Wie Schafe mitten unter die Wölfe. Die Bekennende Kirche in Ostpreußen und Dietrich Bonhoeffers Visitationsreisen 1940


Forschungsarbeit, 2012

263 Seiten


Leseprobe


INHALT

Zur Einführung

Immer noch Beschäftigung mit dem „Kirchenkampf“?

1. Dietrich Bonhoeffers Eltern

2. Ostpreußen und die komplexen Beziehungen zwischen Staat und Evangelischer Kirche
2.1 Zur Vorgeschichte
2.2 Nebeneinander – Miteinander Evangelische Kirche und nationaler Aufbruch Exkurs: Zur „Glaubensbewegung Deutsche Christen“
2.3 Die Bekennende Kirche in Ostpreußen Exkurs: Hans Joachim Iwand in Riga
2.4 Vor dem Krieg
2.5 Porträts aus der Bekennenden Kirche in Ostpreußen - Wichtige Kirchen

3. Leben und Glauben im weltweiten Horizont

4. Die Visitationsreisen in Ostpreußen 1940
6. – 25. Juni
Exkurs: „Innere Kapitulation vor den neuen Fakten?“
7. – 29. Juli
Exkurs: Ulrich Sporleder
25. August – 2. September

5. Remembering Forward

Literatur

Herkunft der Abbildungen

Zeittafel

Zur Einführung

Immer noch Beschäftigung mit dem „Kirchenkampf“?

Eine Beschäftigung mit der historischen Phase des sog. „Kirchenkampfes“ mehr als 60 Jahre nach Kriegsende und nachdem sich lebensweltliche wie globale Be­dingungen mehrfach verändert haben, ver­steht sich nicht von selbst. Mit einigen Vorbemerkungen soll daher der Weg skizziert werden, auf dem sich mir das Thema erschlossen hat. Zunächst möchte ich den Horizont beschreiben, in dem ich das Thema angesiedelt sehe. Dabei wird auf das heuristische Moment der „pro­testantischen Widersetzlichkeit“ (Günther van Norden) abgehoben. So­dann soll plausibel gemacht werden, warum die Darstellung „Ostpreußen“ fo­kus­siert. Schließlich möchte ich, auch mit persönlichem Akzent, darlegen, in­wiefern Die­trich Bonhoeffer und Ostpreußen zum Gegenstand einer histo­rischen und theo­logischen Untersuchung haben werden können. Der Hinweis im Buch­titel auf das Wort aus Matthäus 10, 16 ist als Richtungsangabe zu ver­­­­­stehen, die das Selbstverständnis der Glaubenden in der Nachfolge Jesu kennzeichnet.

(1.) Wie der politische bzw. militärische Widerstand gegen das NS-Regime zu den Gründungsmythen Nachkriegsdeutschlands gehörte, so wird auch der sog. Kirchenkampf, d.h., der Widerstand protestantischer Kreise gegen den Na­tio­nal­sozialismus und seine kirchlichen Hilfstruppen zu den kon­stitutiven Faktoren beim Aufbau der Evange­lischen Kir­che nach 1945 ge­zählt. Gründungs­er­zäh­lungen und Gründungs­mythen kommt hohe Plau­sibilität zu. Sie halten ihre bloße Wie­der­holung aber nur be­grenz­te Zeit aus. Wird ihnen jedoch ein heiliger Status beigelegt, der Nachfragen (wenn Widersprüche entdeckt wurden) und Diskussion (wenn neue Erkenntnisse es nahe legen) ver­bietet, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die un­historische Monumentalisierung einstürzt.

Der Begriff „Kirchenkampf“ bezieht sich, allgemein verstanden, auf die Jahre zwischen 1933 und 1945, in denen das Verhältnis zwischen Evangelischer Kirche in Deutschland und dem Nationalsozialismus von Konflikten bestimmt war. Zugleich steht der Begriff für die innerkirchlichen Kontroversen, wobei das Ausmaß der theo­lo­gischen Auseinandersetzungen nicht ohne den Einfluss der geschichtlichen und politischen Entwicklungen zu denken ist. In jener Zeit stand die Evan­ge­lische Kirche dem Staat keineswegs als homogener Block gegen­über. Aus Sach­gründen muss eine Beschäftigung mit dieser Phase auch auf die Zeit vor 1933 re­kurrieren und an­satz­weise über das Jahr 1945 hinausblicken.

Gegenwärtig ist die Erforschung des Kirchenkampfes nach 1945 selbst zum Gegen­stand der Forschung geworden. U. a. wird dafür plädiert, auf den Begriff als Epo­­chenbezeichnung zu verzich­ten[1], weil der historische Prozess viel kom­plexer, als gemeinhin voraus­gesetzt, verlaufen ist oder ihn nur in einem präzis ein­gegrenzten Sinne zu gebrauchen[2]. Diese Vorschläge sind nicht von der Hand zu weisen. Der Blick auf den Verlauf jener Beziehungsgeschichte zeigt, dass das Freund-Feind-Schema wenig beiträgt zur Beschreibung des Front­ver­laufs oder zur Darstellung der theolo­gischen Kontroversen. Im Verhältnis von NS-Staat und deutschem Protestantismus ver­schränkten sich Linien des Neben­einander, des Miteinander und des Gegen­ein­ander. Auch hat sich, von wenigen Aus­nah­men abgesehen, in der biographischen Entwicklung vieler pro­te­stan­ti­scher Protagonisten eine Wandlung in der Einstellung zum National­so­zia­lis­mus vollzogen, so dass Differenzierung nottut.

