Liudgers Gründungen Münster und Werden als Stützpunkte für seine Missionstätigkeit in Friesland und Sachsen


Magisterarbeit, 2009

65 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Der historische Hintergrund zu Liudgers Gründungen Münster und Werden
1.2. Aufbau und Struktur der Arbeit

2. Vorstellung der verwendeten Quellen
2.1. Die „Vita sancti Liudgeri auctore Altfrido“
2.2. Die „Vita secunda sancti Liudgeri“
2.3. Die „Liudgeri Vita Gregorii Abbatis Traiectensis“

3. Liudgers Leben

4. Liudgers Missionstätigkeit vor den Gründungen Münster und Werden
4.1. Rahmenbedingungen und Missionsauftrag
4.2. Die beiden ersten Missionsaufträge in Friesland
4.3. Liudger als Missionsleiter über fünf friesische Gaue
4.4. Die Mission in Westfalen

5. Liudgers Klostergründungen
5.1. Die Gründung des Monasteriums in Mimigernaford
5.2. Die Gründung der Abtei Werden

6. Leistungen und Blütezeit der Abtei Werden im Frühmittelalter
6.1. Bibliothek und Scriptorium
6.2. Geistliches Leben
6.3. Werdener Urbar und Privileg

7. Die Funktionen von Münster und Werden im Sinne Liudgers
7.1. Münster
7.2. Werden

8. Bedeutende Aspekt von Liudgers Missionstätigkeit
8.1. Liudgers Auffassung von Mission
8.2. Liudgers Kritik am fränkischem Episkopat

9. Ein Rekurs auf die Dynastie der Liudgeriden

10. Fazit

11. Quellen und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1.1. Der historische Hintergrund zu Liudgers Gründungen Münster und Werden

Als Liudger 742 oder 743 geboren wurde, also nur wenige Jahre bevor Karl der Große das Licht der Welt erblickte, stand seine, dem friesischen Adel zugehörige, Familie mitten in den politischen und religiösen Konflikten dieser Zeit.[1] Die Geschichte seiner Vorfahren war auch für seinen Biographen Altfrid von besonderer Bedeutung. Immerhin widmete er in seiner Liudger Vita dessen Vorfahren die ersten sieben Kapitel.[2] Die Zeitspanne von Liudgers Geburt, über seine Jugend und Ausbildung, bis zu seinem ersten missionarischen Wirken stand ganz unter dem Einfluß der angelsächsischen Mission im Karolingerreich. 690 war der Angelsachse Willibrord mit zwölf Gefährten nach Friesland gekommen, um dort zu missionieren. 695 wurde er mit fränkischer Unterstützung und im päpstlichen Auftrag Erzbischof der Friesen. 715 mußte er jedoch aus Utrecht, wo sich seine Bischofskirche befand, aufgrund von militärischen Gegenschlägen der noch heidnischen Friesen fliehen und die Mission in Friesland unterbrechen.[3] Von diesen kriegerischen Ereignissen wie Eroberung und Rückeroberung waren Liudgers Vorfahren unmittelbar betroffen. Auch sie mußten aus Friesland zu den Franken fliehen, weil sie sich eher dem Christentum verbunden sahen. Da sich diese Arbeit in zwei besonderen Kapiteln zum einen dem Leben und Wirken Liudgers, zum anderen der Dynastie der Liudgeriden widmet, soll an dieser Stelle dem weiteren Schicksal von Liudgers Vorfahren nicht nachgegangen werden.

719 kehrte Willibrord nach der Zurückdrängung der Friesen durch die Franken wieder nach Utrecht zurück. Sein Vorhaben, Utrecht als Stützpunkt für die Missionierung des Umlandes zu nutzen, fand die Unterstützung des fränkischen Hausmeiers Karl Martell, durch dessen militärisches Eingreifen 723 die Bedrohung Utrechts durch die Friesen endgültig beendet worden war.[4] In einem 733 und 734 folgenden Feldzug unterwarf Karl Martell weitere friesische Gebiete und sorgte somit für die Absicherung der Mission in dieser Region.[5] Die Unterwerfung der weiter östlich bis zur Wesermündung lebenden Friesen erfolgte jedoch erst im Rahmen der Sachsenkriege Karls des Großen.

Drei Jahre vor Liudgers Geburt starb 739 Willibrord im Kloster Echternach, welches er 700 selbst gegründet hatte. Später bezeichnete Liudger den Friesenmissionar Willibrord in Bezug auf sein eigenes missionarisches Wirken als einen seiner geistlichen Väter.[6]

Im Anschluß an diese kurze Beschreibung der Situation in Friesland in den Jahren um Liudgers Geburt, richtet sich der Fokus dieses einleitenden Kapitels nun auf die weiteren, sein

Leben betreffenden, Ereignisse und Hintergründe dieser Zeit. Liudger lebte in einer von Gewalt und ständig stattfindender militärischer Konflikte geprägten Zeitphase. Unter der Herrschaft Karls des Großen gab es fast kein Jahr ohne Krieg.[7] Von den Folgen der Kriegszüge gegen die Sachsen war Liudger mehr als einmal unmittelbar betroffen. Krieg und Mission waren jedoch eng miteinander verknüpft. Die Sachsenkriege und die damit ver- bundene Missionierung können als ein maßgeblicher Teil der Zielsetzung Karls des Großen angesehen werden. Es galt für ihn die Kirche im Reich zu stärken und zu reformieren, sowie vor äußeren Feinden zu schützen. „Für Äußeres wie Inneres der Kirche wußte er sich ver- antwortlich: für Bischöfe wie Äbte, für die Liturgie wie die Mission, für den Bibeltext und die Predigt. Als Grunddokument hierfür publizierte Karl 789 die 82 Artikel der „Admonitio generalis.“[8] Daß Karl gerade beim Schutz von Reich und Kirche sowie bei der Durchsetzung seiner expansiven Machtansprüche auf Mittel wie Krieg, Gewaltherrschaft oder Rache zu- rückgriff war für die frühmittelalterliche Welt und deren Vorstellungen nicht ungewöhnlich. Durch eine offensive mit missionarischen Absichten verbundene Kriegsführung konnten Reich und Kirche einerseits geschützt und gesichert, andererseits deren Einfluß ausgedehnt und die eigenen Machtansprüche gefestigt werden.[9] Ob es nun Gelehrten wie Bonifazius, Liudger oder dem späteren Leiter der Hofkapelle Alkuin gefiel oder nicht, Mission war unter Karl den Großen untrennbar mit Krieg verknüpft.

