Parentifizierung. Definition, Symptome, Ursachen, Folgen und Hilfe der Sozialen Arbeit

Diebstahl der Kindheit


Hausarbeit, 2011

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhalt

1 Einleitung

2 Definition/ Symptome
2.1 Definition nach ICD-10
2.2 Parentifizierung – Begriffsentwicklung und Formen
2.3 Rollen parentifizierter Kinder
2.4 Komorbidität

3 Ursachen für Parentifizierung
3.1 Suchtmittelmissbrauch der Eltern
3.2 Psychische Störung und Erkrankung der Eltern
3.3 Generationsübergreifende Familiendynamik

4 Folgen für Betroffene
4.1 In der Kindheit
4.2 Langzeitfolgen

5 Hilfen der Sozialen Arbeit
5.1 Ambulante Behandlung
5.2 Kinder- und Jugendhilfe

6 Zusammenfassung

Quellenverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Hierarchie des Vorgehens

1 Einleitung

Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen werden in Ihrer Arbeit in der Familien-, Kinder- und Jugendhilfe immer wieder mit verschiedensten familiären Situationen, Konstellationen und deren Auswirkungen auf die einzelnen Familienmitglieder und dem Familienumfeld konfrontiert. In den seltensten Fällen sind die sozialen Schieflagen den Klienten und Klientinnen bekannt. Der Bedarf an professioneller Hilfe ist den Betroffenen und deren Umfeld selten bewusst.

Während meiner Arbeit im Kinderheim sind mir Kinder in Erscheinung getreten, die zum Einen immer ruhig waren und kaum auffielen und zum Anderen welche durch aggressives und bestimmendes Verhalten hervorstachen. In Gesprächen mit anwesenden Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagoginnen viel mir besonders auf, dass bei fast allen Kindern familiäre Missstände herrschen. Dabei wurde mein Interesse geweckt und ich stieß auf ein hervorstechendes Phänomen, bei dem Ursachen und Folgen einen eher widersprüchlichen Charakter haben, die Parentifizierung.

Während meiner Recherchen in Büchern, Artikel und Internetseiten fand ich wenig Material speziell für Parentifizierung. Daher widmet sich diese Hausarbeit den Fragen: Was ist Parentifizierung? Was können Ursachen und Folgen sein? Und wie kann Betroffenen und Ihren Familien geholfen werden.

2 Definition/ Symptome

Zu Beginn meiner Ausarbeitung ist es wichtig das Phänomen der Parentifizierung und deren Formen zu definieren. Diese wird als Rollenumkehr benannt, indem das Kind eine Rolle übernimmt oder übernehmen muss, die nicht entwicklungsgerecht ist.[1]

2.1 Definition nach ICD-10-GM Version 2011

Der ICD-10 erfasst Parentifizierung im Kapitel V – Psychische und Verhaltensstörungen in der Kategorie Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn der Kindheit und Jugend und codiert mit der Kennnummer F94.1. Hier wird von einer reaktiven Bindungsstörung im Kindesalter gesprochen, welche in den ersten fünf Lebensjahren in Erscheinung tritt. Charakteristisch ist das Auffällige soziale Beziehungsmuster des Kindes. „Die Symptome bestehen aus Furchtsamkeit und Übervorsichtigkeit, eingeschränkten sozialen Interaktionen mit Gleichaltrigen, gegen sich selbst oder andere gerichteten Aggressionen, Unglücklichsein und in einigen Fällen Wachstumsverzögerung.“[2] Parentifizierung ist als Resultat, anhaltender massiver Vernachlässigung sowie Missbrauch und Misshandlung durch die Eltern anzusehen.[3]

2.2 Parentifizierung - Begriffsentwicklung und Formen

Der Begriff Parentifizierung für das Phänomen der veränderten Eltern-Kind-Rollen wurde erstmals von Boszormenyi-Nagy und Spark im Jahre 1981 benutzt. Diese Erscheinung ist jedoch schon länger bekannt und wurde beispielsweise von Schmideberg (1948) mit Eltern, die sich von ihrem Kind elterliche Fürsorge und Anteilnahme erhoffen, beschrieben. Darüberhinaus sprachen Mahler und Rabinovitch (1956) von veränderter Entwicklung bei Kindern in Familien mit andauernden Partnerkonflikten. In neuen Schriften zu diesem Phänomen wird von einer „Verletzung oder Überschreitung der Generationengrenze“[4] gesprochen. Dabei muss man eine Familie als Interaktionsmodell mit Grenzen nach innen und außen sehen. Bei intakten Familien sind die Grenzen nach außen durchlässig, das heißt eine außerfamiliäre Interaktion ist möglich. Jedoch sind die inneren fest, die Generationengrenze wird nicht überschritten. Boszormenyi-Nagy und Spark weisen darauf hin das Parentifizierung bis zu einem gewissen Maße für die Entwicklung des Kindes normal und förderlich sein kann, wenn ein Ausgleich für die eigenen Einschränkungen stattfindet. In diesem Fall handelt es sich um adaptive Parentifizierung. Hierbei wird von einem Verdienstkonto gesprochen. Wenn über längere Zeit ein „Ungleichgewicht des Gebens und Nehmens“[5] vorliegt, kommt es zur destruktiven Form der Parentifizierung. Das Phänomen muss also als Anpassung des Kindes an die familiären Umstände verstanden werden.[6]