Der Rückblick auf die Forschung[3] zeigt ein ambivalentes Ergebnis. In mehreren Etappen wurde mit hoher existentieller Beteiligung und wissen­schaft­lichem Ethos ge­ar­beitet: Sammlung und Archivierung von Dokumenten und Mate­ria­lien; mono­graphische und bio­graphische Darstellungen; Befragung von Zeit­zeugen; Selbst­vergewisserung und Selbstkritik der Betei­ligten; inter­na­tio­nale und interdisziplinäre Zusam­menarbeit wurde aufgebaut. Diesen Bemü­hungen lag eine konstruktive Motivation zu­grunde. Es ging nicht um Archi­vie­rung in musealer Inten­tion, sondern um Aktualisierung. M.a.W., das Interesse an der Geschichte des Kirchen­kampfes war verbunden mit dem Ziel, eine Wer­te­per­spektive in den Demokra­tisie­rungsprozess nach 1945 einzubringen. Denn die Beteiligten stimmten in dem Wunsch überein, weder dem Nationalsozialismus noch einer Diktatur Möglichkeiten zur Rückkehr zu geben.

Andererseits ist zu beobachten, dass der konstruktiv-kritische Forschungs­diskurs zunehmend von „neuen Autoritäten“ unterlaufen wurde. Das versteht sich nicht von selbst, wird aber durch mehrere Aspekte aus dem Geschichts­ver­lauf evident. In Westdeutschland war die „Bekennende Kirche“ (= BK) von meh­reren Lan­des­gerichten als „antifaschistische Widerstands­organisation“ aner­kannt worden, ob­wohl in ihren Kreisen nie in direkter Form „politischer Wi­der­stand“ the­matisiert worden ist[4]. Dieses „Pauschalurteil“ galt fast zwei Jahr­zehn­te. So waren es in erster Linie ihre Repräsentanten, also die „Opfer“ bzw. die Gegner des National­sozialismus und seiner kirchlichen Handlanger, die das Feld mit ihrem „Binnen­diskurs“ be­herrschten. Dass die „Täter“ sich kaum zu Wort gemeldet haben, bedarf keiner Er­klärung. Man wollte, und das ist der zweite Aspekt, bei den Ver­hältnissen wieder anfangen, wo man 1933 gezwungen war auf­zuhören, um ein Wort von Otto Dibelius[5] aufzugreifen. Auch hatte der zuvor­kommende Umgang der Westalliierten mit den Kirchen deren Selbst­bewusstsein und öffent­liches Auftreten gestärkt. Den Kirchen wurde sogar die Arbeit der „Entna­zifizierung“ in den eigenen Reihen überlassen. Ein Auftrag, der mit Wider­­willen, viel Nach­sicht und Kompromissbereitschaft[6] realisiert wurde. Denn Ziel der Kirchenführer war, das ist der dritte Aspekt, „Einheit“ und nicht „theo­logische Kon­troversen“[7] oder gar Schuldzuweisung und Verurtei­lung. Darum stand bei der Be­schäftigung mit der eigenen Geschichte der Auftrag zu kritischer Aufarbeitung nicht unbedingt an erster Stelle. Der Wille zur Ver­klärung motivierte stärker als der Wille zur Auf­klärung. Die Beo­bach­tung von Ernst Wolf, dass in den Kirchen weitgehend ein “Widerstand wider Willen“ praktiziert worden sei, hätte eine „entmythologisie­rende“ Linie in die Forschung einführen können. Das ist aber unterblieben. Kein Wunder, dass schon bald Mythen und Legenden die Kirchenkampf-Über­lie­ferungen durch­zogen. Ein Freund Karl Barths, Arthur Frey, meldete 1949 von der Schweiz her Bedenken an: „Es ist um den deutschen Kirchenkampf ein der­artiger Mythos ent­standen, dass eine Entmytho­logi­sierung des deutschen Kir­chenkampfes zu einer dring­lichen Aufgabe ge­worden ist, denn dieser Mythus muss zum Fluch der Kirche werden. Er rächt sich schon heute furchtbar, indem der Mythos die guten An­fänge, die im deutschen Kirchenkampf immerhin sicht­bar wurden, verdeckt und erstickt. Warum braucht es eine Erneuerung der Kir­che, wenn sie sich in der gewaltigen Katastrophe, die der Nationalsozialismus für das deutsche Volk be­deutete, im Ganzen bewährt hat?“[8]

Angesichts der komplexen Semantik, die dem Begriff „Kirchenkampf“ inne­­wohnt, liegt es nahe, eine Alternative zu wählen, um dem eigenen Interesse und der Darstellung einen „cantus firmus“ zu geben. M.E. bietet der Begriff „Be­kennende Kirche“ diese Möglichkeit, weil sich in ihm theologische wie poli­tische, individuelle wie communitäre Faktoren verschränken. Zugleich wird man hier mit einem „ideologischen clash“ konfrontiert, der die Epoche prägte, der sich aber in der Nachkriegszeit in veränderter Gestalt wiederholte.