Es genügt jedoch nicht den historischen Hintergrund von Liudgers Leben nur durch Krieg und Gewalt zu charakterisieren. Es ist auch die Zeit der so genannten Karolingischen Renaissance, einer Bildungsreform, bei deren Durchführung Karl der Große insbesondere auf hoch ge- bildete Geistliche zurückgriff. Nun wirkten bereits in zweiter Generation als Nachfolger der angelsächsischen Missionare fränkische oder friesische Geistliche, wie eben auch Liudger. Die Auswirkung dieser Bildungsreform war für die Missionsgebiete enorm. „Die Literalität kehrte in den repaganisierten Gebieten an Maas und Schelde zurück, wurde östlich und nördlich des Rheins überhaupt erst aufgebaut.“[10] Im Zuge von Organisation und Aufbau von Kirchenstrukturen entstanden in den neu gegründeten Klöstern, umfangreiche Bibliotheken.[11]

Wie das Beispiel der Abtei Werden zeigen wird, verfügten die Klöster im Frankenreich nicht nur über die entsprechenden Bibliotheken, sondern auch über Schulen zur Ausbildung des geistlichen Nachwuchses sowie über Scriptorien, in denen durch Sammeln und Abschrift alte antike Texte und Schriften der Kirchenväter erhalten wurden. Auch neu verfaßte Texte entstanden in diesen, durchaus als Bildungszentren des Karolingerreichs zu bezeichnenden Klöstern. Dem asketischen Schreibeifer der Mönche des 8. und 9. Jahrhunderts ist es zu verdanken, daß etwa 7000 Handschriften komplett oder fragmentarisch erhalten sind. Um eine solche Zahl an zumeist liturgischen Texten zu erstellen waren auch die entsprechend be- nötigten wirtschaftlichen Ressourcen in Form von Tierhäuten bereitzustellen.[12] Die bereits auf fränkischem Gebiet bestehenden älteren Klöster, wie Luxeuil, Corbie, St. Denis, oder Echternach und die im Verlauf der Missionsgeschichte des Karolingerreichs neu entstan- denen, dienten als Stützen und Träger der karolingischen Renaissance. Diese Bildungsreform widmete sich unter anderem Aspekten wie der richtigen Liturgieform, Priesterausbildung, der verbindlichen Einführung der Benediktregel für monastische Gemeinschaften, sowie der Erstellung einer einheitlichen und gesicherten Textfassung der Bibel. Karl der Große umgab sich in seiner Hofkapelle mit einer beachtenswerten Auswahl hoch gebildeter Personen, wie Alkuin von York, Paulus Diaconus, Theodulf von Orleans oder Paulinus von Aquileia, welche den hohen intellektuellen Ansprüchen der Bildungsreform auch gerecht werden konnten. Bei der Umsetzung der angestrebten Reformen war er auf die Unterstützung und auf die Ideen von Gelehrten solchen Formates angewiesen. Unter Alkuins Leitung leisteten die Gelehrten aus der Umgebung Karls des Großen einen erheblichen Beitrag zu einer geistigen Erneuerung des Frankenreichs.[13]

Im fränkischen Herrschaftsbereich hatte sich bis zum Ende des 7. Jahrhunderts eine episko- pale Kirchenstruktur durchgesetzt. Laien und monastische Gemeinschaften unterstanden der bischöflichen Herrschaft. Kloster - oder Kirchengründungen gingen zumeist auf adlige oder königliche Initiative zurück.[14] Als kennzeichnende Merkmale der angelsächsischen Mission auf dem Kontinent lassen sich deren Unterstützung durch fränkische Herrscher und deren Romgebundenheit bezeichnen. Gerade Bonifazius suchte bei seinen missionarischen Aktivitäten, sei es nun in Missionsgebieten wie Hessen, Thüringen oder Friesland, den Schutz der Hausmeier und die Beauftragung durch Rom. Schließlich ging es ihm, neben der Glaubensvermittlung, auch um die Sicherung des Missionswerkes und die Beseitigung von er- heblichen Mißständen im kirchlichen, liturgischen Bereich.[15] Für die fränkische Kirche sah Bonifazius nicht nur die Verkündung der römischen Liturgie, sondern auch die Gründung von Pfarreien, ausgestattet mit einem gut ausgebildeten und in der Seelsorge tätigen Klerus vor. Auf der höheren organisatorischen Ebene plante er genau umgrenzte Diözesen mit entsprechender Bischofshoheit.[16] An seiner Tätigkeit wird die notwendige Verbindung von klösterlichen Leben und missionarischer Arbeit, sowie die Verknüpfung von Mission, römischer Kirchenorganisation und Unterstützung durch politische Herrscher deutlich.[17] Da er sein enormes Aufgabengebiet nicht allein bewältigen konnte, benötigte er ein großen Stab von Mitarbeitern. Hierbei griff er, der Tradition der bereits vor ihm tätigen angelsächsischen Missionare folgend, überwiegend auf angelsächsische Mitarbeiter und Helfer zurück, die er auf dem Kontinent als Missionare, Bischöfe und Äbte, so wie Äbtissinnen einsetzen konnte.[18] Zunächst wurde Bonifazius 732 zum Erzbischof geweiht und schließlich 738/739 zum päpstlichen Legaten für Germanien ernannt. Bevor er 744 in Fulda ein Kloster gründete, war er fast ein viertel Jahrhundert als Missionar und Weltkleriker im Dienste der Glaubens- verbreitung und – festigung tätig. Dem von ihm gegründeten Kloster stand er selbst als Abt vor. Hier wurden zukünftige Missionare und Priester in seinem Sinne ausgebildet. Bonifazius fand im Jahre 754 auf einer letzten Missionsreise in Friesland den Märtyrertod.[19]

