Marginalisierte Frauen und der Koitus mit Gott

Monologische Männlichkeit im Rolandslied


Essay, 2009

4 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Marginalisierte Frauen und der Koitus mit Gott. Monologische Männlichkeit im Rolandslied

Um der Frage nach Status und Stellung der Frau im Rolandslied des Pfaffen Konrad nachzugehen, bietet es sich an, die Untersuchung an die wissenschaftlichen Methoden der Gender Studies anzulehnen.[1] Für diesen Ansatz ist die Unterscheidung der Begriffe ‚Geschlecht‘ (sex) und ‚Geschlechtsidentität‘ (gender) relevant.[2] Der Mensch ist demnach nicht ausschließ­lich durch sein biologisches Geschlecht gekennzeichnet, sondern auch dadurch, wie dieses Geschlecht im gesellschaftlichen Miteinander durch ‚weibliche‘ oder ‚männliche‘ Akte ‚entsteht‘. Die männliche oder weibliche Geschlechtsidentität wird hierbei durch ‚Performanz‘ gestiftet, d. h. durch Handlungen oder Vorgänge, die das Individuum als zu ei­nem Geschlecht zugehörig ausweisen, beispielsweise durch geschlechtsspezifische Kleidung, Gesten, Mimik etc.[3]

Im Hinblick auf den vorgestellten Text gilt es zu untersuchen, inwieweit sich in ihm literarische Konstruktionen von ‚gender‘ und speziell Weiblichkeitsentwürfe finden lassen: Wodurch zeichnen sich die weiblichen Figuren aus bzw. spielen sie im Rolandslied überhaupt eine relevante Rolle?

Ich schließe mich der These an, dass ein ‚monologisches‘ Männlichkeitsbild im Rolandslied dominiert[4], weibliche ‚gender‘-Entwürfe sogar gänzlich ausgeschlossen werden. Das Begriffspaar monologisch – dialogisch steht für „Negierung oder Einbeziehung des anderen Geschlechts“[5] in die Handlung. Der ‚Dialog‘ mit weiblichen Figuren fehlt im Rolandslied vollständig; dies lässt sich anhand mehrerer Textstellen verdeutlichen und vor allem durch die Tatsache, dass Frauen fast überhaupt nicht vorkommen. Aufgrund dieses Ausschlusses von Weiblichkeitsentwürfen wird „Alterität“ im Rolandslied „marginalisiert und unterdrückt“[6]. Alterität kommt hierbei der Frau zu, „sie ist das Andere“ – der Mann „ist das Subjekt, […] das Absolute“[7].

Auf der Textebene lässt sich dies am Beispiel der Figur Alda zeigen: Sie ist das Bindeglied zwischen den männlichen Heldenfiguren Roland und Olivier[8], da sie Rolands Braut und Oliviers Schwester ist. Eine größere Rolle kommt ihr nicht zu, ihre Person ist im Grunde überflüssig für die Handlung und die Konstruktion der männlichen Figuren. Wenn ihre Person Erwähnung findet, dann nur nebensächlich und ohne weitere Auswirkungen, „sie wird nicht einmal […] zum Konfliktauslöser“[9], wie es sich in der zweiten Hornrufszene zeigt. Olivier mahnt Roland zwar: „mîn swester Alde / en scol am dînem arme / niemer erwarme“[10], aber aufgrund des monologischen Szenenaufbaus verfehlt dieser Vorwurf seine Wirkung gänzlich, da nicht Roland im Anschluss an diese Ermahnung zu Wort kommt, sondern Turpin.

