Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Das „Buch Ijob“ und Goethes „Faust“
2.1. Personenvergleiche und Übertragungen
2.1.1. Mephistopheles/Satan
2.1.2. Faust/Ijob
2.1.3. Der Herr und die Engel
2.2. Ablauf und Ausgang der Wetten
3. Schlusswort
4. Quellen
1. Einleitung
Die Geschichte um Doktor Faust gehört zu den ältesten Erzählungen der deutschen Literatur und wurde im Gegensatz zu vielen anderen bekannten Sagen und Erzählungen in vielfältigster Weise abgedruckt und neu geschrieben.
Die „Historia des D. Johann Fausten“ von 1587 ist die älteste schriftliche Überlieferung des Faust-Kontextes, die uns heute vorliegt. Goethes „Faust. Eine Tragödie“ hingegen das bekannteste neuzeitliche Werk, das eine umfangreiche Neubearbeitung des Stoffes aufweist. Besonders auffällig, gerade bei Betrachtung des zweiten Teils, ist die beachtliche Menge an historischen-, mythologischen- und religiösen Motiven, die zu einigen Teilen aus der „Historia“ übernommen wurden. „Für den ‚Prolog im Himmel’ findet sich dagegen in früheren Faust-Texten kein Vorbild.“1 Gerade in diesem Teil lässt sich eine große Anbindung an das „Buch Ijob“2 des Alten Testamentes finden,dasBestandteil meiner Untersuchung sein soll. Goethe greift hierbei die ‚Wette’ zwischen dem Teufel (Satan) und Gott auf und überträgt sie als Rahmenhandlung seines Fausttextes in den „Prolog im Himmel“.
Diese Arbeit soll die Frage klären, was Goethe aus dem Buch Ijob übernommen hat, in welcher Form er das tat und welche Unterschiede es in der Verwendung des Grundgedankens der Wette gibt. Im Laufe meiner Arbeit werde ich demnach die beiden Texte (Goethes „Faust“ und das „Buch Ijob“) im Bezug auf Inhalt, Personenkonstellation und Übertragung von bestimmten Elementen vergleichen. Dabei spielen die Textstruktur und der Aufbau der einzelnen Verse keine Rolle, da eine dahingehende Betrachtung einem Motivvergleich weder dienlich ist, noch den angemessenen Rahmen unterstützt.
2. Das „Buch Ijob“ und Goethes „Faust“
Die Entstehungszeit des Buches Ijob geht bis ins Jahr 200 vor Christus zurück. Es ist eines der Hauptwerke der Weltliteratur und nach seiner zentralen Gestalt benannt.3
Ijob, ein frommer und gottesfürchtiger Mann, wird vom Herrn in seinem Glauben geprüft und beweist nach einer langen Periode des Leidens und der Rechtfertigung seine Treue zu Gott. Eine vermeidliche Wette zwischen dem Herrn und Satan ist ausschlaggebend für sein Schicksal. Diese Wette wird in Goethes Faust aufgegriffen. Nicht nur das Thema an sich, sondern auch die Personenkonstellationen beider Geschichten, sowie spezifische übertragene Formen ähneln sich sehr.
2.1. Personenvergleiche und Übertragungen
2.1.1 Mephistopheles/Satan
Sowohl im „Buch Ijob“, als auch in Goethes „Faust“ beginnt die eigentliche Handlung mit dem Zusammentreffen von Gott und seinen Gottessöhnen.