„Bekennende Kirche“ sollte aber nicht als „Zauberschlüssel“ miss­ver­stan­den werden, selbst wenn die Annäherung an die zu erforschende Phase sich ein­deutiger, weil nach Landeskirchen, Regionen, Per­sonen, Sachfragen und exem­plarischen Schwerpunkten differenziert, vollzogen werden kann. Auch hier muss zuvor Definitions- und Abgren­zungsarbeit geleistet werden. Denn die Beken­nende Kirche ist nie ein homogener Block gewesen und hat erst in der Reaktion auf bestimmte kirchenpolitische Schritte und theologische Provokationen wäh­rend der NS-Zeit ihr Selbstverständnis gewonnen. Günther van Norden hat für die Jahre 1933-35 als Signatur „Konsens im Patriotismus – Dissens im Be­kenntnis“ und für die Zeit danach „Konsens im Bekenntnis – Dissens im Patrio­tis­mus“ vorge­schla­gen[9]. Gleichwohl bleiben bei dieser Systematisierung offene Fragen. Wer hat die Kri­terien in der Bekenntnis­frage bestimmt? Wie sollte das im Bekenntnis Implizierte mit dem vom Patriotismus Geforderten zusammen­gehen? In welches Dilemma wurden Glaube und Gewissen gebracht, wenn mensch­liches Wort Unmenschliches von ihnen verlangte? Gerade in na­tionalen Fragen wollte niemand abseits stehen, wobei die Unterscheidung zwischen Regime-Loyalität und Staatsloyalität für die individuelle Einstellung eine nicht un­wesentliche Rolle spielte. In vielen Gemeinden herrschte zudem ein kon­fes­sionell geprägtes Bewusstsein, das sich nicht unter­schlagen ließ. So ver­lief eine Front, trotz der einflussreichen theologischen Gruppierungen von „Luther­re­nais­sance“ und „Dialektischer Theologie“, quer durch die Lager der BK. Ein „Übriges“ kam von den Kirchenführern/ Bischöfen der sog. „intakten“ Lan­des­kirchen (Bayern, Hannover, Württemberg), die sich (In bester Absicht? Kon­text­orien­tiert? Kompromissbereit? Naiv?) öfter staatskonform verhalten haben, als es für den Weg der Kirche för­derlich oder für die Gemeinden zu ver­mitteln war. Auch sie beanspruchten Vertreter von bekennenden Kirchen zu sein, wie­wohl ihre Bio­graphien die große Nähe zur deutschnationalen, obrig­keits­staat­lichen und antidemokratischen Tradition der Vergangenheit offenbart.

Die Liste mit Fragen bzw. Bedenken zum Begriff „Bekennende Kirche“ zeigt die Schwierigkeit an, die mit diesem „cantus firmus“ verbunden ist. Den­noch muss eine Zuordnung riskiert werden. M.a.W., der Titel „Bekennende Kirche“ steht ohne Zweifel den Gemeinden und ihren Theologen zu, die kom­promisslos an den Synodal­beschlüssen von Barmen und Dahlem (1934) fest­gehalten haben und ohne falsche Rücksichtnahme dem Verkündigungs- und Handlungsauftrag des Evangeliums gefolgt sind. Mit ihrer Existenz haben sie einen nicht unerheb­lichen „Störfaktor“[10] in den NS-Staat hineingetragen, der das bloße Faktum „christliche Gemeinde“ um etliches gesteigert hat. In der schlich­ten Realität von Kirche sah der NS keine Gefahr, umso heftiger waren die Reak­tionen auf die Bekennende Kirche als „Sammelbecken protestantischer Wider­setzlichkeit“[11]. Es ging aber um mehr als ‚Querulantentum’. Mit ihrem Leben und Glauben haben die bekennenden Gemeinden „eine alternative Ge­gen­welt“ offen gehalten, „in der Vergebung, Wahrheit und Ewigkeit unge­brochen etwas galten … Die Kirche als Hütte Gottes, als geistig-seelischer Schutzraum unter den Menschen. Die Kirche als inspirierende Kraft und als Rückhalt für die, die vielleicht alle Not haben, sich in einer Distanz von der NS-Ideologie zu hal­ten“[12].

Als es nach Ende des Krieges daran ging, der Evangelischen Kirche in Deutsch­land eine neue Gestalt zu geben, haben sich (von den ersten Synode in Treysa 1945 an) restaurative Tendenzen durchgesetzt[13]. Von Otto Dibelius wird ein bezeichnendes Dictum über den Erneuerungsprozess des Protestantismus nach 1945 kolportiert: „Es musste etwas Neues ge­schaffen werden. Und – dies Neue musste irgendwie das Alte sein“. M.a.W., ein grundsätzlicher Dissens (konsequente Kirche versus Betreuungskirche) beherrschte den Suchvorgang. Dieses oft vernach­läs­sigte Faktum er­gänzt die o.g. drei Punkte um einen vierten Aspekt. Und zwar blieben die­jenigen, denen an Erneuerung aus kri­tischer Selbst­erkenntnis gelegen war, und die mit den Erfahrungen aus der zurück­liegenden Zeit Kirche bauen wollten (u.a. Hans Joachim Iwand, die Niemöller-Gruppe, die Theologische So­zietät in Würt­temberg bzw. die Anhänger einer Barth­schen Theologie), in der Min­derheit. In der kleinen Schar der „aufrechten Brüder“ gebe es, nach einem Wort von Otto Dibelius, „zu wenig Persön­lich­keiten mit geistlichen Führer­qua­litäten“. Exem­plarisch spiegelt sich diese Ent­wicklung im spannungsvollen Ne­ben­einander von „Stuttgarter Schuld­er­klärung“ (Oktober 1945) und „Darm­stä­dter Wort“ (August 1947)[14]. Oder auch in der ge­zielten Miss­achtung des Laien-Elements durch Installation autoritärer Amts­struk­turen. Die Israelfrage hatte im protestantischen Horizont offiziell noch keine Beachtung gefunden.