Die ausgesprochen lange Phase der Sachsenmission, geprägt von zahlreichen fränkischen Kriegszügen und Eroberungen auf der einen und sächsischen Gegenschlägen und Auf- ständen auf der anderen Seite, ist genau die Zeit von Liudgers missionarischen Wirken mit seinen Gründungen Münster und Werden. Die Missionierung der Sachsen war seit einiger Zeit in das Blickfeld der angelsächsischen Missionare geraten, welche jene als verwandtes Volk betrachteten.[20] Karl der Große führte, wie bereits weiter oben erwähnt, in den Jahren von 772 bis 804 mehrfach Krieg gegen die Sachsen. Diese Kriegszüge stellten eine Verknüpfung von Missions – und Ausdehnungspolitik dar, um den eigenen machtpolitischen Ansprüchen sowie der Sicherung und Ausweitung der christlichen Kirche und des fränkischen Reiches gerecht zu werden.[21] Sein erster Kriegszug glich eher einer der früheren Strafex- peditionen gegen die Sachsen, mit denen seine Vorgänger Karl Martell und Pippin auf Grenzverletzungen und Überfälle reagierten. Es gelang Karl mit seinen Truppen bis zur oberen Weser vorzudringen. Mit der Zerstörung der Irminsul, einer heidnischen Kultstätte in Form einer Baumsäule, wurde durch die Franken bereits in diesem ersten Feldzug ein später auch bei der Missionierung häufig genutztes Mittel zur Darstellung der Überlegenheit des christlichen Glaubens über die heidnischen Kulte angewandt.[22] Der Erfolg war jedoch nur von kurzer Dauer. Sächsische Gruppierungen wußten die Abwesenheit Karls des Großen, der sich in den Jahren 773 und 774 in Italien aufhielt und Krieg gegen die Langobarden führte, zu nutzen und überfielen in einer Vergeltungsaktion fränkische Siedlungen und Kirchen in Hessen. Nach Karls Sieg über die Langobarden wurde Sachsen erneut zum Angriffsziel.[23] Die frühen fränkischen Erfolge gegen die Sachsen wurden deutlich überschätzt. Karl der Große hielt 777 in Paderborn eine erste fränkisch-sächsische Reichsversammlung und Synode auf sächsischen Boden ab. Auf dieser Synode wurde eine vorläufige, eher grobe Einteilung Sachsens in Missionsbezirke, ohne feste Abgrenzungen der jeweiligen Sprengel beschlossen. Im gleichen Jahr konnte Liudger die Mission in Westfriesland erneut aufnehmen, die jedoch bald wieder durch die folgenden Aufstände der Sachsen unterbrochen werden sollte.[24]

Ausgesprochen problematisch für die Kriegsführung gegen die Sachsen war die Tatsche, daß diese über keinen König verfügten, der für alle Gruppen verbindlich handeln konnte. So kam es schließlich dazu, daß einige sächsische Adelige die fränkische Überlegenheit anerkannten und auf die Seite Karls des Großen wechselten, einige andere jedoch, wie zum Beispiel der westfälische Adelige Widukind, weiterhin Widerstand leisteten.[25] Dessen Aufstand im Jahr 778 ließ die bis dahin erfolgte Sachsenmission zusammenbrechen. Es folgten Jahre erbitterter Kämpfe. In dieser Phase der Auseinandersetzung kam es erstmals auch zu Deportationen besiegter Sachsen. 782 ließ Karl der Große in Verden eine große Zahl abtrünniger Sachsen hinrichten. Eine solche Strafaktion steht jedoch als singuläres Ereignis im Verlauf der Sachsenkriege. Die Zahl von 4.500 Hingerichteten gilt in der Forschung als deutlich über- trieben und wird nach wie vor diskutiert.[26] Des Weiteren diktierte Karl die „Capitulatio de partibus Saxonie“, welche zahlreiche Vergehen durch Verräter und Abtrünnige aus den Reihen des besiegten Sachsen in Religionsangelegenheiten unter die Todesstrafe stellte.[27] Nach einem letzten Aufstand der Sachsen unter Widukind in den Jahren 783 und 784, welcher bis nach Ostfriesland reichte und neben der Zerstörung von christlichen Kirchen auch die Vertreibung von Missionaren zur Folge hatte, fanden die Sachsenkriege mit der Taufe Widukinds 785 in Attigny ihr vorläufiges Ende. „Zuletzt aber muß Widukind – der frühmittelalterlichen Religionslogik entsprechend - eingesehen haben, „daß der Christengott den alten Göttern überlegen war“.[28] Doch bereits 792 regte sich in Sachsen nach einer siebenjährigen Ruhe- pause erneuter Widerstand.[29] In die nun folgende Phase von regionalem Widerstand, zumeist das nordöstliche Sachsen betreffend, fallen Liudgers Gründungen Münster und Werden im Rahmen seiner Missionstätigkeit in Friesland und Westfalen.

Im Zuge dieser militärischen und kirchlichen Ausweitung des fränkischen Herrschafts- bereiches geriet die Organisation von kirchlichen Strukturen und der Mission immer stärker unter königliche Gewalt. Erst durch den Sieg Karls des Großen über die Sachsen konnten neue Gebiete für die Mission erschlossen werden. Dies betraf auch mit Westfalen eines der zukünftigen Missionsgebiete Liudgers, der schließlich durch Karl im Jahre 792 mit der Mission im westlichen Sachsen beauftragt wurde.[30] Es galt neben der Bekehrung der Heiden zum christlichen Glauben die notwendigen Voraussetzungen zur Verfestigung christlicher Wert – und Glaubensvorstellungen in den neu missionierten Gebieten zu schaffen. Hier war von Liudger zusätzlich zu der eigentlichen Missionsarbeit bei der Einrichtung von Pfarrgemeinden, der Rekrutierung von Geistlichen, aber auch bei der Gründung der Klöster Münster und Werden ein erheblicher organisatorischer Aufwand zu bewältigen.

Es würde den Rahmen dieser Arbeit übersteigen auf weitere bedeutende Aspekte der Geschichte des fränkischen Reichs unter den Karolingern von der Regierungszeit Karl Martells über Pippin bis hin zum Abschluß der Sachsenkriege Karls des Großen, näher einzugehen. In dieser Einführung sollten daher nur jene Ereignisse kurz skizziert werden, die für die Missionsgeschichte des Frankenreichs in der Zeit von Liudgers Leben und Wirken von Bedeutung sind.

1.2. Aufbau und Struktur der Arbeit

Diese, unter Punkt 1.1 beschriebene, ausgesprochen konfliktreiche, spannungsgeladene und von so zahlreichen gegensätzlichen Auffassungen von Mission geprägte Situation bildet den historischen Hintergrund für Liudgers missionarisches Wirken, sowie seine in diesem Zusammenhang stehenden Gründungen Münster und Werden.

