Ausgehend von der Verligen-Szene, deren Tragik im fehlgeleiteten verbalen Austausch zwischen beiden Partnern besteht, soll zunächst Enites Verhalten vor der Hochzeit mit Erec betrachtet werden, da es sich besonders gut für einen Vergleich mit ihrem späteren Auftreten als Königin eignet. Auch ein Blick auf die Figur Ginovers, der idealen Herrscherin, soll dazu dienen, Enites kommunikatives Fehlverhalten in Karnant zu charakterisieren, die Frage ihrer Schuld zu klären. Diesbezüglich ist auch das von Hartmann im Roman etablierte Ehe- und Minnemodell von Interesse. Welchen Stellenwert nimmt die körperliche Liebe am Artushof ein? Bezieht sich Hartmann auf den Topos des Evamotivs und ruft er somit die traditionelle Vorstellung von der Frau als ewige Verführerin auf?
Daran anschließend sollen Enites sprachliche Äußerungen während der Aventiure genau betrachtet werden: welche rhetorischen Strategien benutzt sie, um Erecs und ihr Leben während ihrer Reise zu schützen? Wie bedeutend ist ihr Verhalten für den positiven Ausgang der Handlung? Ein Blick auf den Schluss des Romans soll schließlich klären, inwieweit Hartmann tatsächlich eine neue weibliche soziale Rolle geschaffen hat. Präsentiert der Autor in seinem Werk protofeministische Ansichten, oder transportiert sein Roman letztlich doch die stereotype Inferiorität der Frau?
Angesichts des Umfangs dieser Arbeit beschränkt sich der Vergleich mit Chrétiens des Troyes Vorlage Erec et Enide leider nur auf wenige Passagen, um exemplarisch die Verschiebung der Redeanteile von männlichen auf weibliche Protagonisten zu veranschaulichen. Ein genauer Vergleich aller Passagen, die in dieser Arbeit untersucht werden, ist zwar wünschenswert, muss jedoch ausbleiben.
Die Bedeutung der Thematik um Reden und Schweigen in Hartmanns Roman wurde in der Forschungsliteratur schon mehrfach thematisiert, Arbeiten, die sich intensiv an Enites Rolle abarbeiten sind jedoch weniger häufig vertreten, obwohl es nicht an feministischen Lesarten mittelalterlicher Literatur fehlt, die die Rolle der Frau in der mittelalterlichen Gesellschaf thematisieren. Der Gefahr der Verabsolutierung von misogynen Aussagen der Autoren, entgehen dabei jedoch nicht alle AutorInnen. Als relevant für diese Arbeit erwiesen sich vor allem Bussmanns Aufsatz über Sprache und Identität, sowie die Abhandlungen von McConeghy über weibliches Kommunniaktionsverhalten und Welz’ Überlegungen über das Geschehen in Karnant.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Zur Bedeutung weiblicher Rede im Erec Hartmanns von Aue.
- Exposition - gestörte Kommunikation in Karnant
- Hartmann und die Dialektik von Reden und Schweigen in seiner Zeit - Neubewertung des tugendhaften Schweigens?
- Ginover – die ideale Herrscherin als soziale Rolle
- Körperliche Liebe und höfische Minne – ein Widerspruch?
- Einen sûft nam si tiefe – Enites beredtes Schweigen in Karnant
- Kommunikationsstrategien I: Zementierung der männlichen Superiorität
- Kommunikationsstrategien II Listiges Sprechen
- Kommunikationsstrategien III: Verbale Manipulation
- Revision - Der Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft
- Die ideale Herrscherin - Hartmanns Frauenbild zwischen Innovation und Restauration
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert die Rolle weiblicher Kommunikation im Erec Hartmanns von Aue, wobei der Fokus auf der Figur der Enite liegt. Ziel ist es, die Bedeutung ihres verbalen Verhaltens zu untersuchen und dabei die Frage nach ihrer Teilschuld an Erecs Ehrverlust zu beleuchten. Darüber hinaus befasst sich die Arbeit mit Hartmanns Bezugnahme auf Rede- und Schweigediskurse seiner Zeit, sowie mit der möglichen Umwertung der Geschlechterrollen in seinem Werk.
