van der Goes wird es nicht nur gestattet, das Zimmer zu betreten, sondern auch, an den Essen teilzunehmen und verständlicherweise sind seine Mitbrüder sehr ungehalten über die Bevorzugung und mangelnde Demut des Künstlers.[13]

Besonders wichtig werden die Notizen Ofhuys’ wenn es um van der Goes Geisteszustand geht. Anscheinend leidet er an einer schweren seelischen Erkrankung, dessen Symptome Ofhuys, der gleichzeitig der Krankenmeister des Klosters ist, mehr als exakt schildert. Demnach wird van der Goes 1481 auf der Rückreise von Köln[14] in Gegenwart seiner Brüder von einer plötzlichen Manie ergriffen. Er jammert, er sei ein Kind der Verdammnis und für alle Ewigkeit verurteilt. Er versucht sogar, sich selbst etwas anzutun und kann nur mühsam von seinen Begleitern abgehalten werden. Wieder in Brüssel nimmt sich Prior Thomas seiner an. In Anlehnung daran, dass Saul, den einst ein ähnliches Leiden befallen hatte, durch die Klänge von Davids Harfe beruhigt werden konnte (Samuel 16, 14-23), ordnet er an, dass in van der Goes’ Gegenwart musiziert wird. Jedoch ohne bemerkenswerten Erfolg.

Auch alle anderen Bemühungen, seine Gedanken zu zerstreuen, sind vergeblich. Van der Goes beklagt weiterhin, dass er ein Kind des Verderbens sei und versucht immer wieder, sich Gewalt anzutun, allerdings niemals anderen.[15]

Ofhuys stellt mehrere Vermutungen an, was den Künstler befallen haben könnte. Die Rede ist sowohl von Besessenheit als auch von einer Form von frenesis magna (Geisteskrankheit). Beide Krankheiten gehen allerdings normalerweise mit Gewalt gegen andere einher. Auch äußere Einflüsse wie zu schweres Essen oder der Genuss zu starken Weines zieht er in Betracht. Er macht sogar den Versuch einer Erklärung, die man heute als schmalen Grad zwischen Genie und Wahnsinn bezeichnen würde. Seiner Meinung nach kann es sein, dass der erhöhte Gebrauch der Fantasie beim Malerhandwerk die Gefäße im Gehirn schädigen könnte. Auf der anderen Seite sehen Ofhuys und die übrigen verstimmten Mitbrüder van der Goes’ die Erkrankung lieber in einer religiösen Ursache begründet und bezeichnen seinen Zustand als die gerechte Strafe Gottes für seine wenig asketische Lebensweise.[16]

Aus heutiger Sicht kann man annehmen, dass van der Goes an einer schweren Depression gelitten hat, vielleicht auch an einer bipolaren Störung. Für beides sind typische Anzeichen im Verhalten des Künstlers zu finden:

die plötzlichen Gefühlsausbrüche, Minderwertigkeitsgefühle und Selbstentwertung, Hoffnungs- und Hilflosigkeit sowie suizidale Gedanken und Handlungen. Für letztere Diagnose spräche, dass van der Goes sich letztendlich wieder erholt und zum Alltag übergeht, während er jedoch mit stark erhöhtem Antrieb weitermalt[17] ; bei einer bipolaren Störung wechseln sich Phasen höchster Aktivität und starker Niedergeschlagenheit ab.

Es stellt sich nun natürlich die Frage, ob man die Anzeichen seiner geistigen Erkrankung in seinen Werken erkennen kann. Das letzte vollendete Werk vor seinem Eintritt ins Kloster ist höchstwahrscheinlich der Portinari-Altar und aus seiner Konventszeit sind ebenfalls Bilder erhalten. Laut den Aufzeichnungen Ofhuys’ bricht die Krankheit schlagartig aus. Dennoch lässt sich kein Bruch im Stil oder ein drastischer Umschwung der Malerei feststellen.[18]

[...]


[1] Arndt, Karl: Hugo van der Goes. Der Portinari-Altar, Stuttgart 1965.

[2] Friedländer, Max J.: Hugo van der Goes, Leiden 1969 (Early Netherlandish Painting 4).

[3] van Overbeek, Joseph Michael Cornelis: Studien zu dem Werke des Hugo van der Goes, Locarno 1917.

[4] Schayes 1861, S.343, in: Friedländer 1969, S. 11.

[5] Friedländer 1969, S. 11.

[6] Arndt 1965, S. 19.

[7] Friedländer 1969, S. 12.

[8] Ebd., S. 12.

[9] Friedländer 1969, S. 12f.

[10] Ebd., S. 13.

[11] Arndt wiederum gibt für die Aufgabe der Werkstatt das Frühjahr 1477 an. Vermutlich, da die Quellenlage über Hugo van der Goes’ Leben erst ab 1477 wieder aufschlussreicher wird (Arndt 1965, S. 19).

[12] Friedländer 1969, S. 13.

[13] Arndt 1965, S. 19f.

[14] Der Anlass für den Ausflug ist ungeklärt.

[15] Arndt 1965, S. 20f.

[16] Friedländer 1969, S. 15.

[17] Ebd., S. 15.

[18] Ebd., S. 49.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Hugo van der Goes: Der Portinari-Altar (1475/76)
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
18
Katalognummer
V177037
ISBN (eBook)
9783640984800
ISBN (Buch)
9783640985128
Dateigröße
503 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hugo van der Goes, Portinari-Altar, Anbetung der Hirten, Tommaso Portinari, Niederländisch, Maleirei, Altar
Arbeit zitieren
Laura Walew (Autor:in), 2011, Hugo van der Goes: Der Portinari-Altar (1475/76), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/177037

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