Der gerade skizzierte Sachverhalt gibt eine Teilantwort auf die Frage, warum der große Fundus an Erfahrung und Kompetenz gerade im Raum der Evan­ge­lischen Kirche nach 1945 so wenig Echo gefunden hat. An Stimmen, die vor einem Rückfall in konservierenden Traditionalismus und in Bündnisse mit den herrschenden religiös-politischen Mächten warnten, hat es nicht gefehlt. Martin Niemöller rief auf der Synode in Treysa dazu auf, eine Rückkehr zur „Be­hördenkirche“ un­be­dingt zu verhindern. Karl Barth erinnerte daran, dass nicht die großen Theo­logen, sondern gerade tausende von Unbekannten in den Gemeinden für die Wahrheit des Evangeliums eingetreten seien. Über sie hin­weg zu gehen, sei Verrat am Evangelium. Und Paul Schempp verurteilte die „theologisch und hi­storisch lernresistente Po­litisierung des Christentums, die bruchlos an die Be­jahung des ‚positiven Chri­stentums’ im Programm der NSDAP durch eine große protestantische Mehr­heit ab 1933 anknüpfte“[15].

Hier ist ein fünfter Aspekt in Erinnerung zu bringen, auf den Frederick Taylor[16] in seiner Mono­graphie hinweist. Mit dem Kriegsende war auch eine bis dahin herrschende Welt- und Werte-Ordnung zu Ende gegangen. Die west­lichen Siegermächte hatten demokratische Strukturen ver­ordnet und for­cier­ten den Auf­­bau normaler Verhältnisse in den entscheidenden Lebens­bereichen. Zu die­sem Werk musste auf Fachleute auch mit NS-Vergangenheit zurück­gegriffen werden. Für einen radikalen Neuanfang ohne Kooperation der „Täter“ oder Mitläufer fehlten die Voraussetzungen. Und für ideologiekritische Unter­neh­mungen fehlte das Inter­esse. Durch die Nürnberger Tribunale ist zwar der „ge­no­zidale Überbau des Dritten Reiches“ in einem unvorstellbaren Ausmaß sicht­bar geworden. Doch muss gefragt werden, wo daraus bewusst­seins­ver­än­dernde Impulse für die Gesellschaft gewonnen wurden. Die „mentale Dekon­tamination der Durch­schnitts­bürger“ vollzog sich „in Windeseile“[17]. Daher sind viele Ent­nazifi­zie­rungsverfahren wohl nur halbherzig durch­geführt worden. „Insge­samt war es ein Nichtfertigwerden mit den schmerzenden Pro­blemen von Niederlage und Schuld“[18]. Der wahre Grund lag aber vor allem in dem ein­setzenden Ost-West-Gegensatz, vom ersten Tag der Besetzung an. Nach­­kriegs-Deutsch­land bot dem sog. „Kalten Krieg“, dem neuen „ideo­logischen clash“ ein hervor­ragendes Feld. Die „Ablösung“ vom National­sozialismus ver­band sich mit der Trennung von West- und Ostdeutschland sowie einer erneuten „weltan­schau­lichen Fron­ten­bildung“. Als 1948 im Westen die Währungsreform durch­geführt wurde, waren die Weichen endgültig gestellt. Auch die separate Ent­wicklung der Evan­gelischen Kirche in Ost und West, obwohl die „Vision“ von Einheit lange bei­behalten wurde, hat hier eine Wurzel. Vor dem Hintergrund des geopo­liti­schen Umbruchs gewinnen die Kontroversen (Wieder­be­waff­nungs- und Atom­­­­debatte, Militärseelsorge, Versöhnung mit dem Osten u.a.), die das Gesicht der Evange­lischen Kirche in den 50er und 60er Jahren geprägt haben, an Plausi­bilität. Die meisten Vertreter der Barmer bzw. Dahlemer Linie fanden sich in einem kri­tischen Gegenüber zur neuen Politik der Bundesrepublik zusammen. Hingegen wurde die staatstragende Rolle von einer „bunten Koa­lition“ aus Wider­stands­kämpfern, Mit­glie­dern der BK, konservativen und modernen Katho­­liken, ehe­maligen Partei­genossen und Mitläufern übernommen.

Als Fazit aus diesem Überblick halte ich (1) fest, dass Probleme des sog. „Kir­chenkampfes“ weiterhin Thema wissenschaftlicher Forschung bleiben müssen, auch um den „Graben des Verstehens zu dem, was vor 1945 war“[19], nicht zu einem Abyssus werden zu lassen. Und dass (2) das Erbe der Beken­nen­den Kirche nicht zu einer musealen Reminiszenz verkümmern darf. Dazu gehört die Bereitschaft, Schwächen, Defizite, Unterlassungen o.ä. in dem mit Sym­pathie be­arbeiteten Forschungsbereich anzuerkennen[20]. Es gilt aber auch, sich immer wieder klar zu machen, in welchen Grenzen bzw. unter welchen Be­dingungen die Bekennende Kirche agiert hat, damit keine Projektionen unterlaufen. Einer kon­servativen Vorstellungs- und Ordnungswelt verhaftet, konnte sie bestimmte Sach­fragen nicht in der Form „wissen“, wie sie nach 1945 aufgetreten sind. Der „Kampf gegen eine diabolische Perversion von Ordnung“ hatte alle Kräfte gebunden[21]. Z.B. war noch nicht abzusehen, welche Verände­rungen volks­kirch­licher Strukturen durch Säkularisierung und moderne Industriegesellschaft in Gang gesetzt würden. Dennoch hat die Bekennende Kirche gerade aufgrund ihrer kontextuellen Eingebundenheit den Blick für ein „Jenseits-des-Kontextes“ schärfen können.

