Es gilt im allgemeinen als unbestritten, dass die Öffentlichkeit eine große Rolle in Bezug auf den politischen Entscheidungsprozess spielt. Doch wie kann man ihre Bedeutung (im Speziellen für den politischen Entscheidungsprozess) fassbar machen bzw. operationalisieren? Mit diesem Problem hat sich Hanspeter Kriesi, Professor am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Zürich, auseinandergesetzt und einen konzeptionellen Rahmen für ein internationales Forschungsprojekt entwickelt.
In seiner Arbeit „Die Rolle der Öffentlichkeit im politischen Entscheidungsprozess“ beklagt Hanspeter Kriesi, dass die Frage nach der Beeinflussung des politischen Entscheidungsprozesses durch die öffentliche Meinung, sowie der Auswirkungen der politischen Kommunikation und Mobilisierung auf die öffentliche Meinung noch kaum systematisch erforscht ist. So beschäftigt sich man in der Politikwissenschaft, mit wenigen Ausnahmen, vor allem mit Analysen über die Vorgänge in den politischen Verhandlungsarenen, und in der Kommunikationswissenschaft spielt zumeist die Beeinflussung durch die Medieninhalte eine Rolle. Die Soziologie hat sich zwar dem Thema der Mobilisierung der öffentlichen Meinung angenommen, behandelt aber die Auswirkungen auf das politische System nicht.
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll deshalb anhand der Ausführungen von Hanspeter Kriesi die die Bedeutung der Öffentlichkeit als strategische Ressource im politischen Entscheidungsprozess erläutert werden.
Inhalt
1 Ausgangspunkt
2 Die öffentliche Arena
2.1 Merkmale der öffentlichen Arena
2.2 Akteure und Ereignisse
2.3 Strategien
3 Die Bedeutung der öffentlichen Arena:
Themenspezifischer und nationaler Kontext
3.1 Themenspezifischer Kontext
3.1.1 Exkurs: „Punctuated Equlibrium“
3.1.2 Beispiele für die Themenkategorien
3.2 Nationaler Kontext
4 Länderbeispiele
5 Kritik
6 Anhang: Tabellen
7 Literatur- und Quellenverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung 1: Modell zur Analyse der Rolle der öffentlichen Arena im politischen Entscheidungsprozess (Quelle: Kriesi, 2001, S. 13)
Tabelle 1: Beispiele für die Themenkategorien (Quelle: Kriesi, 2001, S. 36)
Tabelle 2: Mehrheits- und Konsensdemokratien (Quelle: Kriesi, 2001, S. 37)
Tabelle 3: Parteiensystem (Quelle: Kriesi, 2001, S. 40)
Tabelle 4: Pressesystem (Quelle: Kriesi, 2001, S. 42)
Tabelle 5: Fernsehsystem (Quelle: Kriesi, 2001, S. 44)
Tabelle 6: Berechnung der Indexwerte für Großbritannien und Deutschland (Quelle: Kriesi, 2001, S. 37-44)
Tabelle 7: Voraussetzungen für die Mobilisierung der Öffentlichkeit nach Ländern, in Klammern: Indexwerte (Quelle: Kriesi, 2001, S. 46)
1 Ausgangspunkt
Es gilt im allgemeinen[1] als unbestritten, dass die Öffentlichkeit eine große Rolle in Bezug auf den politischen Entscheidungsprozess spielt. Doch wie kann man ihre Bedeutung (im Speziellen für den politischen Entscheidungsprozess) fassbar machen bzw. operationalisieren? Mit diesem Problem hat sich Hanspeter Kriesi, Professor am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Zürich, auseinandergesetzt und einen konzeptionellen Rahmen für ein internationales Forschungsprojekt entwickelt. In seiner Arbeit „Die Rolle der Öffentlichkeit im politischen Entscheidungsprozess“ beklagt Hanspeter Kriesi, dass die Frage nach der Beeinflussung des politischen Entscheidungsprozesses durch die öffentliche Meinung, sowie der Auswirkungen der politischen Kommunikation und Mobilisierung auf die öffentliche Meinung noch kaum systematisch erforscht ist. So beschäftigt sich man in der Politikwissenschaft, mit wenigen Ausnahmen, vor allem mit Analysen über die Vorgänge in den politischen Verhandlungsarenen, und in der Kommunikationswissenschaft spielt zumeist die Beeinflussung durch die Medieninhalte eine Rolle. Die Soziologie hat sich zwar dem Thema der Mobilisierung der öffentlichen Meinung angenommen, behandelt aber die Auswirkungen auf das politische System nicht.
Kriesi geht von drei Hypothesen aus:
- Die öffentliche Meinung stellt einen zentralen Bestimmungsfaktor politische Entscheidungsprozesse dar.
- Der direkte Einfluss bestimmter Interessengruppen auf den Entscheidungsprozess verringert sich mit der Zunahme an Unterstützung einer themenspezifischen Politik durch das Publikum. Dabei spielt auch die Überzeugung der politischen Akteure, dass das Publikum diese Politik auch für wichtig hält, eine große Rolle.
