Hintergrund: Die Verfasserin dieser Arbeit hat sich im täglichen Umgang mit hochaltrigen Menschen im Rahmen ihres Berufes immer wieder Gedanken darüber gemacht, warum diese Menschen so alt geworden sind. Mit dieser Arbeit hat sie dann die Gelegenheit wahrgenommen, diesen Gedanken konkrete Gestalt in der Form zu verleihen, indem sie sie schriftlich formulierte und prüfte, ob es dazu wissenschaftliche Erklärungsansätze gibt, die sich auf einem ähnlichem theoretischem Hintergrund bereits mit diesen gedanklichen Überlegungen auseinandergesetzt haben. Im Anschluss fasste sie ihre Gedanken in Hypothesen, die sie dann untersuchte. Ihre Überlegungen umriss sie zunächst einleitend grob als Vermutung, bevor sie dann in einem anderen Punkt daraus Hypothesen ableitete. Da sie ein Teil dieser Hochaltrigen immer wieder durch ihre Zähigkeit und Ausdauer im täglichen Leben beeindruckte, vermutete sie, dass diese durch bestimmte Vorbedingungen, die verinnerlicht sind und waren, psychische Kräfte entwickelt haben, die es ihnen ermöglichten, schwierige Situationen im Leben besser zu verkraften und sich eine positive Lebenseinstellung zu bewahren.
Alle diese Überlegungen bewogen sie dazu, das Thema Hochaltrigkeit zu untersuchen. Dabei begrenzte sie sich auf einen kleinen Ausschnitt dieses Themas. So wollte sie erfahren, mit welchen Startchancen diese Menschen ins Leben gegangen sind, was sie daraus mitgenommen haben, und was sie an uns, die nachfolgenden Generationen, weitergeben können. Aussagen, die sich aus der Beantwortung dieser Fragen schließen lassen, können Hinweise dafür sein, unter welchen Vorbedingungen die besten Chancen bestehen, ein zufriedenes und hohes Alter zu erreichen.
Fazit dieser Arbeit ist: Die Verfasserin kam durch qualitative Interviews zu dem Ergebnis, dass Hochaltrigkeit sich nicht aus dem Lebenslauf und den Erfahrungen eines Menschen begründen lässt, sondern sehr wahrscheinlich hauptsächlich genetisch bedingt zu sein scheint.
Inhaltverzeichnis
Vorwort
1. Einleitung
2. Was versteht man unter Hochaltrigkeit?
3. Demographische Entwicklung
3.1. Altersentwicklung bzw. Alterspilz
4. Was versteht man unter Alt und Altern?
4.1. Definitionen
5. Altersbestimmungen
5.1. Kalendarisches bzw. chronologisches Alter
5.2. Biologisches Alter
5.3. Psychologisches Alter
5.4. Soziales Alter
6. Alternstheorien
6.1. Das Defizitmodell
6.2. Die kognitive Alternstheorie
6.3. Die Aktivitätstheorie
6.4. Die Disengagement Theorie
6.5. Die Kontinuitätstheorie
7. Altersstrukturwandel im Lebenslagenkonzept
7.1. Verjüngung des Alters
7.2. Entberuflichung
7.2.1. Die Entberuflichung des Alters als Alterszeit ohne Berufstätigkeit
7.2.2. Den Prozeß der Berufsaufgabe
7.3. Feminisierung
7.3.1. Partizipation
7.3.2. Feminisierung der Altersarmut
7.3.3. Gefährdung und Abhängigkeit
7.4. Singularisierung
7.5. Hochaltrigkeit
8. Wissenschaftliche Erklärungsansätze zum Alter(n)
9. Woran könnte es hypothetisch liegen, daß Menschen so alt werden?29
10. Mit welchem methodischem Instrumentarium versuche ich meine Hypothesen zu verifizieren? 30
10.1. Interview
10.2. Soziogramm
10.3. Zielgerichtetes Interview
11. Zur methodischen Umsetzung der Untersuchung
11.1. Zur Kindheit
11.2. Zum Erwachsenenalter
11.3. Zum Alter
12. Erstellung eines Interviewleitfaden
12.1. Zum Themenkomplex Kindheit
12.2. Zum Themenkomplex Erwachsenenalter
12.3. Zum Themenkomplex Alter
13. Zum Untersuchungsansatz und Auswahl der Interviewpartner/innen
14. Umsetzung des methodischen Ansatzes auf die Überprüfung meiner Hypothesen
14.1. Zur Lebensphase Kindheit
14.2. Zur Lebensphase Erwachsenenalters
14.3. Zur Lebensphase des Alters
14.4. Zusammenfassung
15. Zusammenfassung der Interviews
15.1. Zusammenfassung des Interviews von Herrn B.
15.1.1 Zur Kindheit
15.1.2 Zur Erwachsenenalter
15.1.3 Zum Alter
15.2. Zusammenfassung des Interviews von Frau F.
15.2.1 Zur Kindheit
15.2.2 Zur Erwachsenenalter
15.2.3 Zum Alter
15.3. Zusammenfassung der Interviews von Frau M. und Frau V.
15.3.1 Zur Kindheit
15.3.2 Zur Erwachsenenalter
15.3.3 Zum Alter
15.4. Zusammenfassung
16. Umsetzung meiner Hypothesen auf die Lebensbiographien
16.1. Zur Lebenskontinuität
16.2. Zum Umgang mit kritischen Lebensereignissen
16.3. Zur Lebenserfahrung und dem Lebenssinn
16.4. Zur Lebenszufriedenheit
17. Zusammenfassende Ergebnisse meiner Untersuchung
18. Niederschrift der einzelnen Interviews
18.1. Niederschrift des ersten Interviews
18.1.1 Aus seinem Leben berichtet Herr B. folgendes
18.2. Niederschrift des zweiten Interviews
18.2.1 Aus ihrem Leben berichtet Frau F. folgendes
18.3. Niederschrift des dritten und vierten Interviews
18.3.1 Aus ihrem Leben berichten Frau M. und Frau V. folgendes
Literaturverzeichnis
Vorwort
Ein Mann schleppt sich müden Schrittes die Landstraße entlang. Keuchend, nach Atem ringend, bleibt er stehen, dann bricht er zusammen unter der Last seines schweren Rucksackes.
Aus dem Morgennebel tritt eine Frau auf ihn zu: "Was hast Du? Warum stehst Du nicht auf?"
"Ich kann nicht", stöhnt der Mann, "die Last meines Rucksackes erdrückt mich."
"Dann laß ihn liegen, und geh weiter."
"Das kann ich nicht", jammert der Mann,"in ihm steckt mein Leben, meine Zeit."
Die Frau schüttelt den Kopf: "Sieh nur, was Du Dir antust, wie Du daliegst, nennst Du das Leben? Öffne den Rucksack, und sieh Dir Deine Zeit an, deren Sklave Du geworden bist."
Der Mann tut, was ihm die Frau befiehlt. Der Rucksack ist voller Pakete, viele schon total zerfleddert, dennoch fest verschnürt. Mit einer großen Schere schneidet die Frau die Schnüre auf: "Schau, schau nur hin, was Du mit Dir herumschleppst! Lohnt sich diese Last?"
Da liegt es vor dem Mann: vergangenes, gewesenes, vergilbtes Leben. Der frische Morgenwind treibt den zerbröckelten Inhalt des Rucksacks vor sich her, weiter, immer weiter, bis er sich in der Ferne in Staub auflöst.
Der Mann erhebt sich, dehnt seine Schultern und merkt, wie sie breit und stark werden.. Und setzt seinen Weg fort.
"Ja", ruft die Frau, "geh nur - geh weiter! Es gibt noch viel für Dich zu tun. Denn jede Zeit ist Deine Zeit."
(vgl. Lotti Huber,1994, Vorwort)
1. Einleitung
Es stellt sich einleitend die Frage, wieso Hochaltrigkeit ein interessantes Thema ist, das viele Fragen aufwirft? Dafür sprechen zwei Argumente: Zum einen gewinnt dieses Thema an zunehmender Bedeutung, da es mehr und mehr hochaltrige Menschen gibt und noch geben wird. So verweisen die Untersuchungen zur Bevölkerungsentwicklung eindeutig auf diese Entwicklung. Die mit Hochaltrigkeit verbundenen Belange werden somit in Zukunft stärkere Berücksichtigung im Bereich der Gerontologie finden müssen. Ein kleinen Teil möchte ich mit dieser Untersuchung dazu beitragen. Hochaltrigkeit wird meines Erachtens zu einem brennenden Thema werden, das eine Herausforderung an die Alten- und Sozialpolitik darstellt und für die Lösungen gesucht werden müssen.