Weil das kollektive Gedächtnis immer Gefahr läuft, sich auf ein selektives Vergangenheitsbild einzustimmen bzw. sich von Verdrängungs­mechanismen lei­­­­ten zu lassen, ist „memoria passionis“ (Johann B. Metz) nötig. Gegenwärtiger Glaube fängt nicht am Nullpunkt an, sondern braucht die Zeugen des Glaubens, damit sie durch ihr Leben und Leiden den Gegenwärtigen in Stunden der Illusionen und Anfechtung zur Seite stehen. Der Erkenntnis- und Lernprozess, den Teile der Be­kennenden Kirche durchgestanden haben, ist ein kostbares Erbe, das ver­pflichtet. Eberhard Bethge: „ein Bekenntnis, ein status confessionis verrottet, wenn er sich auf die confessio gegen beschränkt und sich nicht einlässt auf die confessio für, das heißt: wenn der Bekennende sich nicht auf seine Ver­ant­wor­tung für die jeweilige Gesellschaft und ihre Opfer einlässt, mit an­deren Worten: sich auf Bekenntnis und Widerstand, auf Bekennen mit Wider­stand einlässt“[22].

(2.) In meiner Studie verbinde ich zwei Pole, eine geographische Region und einen Theologen: Ostpreußen und Dietrich Bonhoeffer. Letzterer ist vor allem durch seine Wirksamkeit post mortem bekannt und berühmt geworden. Seine von Eberhard Bethge u.a. edierten Werke sowie die unübersehbare Fülle von wissenschaftlicher bzw. populärer Literatur haben ihn zu einem der bekannte­sten Theologen[23] des 20. Jahrhunderts gemacht. Anders Ostpreußen. Seit 1945 ist die Provinz mit jedem Jahr tiefer in das Vergessen eingegangen. Das haben auch die vielfältigen Bemühungen, eine Erinnerungskultur zu schaf­fen, nicht verhindern können. Standen sie doch unter dem Verdikt reak­tio­närer Unbe­lehrbarkeit bzw. dem Vorwurf nur noch „gebrochene Erinnerung“ zu kul­ti­vieren. Mittlerweile ist die Zahl der „echten“ Ostpreußen sehr übersichtlich ge­worden. Ihre Stimme wird schwä­cher, und sie haben Mühe, die kulturelle Be­deutung ihres Beitrags im gesell­schaftlichen Dis­kurs der Gegenwart von bloßer Nostalgie abzuheben.

Die kirchenhistorische Erforschung der Jahre von 1933-1945 in Ost­preußen hat von Anbe­ginn an mit mehreren Hypotheken gearbeitet. Im Unter­schied zu den Landeskirchen im Westen war der Zugriff auf Quellen, Do­ku­mente, Über­lieferungsmaterial o.ä. höchst begrenzt. Ebenso der Perso­nenkreis, der in der Lage war, sich an dieser Aufgabe zu beteiligen. Vor einer wissen­schaftlichen Arbeit standen Trauerarbeit und Fragen des Überlebens. In vielen Veröffent­lichungen dominierten emotio­nale Töne oder auch Selbst­recht­ferti­gungen. Eine Ausnahme bildeten wohl Hans Joachim Iwand und sein Versuch, in Beienrode ein Zentrum des ehemaligen ost­preußischen Bruderrates auf­zu­bauen[24]. Hier ent­stand ein Archiv, hier wurden regelmäßig Tagungen durch­ge­führt, hier fanden ältere Menschen (z.B. ostpreu­ßische Pfarrwitwen) eine freund­liche Bleibe. Um Iwand scharten sich viele Ehemalige aus Ost­preu­ßen (Beien­roder Konvent), die fern von reaktionärem Geist die Versöhnung mit den Völ­kern des Ostens suchten, jegliche Gebietsansprüche aufgaben und poli­tische Positionen vertraten, die viel später in der Ostdenkschrift der EKD (1966) auf­genommen und dann von der Ostpolitik Willy Brandts realisiert wurden. In der Zeit nach 1947, als der erste und einzige Ostpreußische Kirchentag in Han­nover stattfand, ernteten sie breiteste Ablehnung nicht nur in der politischen Öffent­lichkeit, sondern auch unter ehemaligen Mitstreitern. Denn es hatte sich auch eine Gruppe aus Kreisen ostpreußischer Bekenntnis-Pfarrer und Laien ge­bil­det[25], die vehement an Gebietsansprüchen fest­hielt und der damaligen Politik der Bonner Regierung nahe stand. Durch den frühen Tod Hans Joachim Iwands (1960) und andere Ereignisse in Beienrode ist diesem Ansatz keine Ent­wick­lungsmöglichkeit gegeben worden.

Unter den wenigen Publikationen zur Kirchengeschichte Ostpreußens ist das entsprechende Kapitel im ersten Band von Walther Hubatsch[26] zu nennen. Und dann vor allem die zwei Monographien von Hugo Linck[27] und Manfred Ko­­schorke[28]. Beide Werke verbinden mehrere Interessen. Sie wollen persön­li­che Erfahrungen und Erlebnisse festhalten (beide waren Pfarrer in Königs­berg); zugleich aber auch dokumentieren und Informations­material prä­sentieren. Schließ­­­­lich sollen Ereignisse, Entwicklungen, Entschei­dungen erklärt und beur­teilt werden. Die Darstellung lebt von den Porträts vieler Akteure der Be­ken­nenden Kirche in Ostpreußen. M.E. haben beide Werke keine fort­set­zenden Darstellungen oder Einzeluntersuchungen gefunden. Auch nach der geopo­liti­schen Wende 1990 hat sich die Forschungssituation kaum ver­än­dert. Das Vor­kriegs-Ostpreußen scheint zur „terra incognita“ gewor­den zu sein. Städte- und Ortsnamen sind belanglos geworden, weil mit ihnen nichts mehr assoziiert wird. Ebenso die einstige Bedeutung für Philosophie, Theologie und Frömmig­keit (Kirchenlieder). Und das Reisen in die heute russischen bzw. pol­nischen Teile der Provinz konfrontiert zunächst mit anderen Wahrneh­mungen und Re­fle­xio­nen. Zwischen dem Reisenden und der Geschichte steht immer noch die gefühlte Präsenz des Zweiten Weltkriegs. Und doch geschieht es, dass durch derartige Reisen unvermutet eine „Verbindung“ hergestellt wird, aus der eine Frage­stellung erwächst.