Dass Alda im Rolandslied keinen ausgearbeiteten Charakter besitzt und in keinen ‚Geschlechter-Dialog‘ eintritt, zeigt ebenfalls ihre Todesszene: sie ist kurz und unspektakulär. Alda löst sich eher ‚in Luft auf‘, als dass sie stirbt. Noch bevor Kaiser Karl die Niedersinkende auffangen kann, ist sie tot: „si begunde harte blaichen. / der kaiser wolt ir helven. / er bevie si mit der hant, / alsô tôte er si vant.“[11] Alda stirbt Roland vielmehr ‚hinterher‘ und dies verdeutlicht die Verknüpfung ihrer Person mit der Rolands. Sie ist nicht eigenständig, sie ist ein ‚Anhängsel‘ Rolands, und diese Abhängigkeit besiegelt sie selbst: „daz ich niemer mêre kom hinne!“[12] Auch Karls Angebot: „ich irgetze dich sîn gerne“[13] lehnt Alda vehement ab, wodurch ein von Roland losgelöster Handlungsstrang unterbunden wird. Die Figur Alda ist somit für die Struktur des Textes nicht notwendig. Sie wird ‚beseitig‘ und auf einem Nonnenfriedhof begraben – „was Frauen den ihnen gemäßen Platz zuweist: aus der männlichen Welt möglichst weit entfernt, möglichst in der einschließenden Umgebung des Klosters, am besten tot“[14].

Ein weiteres Indiz für das monologisch-männliche System des Textes ist das Verhältnis der ‚Bösewichte‘ zu ihren Frauen. Während die christlichen Heldenfiguren des Rolandsliedes ihr Streben aus das ‚Jenseits‘ hin ausrichten und weltlichem Besitz abschwören („swer wîp oder kint lât, / hûs oder eigen, / daz will ich iu bescaiden, / wie in got lônen will.“[15] ), hält der Verräter Genelun an diesen weltlichen ‚Besitztümern‘ fest. Als Botschafter, bestimmt die Heiden aufzusuchen, klagt er: „jâ muoz ich ouch, sprach er, scheiden / vone deme aller schoenesten wîbe, / die ie dehein man gwan ze sînem lîbe.“[16] Geneluns Bindung an seine Frau geht mit einer negativen Konnotation von Weiblichkeit einher, da nur die schlechten, unchristlichen Männer an weltlichen Dingen festhalten – die ‚wahren Christenmänner‘ geben ihr Hab und Gut, gar ihr Leben für den heiligen Krieg. So wird die Frau im Rolandslied mit dieser Verknüpfung an die ‚bösen‘ Charaktere des Textes ebenfalls abgewertet: „Dass nur der Verräter Genelun […] durch eine ausführlicher gestaltete Beziehung zu seiner Ehefrau gekennzeichnet ist, entwertet die Frauenbeziehung als Konstituens positiv besetzter Männlichkeit.“[17]

[...]


[1] Hierbei beziehe ich mich besonders auf folgenden Titel: Matthias Meyer: Monologische und dialogische Männlichkeit in Rolandsliedversionen. In: Martin Baisch/ Hendrikje Haufe u.a. (Hg.): Aventiuren des Geschlechts. Modelle von Männlichkeit in der Literatur des 13. Jahrhunderts. Göttingen 2003, S. 25-50.

[2] Bezieht sich auf die Unterscheidung, die Judith Butler trifft. Vgl. hierzu: Dies.: Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a.M. 1991, S. 22ff.

[3] Vgl. hierzu: Franziska Schößler: Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft. Tübingen 2006, S. 110f. u. 122f.

[4] In Anlehnung an Matthias Meyer.

[5] Meyer: S. 30.

[6] Ebd.

[7] Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht. Reinbek b. Hamburg 1951, S. 11.

[8] Vgl. Meyer: S. 39.

[9] Meyer: S. 37.

[10] Das Rolandslied des Pfaffen Konrad. Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch. Hg., übersetzt und kommentiert von Dieter Kartschoke. Stuttgart 1993, V. 6012ff. Ab hier ‚RL‘.

[11] RL: V. 8723-8726.

[12] RL: V. 8722.

[13] RL: V. 8702.

[14] Meyer: S. 40.

[15] RL: V. 184-187.

[16] RL: V. 1459ff.

[17] Meyer: S. 38.

Ende der Leseprobe aus 4 Seiten

Details

Titel
Marginalisierte Frauen und der Koitus mit Gott
Untertitel
Monologische Männlichkeit im Rolandslied
Hochschule
Universität Trier
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
4
Katalognummer
V191887
ISBN (eBook)
9783656167990
Dateigröße
411 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rolandslied, Frauenbilder, Koitus mit Gott, Maginalisierte Weiblichkeit
Arbeit zitieren
Ariane Totzke (Autor:in), 2009, Marginalisierte Frauen und der Koitus mit Gott, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/191887

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