Zum anderen stellt diese wissenschaftliche Arbeit auch ein persönliches Anliegen meinerseits dar. Die Generation der heutigen Hochaltrigen hat auf mich eine ganz besondere Ausstrahlung. Es sind dies die Menschen, die Kaiserreich, Ersten Weltkrieg, Weimarer Zeit, Drittes Reich, Zweiten Weltkrieg und Aufbau der Bundesrepublik Deutschland durchlebt und miterlebt haben. Sie haben vielfach Not, Hunger und Entbehrung kennengelernt. Trotz all' dieser schweren Zeiten, erlebe ich subjektiv betrachtet, vielfach diese Menschen als sehr lebensoptimistisch. Ihr Denken und Handeln richtet sich mehr auf positive Lebenseinstellungen.
Für mich ist es immer wieder ein Genuß, ihren Berichten und Erzählungen aus den verschiedenen Zeitepochen zuzuhören. Daher komme ich zu der Auffassung, daß diese Lebensberichte auch zeitgeschichtliche Dokumente darstellen, die es lohnen würde, systematisch zu erfassen. Insbesondere sehe ich dies auch speziell für die Hochaltrigen, die ich in meinem Berliner Umfeld kennengelernt habe. Es ist nicht selten, daß mir diese Menschen von Begegnungen mit dem deutschen Kaiser, oder der Teilnahme an Versammlungen mit Rosa Luxemburg, oder dem Erleben der Ausrufung der Weimarer Republik am Reichstag berichteten.
Auch habe ich mir im täglichen Umgang mit hochaltrigen Menschen im Rahmen meines Berufes immer wieder Gedanken darüber gemacht, warum diese Menschen so alt geworden sind. Nunmehr habe ich die Gelegenheit wahrgenommen, diesen Gedanken konkrete Gestalt in der Form zu verleihen, indem ich sie schriftlich formuliere, prüfe, ob es dazu wissenschaftliche Erklärungsansätze gibt, die sich auf einem ähnlichem theoretischem Hintergrund bereits mit diesen gedanklichen Überlegungen auseinandergesetzt haben. Anschließend kleide ich meine Gedanken in Hypothesen, die ich dann untersuchen werde. Meine Überlegungen möchte ich zunächst einleitend als Vermutung grob umreißen, bevor ich in einem anderen Punkt daraus Hypothesen ableite. Da mich ein Teil dieser Hochaltrigen immer wieder durch ihre Zähigkeit und Ausdauer im täglichen Leben beeindruckte, vermute ich, daß sie durch bestimmte Vorbedingungen, die verinnerlicht sind, psychische Kräfte entwickelt haben, die es ihnen ermöglichten, schwierige Situationen im Leben besser zu verkraften und sich eine positive Lebenseinstellung zu bewahren.
Alle diese Überlegungen bewogen mich dazu, das Thema Hochaltrigkeit zu untersuchen. Dabei werde ich mich auf einen kleinen Ausschnitt dieses Themas begrenzen. So möchte ich erfahren, mit welchen Startchancen diese Menschen ins Leben gegangen sind, was sie daraus mitgenommen haben, und was sie an uns, die nachfolgenden Generationen, weitergeben können. Aussagen, die sich aus der Beantwortung dieser Fragen schließen lassen, können Hinweise dafür sein, unter welchen Vorbedingungen die besten Chancen bestehen, ein zufriedenes und hohes Alter zu erreichen.
2. Was versteht man unter Hochaltrigkeit?
Es stellt sich hier grundsätzlich die Frage, wer zu den Hochaltrigen zählt und wie man Hochaltrigkeit definiert? Hochaltrigkeit ist ein Phänomen, das in diesem Ausmaß und in dieser Größenordnung erst in unserem Jahrhundert große Tragweite erfährt. In diesem Zusammenhang wird auch vom sogenannten "doppelten Altern" gesprochen. Doppeltes Altern ist so zu verstehen, daß viele Menschen immer älter und älter werden. Insofern gewinnt Hochaltrigkeit einen besonderen Stellenwert. "Hochaltrigkeit wird demzufolge neben Feminisierung, Singularisierung, Verjüngung und Entberuflichung als ein wesentliches Merkmal des Altersstrukturwandels angesehen (Tews, 1990c)" (Naegele/Tews, 1993, S.200).
Naegele spricht aufgrund der veränderten Altersstruktur von der "zeitlichen Ausweitung der Altersphase". Da das Alter eine Zeitspanne von nahezu 50 Jahren erfassen kann, erscheint es sinnvoll, diese zu unterteilen. "In der gerontologischen und sozialwissenschaftlichen Forschung wurden dafür die Begriffe junge Alte, alte Alte bzw. Hochaltrige geprägt." (Naegele/Tews, 1993, S.201).
Von Hochaltrigkeit wird auch oft in Verbindung mit Langlebigkeit gesprochen. Vertreter hiervon sind Lehr (1982a und 1992) und Franke (1985). Franke geht noch einen Schritt weiter und unterscheidet zwischen der absoluten und der relativen Langlebigkeit. "So gehören gemäß einer Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jene Menschen, die über 100 Jahre alt sind, zu den absolut Langlebigen (Franke 1990), da sie sich der maximalen Lebensspanne - sie beläuft sich nach bisherigen Erkenntnissen auf ca 110-120 Jahre und gilt als weitgehend genetisch fixiert (Fries, 1980; Kent, 1980) - angenähert haben. Zu den relativ Langlebigen sind hingegen jene älteren Menschen zu zählen, die die durchschnittliche Lebenserwartung eines Menschen seit seiner Geburt wesentlich überschritten haben (Lehr, 1982a)." (Naegele/Tews, 1993, S.201).
Im Zusammenhang mit Hochaltrigkeit gibt es einen besonders wichtigen Punkt. Hochaltrigkeit ist eng verknüpft mit den beiden Altersstrukturmerkmalen Feminisierung und Singularisierung. Wie anhand der demographischen Entwicklung und der Beschreibungen zu den Altersstrukturmerkmalen schon deutlich wird, sind es vorwiegend die Frauen, die sehr alt werden. Es kommt zur Feminisierung und resultierend daraus, daß die Männer früher sterben, zur Singularisierung.
Um die Auswahl meiner Probanden einzugrenzen, legte ich bei meinen Vorüberlegungen zu dieser Untersuchung einen kalendarischen Altersbeginn für Hochaltrigkeit mit ab achtzig Jahren fest. Die Befragten sollten ungefähr die gleichen zeitgeschichtlichen Ereignisse bewußt miterlebt haben (wie zum Beispiel erster Weltkrieg), um mir ihr eigenes Erleben dieser Geschehnisse vermitteln zu können, und es mir somit zu ermöglichen, einen Vergleich über die Verarbeitung dieser Geschehnisse zwischen den Hochaltrigen vorzunehmen.
3. Demographische Entwicklung
Um die Bevölkerungsentwicklung zu verdeutlichen und aufzuzeigen, wie der Zuwachs von älteren und alten Menschen sich zukünftig gestalten wird, soll kurz die demographische Entwicklung beschrieben werden. Daraus wird ersichtlich, welche zahlenmäßig wichtige Bedeutung der älteren Generation zukommt und insbesondere den Hochaltrigen noch zukommen wird.
3.1. Altersentwicklung bzw. Alterspilz
Die zunehmende Lebenserwartung der Bevölkerung einerseits und der starke Geburtenrückgang andererseits wird sich in den nächsten Jahren noch stärker daraufhin auswirken, daß der Anteil der über 60-jährigen an der Gesamtbevölkerung weiter ansteigen wird. Massiv anwachsen wird auch der Anteil der 70-, 80- und 90 jährigen an diesem Bevölkerungsaufbau. Dabei scheint sich bereits abzuzeichnen, daß ein großer Anteil der Bevölkerung über 80 und sogar 90 Jahre alt werden wird.
Bessere Lebensbedingungen, die durch relativ gute medizinische Versorgung und mehr materielle Absicherung zustande kommen, können als Gründe dafür angeführt werden, daß die Menschen im allgemeinen älter werden. Diese Entwicklung wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach noch fortsetzen.
"In den nächsten 40 Jahren wird die Zahl älterer Menschen kontinuierlich zunehmen und ihr Anteil an der Bevölkerung deutlich steigen. Ergebnisse von Bevölkerungsmodellrechnungen zeigen, daß der Altenquotient (Verhältnis der Zahl der über 60jährigen zur Gruppe der 20- bis 60jährigen) von rund 35 auf rund 71 bis zum Jahr 2030 zunehmen wird. Somit kommen im Jahr 2030 auf 100 Personen im erwerbsfähigen Alter rund 71 Senioren." (Bundesministerium für Familie und Senioren, 1993, S.5).