(3.) Wie kommt die Verbindung von Ostpreußen und Dietrich Bonhoeffer zu­stande? Die Antwort möchte ich auf dem Umweg über einige persönliche An­merkungen geben.

Mit dem Namen „Dietrich Bonhoeffer“ werden Erinnerungen an das „an­de­re Deutsch­­land“ geweckt, an Menschen, die sich in der Zeit des National­so­zia­lismus nicht haben gleichschalten lassen. Als evangelischer Theo­loge hat sich Bon­hoef­fer mit hohem Einsatz an den innerkirchlichen Dis­kus­sionen, die der politische Umbruch ausgelöst hatte, beteiligt und wegwei­sende Impulse für das christ­liche Selbstverständnis gegeben. Ihm lag daran, angesichts der staatlich or­ganisierten Verblendungs­prozesse mit Gleichge­sinnten im geist­lichen wie im politischen Bereich verant­wortlich zu existieren: „Beten und Tun des Gerech­ten und auf Gottes Zeit warten“.

Durch meine Eltern bin ich schon während der Schulzeit mit „Widerstand und Ergebung“ bekannt geworden. Bonhoeffers im Gefängnis verfasste Texte hatten den Rang einer Pflichtlektüre in bewusst protestantischen Kreisen ange­nom­mnen. Denn in der Nachkriegszeit gehörte die Sympathie denen, deren Kampf gegen das NS-System gewaltsam unterdrückt[29] worden war, deren Zeug­nis für Wahrheit, Ge­­rech­tig­keit und Frieden aber zu einer permanenten Heraus­for­derung gerade der Heran­wach­senden wurde. Im Studium hatte ich dann eine erste Begegnung mit Bonhoeffers Denken, als ich eine Vorlesung seines Schü­lers Gerhard Ebe­ling über „Die ‚nicht-religiöse Interpretation bib­lischer Be­griffe’“[30] hörte und dieses oder jenes Werk las, das von Eberhard Bethge u.a. nach und nach herausge­geben wurden. Es gab wohl keine Predigt oder Aufsatz, bei deren Vorbereitung nicht auch Bonhoeffer „befragt“ wurde.

Als ich 1995 längere Zeit zu Gastvorlesungen in São Leopoldo/ Brasilien war, wurde ich Zeuge einer besonderen Ehrung. Die „Escola Superior de Teologia“ verlieh Pastor Ernesto Bernhoeft den Ehrendoktor der Theologie. Es war der 9. April, an dem sich zum 50. Mal der Tag der Ermordung Bonhoeffers jährte. Bernhoeft (geb. 1917) war mit seinen Eltern 1936 nach Brasilien aus­gewandert, weil auf­grund des jüdischen Fami­lienhintergrundes ihr Leben in Deutschland bedroht war. In seiner be­wegenden Dankesrede erzählte er von der Auswanderung, den Erfah­rungen im Exil und wie er dazu gekommen war, Texte von Bonhoeffer zu übersetzen, die dann im brasilianischen Kontext ein großes Echo auslösten. Es war sicherlich das Zusammentreffen von intellektueller Red­lichkeit und im Glau­­ben gegrün­deter Existenz, die der Weitergabe des Bon­hoefferschen Bei­spiels zugute kam. Man sollte sich aber auch daran er­innern, dass in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die christlichen Kirchen Latein­ame­rikas unter Repression und Verfolgung durch Militärregime litten. Diese Ak­tualität hat nicht wenig zur Aufnahme des Bonhoefferschen Denkens in der evangelischen wie der katho­lischen Theologie des Kontinents beigetragen[31]. Sein Gedicht „Von guten Mächten wunderbar ge­borgen“ hat in­zwischen einen festen Platz als Lied in den Gottesdiensten der Evangelischen Kirche Luthe­rischen Bekenntnisses von Brasilien (IECLB) ein­genommen.

Es sollten Jahre vergehen, bis mich erneut der Name „Bonhoeffer“ fessel­te. 2008, während einer Fahrt in das nördliche Ostpreußen (heute: Kalinin­grads­kaja Oblast) hatte die Gruppe, der ich mich angeschlossen hatte, am Strand von Baltisk (früher: Pillau) Rast gemacht. Eine der Teilnehmerinnen entfaltete in ihrer Meditation Gedanken zum Tage. Ich horchte auf, als Frau Dr. Marikje Smid (siehe Literatur­verzeichnis) an die Beziehung Bonhoeffers zu Ost­preußen erinnerte. Das war für mich etwas Neues.

Als Orte seines Wirkens werden in der Regel Berlin, die deutschen Gemeinden in Barcelona und Lon­don, die USA oder das Predigerseminar der Be­ken­nenden Kirche (= BK) in Finken­walde (Pommern) genannt[32]. Doch hat er seine Aktivitäten als Seel­sorger, Pre­diger und Lehrer auch entfalten können, als er im Sommer 1940 im Auftrag des Bruderrates der Bekennenden Kirche drei Visitationsreisen in Kö­nigsberg und Ost­preußen durchgeführt hat. In mir wuchs der Plan, in diese wenig beachtete Akti­vität und den ostpreußischen Kontext zu „blicken“. Längere Aufenthalte in Kaliningrad, vergebliche Spuren­suche dort, aber viele erhellende Einsichten aus der Literatur haben sich ange­schlossen. Das Ergebnis liegt in dieser Studie vor, die einem Aus­schnitt aus dem Leben Die­trich Bonhoeffers gilt und zugleich der Erinne­rung an eine große Region deut­scher Kultur- und Kirchengeschichte gewidmet ist. Das Photo des Königs­berger Hauses, in dem Bonhoeffers Eltern 1903 und er selber 1940 ge­wohnt haben, Rhesastrasse 18, wurde mir von Herrn Martin Schmittke/ Sont­hofen zur Verfü­gung gestellt. Im Zweiten Weltkrieg ist das ganze Viertel zer­stört worden, eben­so wie viele Kirchen und Gemein­dehäuser, die Bonhoeffer in jenem Jahr be­sucht hat[33].