- Enites kommunikatives Verhalten in der Verligen-Szene und seine Folgen für die Handlung
- Hartmanns Bezugnahme auf Rede- und Schweigediskurse seiner Zeit und die Frage nach einer möglichen Umwertung der Geschlechterrollen
- Die Rolle von Enite als Repräsentantin einer genuin femininen Sprachkultur
- Enites Einfluss auf die Handlung als diejenige, die sie lenkt, und die Frage nach ihrer Position in der höfischen Hierarchie
- Der Vergleich von Enites Verhalten vor und nach ihrer Hochzeit mit Erec
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt die Thematik der Arbeit vor und erläutert den Fokus auf die Figur der Enite und ihr kommunikatives Verhalten im Erec. Sie benennt die zentralen Forschungsfragen und beschreibt die Relevanz der Thematik in der aktuellen Forschung.
- Exposition - gestörte Kommunikation in Karnant: Dieses Kapitel untersucht die Verligen-Szene, in der es zu einem verbalen Missverständnis zwischen Erec und Enite kommt. Die Analyse befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen dem verbalen Missverständnis und den folgenden Ereignissen im Erec.
- Hartmann und die Dialektik von Reden und Schweigen in seiner Zeit - Neubewertung des tugendhaften Schweigens?: Dieses Kapitel beleuchtet die Frage, inwiefern Hartmann sich in seinem Werk auf die Rede- und Schweigediskurse seiner Zeit bezieht. Es analysiert das Konzept des tugendhaften Schweigens für Frauen, wie es zum Beispiel bei Thomasin von Zerklære oder im Alten Testament formuliert wurde.
- Ginover – die ideale Herrscherin als soziale Rolle: Dieses Kapitel untersucht die Figur der Ginover, die als ideale Herrscherin im Erec dargestellt wird, und vergleicht ihr kommunikatives Verhalten mit dem von Enite, um deren Fehlverhalten in Karnant zu charakterisieren.
- Einen sûft nam si tiefe – Enites beredtes Schweigen in Karnant: Dieses Kapitel widmet sich Enites Schweigen in der Verligen-Szene und interpretiert dieses Schweigen im Kontext der Handlung und des gesellschaftlichen Kontextes der Zeit.
- Kommunikationsstrategien I: Zementierung der männlichen Superiorität: Dieses Kapitel analysiert die Kommunikationsstrategien der Figuren im Erec, wobei der Schwerpunkt auf der Darstellung von männlicher Superiorität liegt.
- Kommunikationsstrategien II Listiges Sprechen: Dieses Kapitel befasst sich mit der Verwendung von List und Täuschung im verbalen Austausch der Figuren im Erec.
- Kommunikationsstrategien III: Verbale Manipulation: Dieses Kapitel untersucht die Strategien verbaler Manipulation, die von den Figuren im Erec eingesetzt werden.
- Revision - Der Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft: Dieses Kapitel analysiert den Konflikt zwischen Individuum und Gesellschaft, der sich im Erec durch das kommunikative Verhalten der Figuren und die gesellschaftliche Ordnung widerspiegelt.
- Die ideale Herrscherin - Hartmanns Frauenbild zwischen Innovation und Restauration: Dieses Kapitel untersucht, inwieweit Hartmann in seinem Werk eine neue weibliche soziale Rolle schafft, und befasst sich mit der Frage, ob er protofeministische Ansichten in seinem Werk präsentiert oder ob sein Werk doch eher die stereotype Inferiorität der Frau transportiert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen weiblicher Kommunikation, Rede- und Schweigediskursen, Geschlechterrollen, der Figur der Enite und ihrem kommunikativen Verhalten im Erec Hartmanns von Aue. Zu den zentralen Begriffen gehören zudem Verligen, Minne, Hofgesellschaft, höfische Hierarchie, feminine Sprachkultur, protofeministische Ansichten und die Rezeption von Rede- und Schweigediskursen im Mittelalter.
- Arbeit zitieren
- Julia Linda Schulze (Autor:in), 2008, Zur Bedeutung weiblicher Rede im "Erec" Hartmanns von Aue, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/180170