I. Einleitung
Der Zusammenbruch der Sowjetunion rief unter der Bevölkerung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) eine schwere Identitätskrise hervor, die bis heute nachwirkt. In diesem Teil des Sowjetimperiums hatte, im Gegensatz zu den anderen Teilrepubliken, die sowjetische Maxime, einen sowjetischen Menschen zu schaffen, Früchte getragen, so dass sich 1991 bis zu 80 % der Russen als sowjetisch und nicht als russisch bezeichneten. Die Auflösung der Sowjetunion in ihre Republiken diskreditierte nicht nur die Selbstbezeichnung dieser Menschen, sondern machte sie gleichzeitig obsolet. Der Kalte Krieg war verloren, ebenso der Supermachtstatus und- viel bedeutender- der Bezugsrahmen ihrer Identität, das Imperium Sowjetunion, existierte nicht mehr.
Der Bevölkerung der neu gegründeten Russländischen Föderation (RF) standen jedoch nicht dieselben Mittel wie den Bevölkerungen der übrigen neuen Staaten zur Verfügung, um den Zusammenbruch zu verarbeiten. Während in allen anderen Nachfolgestaaten ein ethnisch motivierter Nationalismus zum Tragen kam und das Ende der Sowjetunion als ein Akt der nationalen Befreiung gedeutet wurde, standen die Bewohner der RF vor der Frage nach der nationalen Selbstdefinition. Auf einen russischen Nationalismus aus vorsowjetischer Zeit konnten sie nicht zurückgreifen, weil es diesen nicht gegeben hatte. Während der Sowjetära deckte sich, wie bereits erwähnt, die russische Identität weitgehend mit der sowjetischen. In den 16 Jahren der Transformation haben sich verschiedene Spielarten des russischen Nationalismus ausgebildet. Keine kann jedoch für sich beanspruchen, den gesellschaftlichen Konsens wiederzuspiegeln, vor allem weil jeder auf der russischen Ethnie basierende Nationalismus die 20% der Bevölkerung ausschließt, die keine ethnischen Russen sind. Bei der Gründung der RF wurde dieser Aspekt berücksichtigt, indem eine Rossijskaja Federacija (Russländische Föderation) und nicht eine Russkaja (Russischen) deklariert wurde.
Aus der historisch begründeten, negativen Sicht auf den Nationalismus könnte man sein großflächiges Fehlen natürlich als begrüßenswert einstufen. Dieser Sicht möchte sich die vorliegende Arbeit jedoch entziehen. Vielmehr geht sie davon aus, dass der Nationalismus eine entscheidende Rolle bei der Demokratisierung, genauer bei der Konsolidierung der Bürgergesellschaft spielt und daher eine unumgängliche Notwendigkeit darstellt...
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Der Zusammenhang von Nationalismus und Demokratisierung
- II.1. Begriffsklärung- Nation, Nationalismus und Demokratisierung
- II.2. Der Zusammenhang zwischen Nationalismus und demokratische Konsolidierung
- III. Putins Konzept der russländischen Nation
- III.1. Staatssymbolik als „invented traditions“
- III.2. Der Große Vaterländische Krieg- Stütze des Nationalstolzes
- III.3. Die Russische Orthodoxie als Kern der russländischen Nation
- IV. Fazit: Konzept und Staatsbürgergesellschaft außer Blickweite
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht das Konzept Vladimir Putins von der russländischen Nation und analysiert, ob dieses Konzept eine Bremse für die Demokratisierung Russlands darstellt. Die Analyse stützt sich auf die theoretischen Grundlagen des Nationalismus und der Demokratisierung sowie auf empirische Daten zu Putins politischer Praxis.
- Konstruktion und Nutzung von "invented traditions" in der russischen Staatssymbolik
- Rolle des Großen Vaterländischen Krieges in der Konstruktion der russischen Nation
- Bedeutung der Russisch-Orthodoxen Kirche in Putins Konzept der russischen Nation
- Zusammenhang zwischen Nationalismus und Demokratisierung in Russland
- Potenzielle Auswirkungen von Putins Konzept auf die russische Gesellschaft und die Demokratisierung
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die Entstehung der Identitätskrise in Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und analysiert die Herausforderungen der nationalen Selbstdefinition. Es wird erläutert, warum die Gründung der Russländischen Föderation (RF) eine notwendige Antwort auf die ethnischen und kulturellen Unterschiede innerhalb des Landes war.
Kapitel zwei widmet sich der theoretischen Grundlage des Nationalismus und seiner Bedeutung für die Demokratisierung. Es werden die Definitionen von Nation und Nationalismus sowie deren Bezug zur Demokratie analysiert. Die Arbeit zeigt, dass der Nationalismus unter bestimmten Bedingungen eine entscheidende Rolle bei der Konsolidierung der Bürgergesellschaft spielen kann.
Das dritte Kapitel untersucht die wichtigsten Elemente von Putins Konzept der russländischen Nation. Es werden die Staatssymbolik, die Rolle des Großen Vaterländischen Krieges und das Verhältnis von Putin zur Russisch-Orthodoxen Kirche analysiert. Diese Elemente dienen als Beispiele für Putins Bemühungen, eine nationale Identität zu konstruieren.
Schlüsselwörter
Russland, Putin, Nationalismus, Demokratisierung, "invented traditions", Große Vaterländischer Krieg, Russisch-Orthodoxe Kirche, Staatsbürgergesellschaft, Identität, Sowjetunion, Föderation, Staatssymbolik, Konsolidierung.
- Arbeit zitieren
- Anna-Maria Damalis (Autor:in), 2006, Das Konzept Vladimir Putins von der russländischen Nation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/191797