Die dargestellten Zahlen lassen die Schlußfolgerungen zu, daß wir bereits einen enormen Zuwachs an Hochaltrigen verzeichnen können und sich diese Entwicklung in Zukunft noch massiv fortsetzen wird. "Die enorme Entwicklung in Richtung Hochaltrigkeit läßt sich auch unmittelbar anhand der absoluten Zahlen der über 8Ojährigen verdeutlichen. Während es 1970 in der Bundesrepublik und in der ehemaligen DDR insgesamt 1,53 Mio Personen gab, die 80 Jahre und älter waren, umfaßte diese Bevölkerungsgruppe der relativ Langlebigen im Jahre 1989 bereits 2,93 Mio Personen. Dies entspricht einem Anstieg von ca 95 vH in nur zwei Jahrzehnten (Statistisches Bundesamt, 1991)." (Naegele/Tews, 1993, S.201).
Desweiteren läßt sich verzeichnen, daß die Frauen die größte Gruppe unter den Hochaltrigen vertreten: "über die Hälfte der im Jahre 1989 verstorbenen Frauen waren 80 und mehr Jahre alt, wogegen nur 31 vH der im gleichen Jahr verstorbenen Männer dieses hohe Alter erreicht hatten. Ab dem Alter von 75 Jahren gibt es doppelt so viele Frauen wie Männer. Bei den über 90jährigen beträgt das Verhältnis sogar nahezu vier zu eins." (Naegele/Tews, 1993, S.202).
Dieser ungewöhnlich hohe Anteil von Frauen in dieser Alterskohorte läßt sich zweifach begründen: Zum einen haben zwei Weltkriege, die in dieser Zeit stattfanden, das Leben vieler der gleichaltrigen Männer gekostet und zum anderen tendiert die Wissenschaft zunehmend dazu, festgelegte biologisch endogene Faktoren für diese Entwicklung anführen zu können.
4. Was versteht man unter Alt und Altern?
Um dies zu beantworten, wird das Thema unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet. Zunächst sollen einige allgemeine Definitionen die Begriffe klären. Im weiteren wird versucht, eine Altersbestimmung durch verschiedene wissenschaftliche Erklärungsansätze einzugrenzen. Abschließend erläutern einige Alternstheorien aus einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen diese Frage.
4.1. Definitionen
Es stellt sich immer wieder die Frage, was unter "Alt" und "Altern" zu verstehen ist. Eine allgemeingültige Definition gibt es für die Begriffe Alter und Altern nicht. Wenn man Altern sehr eng definiert, läßt sich wohl sagen, daß der Alterungsprozeß bereits mit der Geburt anfängt, da zu diesem Zeitpunkt die Zellen schon zu altern beginnen.
Wenn man sich nach der Definition von Meyers Grossem Taschenlexikon (1983, S.67) richtet, so ist Altern ein Lebensphase, die dadurch gekennzeichnet ist, daß sich Organe und körperliche Funktionen ständig entwickeln und wandeln. Dieser Vorgang vollzieht sich über das ganze Leben. Dabei teilt sich dies beim Menschen in die verschiedenen Entwicklungsstadien des Kleinkind-, Jugend- und Erwachsenenalters ein.
Die Alternsforschung gibt insofern eine Antwort, daß sie Altern unter verschiedenen Gesichtspunkten, wie zum Beispiel des biologischen, medizinischen, psychologischen und sozialen betrachtet, und die Grundvorgänge des Alterns in diesen Bereichen zu erklären versucht. So schreibt Tews dazu: "Ein Index des Alters kann nur durch Konstellationen physischer, psychischer und soziologischer Variabler bestimmt werden, wobei die unterschiedlichen Alternsvorgänge funktionell aufeinander bezogen werden müßten" (Tews, 1979, S.47).
Wenn von Altersbildern gesprochen wird, so geht es darum, zu erfassen, welches Bild in der Gesellschaft vom alten Menschen vorherrscht. "Studien zur Erfassung des Altersbildes in der Gesellschaft vermitteln kontroverse Stereotypisierungen vom Alter und von alten Menschen." (Oswald/Herrmann/Kanowski/Lehr/Thomae, 1991, S.38). Es läßt sich feststellen, daß derzeit ein eher negatives Bild von älteren Menschen vorherrscht. Geprägt wird dieses Bild auch durch die in der Bevölkerung allgemein bestehende Angst, daß auf uns eine sogenannte Altenlast zurollt. Hohe Lasten für Renten- und Pflege-versicherungsabgaben nähren zusätzlich diese Befürchtungen.
Allerdings gibt es in der Gesellschaft mittlerweile auch andere Sichtweisen zum Altsein und Altwerden. So haben die sogenannten neuen Alten, in der Bevölkerung Vorstellungen vom aktivem, gesundem und finanziell unabhängigem alten Menschen hervorgerufen. Beide Sichtweisen bedürfen wohl der kritischen Betrachtung und sollten nicht allgemeingültig übernommen werden.
Alternstheorien hatten einen nicht unerheblichen Einfluß darauf, daß jeweils ein der Theorie entsprechendes feststehendes Bild vom Alter entstanden ist. Sinn und Zweck von Theoriebildungen bestehen darin, daß allgemeingültige Aussagen und Gesetzmäßigkeiten erstellt werden, um daraus Konsequenzen zu folgern und Handlungen abzuleiten. Da sich Alter und Altern nicht allgemeingültig definieren lassen und außerdem einen vielschichtigen Prozeß darstellen, gibt es bis heute keine Theorie, die alle Bedingungen und Bereiche des Alterungsprozesses einschließen. So gibt es viele verschiedene Ansätze, Modelle und Versuche, die Erklärungen und Fakten zum Alter und Altern benennen und darlegen.
5. Altersbestimmung
Es stellt sich immer wieder die Frage, ab wann jemand alt ist. Die Auffassungen, wann jemand alt ist, sind individuell sehr verschieden und werden deshalb unterschiedlich beurteilt. Daraus ergibt sich, daß eine eindeutige Zuordnung ab wann jemand alt ist, nicht zu treffen ist. So bietet sich wiederum an, das Thema "Alt sein" unter verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Konkret erfolgt dies unter biologischen, psychologischen und soziologischen Gesichtspunkten. Die Unterscheidung bei diesen Wissenschaftsdisziplinen wird zwischen kalendarischem bzw. chronologischem, biologischem, psychologischem und soziologischem Alter getroffen. Die Definitionen dieser Wissensschaftszweige zum Alter(n) werden unter dem entsprechenden Punkt getroffen. Nunmehr werden sie einander gegenübergestellt um die unterschiedliche Herangehensweise zum Thema Alter(n) innerhalb der verschiedenen Wissenschaften herauszuarbeiten:
5.1. Kalendarisches bzw. chronologisches Alter:
Ist die uns allen am bekanntesten und geläufigste Bestimmung des Alters. Das Alter subsummiert sich aus den einzelnen Jahren. Wer ein bestimmtes kalendermäßiges oder chronologisches Alter erreicht hat wird für alt gehalten. Allerdings ist diese Form der Altersbestimmung für einen gerontologisch wissenschaftlichen Ansatz zu einfach. Alter(n) in seiner Gesamtheit kann sich nicht nur auf die Anzahl der Jahre beziffern lassen. Es wirkt sich in vielfältiger und unterschiedlicher Weise aus.
5.2. Biologisches Alter:
Es befaßt sich mit den altersbedingten Prozessen des menschlichen Körpers: "Die Biologie des Alterns untersucht und beschreibt die Alterung von Zellen, Geweben, Organen und Organismen mit morphologischen, physiologischen und biochemischen Methoden." (Lang, 1988, S.6). Das biologische Alter stimmt nicht mit dem kalendarischem Alter überein. Die biologische Alterung tritt unweigerlich ein und der Verlauf ist nicht mit dem kalendarischem Alterungsprozess zeitgleich und gleichermaßen. "- Deshalb - wie aus weiteren Gründen ist das biologische Alter eines Individuums (= als Ganzes) nicht die Summe der Alterung seiner vorgenannten Teile (entsprechend den Prinzipien der Ganzheitslehre)". (Lang, 1988, S.6).
5.3. Psychologisches Alter:
Hierbei werden Alterungsprozesse, die dem psychologischen Bereich zuzuordnen sind, erfasst. Grob umrissen geht es um Veränderungen, die die intellektuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten anbelangen, wie Intelligenz, Lernen, Wahrnehmung, psychomotorische Beweglichkeit usw.. Weitere Untersuchungsfelder sind Persönlichkeitsstruktur und krankhafte psychische Veränderungen im Alter. "Alterungsprozesse haben beim Menschen immer auch psychologische Komponenten, betrachtet man Probleme der Langlebigkeit, des drohenden Todes, soziale Probleme, Veränderungen im Gesundheitszustand usw." (Tews, 1979, S.62).
