Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, die Entwicklung der Tischsitten, wie in Norbert
Elias' Buch [...]1 dargestellt, nachzuvollziehen. Durch das „Vorrücken der Peinlichkeitsschwelle“
ergeben sich nach Elias „ganz allgemeine neue gesellschaftliche Verhaltensnormen“,
die nach Ulrich Tolksdorf in Bezug auf die Tischsitten drei Phasen im
„Prozeß der Zivilisation“ erkennen lassen: 2
- Das Mittelalter, in dem weitgehend ohne Regeln und mit bloßen Händen gegessen
wurde,
- eine zweite Phase zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert, in der sich ein umfassender
Verhaltenskodex ausformte,
- schließlich eine dritte Phase im 19. und 20. Jahrhundert, in der der erreichte Standard
nur unwesentlich verändert wurde.
Der Darstellung der Entwicklung des Verhaltens bei Tisch soll ein Abriß der Tischsitten
der Antike vorausgehen, die uns allerdings nicht wie in späterer Zeit in Form von
Benimmregeln überliefert sind, sondern nur anhand literarischer Denkmäler rekonstruiert
werden können. Exemplarisch soll das dem Dichter Petronius zugeschriebene
Satyricon, ein „Spiegel zeitgenössischer, literarischer und sozialer Ereignisse neronianischer
Zeit“,3 hinsichtlich der dargestellten Tischsitten abgehandelt werden. Danach zeichnet der größere Teil der vorliegenden Arbeit anhand der bei Elias aufge -
führten Quellen die Entwicklung der Tischsitten nach. Der Dreiteilung nach Ulrich
Tolksdorf in Mittelalter, 16.-18. Jahrhundert und 19.-20. Jahrhundert folgend, soll dann
zunächst der mittelalterliche Verhaltensstandard, Ausgangspunkt in Elias‘ Arbeit, dargelegt
werden. Nach der Schilderung der Änderungen des menschlichen Verhaltens, die
in der Renaissance vonstatten gehen und im 18. Jahrhundert zunächst zur Ruhe kommen,
folgt eine kurze Darstellung der letzten Phase. Den Zustand der gegenwärtigen
Tischsitten eingehender zu beschreiben, deren Verfall von einzelnen Autoren konstatiert
wird, ist aus Gründen der Knappheit der Arbeit nicht geboten. Den Schluß der Arbeit
bildet die Präsentation der gewonnenen Ergebnisse und Thesen.
1 Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische
Untersuchungen, Bd. 1, Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des
Abendlandes, Basel 11939, verwendete Ausgabe: Frankfurt am Main 221998, im folgenden
abgekürzt als: Elias 1998
2 Tolksdorf 1994, S. 240
3 Rudolf Hanslik, Art. Petronius, in: Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike, München 1979, Sp.
673 f.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Tischsitten Roms nach Petronius
- Speisesaal
- Platzetikette
- Lage der Gäste bei Tisch
- Fußwaschung
- Eßbesteck
- Fingerwaschen
- Apophoreta
- Unterhaltung
- Toilette
- Opfer
- Die Entwicklung der Tischsitten nach Norbert Elias
- Über den Prozeß der Zivilisation - Aufbau und Inhalt
- Mittelalter
- Quellen
- Zentraler Begriff Courtoisie
- Gebote
- Verbote
- Zusammenfassung
- 16.-18. Jahrhundert
- Erasmus von Rotterdam, De civilitate morum puerilium (1530)
- Gebote
- Verbote
- Zusammenfassung
- Das Benehmen am absolutistischen Hof
- 19.-20. Jahrhundert
- Gebote
- Verbote
- Ausblick
- Ergebnisse
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit verfolgt das Ziel, die Entwicklung der Tischsitten nachzuvollziehen, wie sie in Norbert Elias' Werk „Über den Prozeß der Zivilisation“ dargestellt werden. Dabei wird der Einfluss des „Vorrückens der Peinlichkeitsschwelle“ auf die gesellschaftlichen Verhaltensnormen untersucht, die sich nach Elias und Ulrich Tolksdorf in drei Phasen im „Prozeß der Zivilisation“ zeigen.
- Die Entwicklung von Tischsitten im Mittelalter
- Die Veränderung der Tischkultur in der Renaissance und im 18. Jahrhundert
- Die Weiterentwicklung und Stabilisierung der Tischsitten im 19. und 20. Jahrhundert
- Ein Vergleich der römischen Tischsitten aus der Antike, basierend auf dem Satyricon von Petronius
- Die Rolle von Quellenmaterial und wissenschaftlichen Interpretationen in der Analyse von Tischsitten
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Tischsittenentwicklung ein und erläutert die zentralen Fragestellungen und den methodischen Ansatz der Arbeit.
Das Kapitel „Die Tischsitten Roms nach Petronius“ bietet einen Einblick in das Essverhalten der römischen Antike anhand der Cena Trimalchionis. Die Beschreibung des Speisesaals, der Platzetikette und des Essens selbst liefert wertvolle Erkenntnisse über die gesellschaftlichen Konventionen der Zeit.
Das Kapitel „Die Entwicklung der Tischsitten nach Norbert Elias“ analysiert die Entwicklung von Tischsitten anhand von Quellenmaterial und wissenschaftlichen Interpretationen. Das Mittelalter, die Zeit der Renaissance und das 19.-20. Jahrhundert werden im Hinblick auf ihre spezifischen Verhaltensnormen und Veränderungen untersucht.
Schlüsselwörter
Die Arbeit behandelt die Themen Tischsitten, Kulturwandel, Norbert Elias, Zivilisationsprozess, Peinlichkeitsschwelle, Mittelalter, Renaissance, 19.-20. Jahrhundert, Petronius, Satyricon, Cena Trimalchionis, römische Antike, Verhaltensnormen, Gesellschaftliche Konventionen, Quellenanalyse, wissenschaftliche Interpretationen.
- Arbeit zitieren
- Julian Redlin (Autor:in), 1999, Konzepte des kulturellen Wandels. Die Entwicklung der Tischsitten nach Norbert Elias' "Über den Prozess der Zivilisation", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/19909