Im Anschluß an die Vorstellung der für diese Arbeit herangezogenen Quellen, inklusive derer Editionen und Übersetzungen, sowie einem zusammenfassenden Kapitel über Liudgers Leben und Wirken, wird im Hauptteil zunächst seine Missionstätigkeit in den Jahren vor den durch ihn erfolgten Klostergründungen behandelt.

Im Folgenden werden anhand einiger ausgewählter Textstellen aus der „Vita sancti Liudgeri auctore Altfrido“, der „Vita secunda sancti Liudgeri“ und der „Vita Gregorii Abbatis Traiectensis“ neben der Darstellung der Gründungsvorgänge und Hintergründe die Funk- tionen, die Gemeinsamkeiten beider Klöster, aber auch deren Unterschiede in Bezug auf Liudgers Missionstätigkeit, seine Auffassung von Mission so wie seine missionarische Ziel- setzung untersucht und herausgearbeitet. Können Münster und Werden als Doppelkloster bezeichnet werden? Welche Aufgaben hatte Liudger für beide Klöster im Sinn, oder aber: welche Vorbilder zog er für seine Gründungen heran? Es gilt nicht nur den hier genannten, sondern auch weiteren interessanten und sicherlich spannenden Fragen vor dem Hintergrund seiner missionarischen Tätigkeit nachzugehen.

Diese Untersuchung schließt als erläuternde Ergänzung eine Beschreibung seiner Arbeit als verantwortlicher Leiter in den Missionsgebieten in Friesland und Sachsen ein. Die von Liudger verfaßte Lebensgeschichte seines Lehrers Gregor von Utrecht eignet sich hervor- ragend zur Darstellung seiner Auffassung von Mission, sowie einiger besonders hervorzu- hebenden Aspekte seiner Missionstätigkeit.

Es erscheint unerläßlich, daß in diesem Rahmen in einem besonderen Kapitel auf die heraus- ragende Stellung der Abtei Werden in Bezug auf die dort bereits sehr früh entstandenen Ein- richtungen wie Bibliothek, Scriptorium und Schule eingegangen wird. Für das frühe 9. Jahr- hundert repräsentiert Werden mit diesen Einrichtungen eine sehr ausgeprägte Schriftkunst und Schriftkultur, sowie ein sehr hohes Maß an Bildung.

Die Beschäftigung mit Liudger, seinem Wirken und seinen Klostergründungen führt zu einer ausgesprochen interessanten Besonderheit, welche in einem kurzen Rekurs im Anschluß an den Hauptteil dieser Arbeit behandelt werden soll. Es handelt sich hier um die Dynastie der Liudgeriden, den Verwandten und Nachfahren Liudgers, die ihm in seinen Ämtern als Vorsteher der Abtei Werden und als Bischof von Münster nachfolgten. Insbesondere interessiert hier die Frage ob Liudgers Nachfolger seine Missionsarbeit in seinem Sinne fortsetzten. Den Abschluß dieser Arbeit bildet eine Zusammenfassung und Auswertung der Ergebnisse.

2. Vorstellung der verwendeten Quellen

2.1. Die „Vita sancti Liudgeri auctore Altfrido“

Die „Vita sancti Liudgeri auctore Altfrido“ wurde von Altfrid, einem Verwandten Liudgers und zweiten Nachfolger als Bischof in Münster, verfaßt. Er schrieb die Biographie Liudgers, den er nach eigenen Angaben nicht mehr kennen gelernt hatte, auf Bitten der Werdener Mönche.[31] Diese erste und älteste Lebensbeschreibung bietet die meisten Informationen über das Leben Liudgers.[32] Das genaue Entstehungsjahr der Vita läßt sich nicht bestimmen. Das Werk entstand jedoch in den Jahren zwischen 839 und 849, als Altfrid Bischof von Münster und zugleich Rektor von Werden war. Da sich Altfrid in seiner Vorrede selbst als Autor nennt ist unbestritten, daß er der Verfasser der Vita ist.[33] Außer daß er in verwandtschaftlicher Beziehung zu Liudger stand, ist über sein Leben und über sein Wirken als Bischof kaum etwas bekannt. Vermutlich war er der Sohn einer der Schwestern Liudgers und ist somit zur Dynastie der Liudgeriden zu zählen.[34] Da er Liudger nicht kannte, schrieb er die Vita nicht als Augenzeuge. Er beruft sich für seine Aussagen und Berichte auf Zeitzeugen Liudgers, wie dessen jüngeren Bruder Hildigrim, den späteren Bischof von Chárlons, dessen Schwester Heriburg, Äbtissin des Klosters Nottuln und Gerfrid, den unmittelbaren Nachfolger Liudgers als Bischof von Münster.[35] Altfrid hat sein Werk in zwei Bücher eingeteilt. Der erste Teil behandelt das Leben Liudgers, der zweite Teil berichtet über verschiedene Wunder, welche sich bereits zu Lebzeiten Liudgers und nach dessen Tod ereignet haben.[36] Die Ereignisse aus Liudgers Leben werden chronologisch angegeben. Erstaunlicherweise bietet Altfrid nur ein genaues Datum an, nämlich den Tag und das Jahr von Liugers Tod. Länger andauernde Begebenheiten werden hingegen zeitlich genau eingegrenzt. So erhält der Leser präzise Informationen über die Dauer von Liudgers Aufenthalten in York, seine Abwesenheit in Italien oder sein Wirken im Ostergau.[37] Weiterhin auffallend ist, daß er in die Vita zwei von Alkuin im Jahre 780 verfaßte Verse eingefügt hat. Alkuin schrieb diese Verse auf das Paulus – und Bonifazius – Patrozinium der Kirche von Dokkum, deren Priester Liudger war.[38] Hier wird deutlich, wie wichtig Altfrid die Darstellung der geistlichen Verwandtschaft von Bonifa- zius über Gregor bis hin zu Liudger war. Es handelt sich hier jedoch nicht um eine theoretische Konstruktion einer geistlichen Verwandtschaftslinie, da Liudger selbst seine Missionskonzeption in der Nachfolge von Willibrord und Bonifazius sah. „Für Altfrids literarische Konzeption wird dieser Zusammenhang fernerhin dadurch bestätigt, daß er die „Vita Liudgeri“ erkennbar nach Alkuins „Vita Willibrordi“ konzipiert hat, auf die er selbst in seinem Text verweist.“[39] Neben dem Werk Alkuins hatte er Kenntnis von Liudgers Lebens- beschreibung über dessen Lehrer Gregor an der Domschule zu Utrecht. Beide Texte lassen sich demnach als Vorbilder für Altfrids Werk bezeichnen. Daß Liudger in der Tradition seiner angelsächsischen Vorgänger in der Mission Frieslands stand, war für Altfrid offensichtlich von großer Bedeutung. Dies läßt sich an der Tatsache erkennen, daß er in der Vita intensiv auf die Familien – und Missionsgeschichte Liudgers eingeht, dessen Gründung Werden je- doch nur mit einem knappen Satz erwähnt.[40] Aufgrund der durch Altfrid verwendeten Quellen und seiner besonderen Stellung als Verwandter Liudgers läßt sich die Vita als zuverlässige Quelle benutzen. Hierzu schreibt Diekamp in seinem Kommentar zur ältesten Liudger Vita:

„Die Vita enthält, weil basirend auf den besten Quellen, weil geschrieben von einem Verwandten Liudgers, von einem Manne in hervorragender Stellung, der sich leicht ein Urtheil bilden konnte, durchaus glaubwürdiges; und auch die Annahme wird ge-stattet sein, dass bei der Benutzung der fremden Werke er nur die Angaben übernahm, welche auf Liudger ihre Anwendung finden konnten“[41]

Alfrids Werk ist in drei Handschriften überliefert und wurde bis zum Zeitpunkt von Diekamps Edition von 1881 schon fünfmal herausgegeben. Er benutzte seinerzeit für seine Ausgabe die Handschrift L – Codex Vossianus Lat. [0] Nro. 55 der Kgl. Universitätsbibliothek zu Leyden. Seinem Urteil zufolge handelt es sich hierbei um die am besten erhaltene Handschrift.[42]

Die „Vita sancti Liudgeri auctore Altfrido“ wurde als Textvorlage für weitere Biographien verwendet. Mit der „Vita secunda sancti Liudgeri“ befaßt sich der folgende Abschnitt. Des Weiteren fand der Text von Altfrids Vita Eingang in die „Vita Tertia“, um 875 entstanden, so wie in die „Vita Rythmica“ des 12. Jahrhunderts. Beide Viten weisen eine noch größere zeitliche Distanz zu Liudgers Leben auf, als die beiden ersten Lebensbeschreibungen, die dieser Arbeit als Quellengrundlage dienen.[43]

Die älteren Liudgerviten fanden nur eine regional eingeschränkte Verbreitung. Die ent- sprechenden Handschriften wurden in Werden geschrieben und sind dort größtenteils über das gesamte Mittelalter aufbewahrt worden.[44] Wilhelm Wattenbachs „Das Leben Liudgers, Bischofs von Münster, von Altfrid“ wird als Übersetzung des lateinischen Textes heran- gezogen.[45]

2.2. Die „Vita secunda sancti Liudgeri“

Die oben gennante Edition von Wilhelm Diekamp dient auch für die „Vita secunda sancti Liudgeri“ als Quellengrundlage. Die deutsche Übersetzung der verwendeten Textauszüge stammt von Eckhard Freise.[46]

Kurz nach der Abfassung der ersten Liudger Vita entstand schon in den fünfziger Jahren des 9. Jahrhunderts in Werden eine zweite Biographie des heiligen Liudger.[47] Den Werdener Mönchen genügte offensichtlich jene erste Vita von Altfrid nicht. Schließlich steht die Abtei in diesem Werk, abgesehen von einigen wenigen Zeilen, nicht im Zentrum des Geschehens.[48] Der Verfasser der „Vita secunda sancti Liudgeri“ ist unbekannt. Obwohl es keine definitiven Aussagen bezüglich des Autors im Text der zweiten Vita gibt, scheint ein Werdener Mönch für dieses Werk verantwortlich zu sein. Gestützt wird diese Vermutung in der Forschung durch die häufigen Verweise auf das Kloster Werden.[49] Der oben genannte Entstehungs- zeitraum der Vita wird durch Aussagen des Verfassers erhärtet. Er beschreibt unruhige Zeiten, hervorgerufen durch die ab 834 immer wieder auftretenden Normanneneinfälle in friesische Küstenregionen. Er selbst wünscht sich eine Phase der Ruhe, die jedoch erst ab 863 eintrat. Da die zweite Vita nach der Vita Altfrids geschrieben wurde, scheinen die fünfziger Jahre des 9. Jahrhunderts zum einen für die Lebenszeit des Verfassers, zum anderen als Entstehungs- zeitraum der Vita realistisch zu sein.[50] Inhaltlich beruht die Vita auf dem Werk Altfrids. Auch hier wird im ersten Teil über Leben und Wirken Liudgers berichtet, der zweite Teil beschreibt eine große Zahl von Wundern die nach dessen Tod stattgefunden haben.[51] Im Gegensatz zur älteren Vita ist dieser Teil wesent- lich umfangreicher ausgefallen. Jene Wunder ereigneten sich zumeist am Grab des Heiligen in Werden und sollen ihre Kraft aus dessen Verdienst zu Lebzeiten bezogen haben. Die Berichte drehen sich fast ausschließlich um die Heilung kranker Menschen.

Ein herausragendes Merkmal der, aus dem 11. Jahrhundert stammenden, ältesten Handschrift der Staatsbibliothek zu Berlin (Ms. theol. Lat. Fol. 323) stellen die 22 Miniaturen dar, welche bedeutende Stationen aus dem Leben Liudgers illustrieren.[52] Ebenso bemerkenswert ist, daß der oben genannten Handschrift das so bezeichnete Werdensche Privileg beigefügt ist.[53]

Mit dem Inhalt dieses Privilegs, welches jünger als die ersten drei Liudgerviten ist, wird sich im Rahmen dieser Arbeit in den Kapiteln beschäftigt, die sich intensiv mit dem Kloster an der Ruhr befassen.