Nun geschah es eines Tages, da kamen die Gottessöhne, um vor den Herrn hinzutreten; unter ihnen kam auch der Satan […] (Ijob 1,6)
Satan wird zwar extra erwähnt, erfährt aber keine Abgrenzung zu den Gottessöhnen. Er gehört also zum Gefolge des Herrn und ist nicht, wie im Neuen Testament, das Urböse und direkter Gegenspieler Gottes. Im „Faust“ hingegen zeigt die Regieanweisung „Der Herr. Die himmlischen Heerscharen. Nachher Mephistopheles“4 deutlich, dass Mephisto5 definitiv nicht mehr zu den Gottessöhne zu zählen ist. Im Vers 344 des „Prolog im Himmel“ heißt es zudem:
Doch ihr, die echten Gottessöhne,
[…]
Gemeint sind die drei Engel Raphael, Gabriel und Michael. Mephisto hat seinen festen Platz im nahsten Gefolge des Herrn durch seinen Aufstand als Luzifer verloren und wird im Faust lediglich als Geist betitelt6, der unter der Herrschaft Gottes steht. Die Unterordnung der beiden Figuren wird in den Texten deutlich. Erst mit dem Einverständnis des Herrn können sie auf Faust, bzw. Ijob einwirken und beide sind an Einschränkungen gebunden, die sie befolgen müssen. So heißt es im „Prolog im Himmel“, Mephistopheles dürfe „auch da nur frei erscheinen“7, muss sich Faust also deutlich als Teufel zu erkennen geben und darf seinen Plan nur so lange verfolgen, wie Faust auf der Erdelebt. Satanwiederum wird die Einschränkung auferlegt, Ijob nichts anzutun („[…] nur gegen ihn selbst strecke deine Hand nicht aus! […]“ Ijob 1,12) und als dieser die erste Prüfung besteht, sein Leben in der Zweiten zu verschonen.8
Satan und Mephisto sind also bei der Zusammenkunft mit Gott anwesend. Während der Herr des Buches Ijob Satan direkt fragt, wo er herkäme9 und dieser antwortet:
„Die Erde habe ich durchstreift, hin und her.“ (Ijob 1,7),
beginnt Mephistopheles ungefragt seinen Unmut über die Welt der Menschen kund zu tun. Beide, Mephisto und Satan, befanden sich demnach eine Zeit lang unter den Menschen.
In der Bibel lenkt Gott das Gespräch auf seinen Knecht Ijob und preist seinen Glauben und das ungetrübte Gute an. Es ist Satan, der diese Gottesfürchtigkeit in Frage stellt („Aber strecke nur deine Hand gegen ihn aus, und rühre an all das, was sein ist; wahrhaftig, er wird dir ins Angesicht fluchen.“ Ijob 1,11) und damit die Abmachung zwischen Gott und ihm provoziert. Im „Prolog im Himmel“ ist es ebenfalls der Herr, der seinen Knecht erwähnt, allerdings beginnt Mephistopheles mit der Lobrede über Faust. Erst nach der Ergänzung Gottes, Faust würde ihm „jetzt auch nur verworren“ dienen und schon bald in die Klarheit geführt werden10, äußert Mephisto seinen Widerspruch und schlägt die Wette um ihn vor:
Was wettet Ihr? Den sollt Ihr noch verlieren!
Wenn Ihr mir die Erlaubnis gebt,
Ihn meine Straße sacht zu führen.11
Es wird also sowohl im „Buch Ijob“, als auch in Goethes Faust vom Teufel angezweifelt, dass Gottes Knecht seinem Glauben standhält, bzw. Gottes Plan erfüllt und beide Male erhalten sie von Gott die Erlaubnis, ihren Zweifel zu begründen.
Der größte Unterschied besteht nun aber darin, dass es nicht Mephistos Aufgabe ist, durch Verführung eine Entscheidung zwischen Gott und dem Teufel zu Erzwingen, sondern Faust vom rechten Weg abzubringen. Anders als der Satan schafft Mephisto nichts böses, um Gottes Knecht zu schaden, sondern erfüllt ihm seine Wünsche und Begehren. „Für nichts Geringeres ist Mephisto – im Auftrag des Herrn – verantwortlich als für die menschliche Aktivität, für alles Wünschen und Wollen und Streben, das auf Macht und Besitz und allgemeiner auf Expansion ausgerichtet ist […]“.12 Ijob hingegen wird mit Beulen am ganzen Körper geplagt, verliert seine Kinder und Tiere, um Gott aufgrund des Leidens abzusagen. Hier wird demnach eine klare Entscheidung Ijobs verlangt.