- Interessensverbände (nicht gewählt) haben die Möglichkeit den politischen Entscheidungsprozess zu beeinflussen, indem sie die Aufmerksamkeit des Publikums, sowie der gewählten Entscheidungsträger, auf eine spezifisches Thema lenken. Dieses Thema ist für sie wichtig, sie versuchen deshalb die Meinung des Publikums in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Aus diesen drei Hypothesen folgt, dass die politische Kommunikation und Mobilisierung in der öffentlichen Arena zur Erlangung von Zustimmung von Seiten des Publikums für alle Akteure eine entscheidende Voraussetzung zur Durchsetzung ihrer politischen Anliegen ist. Kriesi legt nun dementsprechend in seiner akteurszentrierten Analyse sein Augenmerk auf die Mobilisierung der öffentlichen Meinung.
2 Die öffentliche Arena
Der Begriff der schon oben erwähnten öffentlichen Arena stammt von Gerhards und Neidhardt (1991), die den Versuch unternahmen, System- und Akteurstheorie zu verbinden und die Öffentlichkeit als intermediäres System zwischen Gesellschaft und Politik zu erklären. Kriesi unterscheidet drei Arenen der Politik:
- Parlamentarische Arena: die zentralen Akteure sind Parteien, Repräsentanten und Regierungsmitglieder.
- Administrative Arena: hier spielen zusätzlich zu den Parteien noch die Interessengruppen und Vertreter der öffentlichen Verwaltung eine Rolle.
- Öffentliche Arena: nach Neidhardt (1994) der Ort, wo die politische Kommunikation zwischen den politischen Akteuren und den Bürgern stattfindet.
In der parlamentarischen und der administrativen Arena spielen sich die politischen Verhandlungsprozesse ab, die in allgemein verbindliche politische Entscheidungen münden. Kriesi bezeichnet sie später deshalb zusammenfassend auch als Verhandlungsarenen. In der öffentlichen Arena geht es dagegen um die Zustimmung des Publikums zu den politischen Akteuren und deren Themen.
2.1 Merkmale der öffentlichen Arena
Die öffentliche Arena ist durch drei Merkmale gekennzeichnet. Erstens ist der Zugang zur Arena prinzipiell offen und an keine Bedingungen verknüpft. Das Publikum ist kaum strukturiert und prinzipiell unabgeschlossen, jeder kann am öffentlichen Kommunikationsprozess teilnehmen. Zweitens verläuft die Kommunikation in der Regel über die Massenmedien, welche ein hohes Maß an Autonomie besitzen und meistens nicht von den politischen Akteuren kontrolliert werden. Das hat zur Folge, dass keine direkte Kontrolle durch die politischen Akteure mehr ausgeübt werden kann und das Publikum immer mehr Unabhängigkeit von den politischen Akteuren gewinnt. Drittens ist die Wirkung der politische Kommunikation durch große Unsicherheit gekennzeichnet. Aufgrund der größeren Distanz zwischen Bürgern und politischen Akteuren haben die letzteren nur unvollkommene Information über das Ausmaß der Aufmerksamkeit und Zustimmung beim Publikum. Um diese Unwissenheit auszugleichen, werden die öffentliche Meinung und die Bevölkerungsmeinung als Indikatoren für die Zustimmung herangezogen.
Laut Neidhardt (1994) ist die öffentliche Meinung das „wahrgenommene kollektive Produkt des Kommunikationssystem der öffentlichen Arena“. Damit versteht man unter öffentlicher Meinung die von den Beteiligten wahrgenommene „herrschende Meinung“. Aufgrund der Vermittlungsfunktion von Kommunikation der Medien ist die öffentliche Meinung vor allem die „veröffentlichte Meinung“.
Die Bevölkerungsmeinung ist hingegen die tatsächliche Meinung der Bürger, welche mit Hilfe von Meinungsumfrage bei repräsentativen Stichproben der Bürger ermittelt wird. Die Bevölkerungsmeinung und die politisch direkt wirksame öffentliche Meinung müssen nicht übereinstimmen, da sich nicht alle themenspezifische Standpunkte in gleicher Weise mobilisieren lassen. So kann es sein, dass Vertreter eines Standpunktes eines Themas politisch aktiver sind als ihre Gegner und damit die öffentliche Meinung zu ihren Gunsten beeinflussen.
Die oben bereits erwähnte zunehmende Unabhängigkeit des Publikums resultiert nicht nur aus dem Verlust der Kontrolle durch die politischen Akteure (die „Parteienzentrierung“ und damit die Bedeutung der Parteien macht einer „Medienzentrierung“ Platz), sondern auch aus dem kulturellen Wandel und dem größeren Medienangebot.