2.3. Die „Liudgeri Vita Gregorii Abbatis Traiectensis“

In den Jahren zwischen 790 und 792 verfaßte Liudger die „Vita Gregorii Abbatis Traiectensis“ als Erinnerungsschrift an seine Vorgänger Gregor und Bonifazius.[54] Der Utrechter Abt Gregor war für Liudger in den Jahren seiner Ausbildung zugleich geistlicher Vater, Lehrer und Erzieher. Beide verband Zeit ihres Lebens eine tiefe gegenseitige Bewunderung, Verehrung und Freundschaft. Gregor war seit 721 Schüler und enger Mitarbeiter des Bonifazius bis er in den vierziger Jahren des 8. Jahrhundert zum Abt im Utrechter Stift ernannt wurde.[55] Nach dem Märtyrertod des Bonifazius 754 übernahm er die Leitung der friesischen Mission, jedoch ohne das Amt eines Bischofs inne zu haben.

Auch diese Biographie steht ganz in der Tradition der Viten über die geistlichen Väter. So schrieb Alkuin über den heiligen Willibrord, Willibald über das Leben des heiligen Bonifazius, Liudger über den heiligen Gregor und zuletzt Altfrid über den heiligen Liudger. Gregor selbst verehrte seinen Lehrer Bonifazius als geistlichen Vater.[56] Den vollzogenen Wechsel von einer natürlichen Familie in eine geistliche Verwandtschaft schildern alle der oben aufgeführten Lebensbeschreibungen.[57] Laut Liudger verkündeten seine Vorgänger Gregor und Bonifazius nicht nur das Evangelium, sondern lebten auch beispielhaft danach. Seine Hauptintention war, mit der Erstellung seines Werkes die Erinnerung an die geistlichen Väter und deren beispielhaftes Leben aufrecht zu erhalten. In diesem Zusammenhang läßt sich auch seine in der Vita formulierte Kritik am Lebenswandel des fränkischen Klerus verstehen.

Deutlich betont Liudger die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Missionsarbeit im geistlich- en Familienverband.[58] Des Weiteren nutzte er die Gelegenheit seine, im Gegensatz zur frän- kischen Gewaltmission stehende, Auffassung von einer friedlichen, auf innere Gewinnung und Bekehrung aufbauenden Mission zu formulieren.[59] Sowohl Liudger als auch Altfrid verweisen in ihren Werken auf die fruchtbare Zusammenarbeit von angelsächsischen und friesischen Missionaren. Das Kleriker aus verschiedenen Völkern in einer Missions- gemeinschaft tätig waren und darüber hinaus in geistlichen oder natürlichen Verwandt- schaftsbeziehungen standen, erschien beiden als unerläßlich für die geistige und kulturelle Weiterentwicklung des fränkischen Reiches.[60] Auch fränkische Missionare gesellten sich im Lauf der Jahre zum Mitarbeiterkreis Liudgers. Das vorbildliche, christliche Leben eines Bonifazius, Gregors oder Liudgers, so wie deren missionarische Tätigkeit wird in den Viten als ein Leben der Heiligen in der Nachfolge der Aposteln dargestellt. Liudger richtete sein Werk nicht nur an seine Schüler und Mitbrüder, sondern auch an alle Kleriker die im Missionsdienst stehen. Er selbst nennt sich am Schluß als Verfasser der Vita.[61]

Diese kurze Vorstellung einiger inhaltlicher Aspekte der Vita soll an dieser Stelle genügen um den folgenden Kapiteln, die Liudgers Missionsauffassung vertiefen, nicht vorzugreifen. Für die aus der „Liudgeri Vita Gregorii Abbatis Traiectensis“ entnommen Textauszüge wird die Edition von O. Holder - Egger in der Monumenta Germaniae Historica von 1887 verwendet. Als deutsche Übersetzung des lateinischen Textes dient die Übersetzung von Basilius Senger, welcher Liudgers Biographie über Gregor wie folgt charakterisiert:

„ Sie setzt nicht nur seinen geistlichen Vätern, sondern auch ihm selbst ein unvergäng- liches Denkmal. Über den Einblick in das Werk der heiligen Bonifazius und Gregor hinaus läßt sie uns einen Blick in die Seele, das Denken, den Charakter, die Ideale Liudgers tun. Dieses erste literarische Erzeugnis Frieslands erscheint uns sofort als eine der schönsten Kostbarkeiten ihrer Art“[62]

Eine erhaltene Handschrift der Vita existiert nicht. Trotzdem gelang es Holder - Egger den Text, in der oben genannten Ausgabe, kritisch zu editieren. Hierbei griff er als Hilfsmittel auf ältere Ausgaben der Vita oder auf Codices, welche über den entsprechenden Text verfügen, zurück.[63]

Auf die hier vorgestellten Werke beschränkt sich die Auswahl der in dieser Arbeit verwendet- en Quellen. Auf die Berücksichtigung der „Vita Tertia“ und der „Vita Rythmica“ wurde bewußt verzichtet, da beide Viten zu den hier behandelten Ereignissen eine noch größere zeitliche Distanz aufweisen. Beide hier nicht verwendeten Viten fußen auf Altfrids erster Vita. Somit bieten die „Vita Tertia“, welche zwar die Erzählungen über Liudgers Leben mit moralischen Betrachtungen ergänzt, als auch die „Vita Rythmica“ welche auf Grundlage der älteren Viten das Leben des Heiligen in rythmische Verse faßt, für das zentrale Thema dieser Arbeit keine weiteren ergänzenden inhaltlichen Aspekte.

Das folgende Kapitel widmet sich, gestützt auf die beiden älteren Liudger Viten, einer kurzen Beschreibung der wichtigsten Ereignisse und Stationen in Liudger Leben.

3. Liudgers Leben

Im einleitenden Kapitel dieser Arbeit wurde bereits darauf hingewiesen, daß das Geburtsjahr Liudgers nicht genau zu bestimmen ist. Dies trifft auch für den Geburtsort zu. Hier gehen in der Forschung die Meinungen auseinander. Fest steht, daß Liudger in einem kleineren Ort in der näheren Umgebung von Utrecht geboren wurde. In dieser Region war seine Familie ansässig und verfügte über Landbesitz.[64] Aus der Vorgeschichte seiner Familie läßt sich entnehmen, daß seine Geburt 742/743, erst durch zwei Wunder ermöglicht wurde. So berichten beide Quellen über das beherzte Eingreifen einer christlichen Frau, durch welches das Leben von Liudgers Mutter Liafburg gerettet wurde. Unmittelbar nachdem die Mutter des zukünftigen Missionars geboren worden war, sollte sie im Auftrag ihrer heidnischen Groß- mutter ertränkt werden.[65] Als Liafburg selbst kurz vor der Entbindung stand, stürzte sie schwer. Sie blieb jedoch unverletzt und gebar einen völlig gesunden Sohn.

