In Lateinamerika lässt sich jüngst eine Rückkehr linker populistischer Regime feststellen. Gleichzeitig weisen die lateinamerikanischen presidentiellen Regierungssysteme anhaltende Demokratiedefekte wie die starke Personalisierung der Macht, schwache politische und demokratische Institutionen oder die übermächtige Stellung der Exekutive auf. Inwieweit zwischen populistischer Regierungsweise und anhaltenden Demokratiedefekten ein Zusammenhang besteht, wird anhand der argentinischen Regierungen Néstor Kirchners (2003-2007) und Cristina Fernández de Kirchner (2007-2011) - der "kirchnerismo" - untersucht.
Dazu kombiniert vorliegende Arbeit die Theorie der Demokratischen Konsolidierungsforschung aus dem Bereich der politischen Transformationsforschung mit der politischen
Populismusforschung zu Lateinamerika.
Zuerst lassen sich in diachroner Betrachtung verschiedene paradigmatische Populismusformen (klassisch-neopopulistisch-linker Populismus) in Argentinien bestimmen, die es erlauben, von einer populistischen Tradition zu sprechen. Im synchronen Vergleich lässt sich der "argentinische Populismus" zu anderen heutigen Populismus-Spielarten in Lateinamerika (Chávez, Morales, Correa) abgrenzen.
Anschließend analysiert die Arbeit Demokratiedefekte - v.A. im Bereich der Gewaltentrennung- und Kontrolle - der Regierungen Kirchner und erklärt deren Ursachen anhand institutioneller sowie außerinstitutioneller Faktoren. Das als "delegative" Demokratie klassifizierbare Regime geht auf die mächtigen legislativen Kompetenzen der Exekutive sowie die wahrscheinliche Unterstützung des Präsidenten im Parlament zurück (institutionelle Faktoren). Dies geht auf Lasten der parlamentarischen Kompetenzen und somit der Kontrollmöglichkeiten der Exekutive durch die Legislative. Weitere Ursachen dafür liegen in der politischen Kultur des Landes und in der Abhängigkeit des Systems von seiner wahrgenommenen Legitimität und Effizienz (außerinstitutionelle Faktoren).
Zuletzt wendet sich die Arbeit der (kausalen) Wechselwirkung zwischen Demokratiedefekten und populistischer politischer Tradition zu. Ein Ergebnis der Arbeit ist, dass eine zyklische Wiederkehr von Populismus in Argentinien dien bestehenden Demokratiedefekte im Bereich der Gewaltenkontrolle stabilisiert. Durch eine Ausweitung der Demokratiedefekte auf den Bereich der politischen Freiheiten oder des Wahlsystems wäre gar eine zunehmende autoritäre Herrschaft wie in Venezuela unter Chávez denkbar.
Inhaltsverzeichnis
- PROBLEMSTELLUNG
- Populismus und Demokratie in Lateinamerika: la tercera ola populista
- Literaturbericht, Fallauswahl und Methodik
- Aufbau der Arbeit
- THEORETISCHE ANSATZPUNKTE
- Das Populismus-Konzept
- Regional: Klassischer, Neo- und linker Populismus in Lateinamerika
- Referentiell: Populismus als Regierungsform
- Dimensional: Populismus als politisches, soziales, wirtschaftliches Phänomen
- Funktional: Populismus als Ausdruck von defekter Demokratie
- Definition und zentrale Aspekte von Populismus
- Das Konzept der defekten Demokratie
- Das Konzept der delegativen Demokratie
- Ursachen für die delegative Demokratie
- Wechselspiel von Populismus und defekter Demokratie?
- DIE POPULISTISCHE TRADITION: VON PERÓN BIS KIRCHNER
- Die Frage nach der populistischen Tradition
- Historische Erfahrungen
- Hipólito Yrigoyen (1916-1922): el populismo del silencio
- Juan Domingo Perón (1946-1955): el populismo del balcón
- Carlos Menem (1989-1999): ¡Síganme, no los voy a defraudar!
- Néstor Kirchner (2003-2007): el retorno del pueblo
- Cristina Fernández de Kirchner (2007-2011): el cambio recién empieza
- POPULISMUS UND DEFEKTE DEMOKRATIE
- Argentinischer Populismus als Folge populistischer Traditionslinien
- Kontinuität und Wandel von Perón bis Kirchner
- Argentinischer korporativer Populismus im synchronen Vergleich
- Peronismus als populistische Tradition?