In der Szene „Grablegung“ bricht der Kampf um die Seele Fausts aus. Die himmlischen Heerscharen kämpfen gegen die Geschöpfe der Hölle. Mephisto wird im Laufe des Gefechts von den Rosen der Engel berührt und bekommt ebenso wie Ijob in der Bibel Beulen am ganzen Körper.
Wie wird mir! – Hiobsartig, Beul’ an Beule
[…]13 14
Nun folgt der endgültige Verlust von Fausts Seele. Mephisto bleibt allein zurück und sagt:
[…]
Bei wem soll ich mich nun beklagen?
Wer schafft mir mein erworbenes Recht?15
[…]
Dieser Ausspruch erinnert an Ijobs Klagen in der Bibel16. Im letzten Akt von Faust wird die Geschichte von Hiob geradezu parodiert und Mephisto zu einer lächerlichen Figur.17 Goethe schafft also bewusst Parallelen, nicht nur zwischen Ijob und Faust, sondern auch zu Mephistopheles.
2.1.2. Faust/Ijob
Faust und Ijob sind Bestandteil der Wette zwischen Gott und dem Teufel, sie sind die Ausgangspunkte, nach denen das Streben Satans und Mephistos ausgelegt ist. Goethe übernahm die Idee des „Buch Ijob“, obwohl die Figur des Faust nicht viel vom Charakter Ijobs besitzt.
Der Knecht Gottes aus dem Alten Testament ist ein gottesfürchtiger, frommer Mann („Dieser Mann war untadelig und rechtschaffen; er fürchtete Gott und mied das Böse.“ Ijob 1,1), der im Blick auf mögliche Sünden seiner Kinder jeden Tag neue Brandopfer bringt. All sein Streben ist dem guten Leben eines Gläubigen gewidmet und entgegen jeden Unheils hält er an seinem Glauben an Gott und seiner Frömmigkeit fest. Faust hingegen verschwendet keinen Gedanken an Gott18. Er studierte die Theologie, ohne im Nachhinein behaupten zu können, genug zu wissen, um andere zu unterrichten und zu lehren:
[…]
Und leider auch Theologie.
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
[…]
Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,
Bilde mir nicht ein, ich könnt was lehren,
Die Menschen bessern und zu bekehren.
[…] 19
Selbst bei seinem Zusammentreffen mit dem Teufel Mephisto ist das Thema Gott nicht von Belangen. Eine Wertung dahingehend ist im ‚Faust’ nicht zu finden, Ijob hingegen wird generell als gut konnotiert, als sündenfrei und einsichtig.
Es scheint nun nah liegend, dass eine detailgetreue Übernahme der Begebenheiten aus dem „Buch Ijob“ nicht auf Faust anwendbar sein könnte. Der gottesfürchtige Ijob erfährt zwei Prüfungen: zum Einen das Standhalten seines Glauben in Anbetracht des Verlustes seiner Kinder und seines Besitzen, zum Anderen das Standhalten seines Glauben in Anbetracht der eigenen, körperlichen Krankheit. Faust hingegen befindet sich überhaupt nicht auf der nötigen Ebene, um zwischen Gott und dem Teufel zu unterscheiden: er ist ein Mann der Wissenschaft, nicht des Glaubens. Und als jemand, der Theologie studierte, ist ihm das Buch Ijob durchaus bekannt, sodass er selbst den Bestand der Wette20 mit dem Teufel bestimmt, sogar überhaupt erst auf die Idee kommt, einen Pakt zu schließen. Ihm stehen demnach keine Prüfungen bevor, sondern eine lebenslange Verführung durch Mephisto. Mit allen Mitteln wird dieser versuchen Faust dazu zu bringen „sich auf ein Faulbett“21 zu legen, ob mit wahrem Bemühen, oder List, ist dabei egal.
