Die Ideenlehre in Platons Phaidon


Hausarbeit (Hauptseminar), 2011

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Ideenlehre in Platons Phaidon
2.1. Bezeichnungen von Ideen
2.2. Eigenschaften und Typen von Ideen
2.3. Transzendenz der Ideen – Zweiweltenlehre
2.4. Erklärungsleistung der Ideenlehre
2.4.1. Ideen als Ursache von Eigenschaften
2.4.2. Das Verhältnis zwischen Ideen und Gegenständen
2.4.3. Immanente Eigenschaften

3. Zusammenfassung / Fazit

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Der Phaidon gehört zu Platons meist gelesenen und sicherlich auch bedeutendsten Dialogen. Dies liegt ohne Frage an der sprachlichen und literarischen Qualität des Textes sowie der Intensität, mit welcher Platon die letzten Stunden seines Freundes Sokrates schildert. Im Mittelpunkt des Dialoges stehen die Beweise für die Unsterblichkeit der Seele. Im Zuge der betreffenden Argumentation behandelt Platon jedoch auch wesentliche weitere Elemente seiner Philosophie. Neben der Anamnesislehre beschäftigt er sich im Dialog ausführlich mit der Ideenlehre. In keinem anderen Dialog früheren Datums nimmt die platonische Theorie der Ideen einen derartigen Stellenwert ein.[1] Die hohe Vielfalt und Dichte der philosophischen Fragestellungen und Argumentationen im Phaidon führt zu der Frage, welches das eigentlich zentrale Thema des Dialoges ist. Zwar ist der größte Teil des Textes dem Versuch gewidmet, die Unsterblichkeit der Seele nachzuweisen, jedoch steht bei diesem Unterfangen die Ideenlehre fast durchgehend im Hintergrund. Ziel dieser Arbeit ist es demzufolge, darzulegen, dass die platonische Theorie der Ideen das zentrale Thema des Phaidon darstellt. Im Zuge der Untersuchung möchte ich daher zunächst darlegen, dass im Dialog bereits alle wesentlichen Elemente der Ideenlehre angeführt werden. Ferner werde ich anhand der Darstellung dieser Kernelemente nachweisen, dass auch die Unsterblichkeitsbeweise im Phaidon zu weiten Teilen auf die Ideenlehre zurückgreifen und auf diese angewiesen sind.

Zunächst werde ich auf die Bezeichnungen eingehen, welche Platon für die Ideen wählt, sowie darlegen, welche Eigenschaften er den Ideen zuspricht und welche Typen derselben er einführt. In einem weiteren Schritt werde ich der Frage nachgehen, inwieweit im Phaidon bereits die so genannte Zweiweltenlehre, die ontologische Trennung von Ideen und Einzeldingen, vorausgesetzt wird. Im letzten Schritt möchte ich klären, welche spezifische Erklärungsleistung die platonische Ideenlehre im Dialog erbringt. Im Rahmen dessen werde ich mich mit dem Verhältnis von Ideen und sinnlich erfahrbaren Gegenständen, vor allem aber auch mit den so genannten immanenten Eigenschaften auseinandersetzen. Im Fazit werde ich nach einer Zusammenfassung der Ergebnisse auf die Frage eingehen, inwieweit es berechtigt ist, die Ideenlehre als Hauptthema des Dialoges zu qualifizieren. Dabei wird vor allem zu prüfen sein, ob Platon im Phaidon bereits eine voll entwickelte Version der Theorie vorbringt und inwiefern die Beweise für die Unsterblichkeit der Seele auf diese rekurrieren.