5.4. Soziales Alter:
Darin wird der alte Mensch in seinem sozialen Umfeld gesehen und beschrieben. Den alten Menschen erwarten umfangreiche Veränderungen, wie Berufsaufgabe, veränderte zeitliche Tagesstrukturierung, eine andere familiäre Konstellation, andere Einkommensverhältnisse usw.. Der Lebensablauf hat sich meistens im Alter völlig gewandelt. Die Beschreibung der veränderten Gegebenheiten wird unter dem Begriff soziales Alter abgehandelt. Ein weiterer soziologischer Untersuchungsgegenstand ist darauf ausgerichtet ggf. abweichendes Verhalten im Alter zu erfassen. "Daneben gibt es aber noch breitere, weniger an einzelne der aufgezählten Bereiche gebundene Problemstellungen, die sich mit sozialrelevantem Altersverhalten generell befassen. So ist es z.B. wichtig zu wissen, in welchem Ausmaß Autonomie und Unabhängigkeit der Alten auch in deren fortgeschrittenen Jahren noch aufrecht erhalten werden können." (Tews, 1979, S.78). Aus soziologischer Sicht wird deutlich, daß auch der Mensch im Alter und die Alterungsprozesse bestimmten Rollen und Normen unterworfen sind.
6. Alternstheorien
Wesentlichen Einfluß auf das Altersbild in unserer Gesellschaft hatten meines Erachtens verschiedenene Alternstheorien, die sich aus psychologischen Erklärungsansätzen zusammensetzten. Im folgenden werden diese kurz dargestellt:
6.1. Das Defizitmodell:
Dieses Modell wird von Wechsler (1944) und Botwinick (1970). (Vgl. Oswald/Herrmann/Kanowski/Lehr/Thomae, 1991, S.425) vertreten. Es besagt, daß mit zunehmendem Alter der Mensch physisch und psychisch abbaut und seine Fähigkeiten und Fertigkeiten mehr und mehr verliert. Das Altern wird von beiden als ein krankhafter Prozeß gesehen, dem wir alle nicht entrinnen können. Hier wird Altern auf krankhafte Abbauprozeße beschränkt.
6.2. Die kognitive Alternstheorie:
Wurde von Thomae 1970 entwickelt. Die Theorie versucht positive Dinge des älterwerdens hervorzuheben. Thomae ging es darum, daß weniger die Tatsache des Alterns als solche hervorgehoben wird, sondern mehr wie der Betreffende den Alterungsprozeß erlebt und damit umgeht. Die Theorie hatte den Ansatz, verschiedene theoretische Ansätze zu vereinen. Thomae stützte seine Theorie auf drei Grundannahmen:
Eine Verhaltensveränderung des Individuums im Alter steht eher in einem engeren Zusammenhang zu den subjektiv erlebten Änderungen seiner unmittelbaren Umgebung als zu den objektiven Umweltveränderungen.
Wie situationsbezogene Veränderungen aufgefaßt werden, wird von starken Wünschen und Bedürfnissen des Betreffenden oder ggf. auch von einer Bezugsgruppe bestimmt.
Eine wichtige Voraussetzung für ein positives Altern des Menschen ist ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den geistigen Fähigkeiten, den Wünschen, den Bedürfnissen und der tatsächlich erlebten Wirklichkeit.
6.3. Die Aktivitätstheorie:
Vertreter dieser Theorie sind Tartler (1961), Lemon, Bengtson und Peterson (1972). (Vgl. Oswald/Herrmann/Kanowski/Lehr/Thomae, 1991, S.427). Ihr Anliegen ist es, eine Antwort darauf zu geben, wie es am Besten möglich ist, zufrieden und ausgeglichen zu altern. Sie kommen zu dem Ergebnis, daß es einen Zusammenhang zwischen dem Aktivitätsniveau, was eine tiefe und ausgewogene soziale Bindung zu anderen Personen des Lebensumfeldes bedeutet, und der Lebenszufriedenheit gibt, die im Alter darin besteht, daß die alternden Menschen das Gefühl haben, gebraucht zu werden.
6.4. Die Disengagement-Theorie:
Diese Theorie besagt, daß sich die älteren Menschen zunehmend aus den sozialen Beziehungen zurückziehen. Im allgemeinen sind sie, nach Darstellung dieser Theorie, in diesem Lebensabschnitt sehr inaktiv und am gesellschaftlichen Leben kaum beteiligt. Die Theorie geht davon aus, daß dies im Sinne und letztlich der Wunsch der älteren Menschen ist. Der Rückzug der älteren Menschen aus dem gesellschaftlichen Leben sei sogar Bedingung für ein befriedigend erlebtes Altern. Cumming und Henry (1961) werden zu den Vertretern dieses Ansatzes gezählt. (Vgl. Oswald/Herrmann/Kanowski/Lehr/ Thomae, 1991, S.428).
6.5. Die Kontinuitätstheorie:
Ein Vertreter dieses wissenschaftlichen Ansatzes ist Fischer (1988). (Vgl. Oswald/Herrmann/Kanowski/Lehr/Thomae, 1991, S.429). Die Theorie geht davon aus, daß ein zufriedenes Altern am besten gelingen kann, wenn der bisherige Lebensstil so weit es geht beibehalten werden kann. Es wird sehr großen Wert darauf gelegt, daß es für die alternden Menschen zu möglichst wenig Veränderungen in ihrem Lebensstil kommt und sie somit ihre Individualität möglichst bis ins hohe Alter beibehalten können. Letzteres wurde vor allem von Havighurst 1963, Havighurst, Neugarten & Tobin 1964 vertreten. (Vgl. Oswald/Herrmann/Kanowski/Lehr/Thomae, 1991, S.429).
Da ich der Auffassung bin, daß sich die Begriffe Alter und Altern nicht streng voneinander trennen lassen, werde ich im folgenden diese zusammenfassend als Alter(n) benützen. In meiner hier vorliegende Arbeit sind Alter und Altern vielfach auch deckungsgleichen Inhalts.
7. Altersstrukturwandel im Lebenslagenkonzept
Wenn das Thema Alter(n) heute unter wissenschaftlichen Kriterien betrachtet wird, ist es unumgänglich, dieses mit dem Lebenslagenkonzept zu verbinden. Veränderungen, die sich durch Alter und Altern ergeben, werden in dem Konzept der Lebenslage eingeschlossen und in diesem beschrieben. Dabei wird versucht, möglichst viele Bereiche zu erfassen, in welchen sich Veränderungen, die durch den Alterswandel eintreten, bemerkbar machen. Das Lebenslagenkonzept im Strukturwandel des Alters umfaßt fünf Konzepte: "...ausgehend von der These, daß Alterswandel im Lebenslauf sich hier am deutlichsten ausdrückt und damit auch zur Beschreibung eines großen Teils der Alterssituation taugt." (Naegele/Tews, 1993, S.23). Dieser gerontologische Ansatz hat für meine vorliegende Arbeit seinen ganz besonderen Stellenwert, da in ihm Hochaltrigkeit als eigenständiges Konzept aufgeführt wird.
Um über das Lebenslagenkonzept im Alter, einen Gesamtüberblick zu vermitteln, gebe ich im folgenden einen kurzen Abriß der einzelnen Konzepte:
7.1. Verjüngung des Alters:
Dieses Konzept beschreibt gewisse Merkmale, die mit einer Verjüngung des Alters bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang wird deshalb auch von Verjüngungseffekten gesprochen. Diese Verjüngungseffekte können sich in dreifacher Weise auswirken: Im Positiven, wenn sich die Selbsteinschätzung durch die alten Menschen von ihrem "alt sein", sich zum im Alter "jünger fühlen" gewandelt hat. Im Negativen, wenn die Altersgrenze, in der man zu den älteren Arbeitnehmern und damit bei Arbeitslosigkeit zu den schwer vermittelbaren Arbeitsuchenden zählt, zunehmend sinkt. Zuletzt im Neutralen, wenn die Frauen, nachdem ihre Kinder erwachsen geworden sind, wieder über eigene Zeit und auch über eine verlängerte Lebenszeit im Alter verfügen.