„Als eben diese Liafburg bereits mit ihrem Mann verheiratet war und den heiligen Knaben in ihrem Schoß trug, geschah es, daß sie in eiligem Schritt daherging, stolperte und schwer stürzte. Ein spitzer Pfahl, über den sie gefallen war, hatte sich in ihre Seite gebohrt. Deshalb glaubte jeder daran, daß sie in Kürze ihr Leben verlieren oder zumindest ihr ungeborenes Kind sterben würde. Auf wunderbare Weise wurde sie aber schnell und unverhofft wieder gesund, und das Kind, das wenige Tage später das Licht der Welt erblickte, schien nirgends geschädigt.“[66]

Über Liudgers Kindheit wird erzählt, daß er schon recht früh Interesse an Schrift und Büchern zeigte. So sammelte er Stücke aus Baumrinde, heftete diese zusammen und tat so als ob er mit einem Griffel darin schrieben würde.[67] Hier verweisen beide Biographen indirekt auf sein Interesse an alten Schriften, eine Leidenschaft, welche der Ausstattung seiner späteren Gründungen zugute kommen sollte. Seine Eltern Thiadgrim und Liafburg stammten aus einem friesischen Adelsgeschlecht. Sie brachten ihren Sohn zur geistlichen Erziehung in das von Gergor geleitete Kloster in Utrecht. Hier verbrachte Liudger seine ersten Studienjahre.[68]

In diese Phase seiner Ausbildung fiel, seiner eigenen Aussage zu folge, ein denkwürdiges Er-eignis. Er begegnete in Utrecht dem heiligen Bonifazius, der sich im hohen Alter noch mal nach Friesland aufgemacht hatte um seine alte Wirkungsstätte Utrecht aufzusuchen.[69] Im Jahre 767 gelangte ein angelsächsischer Kleriker namens Aluberht aus York nach Utrecht, um Gregor seine Unterstützung bei der Mission anzubieten. Gregor erkannte dessen Potential und wünschte, daß Aluberht in York zum Chorbischof geweiht werden solle. Dieser reiste darauf in Begleitung Liudgers und eines Diakon zurück nach York, um dort die Weihe zu erhalten. Seine Begleitung sollte vor Ort die Rechtmäßigkeit seines Begehrens bezeugen. Bei diesem ersten Aufenthalt in York lernte Liudger seinen späteren Lehrer und Freund Alkuin kennen. Hier erhielt er im Zuge der Weihe Aluberhts zum Chorbischof durch den Yorker Bischof Aethelbert 767 seine Weihe zum Diakon.[70] Alkuin genoß, nicht nur im angelsächsischen Königreich Northumbria sondern auch im Frankenreich, als hoch gebildeter Lehrer und Geistlicher eine ausgezeichneten Ruf. Nach einer Begegnung mit Karl den Großen in Italien 781 folgt er dessen Einladung an den königlichen Hof. In den anderthalb Jahrzehnten seiner Tätigkeit als Berater Karls und Leiter der Hofschule war er die zentrale Persönlichkeit im Kreis internationaler Gelehrter, welche Karl der Große um sich versammelt hatte.[71]

[...]


1. Senger, Basilius, Liudger Leben und Werk, Münster, 1996, S. 12.

2. Ebd., S. 12.

3. Ebd., S. 13.

4. Ebd., S. 17.

5. Angenendt, Arnoldt, Liudger Missionar – Abt – Bischof im frühen Mittelalter, Münster, 2005, S. 69.

6. Senger, Liudger Leben und Werk, S. 16.

7. Angenendt, Liudger Missionar – Abt – Bischof im frühen Mittelalter, S. 58.

8. Ebd., S. 60 f.

9. Schneider, Reinhard, Karl der Große–politisches Sendungsbewusstsein und Mission, in: Kirchengeschichte als Missionsgeschichte, Die Kirche des frühen Mittelalters, erster Halbband, hrsg. v. Knut Schäferdiek, (Band II), München, 1978, S. 232.

10. Angenendt, Liudger Missionar – Abt – Bischof im frühen Mittelalter, S. 61.

11. Ebd., S. 61.

12. Angenendt, Arnoldt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt, 1997, S. 40.

13. Tremp, Ernst, Karl der Grosse und seine Gelehrten Zum 1200. Todesjahr Alkuins (+804), Katalog zur Ausstellung in der Stiftsbibliothek St. Gallen, St. Gallen, 2004, S. 10.

14. Gleba, Gudrun, Klöster und Orden im Mittelalter, Darmstadt, 2002, S. 23.

15. Schieffer, Rudolf, Die Karolinger, Stuttgart, 2000, S. 53 f.

16. Angenendt, Liudger Missionar – Abt – Bischof im frühen Mittelalter, S. 75.

17. Gleba, Klöster und Orden im Mittelalter, S. 21 f.

18. Padberg v., Luz E., Die Liudger-Viten in der angelsächsischen Tradition der Missionsarbeit im geistlichen Familienverband, in: Die Vita Sancti Liudgeri, Text Übersetzung und Kommentar, Forschungsbeiträge, hrsg. v. Eckhard Freise, Graz u. Bielefeld, 1999, S. 117.

19. Gleba, Klöster und Orden im Mittelalter, S. 22 f.

20. Schneider, Karl der Große – politisches Sendungsbewusstsein und Mission, S. 241.

21. Ebd., S. 227.

22. Schieffer, Die Karolinger, S. 75.

23. Ebd., S. 77.

24. Senger, Liudger Leben und Werk, S. 27.

25. Angenendt, Liudger Missionar – Abt – Bischof im frühen Mittelalter, S. 81.

26. Ebd., S. 82.

27. Ebd., S. 82.

28. Angenendt, Liudger Missionar – Abt – Bischof im frühen Mittelalter, S. 84.

29. Schieffer, Die Karolinger, S. 87.

30. Senger, Liudger Leben und Werk, S. 51.

31. Schrade, Hubert, Die Vita des heiligen Liudger und ihre Bilder, Münster, 1960, S. 5.

32. Die Vitae Sancti Liudgeri, hrsg. v. Wilhelm Diekamp, in: Die Geschichtsquellen des Bisthums Münster, hrsg. v. Freunden der vaterländischen Geschichte, vierter Band, Münster, 1881, S. XV.