2. Die Ideenlehre in Platons Phaidon

2.1. Bezeichnungen von Ideen

Da Platon im Phaidon unterschiedliche Begriffe für die Ideen als solche und auch für Ideen bestimmter Dinge verwendet, ist es angebracht, die wichtigsten dieser Bezeichnungen im ersten Schritt der Untersuchung zusammenzutragen. Die drei gebräuchlichsten Begriffe, welche er für Ideen als solche verwendet, sind eidos , idea sowie morphē . In Hinblick auf die Ideen sind diese Begriffe bei Platon gleichbedeutend und austauschbar. Diese direkten Bezeichnungen für die Ideen tauchen jedoch im Phaidon erst spät, im Rahmen des letzten so genannten Unsterblichkeitsbeweises, auf. Für Ideen bestimmter Dinge verwendet Platon meist substantivierte Adjektive, häufig mit Zusatz des bestimmten Artikels oder des Wortes „selbst“, so zum Beispiel „das Schöne“[2] oder „das Gleiche selbst“[3]. Ferner nimmt er auch mit abstrakten Substantiven wie „Größe, Gesundheit, Stärke“[4] Bezug auf solche Ideen. Darüber hinaus verwendet Platon vielerlei andere Bezeichnungen für den Begriff der Idee oder für Ideen von Einzeldingen, auf die jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht umfassender eingegangen werden soll. Die deutsche Übersetzung „Idee“ ist zwar eine direkte Übertragung des griechischen Wortes idea , jedoch birgt sie das Risiko, falsche Assoziationen zu wecken. Keinesfalls sind die Ideen rein subjektive oder psychologische Entitäten, die lediglich im Geiste existieren. Die englische Übersetzung „form“ vermeidet derartige Missverständnisse.[5]

2.2. Eigenschaften und Typen von Ideen

Im Folgenden soll untersucht werden, welche Eigenschaften Platon den Ideen im Phaidon zuschreibt und welche Arten von Ideen er einführt.

Auf die Eigenschaften von Ideen geht Platon im Rahmen des Affinitätsargumentes ein. Im Rahmen dieses Argumentes versucht er aufzuzeigen, dass die Seele gemäß einer Verwandtschaft zu den Ideen unsterblich ist. Zunächst stellt Platon fest, die Ideen seien ihrer Natur nach einförmig ( monoeides ) und nicht zusammengesetzt.[6] Da sie unzusammengesetzt sind, sieht er die Ideen als unveränderlich und ewig an.[7] Im Gegensatz zu den Gegenständen, die fortwährender Veränderung ausgesetzt sind und in vielfältigen Formen auftreten, verhalten sich die Ideen immer gleich.[8] Nach Auffassung von Hackforth ist Platon in seiner Lehre von der Einförmigkeit und Unveränderlichkeit der Ideen durch Parmenides beeinflusst. In der Philosophie des Vorsokratikers ist das Sein unveränderlich und unteilbar.[9]

Des Weiteren bestimmt Platon die Ideen als unsichtbar ( aides ).Der seltene Ausdruck aides wird von Platon an dieser Stelle statt des häufigeren aoraton gebraucht, da er eine etymologische Verwandtschaft zu haides , der Unterwelt der griechischen Mythologie, andeuten will. Durch die geweckte Assoziation will er die Jenseitigkeit der Ideen unterstreichen.[10] Während die veränderlichen Dinge durch die Wahrnehmung erfasst werden können, gelingt dies bei den Ideen nur mit Hilfe des Geistes.[11] So heißt es im Text:

„…, die sich immer gleich verhalten hingegen kannst du wohl niemals auf andere Weise erreichen als durch das Denken des Geistes, sondern unsichtbar sind diese und werden nicht gesehen?“[12]

Die Annahme, dass die Ideen als das einzig wahre Sein nur durch den Geist erfasst werden können, hat Platon bereits zuvor im Text ausführlich erläutert. Diese These diente ihm als Begründung dafür, dass der wahre Philosoph den Tod nicht fürchten muss, sondern vielmehr begrüßen sollte. Erst nach dem Tode ist nach Platons Auffassung wahre Einsicht durch die vom Körper befreite Seele möglich.[13] Im Rahmen des Affinitätsargumentes postuliert Platon die zwei Seinsklassen des Unsichtbaren und des Sichtbaren, um aufzuzeigen, dass auch die Seele zu der Ersteren gehört. Durch ihre ontologische Nähe zu den Ideen möchte er nachweisen, dass die Seele ebenso wie jene unzusammengesetzt und somit unveränderlich, ewig sowie unzerstörbar ist.[14]