Der heutige Bürger lebt meist einen individualistischen und mobilen Lebensstil, der im Gegensatz zu den starren Strukturen der traditionellen politischen Organisationen steht. Die sinkende Zahl der Parteimitglieder ist ein deutliches Zeichen dafür. Des weiteren lässt sich auch eine Abnahme der Parteiidentifikation und die Zunahme von Wechselwählern, sowie eine misstrauische Haltung gegenüber traditionellen politischen Organisationen, wie den Parteien, beobachten. Dem gegenüber steht aber die Bereitschaft zu unkonventionellen politischen Partizipationsformen (z.B. Demonstrationen, Kampagnen, Streiks), es lässt sich also nicht von einem allgemeinen Rückgang der politischen Aktivität sprechen.
2.2 Akteure und Ereignisse
Die Akteure der öffentlichen Arena lassen sich grob in drei Kategorien bzw. Gruppen einteilen, da sie im Allgemeinen nicht als Individuen, sondern als Vertreter bestimmter Organisationen auftreten.
Die (1) etablierten politischen Akteure haben einen institutionalisierten Zugang zu den Verhandlungsarenen (d.h. parlamentarische und administrative Arena). Zu ihnen zählen beispielsweise Regierung, Opposition, Parteien und Gewerkschaften. Sie konkurrieren untereinander um die Zustimmung beim Publikum. Keinen institutionalisierten Zugang zu den Verhandlungsarenen haben hingegen die (2) Außenseiter. Hierbei handelt es sich meist um neu aufkommende soziale Bewegungen oder Bürgerinitiativen. Anders als die etablierten Akteure genießt diese Gruppe keinen Vorschuss an Aufmerksamkeit in den Medien, was sie zusätzlich zum Wettbewerb um Zustimmung einem scharfen Wettbewerb um Medienaufmerksamkeit aussetzt. Es wird hier auch bereits deutlich, dass die Grenze zwischen Außenseitern und etablierten Akteuren eher fließend verläuft. Ein Außenseiter kann zum etablierten Akteur werden (z.B. die Grünen) und andersherum. Die letzte Gruppe stellen die (3) Medien dar. Ihr Hauptziel besteht darin, im Wettbewerb untereinander möglichst viel Aufmerksamkeit (d.h. Einschaltquoten bzw. Absatzzahlen) beim Publikum zu erreichen. Sie richten deshalb ihre Selektionslogik v.a. am Publikum aus: berichtet wird über Ereignisse, die aus Sicht der Medien beim Publikum eine hohen Nachrichtenwert haben.
Zwischen den drei Gruppen von Akteuren bilden sich je nach Sachthema unterschiedliche sogenannte „Diskurskoalitionen“ („discourse coalitions“). Diese Koalitionen zeichnen sich einzig und allein dadurch aus, dass sie dieselbe „story line“ vertreten. Das Konzept der „Diskurskoalitionen“ von Hajers (1995) sieht nicht zwingend direkte Kontakte unter den Akteuren vor und ermöglicht deshalb die Identifizierung von Koalitionen, die alle drei Akteursgruppen mit umfassen.
Da die Kommunikation zwischen politischen Akteuren und Publikum heute – wie oben bereits erläutert – v.a. massenmedial vermittelt abläuft, müssen sich die Akteure, um Aufmerksamkeit und damit Zustimmung beim Publikum zu erlangen, den Selektions- und Präsentationskriterien der Medien unterwerfen. Hierbei spielen Ereignisse eine entscheidende Rolle.
Medien berichten und kommentieren Sachthemen und Akteure im Wesentlichen aufgrund von Ereignissen. Diese lassen sich wiederum in zwei Gruppen einteilen. (1) Genuine Ereignisse finden unabhängig davon statt, ob über sie berichtet wird oder nicht. Hier kann noch einmal weiter unterschieden werden, je nachdem ob die als Ereignisse institutionalisiert (d.h. aufgrund von Regeln, Satzungen, Gesetzen o.ä. festgelegt, z.B. Wahlen) oder nicht institutionalisiert (z.B. Anstieg der Arbeitslosenzahlen) bezeichnet werden können. Davon zu unterscheiden sind (2) inszenierte Ereignisse, die nur zum Zweck der Berichterstattung herbeigeführt werden und sonst nicht geschehen wären. Auch hier kann noch einmal unterschieden werden zwischen Routineereignissen (z.B. Pressekonferenzen) und spektakulären Inszenierungen wie beispielsweise Demonstrationen oder Sitzblockaden. Die Bedeutung der inszenierten Ereignisse darf nicht unterschätzt werden. Laut einer Studie von Schmitt-Beck und Pfetsch zur Bundestagswahl 1990 (Schmitt-Beck/Pfetsch, 1994: 121ff.) beruhte fast die Hälfte der Berichterstattung in den acht Monaten vor der Wahl auf inszenierten Ereignissen.
[...]
[1] Im Folgenden nach Kriesi (2001)
- Arbeit zitieren
- Jan Kercher (Autor:in), Isabel Birnstingl (Autor:in), 2003, Öffentlichkeit als strategische Ressource im politischen Entscheidungsprozess, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/18938
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