2.3 Rollen parentifizierter Kinder

Eltern die ihre Kinder in einem Maße parentifizieren, dass diese die sorgende Funktion der Großeltern übernehmen müssen, waren häufig in der eigenen Kindheit diesem Phänomen ausgesetzt. Bei solchen Eltern herrscht oft ein massives Ungleichgewicht zwischen der Befriedigung ihrer Bedürfnisse und den Erwartungen von den wirklichen Großeltern. Aus Loyalität zu diesen, übertragen sie die Bedürfnisbefriedigung auf ihre eigenen Kinder, zum Beispiel: Trost spenden, für familiären Zusammenhalt sorgen und als Ratgeber fungieren. In diesem Fall handelt es sich um eine manifeste Sorgerolle. In der Opferrolle versucht das Kind Aufmerksamkeit und Zuwendung von den Eltern zu bekommen, und „durch ein Gefühl der Verbundenheit und Verpflichtung“[7] den elterlichen Erwartungen gerecht zu werden. Kinder, die wie Musterkinder erscheinen, immer zuvorkommend, überaus höflich, scheinbar niemals auffallen und von einer gewissen Pseudoreife geprägt sind, werden oft in eine neutrale Rolle gedrängt. Sie bekommen dadurch weniger Zuwendung und Aufmerksamkeit von den Eltern. Parentifizierung beeinflusst nicht nur die Eltern-Kind-Interaktion, sondern hat Auswirkungen auf die gesamte Familie. So kommt Kindern, die in die Streitschlichterrolle gedrängt wurden, eine besondere Stellung in der Familie zu. Sie werden zu Ersatzpartnern oder Schlichtern bei Ehekonflikten gemacht, was wiederum Neid und Missgunst unter den Geschwistern auslösen kann.[8]

2.4 Komorbidität

Je nach Ursache der Parentifizierung und der Rolle des parentifizierten Kindes können verschiedene Begleitstörungen auftreten. So können Betroffene an „Störungen des Sozialverhaltens, Altersspezifischen emotionalen Störungen, Hyperkinetische Störungen, Angststörungen, Intelligenzminderungen“ und Bindungsstörungen leiden.[9]

3 Ursachen für Parentifizierung

In diesem Kapitel werden die wichtigsten Ursachen von destruktiver Parentifizierung erläutert. Beginnend mit Suchtmittelmissbrauch der Eltern, psychische Störungen und Erkrankungen der Eltern bis zu generationsübergreifenden Ursachen und ihren Wirkungen auf die betroffenen Kinder.

3.1 Suchtmittelmissbrauch der Eltern

Durch die schleichende Veränderung und Abhängigkeit der Eltern verändert sich der Alltag in den Familien. Für die Betroffenen bedeutet das sehr oft zunehmende soziale Isolation, da Besuch und der Umgang mit anderen Menschen reduziert wird und über den Suchtmittelmissbrauch nach außen nicht gesprochen werden darf. Für Eltern tritt die Sucht immer mehr in den Vordergrund. „Beschaffung und Konsum des Suchtmittels haben für einen süchtigen Menschen oberste Priorität, und daran ändert sich meist auch dann nichts, wenn er oder sie ein Kind hat.“[10]. Eine Folge dessen ist häufig eine Vernachlässigung der elterlichen Sorge. Die Kinder passen ihre eigenen Bedürfnisse der Familienatmosphäre an, lernen „... still zu sein, nicht aufzufallen, alleine zu spielen ...“[11], um keinen Anlass für Auseinandersetzungen zu liefern. Die Betroffenen empfinden im Kleinkindesalter die Verhältnisse in ihren Familien als normal. Mit zunehmendem Alter vergleichen Kinder ihre Familie mit denen anderer und fühlen sich hilflos in ihrer Situation. Durch die von den Eltern gesetzten Erwartungen, verspüren sie jedoch eine starke Verantwortlichkeit für die eigene Familie.[12]

[...]


[1] de.wikipedia.org 15.08.2011

[2] ICD-10-GM 2011, www.dimdi.de 15.08.2011

[3] www.dimdi.de 15.08.2011

[4] Graf/ Frank 2001. 2

[5] ebenda

[6] Graf/ Frank 2001. 1ff

[7] Stange (o.J.). 7

[8] Stange, Karl-Heinz (o.J.). 6ff

[9] www.awmf.org 25.08.2011

[10] Hantel-Quitmann 1997. 234

[11] Hantel-Quitmann 1997. 231

[12] Hantel-Quitmann 1997. 228ff

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Parentifizierung. Definition, Symptome, Ursachen, Folgen und Hilfe der Sozialen Arbeit
Untertitel
Diebstahl der Kindheit
Hochschule
Fachhochschule Erfurt
Note
1,0
Autor
Jahr
2011
Seiten
16
Katalognummer
V187061
ISBN (eBook)
9783656104452
ISBN (Buch)
9783656104186
Dateigröße
1385 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Schlagworte
Parentifizierung, Soziale Arbeit, Komobidität, Rollen, Folgen, Ursachen, Kinder und Jugendhilfe, Definitionen, Symptome, Generationsübergreifende Familiendynamik
Arbeit zitieren
Christian Blum (Autor:in), 2011, Parentifizierung. Definition, Symptome, Ursachen, Folgen und Hilfe der Sozialen Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/187061

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