7.2. Entberuflichung:
In diesem Konzept sind zwei wesentliche Punkte enthalten, die kurz zusammengefaßt folgendes aussagen:
7.2.1. Die Entberuflichung des Alters als Alterszeit ohne Berufstätigkeit.
Dies bedeutet, da einerseits die Tendenz der Rentenpolitik bis vor wenigen Jahren zur früheren Verrentung ging, so daß die Arbeitnehmer früher aus dem Berufsleben ausscheiden konnten und andererseits mehr Menschen ein höheres Lebensalter erreichten, ist die Zeit des nicht berufstätig seins wesentlich länger geworden.
7.2.2. Den Prozeß der Berufsaufgabe:
Dies bezieht sich auf alles das, was diesen Prozeß begleiten kann. Dabei handelt es sich um ein sehr breitgefächertes Spektrum von Fakten, so zum Beispiel, wie sich der Einzelne mit seiner Berentung befaßt und welche Folgen für ihn daraus entstehen können.
7.3. Feminisierung des Alters:
Dieses Konzept befaßt sich mit der Tatsache, daß der Anteil der Frauen im höheren Alter stark überwiegt. " Die Feminisierung hat quantitativ im letzten Jahrzehnt noch zugenommen: heute ist die Altersgesellschaft eine 2/3- oder bei den über 75jährigen gar eine 3/4- Frauengesellschaft." (Naegele/Tews, 1993, S.28). Die Gründe liegen einerseits in der höheren Lebenserwartung der Frauen und andererseits derzeit noch an den Auswirkungen der beiden Weltkriege, wo viele Männer der entsprechenden Altersgruppen zu Tode gekommen sind. Die Auswirkungen der Feminisierung sind darin zu sehen, daß das Altersbild sich vor allem durch Frauen gestaltet. Dies führt zu einer Ausdehnung dieses Altersbildes auf drei Ebenen:
7.3.1. Partizipation:
Darunter wird verstanden, daß vorwiegend Frauen im höheren Alter die Angebote der Altenhilfe in Anspruch nehmen und diese somit bestimmen. Allerdings ist noch nicht absehbar, in welcher Art und Weise sie die Form und den Inhalt dieser zukünftig bestimmen könnten.
7.3.2. Feminisierung der Altersarmut:
Es sind vielfach die Frauen, die im Alter oft sehr arm sind, da sie häufig nur über geringe Renteneinkommen verfügen. An diesem Punkt findet auch die sogenannte kumulative Benachteiligung der Frauen dieser Altersgruppe ihren Niederschlag. Benachteiligungen der Frauen, wie geringe Einkommensverhältnisse, die sie lebenslang begleiteten, verschärfen sich zunehmend im Alter, da jetzt, die durch den Alterungsprozess zusätzlich auftretenden Probleme, wie Pflegebedürftigkeit und Singularisierung, zu einer Steigerung der schon vorliegenden Benachteiligungen führen.
7.3.3. Gefährdung und Abhängigkeit:
Diese tritt auf, da die Frauen mit zunehmendem Alter vermehrt allein leben und bei beginnender Pflegebedürftigkeit verstärkt auf professionelle Hilfe angewiesen sind und diese in Anspruch nehmen müssen.
7.4. Singularisierung:
Ein weiteres Erscheinungsbild, das vor allem mit zunehmendem Alter auftritt, ist der überproportionale Anstieg der alleinlebenden älteren Frauen und Männer. Auch dies wird weitreichende Folgen für die Zukunft haben. "Zunehmende Singularisierung im Sinne des Alleinlebens ist bei jüngeren und bei den älteren ein durchgängig zu erwartender Trend." (Naegele/Tews, 1993, S.30). Dies wird in Zukunft auch der Fall bei den Männern sein, die bis jetzt, bedingt durch den stark überwiegenden Anteil der Frauen, vielfach noch in Partnerbeziehungen leben. Für die Altenhilfepolitik heißt das, daß auch die Männer verstärkt in ihre Überlegungen einkalkuliert werden müssen, da auch diese auf ihre Hilfe und Angebote angewiesen sein werden.
Konkret auswirken wird sich das Phänomen der Singularisierung darauf, daß die Einpersonenhaushalte zunehmen werden. Gleichzeitig bedeutet dies, daß die Haushalte, in denen mehrere Generationen zusammenleben, weiterhin abnehmen werden. "In Zukunft können wir von einer weiteren Polarisierung ausgehen: Stark anwachsende Anteile von mit den Ehe-Partnern zusammenlebenden Älteren und hochaltrigen Alleinlebenden." (Naegele/Tews, 1993, S.30). Letztlich geht es auch um die Wohnformen im Alter und auf diesem Hintergrund um die Versorgung der hilfsbedürftigen Älteren mit geeigneten Wohnräumen, auf die sich die Altenhilfepolitik verstärkt konzentrieren müßte. Auch hier ist absehbar, daß diese Themen nur die Spitze des Eisberges darstellen, unter dem sich Probleme wie Einsamkeit, Armut und Isolierung alter Menschen, die sich darüber hinaus noch untereinander kumulieren können, verstecken. Ein Alleinleben birgt zumindest die Gefahr dieser Probleme, sie müssen selbstverständlich zwangsläufig nicht so eintreffen.
7.5. Hochaltrigkeit:
Hochaltrigkeit ist ein Phänomen, das für die Bevölkerungsentwicklung charakteristisch geworden ist und in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. "Zunehmende Hochaltrigkeit, das "dreifache Altern", haben heute dazu geführt, daß erst die über 80jährigen zu den Hochaltrigen gerechnet werden." (Naegele/Tews, 1993, S.32).
Festzustellen ist, daß Hochaltrigkeit mit Feminisierung und Singularisierung einhergeht, worauf ich schon an anderer Stelle hingewiesen habe. Darüber hinaus bringt das hohe Alter vielfach eine Reihe von unangenehmen Begleiterscheinungen mit sich. Diese können sich auf folgende Punkte beziehen:
a) Das reduzierte familiäre Beziehungsgeflecht.
b) Die drastische Zunahme der chronischen Mehrfacherkrankungen.
c) Psychische Verschlechterungen.
d) Zunahme der Hilfe- und Pflegebedürftigkeit.
e) Aufnahme in stationäre Einrichtungen.
Die genannten Punkte können sich unterschiedlich stark auf den Hochaltrigen auswirken. Früher oder später wird allerdings der eine oder andere Punkt unweigerlich eintreten.
8. Wissenschaftliche Eklärungsansätze zum Alter(n)
Nachdem Alter(n) zunächst begrifflich unter verschiedenen theoretischen Gesichtspunkten betrachtet wurde, werden im weiteren von mir wissenschaftliche Konzepte zum Thema Alter herangezogen, die die Vorgehensweise meiner Untersuchung bestimmen, und an deren Aussagen ich meine Hypothesen entwickle. In den Arbeiten "Alter im Lebenslauf" von Andreas Kruse und "Lebenserfahrung und Lebenssinn" von Ursula M. Staudinger & Freya Dittmann-Kohli (vgl. Baltes/Mittelstraß/Staudinger, 1994) habe ich die entsprechenden wissenschaflichen Konzepte gefunden, deren Aussagen ich meiner Untersuchung zugrundelege, um daraus dann die Hypothesen für meine Untersuchung zu entwickeln. Im folgenden werde ich die Konzepte darstellen und meinen Untersuchungsansatz und dessen Aufbau erläutern:
In seinem Konzept Alter im Lebenslauf verweist Andreas Kruse darauf, daß der Mensch im Kontext seines Lebenslaufes gesehen werden muß: "Die Entwicklung im Lebenslauf und die in der Biographie gewonnenen Erfahrungen sind von historischen, kulturellen und sozialen Ereignissen, Situationen und Entwicklungen beeinflußt und dürfen nicht losgelöst von diesen betrachtet werden. Die Aussage, daß der ältere Mensch von seiner Biographie her verstanden werden müsse, ist zu spezifizieren: Er ist von seiner Biographie in ihrem spezifischen historischen, kulturellen und sozialen Kontext zu verstehen." (Baltes/Mittelstraß/Staudinger, 1994, S.333). In diesem Zusammenhang wird der Begriff des biographischen Kontextes verwandt, der bedeutet, daß alle Gegebenheiten, die in der biographischen Entwicklung auftauchen, die Lebenssituation im Alter beeinflußen.
Mein Untersuchungsansatz, dessen Aufbau und Durchführung, wird von dieser Aussage im Wesentlichen bestimmt und geleitet. So werden von mir die Faktoren zur Hochaltrigkeit im Lebenslauf der zu Untersuchenden in die drei Phasen wie Kindheit, Erwachsenenalter und Alter betrachtet. Dabei geht es mir darum, zu erfahren, welche Einflüße diese Faktoren, die sich auf den gesamten Lebensablauf beziehen, auf den hochaltrigen Menschen gewonnen haben und wie seine Lebensauffassung und seine heutige Lebenssituation geprägt haben.