- Populismus und argentinische politische Kultur
- Demokratiedefekte in Argentinien
- Elemente exklusiver, illiberaler und Enklavendemokratie
- Argentinien als delegative Demokratie
- Gewaltenteilung
- Horizontale und vertikale Verantwortlichkeit
- Korruption
- Ursachen für die delegative Demokratie in Argentinien
- Institutionelle Anreize im präsidentiellen Regierungssystem
- Ökonomische und soziokulturelle Kontextvariablen
- Wechselspiel von Populismus und defekter Demokratie
- Zyklischer Populismus und stabile delegative Demokratie
- Delegative Demokratie als Wegbereiter autoritären Populismus
- ERGEBNISSE
- AUSBLICK
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit dem Phänomen des Kirchnerismus in Argentinien und untersucht, inwiefern dessen Aufstieg und Durchsetzung als Ausdruck einer populistischen Tradition in Argentinien zu begreifen sind und welche Rolle die Entwicklung einer delegativen Demokratie in diesem Kontext spielt. Ziel der Untersuchung ist es, die spezifischen Merkmale des Kirchnerismus in Argentinien im Kontext der lateinamerikanischen Populismusdebatte zu analysieren und den Zusammenhang zwischen populistischer Tradition und delegativer Demokratie zu beleuchten.
- Der Aufstieg des Kirchnerismus in Argentinien im Kontext der "tercera ola populista" in Lateinamerika
- Die Rolle populistischer Traditionen in der argentinischen Politik
- Die Entwicklung der delegativen Demokratie in Argentinien
- Das Wechselspiel von Populismus und delegativer Demokratie im Kontext des Kirchnerismus
- Die Auswirkungen des Kirchnerismus auf die argentinische Gesellschaft und Politik
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel der Arbeit führt in die Thematik ein und stellt die Problemstellung dar. Dabei wird der Kontext des argentinischen Populismus im Rahmen der "tercera ola populista" in Lateinamerika beleuchtet. Es wird eine kurze Übersicht über die einschlägige Literatur gegeben, die Fallauswahl begründet und die Methodik der Arbeit erläutert. Das Kapitel endet mit der Darstellung des Aufbaus der Arbeit.
Im zweiten Kapitel werden die theoretischen Ansätze zur Analyse von Populismus und defekter Demokratie vorgestellt. Es werden verschiedene Konzepte des Populismus beleuchtet, angefangen vom klassischen über den neo- bis hin zum linken Populismus. Die Arbeit diskutiert zudem die Rolle der delegativen Demokratie in diesem Kontext und analysiert deren Ursachen.
Das dritte Kapitel widmet sich der Analyse der populistischen Tradition in Argentinien. Beginnend mit Hipólito Yrigoyen werden die wichtigsten Phasen des argentinischen Populismus von Perón bis Kirchner beleuchtet. Dabei werden die spezifischen Merkmale der einzelnen Perioden und deren Bedeutung für die Entwicklung des Kirchnerismus herausgestellt.
Im vierten Kapitel untersucht die Arbeit das Zusammenspiel von Populismus und defekter Demokratie in Argentinien. Es wird analysiert, inwiefern die populistische Tradition des Peronismus für die Entwicklung des Kirchnerismus relevant ist und welche Rolle Demokratiedefekte im Kontext des argentinischen Politikverständnisses spielen. Dabei werden verschiedene Elemente der delegativen Demokratie beleuchtet, wie beispielsweise Gewaltenteilung, horizontale und vertikale Verantwortlichkeit sowie Korruption.
Das fünfte Kapitel fasst die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammen und zieht Schlussfolgerungen für das Verständnis des Kirchnerismus als Phänomen der argentinischen Politik.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den zentralen Themen Populismus, defekte Demokratie, delegative Demokratie, Kirchnerismus, Argentinien und lateinamerikanische Politik. Weitere wichtige Begriffe sind: "tercera ola populista", Peronismus, korporativer Populismus, politische Kultur, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit, Korruption und institutionelle Anreize.
- Quote paper
- Ralf Pauli (Author), 2010, Kirchnerismo in Argentinien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/177060