In die Studie habe ich visuelles Material aufgenommen, das die diskursive Darstellung unterstützen und im Falle von Personen die Physiognomie sprechen lassen soll. Ein besonderes Kapitel ist den „Akteuren“ der Bekennenden Kirche in Ostpreußen gewidmet. Es handelt sich um Frauen und Männer, Theo­logen und Laien, die mir in den Quellen bzw. in der Literatur begegnet sind, und deren Namen ich für erinnerungswert halte. Damit soll keine Hagiographie getrieben werden. Es geht um die vielen unbekannten Männer und Frauen, die das Wagnis des Glaubens in dunkler Zeit aufgebracht haben. Leider müssen manche Namen ohne Gesicht bleiben, weil die Suche nach Photos erfolglos verlaufen ist. Es wäre ein Projekt eigener Art, bei den ostpreußischen Stadt- und Kreis­ge­mein­schaften u.ä. nach­zufragen oder die Erinnerungsliteratur durch­zu­gehen, um ein Bild-Panorama „zweiter Hand“ zu rekonstruieren. Den mitdenkenden Zeitge­nossen, die mir mit Hinweisen geholfen oder aus ihren Familienalben Photos zur Verfügung gestellt haben, möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. Ebenso den Einrichtungen, die der Nutzung von Materialien zugestimmt haben. Erwähnt sei besonders die Unterstützung durch das Evangelische Zentral­archiv Berlin, das Herder-Institut Marburg und das Museum der Stadtge­mein­schaft Königs­berg in Duis­burg. - Hinweise auf Druckfehler, missverständliche Urteile, falsche Daten ebenso wie ergän­zen­de Informationen und Materialien können dem Autor via e-mail (uschoenborn@web.de) zugeleitet werden. Am Anfang einer histo­rischen Arbeit geben meist Neugier und subjektives Interesse die leitenden Im­pulse und motivieren den Fortgang. Das übergeordnete Ziel ist aber stets Austausch und Dialog, geht es doch um „unsere“ Geschichte.

Ich widme diese Studie meinem Bruder Paul Gerhard Schoenborn. Sein Über­blick über die Bonhoeffer-Forschung und den „Kirchenkampf“, beson­ders die In­terpretation der Barmer Theologischen Erklä­rung von 1934 haben mir ge­hol­fen, gewagte Rekonstruktionen zu meiden und die Fakten sprechen zu lassen.

Marburg, im August 2012 Ulrich Schoenborn

Die Verbindung Dietrich Bonhoeffers mit Ostpreußen, genauer Königsberg, ist nicht ad hoc entstanden, sondern hat eine Vorgeschichte in der Familie. Sie war durch die Eltern[34] gegeben. Darum sollen sie zunächst vorgestellt werden, be­­gegnen sie doch wiederholt in den Notizen aus dem Jahr 1940.

I. Dietrich Bonhoeffers Eltern

Die Vorfahren des Vaters stammten aus Holland (van den Boenhoff; Nymwe­gen) und sind seit dem 16. Jahr­hundert in Württemberg in ange­sehenen Berufen nach­weisbar. In der Kirche von Schwäbisch Hall finden sich Grabsteine der Bon­­hoeffers und an etlichen Bürgerhäusern das Bonhoeffersche Familien­wap­pen[35]. ­ Aus dem schwäbischen Kontext (Tafelsche Linie) sind „revolu­tionäre Ele­­­­men­te“ in das Selbstverständnis der Bonhoeffers eingegangen: demokra­tisches Selbst­bewusstsein, liberales Denken, Verantwortungsbereitschaft[36].

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Das Bonhoeffersche Familienwappen in Schwäbisch-Hall

Karl Ludwig Bonhoeffer wurde am 31. März 1868 in Neres­heim geboren. Er stu­dierte von 1887 bis 1892 Medizin in Tübingen, Berlin und München. 1897 ha­bi­litierte er sich bei Carl Wernicke in Breslau. Hier entstanden wichtige Arbeiten über die symptomatischen Psychosen, d.h. psychische Er­krankungen, die als Be­gleit­erscheinungen von akuten Infektionen oder Vergif­­tungen auf­traten. Die For­schungen auf diesem Feld haben seinen Ruf als Neurologe und Psychiater begründet. Karl Bonhoeffer hat sich sehr darum bemüht, den Stellen­wert der Psychiatrie als anerkanntes medizinisches Fach weiterzu­ent­wickeln und die psychischen Erkrankungen aus dem Kontext der An­stalts­medizin heraus­zuholen bzw. in Spezialpraxen zu überführen. Auch die Tätigkeit als Gutachter gehört in diese Sparte[37]. Bemerkenswert ist, dass er sich nicht an den Dis­kus­sio­nen um die aufstrebende Psychoanalyse beteiligt hat. Ein Kollege in Hei­delberg (Robert Gaup) merkt dazu an: „Es mag vielleicht auf­fallen, dass ein Mann, der als fein­sinniger, mit hervorragender Einfühlung begabter Psy­chiater uns das wohl Beste über das Wesen der hysterischen Symptombildung gegeben hat, im Streit der Geister über die Lehren von Freud, Adler, Jung und anderen