Im Ansatz von Andreas Kruse wird Alter im Lebenslauf aus der biographischen Betrachtungsweise verschiedener Fachrichtungen beschrieben: Philosophie, Psychologie, Pädagogik, Soziologie, Theologie und Medizin. Daraus werden Rückschlüsse gezogen. Diese beziehen sich jeweils auf lebenslauforientierte Beschreibungen.
Für meinen Untersuchungsansatz geben die Betrachtungsweisen der verschiedenen Fachrichtungen in Bezug auf das Alter im Lebenslauf wichtige Anhaltspunkte, auf die ich meine hypothetischen Annahmen stütze. Die philosophisch anthropologische Sichtweise besagt, daß biographische Gegebenheiten auf das seelische Wohlbefinden im Alter Einfluß haben. "Das Alter ist Teil der Biographie. Die Art und Weise, wie sich der Mensch in früheren Lebensjahren mit neuen Aufgaben auseinandergesetzt und sein Leben gestaltet hat, übt Einfluß darauf aus, in welchem Maße er auch im Alter Kontinuität erfährt." (Baltes/Mittelstraß/Staudinger, 1992, S.334). Ein wesentlicher Teil meiner Untersuchung baut sich auf dieser Aussage auf. Praktisch geschieht dies so, indem ich versuche zu ergründen und in Erfahrung zu bringen, in welcher Art und Weise dies durch die Hochaltrigen umgesetzt wurde oder es sich aus deren Lebensläufen erschließen läßt. Aufbau und Strukturierung meiner Untersuchung richtet sich mit danach aus und wird mit davon gestaltet.
Kontinuität im Lebenslauf wird in der o.g. Aussage auch beschrieben als Möglichkeit des Menschen, Entwicklungsmöglichkeiten zu sehen und wahrzunehmen. Ein Gesichtspunkt, der auch in meiner Untersuchung Anwendung gefunden hat und instrumentarisiert wurde.
Die medizinische Betrachtungsweise:
Die medizinische Betrachtungsweise verweist auf die Multimorbidität im Alter. Vielfach liegen chronische Erkrankungen vor. Einerseits sind es im Alter die physiologischen Bedingungen, die zu einer Multimorbidität führen, und andererseits die geringere Regenerationsfähigkeit des älteren Körpers, die ursächlich mit dafür verantwortlich ist. Auch wird darauf verwiesen, daß für die Gesundheit im Alter der bisherige Lebensstil eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Auch die Mediziner verweisen darauf, daß die Biographie des älteren Menschen auf die Entstehung von Alterserkrankungen Einfluß hat und in die Therapie miteinbezogen werden sollte. Auch dieser Bereich wurde in meiner Untersuchung in einem kleinen Teilbereich berücksichtigt und aufgenommen. So soll im biographischem Kontext betrachtet werden, inwiefern die Hochaltrigen Wert auf gesundheitliche Gesichtspunkte gelegt haben. Es soll weiterhin untersucht werden, ob prophylaktische Maßnahmen, die sich auf Ernährung und Sport beziehen, in den Lebensstil einbezogen wurden
Die psychologische Betrachtungsweise:
Ein großer Bereich, den ich bei meinen Überlegungen zu meiner Untersuchung zugrundelege, und der mir Aussagen und Anregung liefert, ist der psychologische Erklärungsansatz. Hierbei wird nach "Konstanz und Variabilität der Persönlichkeit, des Erlebens und Verhaltens sowie der Fähigkeiten, Fertigkeiten und Interessen des Menschen im Lebenslauf" gefragt und ob sich daraus Auswirkungen auf das Alter ergeben.
Zur Konstanz und Variabilität des Erlebens und Verhaltens belegen Untersuchungen, auf die die Autoren verweisen, daß diese über weite Lebensabschnitte sich nicht verändern. Auch der Lebensstil bleibt weitgehendst erhalten. Unter Lebensstil wird verstanden: "Merkmale wie persönliche Interessengebiete, Grad des Engagements in sozialen Beziehungen, Art der Alltagsgestaltung, Themen, mit denen sich die Person beschäftigt, sowie die Art und Weise der Auseinandersetzung mit Anforderungen im Alltag.
1. Bei der Persönlichkeitsentwicklung wird auf zwei wesentliche Dinge hingewiesen:
a) Die Persönlichkeitsstruktur bleibt fast unverändert. Es wird dabei von der Konstanz der Persönlichkeit im Alterungsablauf gesprochen.
b) Wie mit Aufgaben und Belastungen umgegangen wird und wie die Lebenszufriedenheit im Alter aussieht wird im großen und ganzen durch die Persönlichkeitsstruktur bestimmt.
2. Kontrollüberzeugungen, Aktivität, Zukunftserleben und Selbstbild:
Dies sind Begriffe, die im Lebenslauf des Menschen betrachtet werden, und anhand deren Vergleiche gezogen werden, ob sich Veränderungen unter diesen Gesichtspunkten für das Alter abzeichnen.
a) Zu den Kontrollüberzeugungen sind die Aussagen der verschiedenen wissenschaftlichen Ansätze widersprüchlich. Einige Untersuchungen stellen fest, daß die externale Kontrolle im höheren Alter zunimmt, andere belegen das Gegenteil und wiederum andere besagen, daß sich die allgemeinen Kontrollüberzeugungen nur wenig beim Alterungsprozeß verändern, wobei sich allerdings beim letzteren in den bereichsspezifischen Kontrollüberzeugungen (als Beispiel wird der gesundheitliche Bereich angegeben) Veränderungen abzeichnen lassen.
b) Aktivität wurde in der Bonner Gerontologischen Längsschnittstudie beschrieben und untersucht. In dieser Studie wurde Aktivität, Anregbarkeit, Stimmung und Angepaßtheit in dem Persönlichkeitsfaktor sozial- und leistungsbezogene Aktivität zusammengefaßt. Es wurde diesem Faktor eine hohe Konstanz zugewiesen. "Der Grad der Aktivität zeigte zudem enge Zusammenhänge mit zahlreichen anderen psychologischen Merkmalen, zum Beispiel mit Lebenszufriedenheit, Art der Alltagsgestaltung und Engagement in Kontakten.
c) Auch zu den Zukunftsperspektiven sind in der Bonner Gerontologischen Längsschnittstudie Untersuchungen durchgeführt worden. Es wurde festgestellt, daß sich der ältere Mensch mehr auf die naheliegenden Dinge einstellt. "Unter der Voraussetzung, daß die objektive Lebenssituation die selbstbestimmte Gestaltung der Gegenwart und Zukunft zuläßt, entwickeln ältere Menschen eher konkrete Pläne und Vorhaben, deren Verwirklichung bereits in der nahen Zukunft möglich ist. Der Blick in die ferne Zukunft konfrontiert hingegen eher mit den Grenzen (wie gesundheitliche Einschränkungen, herannahender Tod, Verlust des Ehepartners)." (Baltes/Mittelstraß/Staudinger, 1994, S.34O).
d) Dem Selbstbild im Alter wurden durch verschiedene Untersuchungen ebenfalls eine hohe Stabilität zugeordnet.
Auch dies sind Merkmale, die die Persönlichkeit des Hochaltrigen beeinflußen und in meiner Untersuchung und Konzeption zum Ausdruck kommen. So spielt Beispielsweise darin die Lebenszufriedenheit eine Rolle.
e) Auseinandersetzung mit Aufgaben und Belastungen:
In diesem Bereich wird dem älteren Menschen bescheinigt, daß er die Fähigkeit entwickeln kann, Situationen, die für ihn belastend sind, neu zu überdenken, und Ziele, die nicht mehr zu erreichen sind, aufzustecken. Im großen und ganzen läßt sich feststellen, " die Auseinandersetzung büßt also auch im Alter ihre hohe Komplexität nicht ein" (Baltes/Mittelstraß/Staudinger, 1994, S.341) und das darüber hinaus "ältere Menschen in hohem Maße situationsspezifisch reagieren, das heißt, auf unterschiedliche Situationen in der Regel mit verschiedenartigen Auseinandersetzungsformen antworten." (Baltes/Mittelstraß/Staudinger, 1994, S.341).
Kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten:
"Wie bereits festgestellt wurde, weisen die Kompetenzformen im Alter enge Zusammenhänge mit den Fähigkeiten, Fertigkeiten und Interessen auf, die in früheren Lebensabschnitten entwickelt worden sind." (Baltes/Mittelstraß/Staudinger, 1994, S.341).