33. Ebd., S.XVI f.

34. Ebd., S. XV.

35. Ebd., S. XXI.

36. Ebd., S. XVIII.

37. Ebd., S. XXVII.

38. Padberg v., Die Liudger-Viten in der angelsächsischen Tradition der Missionsarbeit im geistlichen Familienverband, S. 120.

39. Padberg v., Die Liudger-Viten in der angelsächsischen Tradition der Missionsarbeit im geistlichen Famili- enverband, S. 121.

40. Schrade, Die Vita des heiligen Liudger und ihre Bilder, S. 6.

41. Die Vitae Sancti Liudgeri, hrsg. v. Wilhelm Diekamp, S. XXVI.

42. Ebd., S. XXVIII.

43. Schrade, Die Vita des heiligen Liudger und ihre Bilder, S. 6.

44. Die Vitae Sancti Liudgeri, hrsg. v. Wilhelm Diekamp, S. LXXXIII.

45. Wattenbach, Wilhelm, Die Lebensbeschreibungen des hl. Willibrord, Gregors von Utrecht, Liudgers und Willehads von Bremen Das Leben Liudgers, Bischofs von Münster, von Altfrid, in: Die Geschichtschrei- ber der deutschen Vorzeit, ed. v. Georg H. Pertz, Jakob Grimm u. Karl Lachmann, (Band 14, zweite Ge- samtausgabe), Leipzig, 1941.

46. Freise, Eckhard, Vita secunda sancti Liudgeri. Deutsche Übersetzung und Kommentar, in: Die Vita Sancti Liudgeri, Text, Übersetzung und Kommentar, Forschungsbeiträge, hrsg. v. Eckhard Freise, Graz u. Biele- feld, 1999.

47. Kaus, Eberhard, Zu den Liudger-Viten des 9. Jahrhunderts, in: Westfälische Zeitschrift, 142. Band (1992), S. 18.

48. Schrade, Die Vita des heiligen Liudger und ihre Bilder, S. 6.

49. Die Vitae Sancti Liudgeri, hrsg. v. Wilhelm Diekamp, S. XXXIX.

50. Ebd., S. XXXIX.

51. Ebd., S. XXXVII.

52. Schrade, Die Vita des heiligen Liudger und ihre Bilder, S. 6.

53. Freise, Vita secunda sancti Liudgeri. Deutsche Übersetzung und Kommentar, S. 58.

54. Padberg v., Die Liudger-Viten in der angelsächsischen Tradition der Missionsarbeit im geistlichen Famili- enverband, S. 113.

55. Senger, Basilius, Liudgers Erinnerungen, Essen, 1959, S. 7.

56. Ebd., S. 10.

57. Padberg von, Lutz E., Heilige und Familie Studien zur Bedeutung familiengebundener Aspekte in den Viten des Verwandten - und Schülerkreises um Willibrord, Bonifazius und Liudger, Essen, 1981, S. 103.

58. Padberg v., Die Liudger-Viten in der angelsächsischen Tradition der Missionsarbeit im geistlichen Famili- enverband, S. 126.

59. Senger, Liudgers Erinnerungen, Essen, 1959, S.18.

60. Padberg v., Die Liudger-Viten in der angelsächsischen Tradition der Missionsarbeit im geistlichen Famili- enverband, S. 124.

61. Senger, Liudgers Erinnerungen, Essen, 1959, S. 28.

62. Ebd., S. 29.

63. Wattenbach, Die Lebensbeschreibungen des hl. Willibrord, Gregors von Utrecht, Liudgers und Willehads von Bremen Das Leben Liudgers, Bischofs von Münster, von Altfrid, S. 30., siehe auch: Liudgeri Vita Gregorii Abbatis Traiectensis, ed. v. O. Holder-Egger (MGH, Scriptorum 15.1), Hannover, 1887, S. 64.

64. Senger, Liudger Leben und Werk, S. 16.

65. Die Vitae Sancti Liudgeri, Diekamp, Vita sancti auctore Altfrido, S. 10 f.

66. Freise, Vita secunda sancti Liudgeri. Deutsche Übersetzung und Kommentar, S. 31. Die Vitae Sancti Liud- geri, Diekamp, Vita secunda sancti Liudgeri, S. 56: Haec eadem cum iam viro iuncta sanctum pueram ges- taret in utero, contigit, ut festino gresso incedens lapsa gravitur corrueret et, actua sude, super quam cecider- rat, latere eius perfosso, nemo putaret, vel ad modicum posse eam spritum retinere vel puerperium non peni- tus periturum. Sed miro modo veloci et inopinata salute ipsa convaluit, et infans post paucos dies editus in nullo laesus apparuit.

67. Angenendt, Liudger Missionar – Abt – Bischof im frühen Mittelalter, S. 89.

68. Padberg v., Die Liudger-Viten in der angelsächsischen Tradition der Missionsarbeit im geistlichen Famili- enverband, S. 119

69. Börsting, Heinrich, Das Leben des heiligen Liudger, sein Werk und seine Verehrung, in: Sankt Liudger Ge- denkschrift zum 1150. Todestage des Heiligen, Essen-Werden, 1959, S. 16.

70. Ebd., S. 16 f.

71. Tremp, Karl der Grosse und seine Gelehrten Zum 1200. Todesjahr Alkuins (+804), S. 19.

Ende der Leseprobe aus 65 Seiten

Details

Titel
Liudgers Gründungen Münster und Werden als Stützpunkte für seine Missionstätigkeit in Friesland und Sachsen
Hochschule
Universität zu Köln  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Mittlere und Neuere Geschichte
Note
2,5
Autor
Jahr
2009
Seiten
65
Katalognummer
V179755
ISBN (eBook)
9783656022381
ISBN (Buch)
9783656022527
Dateigröße
654 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mission, Sachsen, Kloster, Missionstätigkeit, Franken, Glaube, Münster, Werden, Liudger, Angelsachsen, Friesen
Arbeit zitieren
Andreas Plug (Autor:in), 2009, Liudgers Gründungen Münster und Werden als Stützpunkte für seine Missionstätigkeit in Friesland und Sachsen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/179755

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