Neben der Frage nach den Eigenschaften von Ideen ist auch immer wieder diskutiert worden, für welche Dinge oder Eigenschaften Platon überhaupt die Existenz einer dazugehörigen Idee annimmt. Große Bedeutung haben für Platon sowohl logisch-mathematische als auch ethisch-ästhetische Ideen. Bei der Einführung der Ideenlehre im Phaidon bedient er sich verschiedener Beispiele aus beiden dieser Gruppen.[15] So nennt er aus dem Bereich der logisch-mathematischen Ideen beispielsweise die Idee der Gleichheit[16], sowie Ideen verschiedener Zahlen, wie die Idee der Zwei[17]. Im Bereich der ethisch-ästhetischen Ideen findet bereits im Phaidon die für Platon enorm bedeutsame Ideentrias des Schönen, Guten und Gerechten ihren Platz.[18] Darüber hinaus nennt er auch Ideen aus der körperlichen Sphäre wie Größe, Gesundheit und Stärke.[19] Eine eindeutige Bestimmung, welche Ideen seiner Ansicht nach existieren, gibt Platon jedoch nicht, vielmehr führt er im gesamten Text nur einzelne Beispiele an. Dies deutet darauf hin, dass er entweder die Reichweite der Ideenwelt zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausführlich bedacht hat oder deren exakte Bestimmung für den Kontext des Phaidon für unnötig erachtet.[20] Ideen von Substanzen, Lebewesen oder handwerklichen Artefakten finden sich im Phaidon hingegen nicht. Diese führt Platon erst in späteren Dialogen, wie im Parmenides und im Timaios ein, um einzelne Argumentationen zu stützen und zu verfolgen.[21] Eine überzeugende Hypothese dafür, wieso Platon seine frühe Darstellung der Ideenlehre im Phaidon vor allem auf die logisch-mathematischen und ethisch-ästhetischen Ideen stützt, liefert Bostock. Seiner Ansicht nach würde es für Platon wenig Sinn machen, sich mit den Ideen von Einzeldingen wie Stöcken oder Steinen zu beschäftigen. Diese Auffassung stützt er darauf, dass dieser die Auseinandersetzung mit den Ideen als Hauptaufgabe der Philosophen ansieht, welche jene möglichst mit dem reinen Geiste ausführen sollen.[22] Insofern ist es eine berechtigte Annahme, dass Platon in erster Linie die Existenz von Ideen aus solchen Gegenstandsbereichen annimmt, deren Verständnis er als maßgeblich für die Philosophie ansieht. Da er Zeit seines Lebens die Einsicht in die Wahrheit als höchstes Ziel der Philosophie angibt und sich immer wieder mit logisch-mathematischen, ethischen und ästhetischen Fragestellungen auseinandersetzt, liegt es nahe, dass für ihn die dazugehörigen Ideen im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen.

[...]


[1] Vgl. Ross, S.22.

[2] Phaidon, 65d.

[3] Phaidon, 74c.

[4] Phaidon, 65d.

[5] Vgl. Gallop, S. 93f.

[6] Phaidon, 78c-d.

[7] Vgl. Bostock, S. 194.

[8] Vgl. Frede, S. 65.

[9] Vgl. Hackforth, S. 84.

[10] Phaidon, 79a.

[11] Vgl. Frede, S.65.

[12] Phaidon, 79a.

[13] Phaidon, 68a-b.

[14] Vgl. Frede, 66f.

[15] Vgl. Martin, S70f.

[16] Phaidon, 74a.

[17] Phaidon, 101c.

[18] Phaidon, 75c-d.

[19] Phaidon, 65d.

[20] Vgl. Hackforth, S. 142.

[21] Vgl. Ross, S.24 , Martin, S. 70f.

[22] Vgl. Bostock, S.197.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Ideenlehre in Platons Phaidon
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Philosophisches Institut)
Veranstaltung
Platons Phaidon
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
18
Katalognummer
V178606
ISBN (eBook)
9783656006688
ISBN (Buch)
9783656006664
Dateigröße
514 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Platon, Phaidon, Ideenlehre, Ideen, immanente Eigenschaften, Unsterblichkeit, Seele, Beweise, Wiedererinnerungslehre, Anamnesis
Arbeit zitieren
B.A. Nicolas Lindner (Autor:in), 2011, Die Ideenlehre in Platons Phaidon, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/178606

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