Auch diese letzten beiden Punkte, kommen in meiner Untersuchung in der Form zum Ausdruck, wenn es darum geht, wie dies bei den einzelnen Hochaltrigen konkret aussieht und von mir danach gefragt wird, was einschneidende Ereignisse im Leben waren, und wie damit umgegangen wurde.
Die soziologische Betrachtungsweise:
Die Beiträge aus der Soziologie verweisen darauf, daß der Mensch in sein sozial definiertes Umfeld eingebunden ist und darin betrachtet werden muß. Die soziologischen Ansätze zeigen, daß der Lebenslauf sozial strukturiert, normiert und institutionalisiert ist. Auch dieser Gesichtspunkt hat für meine Untersuchung Aussagekraft, da ich den Hochaltrigen in seinem sozialen Umfeld betrachte und untersuche. Darüber hinaus vermittelt dieser soziologische Ansatz noch differenziertere Anhaltspunkte zur Betrachtungsweise des Menschen im Lebenslauf, indem festgestellt wird: "Die Person durchschreitet eine Folge von sozial definierten Lebensperioden. Innerhalb dieser Lebensperioden eröffnen sich ihr sozial definierte Möglichkeiten der Lebensgestaltung, wobei sie einzelne Möglichkeiten nutzt, andere Möglichkeiten hingegen ungenutzt läßt oder ungenutzt lassen muß." (Baltes/Mittelstraß/Staudinger, 1994, S.343). Eine Aussage, die mir zur Betrachtung des Hochaltrigen in seiner Lebensbiographie wesentliche Hinweise gibt. Inwiefern der Mensch seine Möglichkeiten nutzt, hängt von individuellen Komponenten, wie Fähigkeiten, Fertigkeiten, Motiven usw, ab und von den sozialen Bedingungen, wie Beispielsweise der Schichtzugehörigkeit. Auch hier sind für meine Untersuchung Anhaltspunkte gegeben.
Die theologische Betrachtungsweise:
Auch der theologische Beitrag beinhaltet wissenschaftliche Hinweise, die in meiner Untersuchung zum Tragen kommen sollen. Der Mensch ist unter theologischen Gesichtspunkten betrachtet, als ein Teil der göttlichen Ordnung zu verstehen. Er hat sogenannte naturgegebene Möglichkeiten. Auf diesem Hintergrund ist ein Teilbereich in meiner Untersuchung angesiedelt, wenn es darum geht zu erfahren, welche Lebensaufgaben der alte Mensch wohl mitbekommen hat.
In Untersuchungen zum Thema Alter(n) dürften die interessantesten Fragen wohl die nach der Lebenserfahrung, die sie sich im Laufe ihres Lebens angeeignet haben und dem Lebenssinn der alten Menschen sein. Was können uns alte Menschen darüber vermitteln. Lebenserfahrung und Lebenssinn sind für meine lebensbiographischen Untersuchungen tragende Elemente. Aus dem Konzept von Staudinger und Dittmann-Kohli lassen sich Aussagen erschließen, wie diese entstehen und gleichzeitig geben sie mir Anregungen, wie ich diese in meine Untersuchung einbinden und deuten kann. Darüber hinaus geht es dabei auch in Erfahrung zu bringen, wie Lebenserfahrung und Lebenssinn zu nutzen und auch weiter zu vermitteln sind. "Es werden Überlegungen dazu angestellt, wie Lebenserfahrung entsteht und Lebenssinn sich konstituiert. Über die Untersuchung des Alters und des Alterns, wie es sich gegenwärtig darstellt, hinaus, lenken Lebenserfahrung und Lebenssinn die Aufmerksamkeit jedoch auch weg von den Defiziten hin zum möglichen Potential des Alters und des Alterns." (Baltes,Mittelstraß/Staudinger, 1994, S.408).
In diesem Konzept wird Lebenserfahrung unter anderem als umfassendes und weitreichendes Verständnis der auf die Lebensprozesse bezogenen Gegebenheiten beschrieben. Dieser Begriff wird von verschiedenen Autoren definiert und zitiert. Lebenserfahrung wird darin auch gewertet, als die Fähigkeit des Umdenkens und Umlernens und über das Erlebte reflektieren zu können. Auch dies ist unweigerlich ein Punkt, der in meiner Untersuchung zum Tragen kommt, wenn es darum geht, die lebensbiographischen Angaben auszuwerten und Kriterien für Lebenserfahrung anzulegen.
Unter dem Lebenssinn wird zeitgemäß die Selbstverwirklichung des Menschen und all' das, was man sich unter einem erfüllten und gelungenen Leben vorstellt, verstanden. Der Lebenssinn ist für mich ein interessanter Untersuchungsgegenstand im Hinblick darauf, welchen Lebenssinn die Hochaltrigen für sich gewonnen haben.
Im weiteren wäre dies noch genauer zu betrachten. "Zu diesem Zweck wurde in Ergänzung zu den fähigkeitsorientierten Konzeptionen von Kompetenz (Lebensbewältigung) und Weisheit (Dittmann-Kohli, 1982;1984) das Konzept des persönlichen Lebenssinns ausgearbeitet. Lebenssinn und Selbstverständnis werden nicht nur allgemein angesprochen, sondern es werden auch die tatsächlichen Deutungsmuster anhand von Selbstbeschreibungen analysiert. Fragen der Veränderung von Lebenssinn und Selbstverständnis im Verlauf des Erwachsenenalters sowie Fragen nach der Besonderheit von Sinngebung im Alter werden dadurch zugänglicher." (Baltes,Mittelstraß,Staudinger, 1994, S.417).
Lebenserfahrung und Lebenssinn im Alter muß auf diesem Hintergrund noch differenzierter und näher betrachtet werden. "Wir gehen nicht von einem einfachen kumulativen Modell der Erfahrungsbildung aus. Vielmehr nehmen wir an, daß neue Gegenwarten auch neue Vergangenheiten konstituieren (G. Mead, 1932). Die Schichten der Erfahrung durchdringen und überlagern sich." (Baltes/Mittelstraß/Staudinger, 1994, S.418). Es genügt nicht einfach, daß der alte Mensch gelebt hat, um Lebenserfahrung zu haben, sondern er muß auch einen Prozeß durchlaufen haben, um an wirklicher Erfahrung gewonnen zu haben.
Für den alten Menschen sind meines Erachtens auf diesem Hintergrund noch zwei Dinge von besonderer Bedeutung, die zu erwähnen sind. Zum einen, wird es für ihn aufgrund seiner Lebenserfahrung in gewisser Weise leichter, da er/sie aufgrund der Fülle von Ereignissen und Wahrnehmungen und den durchlaufenen Wiederholungen Muster ausbilden kann, die es ihm/ihr vereinfachen mit den gegebenen Situationen besser umzugehen. Zum anderen wird es für ihn bei der Bewältigung von neuen Lebenssituationen kritischer, da wiederum gleichzeitig und dichter viele Störerfahrungen zusammentreffen. "Es kommt im Alter mit höherer Wahrscheinlichkeit als im früheren Erwachsenenalter zu einer Häufung kritischer Lebensereignisse oder menschlicher Grenzsituationen, wie zum Beispiel dem Verlust von nahestehenden Personen oder Krankheit und körperlichem Abbau sowie dem Näherrücken des eigenen Todes." (Baltes/Mittelstraß/Staudinger, 1994, S.422).
9. Woran könnte es hypothetisch liegen, daß Menschen so alt werden?
In den wissenschaftlichen Erklärungsansätzen sind die Grundlagen für meinen Untersuchungsansatz zu sehen. Aus ihnen ziehe ich die Hypothesen, die von mir den Faktoren zur Hochaltrigkeit zugrundegelegt werden. Darüber hinaus bilden diese den Rahmen für Inhalt, Struktur und Aufbau meiner Untersuchung.
Bei der Beschreibung der Konzepte zum Alter(n) habe ich mich detaillierter auf einige Bereiche bezogen, aus denen ich nun Hypothesen ableite und formuliere.
Hochaltrigkeit wird aus diesen Erkenntnissen heraus für mich duch folgende Faktoren beeinflußt, die ich in vier Hypothesen formuliere:
9.1. Durch die Lebenskontinuität
9.2. Durch die Lebenserfahrung und den Lebenssinn
9.3. Durch die Lebenszufriedenheit
9.4. Durch die Art und Weise des Umgangs mit kritischen Lebensereignissen
Zu 9.1. Durch die Entwicklung von Lebenskontinuität haben die Hochaltrigen sich ein Rüstzeug erworben, welches ihnen Sicherheit und Selbstvertrauen gibt und sie für das Leben wappnet.
Zu 9.2. Lebenserfahrung und Lebenssinn gibt den Hochaltrigen die Möglichkeit, auf ihre Erfahrungen zurückzugreifen, und dem Leben sinnvolles abzugewinnen.