Ungeachtet dieses Unterschiedes, sind es dennoch beide die unter ihrem Schicksal leiden. So heißt es im „Buch Ijob:
1 Danach tat Ijob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag. 2 Ijob ergriff das Wort und sprach: 3 Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin […]
(Ijob 3,1-3,3).
Voller Schmerz aufgrund seiner Krankheit und dem Unwissen über den Grund für sein Unglück klagt Ijob all sein Leid. Faust, alt und bekümmert wegen seiner Schuld am Tode von Philemon und Baucis, klagt ebenfalls und verflucht genau wie Ijob eine bestimmte Zeit. Bei Faust ist es der Tag, an dem er der Magie verfiel:
[…]
Könnt’ ich Magie von meinem Pfad entfernen,
Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen,
Stünd’ ich, Natur, vor dir als Mann allein,
Da wär’s der Mühe wert, ein Mensch zu sein.
[…]22
[...]
1 Anderegg, Johannes: Hiob und Goethes Faust. In: Das Buch Hiob und seine Interpretatio- nen. Hrsg. von Thomas Krüger, Manfred Oeming, Konrad Schmid, Christoph Uehlinger. Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2007 (= Beiträge zum Hiob-Symposium auf dem Monte Verità vom 14.-19. August 2005). S. 396.
2 Auch: Hiob
3 Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitsübersetzung. Hrsg. im Auftrag der Bischö- fe Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, des Bischofs von Luxemburg, des Bischofs von Lüttich, des Bischofs von Bozen-Brixen. Für die Psalmen und das Neue Testament auch im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und des Evangeli- schen Bibelwerks in der Bundesrepublik Deutschland. Freiburg im Breisgau: Herder 1998. S. 583. (Im Folgenden wird aus dieser Bibelversion zitiert)
4 Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Der Tragödie erster Teil. 16. Auflage. Leipzig: Reclam o. J. S. 11.
5 Mephistopheles
6 Vgl.: Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Der Tragödie erster Teil. V. 338 „Von allen Geis- tern die verneinen […]“
7 Ebd. V. 336.
8 Vgl. Ijob 2,6.
9 Vgl. Ijob 1,7.
10 Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Der Tragödie erster Teil. V. 307-308.
11 Ebd. V. 312-314.
12 Anderegg, Johannes: Hiob und Goethes Faust. S. 408f.
13 Von Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Stuttgart: Klett o. J. V. 11809.
14 Vgl. Hiob 7,5.
15 Von Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Der Tragödie zweiter Teil. V. 11832-11833.
16 Vgl. Hiob 23,3-4.
17 Anderegg, Johannes: Hiob und Goethes Faust. S. 407.
18 Höchstens an die Göttlichkeit und auch dort nur unter dem Aspekt des Allwissens.
19 Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Der Tragödie erster Teil. V. 356-373.
20 Pakt und Wette sind in diesem Zusammenhang nicht zu trennen. Zwar wird der Begriff Wette nicht erwähnt, aber es ist nun einmal eine Abmachung, ein Pakt, mit dem Bestand- teil des Dienstes auf Lebzeiten, oder zumindest bis zum Ausspruch Fausts: „Verweile doch, du bist so schön!“ Es existiert somit eine Wenn-dann-Beziehung. Wenn Faust auf- hört zu Streben, dann bekommt der Teufel seine Seele. Oder wenn Faust weiterhin strebt, dann muss ihm der Teufel auch weiterhin dienen. Und diese Struktur kommt einer Wette und seinem Wetteinsatz gleich.
21 Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Der Tragödie erster Teil. V. 1692.
22 Von Goethe, Johann Wolfgang: Faust. Der Tragödie zweiter Teil. V. 11404-11407.