Zu 9.3. Lebenszufriedenheit eröffnet den Hochaltrigen die Möglichkeit, sich im Einklang mit dem bisherigen Leben zu befinden.
Zu 9.4. Die Art und Weise des Umgangs mit kritischen Lebensereignissen ist wegweisend dafür, daß die Hochaltrigen gelernt haben, sich mit den Dingen des Lebens auseinanderzusetzen.
Inwieweit diese einzelnen Faktoren von den Hochaltrigen positiv in ihrem Leben aufgenommen und umgesetzt wurden, kann Rückschlüße darauf geben, ob sie zufrieden alt geworden sind. Daraus würde sich ableiten lassen, daß das optimale Anstreben und Erreichen dieser Faktoren im Leben eine gute Grundlage dafür wäre, um selbst hochaltrig zu werden.
10. Mit welchem methodischem Instrumentarium versuche ich meine Hypothesen zu verifizieren?
Meine Untersuchung wird sich hauptsächlich auf die mündliche Befragung stützen. In den Sozialwissenschaften wird die mündliche Form der Befragung als Interview eingeordnet. Hierbei ist es erlaubt und für die vorliegende Arbeit auch so vorgesehen, daß die Befragung mit einem Tonband aufgenommen und im Anschluß daran schriftlich übertragen wird. Schwerpunkt meines Ansatzes wird das Intensiv- oder Tiefeninterview sein. Ergänzend zur Befragung baue ich noch weitere methodische Elemente in mein Instrumentarium ein, um meine Ergebnisse zu überprüfen und zu validieren. So sollen die Befragten, zum einen ein Soziogramm mit didaktischen Materialien (Bausteine) erstellen, die Kindheit und Jugend optisch darstellen sollen. Mit einem standardisierten Interview, das gezielte Fragen beinhaltet und einige wichtige Aussagen umfaßt, soll diese Untersuchung noch abgerundet werden. Diese Elemente lockern das Interview auf und liefern darüber hinaus eine Zusammenfassung dessen, was die Befragten berichtet haben.
10.1. Interview
Das Interview ist eine Methode, die in der Soziologie angewandt wird und sehr häufig verwendet wird. Überhaupt stellt die Befragung die bedeutendste Erhebungsmethode in den Sozialwissenschaften dar.
Im Hinblick auf meine Hypothesen, die umfangreiche Fragen aufwerfen und nach Antworten verlangen, erschien mir die Befragung als die geeignetste Erhebungsmethode, um zu entsprechenden Erkenntnissen zu gelangen. Dabei gibt mir die persönliche Einzelbefragung, auch als Interview bekannt, die Möglichkeit, einen Fragebogen als Gesprächsleitfaden zu gestalten, um somit auf den Befragten intensiv eingehen zu können. "Wie alle Formen der Befragung stellt auch das Interview die wohl wichtigste Möglichkeit dar, die Wahrnehmung und Interpretation von Sachverhalten durch Individuen zu ermitteln." (Friedrichs, 1980, S.208).
Meine Form der Befragung und die Vorgehensweise dabei enthält bewußt Elemente des Intensivinterviews und läßt sich somit dieser Interviewform auch zuordnen. Anhand der Fragen, dessen ich mit meinem Leitfaden nachgehe, soll mir der/die Hochaltrige seinen individuellen Lebenslauf vermitteln. "Der Fragebogen kann in Form eines Gesprächsleitfadens vorliegen (z.B. Intensivinterview) oder das Frage- und Reaktionsverhalten vorher genau festlegen, um eine maximale Vergleichbarkeit der Daten zu erhalten (standardisiertes Interview)." (Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, 1980, S. 111-112).
Den Hochaltrigen soll mit dieser Form der Befragung breiten Raum gegeben werden, um Kindheit, Erwachsenenalter und Alter sprachlich darzustellen. Ergänzend zu diesem verbalen Lebensbericht, soll eine bildliche Gestaltung der familiären Bindungen und Beziehungen in der Kindheit mit Gegenständen, in Form von Holzbausteinen, erfolgen. Diese Form der Darstellung ist als Soziogramm bekannt. Näheres hierzu wird im nächsten Punkt beschrieben.
Für meinen Untersuchungsansatz liegt der Vorteil des Intensivinterviews darin, daß der/die hochaltrige Erzählende das Informationsmaterial unverfälscht liefert. Er/Sie hat die Möglichkeit frei zu assoziieren und seinen/ihren Gedanken freien Lauf zu lassen. Da es mir darum geht, individuell zu erfahren, wie die Hochaltrigen selbst über die Dinge denken, stellt diese Form des Interviews das ideale Instrumentarium dar, um zu meinen Fragestellungen persönliche Aussagen des/der Befragten zu erhalten. Zwar ist vorgesehen, daß ich zu bestimmten Fragen, die ich in meiner Untersuchung beantwortet haben möchte, nachfragen werde, jedoch sollen die Berichtenden selbst die Struktur und den Aufbau ihres Berichtes bestimmen. "Ziel eines Intensivinterviews im Rahmen soziologisch orientierter Forschung ist, genauere Informationen vom Befragten mit besonderer Berücksichtigung seiner Perspektive, Sprache und Bedürfnisse zu erlangen. Hierzu gehören vor allem:
a) Die Erweiterung des Antwortspielraums durch den Befragten.
b) Eine den spezifischen Problemen und Bedürfnissen des Befragten angemessene Befragung." ( Friedrichs, 1980, S. 224).
10.2. Soziogramm
Nach dem Vorbild der Methode des Psychodramas, die von J.L. Moreno entwickelt wurde, soll ansatzweise ein Soziogramm von den Befragten erstellt werden. Darin sollen die familiären Bindungen, die in der Kindheit des/der Hochaltrigen bestanden, beleuchtet werden. Die Hochaltrigen werden aufgefordert, die familiäre Konstellation in der Kindheit mit didaktischen Materialien (in Form von Holzbausteinen) darzustellen. Familiengröße und Familienbeziehungen erhalten somit bildhaften Charakter. Die so optisch aufgebaute Familiensituation soll von den Hochaltrigen erläutert werden. Anschließend wird das aufgebaute Bild fotografiert.
"Diese den Sozialwissenschaften entlehnte Technik ist so etwas wie ein Schlüssel in der Hand des Therapeuten - sie erschließt ihm das soziale Umfeld seiner Klienten, ihre Beziehungen zu Familie, Beruf, Freunden und anderen wichtigen Gruppen." (Leveton, 1977, S.85).
10.3. Zielgerichtetes Interview
Um meinen Untersuchungsansatz zu vertiefen, habe ich zusätzlich zum Intensivinterview und Soziogramm zum Abschluß eine klassische Befragung durchgeführt. An die befragten Hochaltrigen richte ich in diesem Fall konkrete Fragen zur Beantwortung. Sinn und Zweck dieses zielgerichteten Gesprächs ist: "...ein planmäßiges Vorgehen mit wissenschaftlicher Zielsetzung, bei dem die Versuchsperson durch eine Reihe gezielter Fragen oder mitgeteilter Stimuli zu verbalen Reaktionen veranlaßt werden soll. (Scheuch 1967 a, S.138). (Friedrichs, 198O, S. 207). Auf meinen Untersuchungsansatz bezogen, nutze ich diese Form der Befragung, um das bisherige Leben des/der Hochaltrigen als Momentaufnahme zu betrachten. Dabei stelle ich der befragten Person fünf Fragen zur Beantwortung, die folgende Schwerpunkte beinhalten:
1. Welche Situationen haben Sie im Leben als befriedigend erlebt?
2. Was haben Sie in Ihrem Leben als sehr frustrierend erlebt?
3. Wie sieht das Verhältnis aus heutiger Sicht zwischen dem ersten und zweiten Punkt aus?
4. Geben Sie folgenden Fragen einen Punktewert zwischen O und 1O.
4.1 Glauben Sie, Ihr Ziel im Leben erreicht zu haben?
4.2 Inwiefern hatte Ihr Leben einen Sinn?
4.3 Inwieweit hatte Ihnen das Leben genug Raum zur Selbstverwirklichung gegeben?
4.4 Wenn Sie zurückschauen , inwieweit meinen Sie, war das Leben die Anstrengung wert?
5. Haben Sie eine Vorstellung davon, welche Lebensaufgabe Sie erfüllen sollten?
[...]
- Arbeit zitieren
- MSc Andreas Peters, Hrsg. (Autor:in), Angelika Peters (Autor:in), 1996, Ausgewählte Faktoren zur Hochaltrigkeit am Beispiel von Einzelbiographien. Hypothesengenerierender Ansatz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/190829
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