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Abb. 2: Karl Bonhoeffer, um 1938

’Psycho­analy­tikern’, soweit ich sehe, nirgends aus­führlicher und grund­sätzlich Stel­lung ge­nommen hat. ‚Psychoanalyse’ heißt unvorein­genommene ‚Analyse der see­lischen Erkrankung eines Menschen mit allen Mitteln einfüh­lender Psy­cho­logie bei sorgfältigster Beobachtung’. In dieser einfühlenden Psychologie und sorg­fältigen Beobachtung war Bonhoeffer wohl keiner über­legen. Aber er kam aus der Wernickeschen Schule, deren Orien­tierung sich immer am Gehirn vollzog und die Loslösung vom hirn­patho­logischen Denken nicht gestattete … Das Intui­tive war ihm nicht fremd, das beweist sein ganzes Lebenswerk. Aber es drängte ihn nicht, ins Reich des Dunklen, Unbeweisbaren, der kühnen, phan­ta­sievollen Deu­tungen vorzudringen, wo so viel zu behaupten und so wenig wirk­­lich zu beweisen ist“[38]. Karl Bonhoeffer hat weder eine spezielle Schule ge­gründet noch ein Lehrbuch der Psychiatrie geschrieben, jedoch aufgrund seiner Persönlichkeit bei vielen Menschen einen unverwechselbaren Eindruck hinter­lassen. „Durch seine Arbeiten geht ein Hauch von Bescheidung vor den un­ge­heuren Rätseln“ (Karl Jaspers).

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Abb. 3: Paula Bonhoeffer, geb. von Hase.

(1876-1951)

Mit der Mutter, Paula von Hase, kamen die preußische Welt und der künst­le­rische Horizont in die Familie. Sie war die Enkelin des bekannten Theo­logen Karl Au­gust von Hase (1800-1890), Professor in Jena und groß­herzog­licher säch­si­scher Wirklicher Geheimrat. Ihr Vater, Karl-Alfred von Hase (1842-1914), Kon­sisto­rialrat in Hanno­ver und Königsberg, ab 1894 Theo­logieprofessor in Breslau, war mit Clara Gräfin von Kalckreuth verheiratet. Groß­vater und Ur­groß­­vater von Kalck­reuth waren anerkannte Maler, deren Bilder in der Mün­chener Pinakothek und in Hamburger Museen ausgestellt waren. Auch die Musik nahm in der Tradition der Familien einen wichtigen Platz ein. Paula von Hase wurde 1876 in Königsberg ge­boren. Sie studierte in Breslau Päda­gogik. 1894 legte sie das Lehrerinnen­examen ab und erwarb die Befähi­gung zum Unterricht an mittleren und höheren Mädchen­schulen.

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Abb. 4: Paula und Karl Bonhoeffer 1898

Am 5. März 1898 heirateten Paula von Hase und Karl Bon­hoeffer in Breslau. Fünf Jahre später (1903) erhielt Karl Bon­hoeffer einen Ruf nach Königsberg auf ein persönliches Ordinariat. Er nahm die Berufung an, obwohl die Arbeitsbe­dingungen in der psychiatrischen Klinik man­ches zu wünschen übrig ließen. In Karl Bonhoeffers Erinnerungen heißt es: „Meine Abteilung war das Gegenteil eines Neubaus und befand sich im Dachstock des ältesten Teils des Kran­ken­hauses. Es war ein altes Spinnhaus aus dem 17. Jahrhundert und hatte damals als Arbeitshaus gedient … Ich war aus meiner Beobachtungsstation gewohnt, mit einfachen Mitteln zu arbeiten und war überzeugt, dass sich in einer Stadt von

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Abb. 5: Psychiatrische Klinik der Universität Königsberg.

Um 1903. Straßenfront.

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Abb. 6: Psychiatrische Klinik der Universität Königsberg.

Um 1903. Rückfront.

über 100 000 Einwohnern das für Unterricht und Forschung nötige Kranken­ma­­ -

terial zusammenfinden müsse“[39]. Und einer seiner Biographen schreibt: „Was er … als Klinik vorfand, war geradezu grotesk und spiegelte drastisch die Situation der Psychiatrie und die Denkweise derer wieder, die über Geld und Einfluß verfügten. Die Patienten waren in Dachräumen des ältesten Teils des Städti­schen Krankenhauses untergebracht, in Zwangsjacken eingeschnürt, im Bett liegend, ob gehfähig oder nicht. Wie in Breslau forderten auch hier die Alko­holdelirien ihre Opfer“[40].

Für seine Frau, die gerade ihr fünftes Kind erwartete, war es eine Rück­kehr in die Jahre ihrer Kindheit. Vor dem Umzug machte die Familie am Neuhäuser Strand Ferien. Im Rückblick heißt es: „ich freute mich nun auch, diese Nord­ostecke des Reiches und seine Be­wohner kennenzulernen, aß Schmand mit Glumse, suchte mit den Kin­dern Bernstein am Strande und bereitete mich auf Königsberg vor“[41].

Am 1. Oktober 1903 trat Karl Bonhoeffer seinen Dienst an. Bei der Wohnungs­suche ergab sich „in der Rhesastraße eine Stätte, die als Wohnung mit Garten an­­gesprochen wurde. Ich stellte aber fest, daß in diesen Garten 196 Fenster Ausblick hatten. Die Wohnung lag aber insofern bequem, als ich im Winter über den gefrorenen Schloßteich rasch in meine Klinik kommen konnte“. Die Familie traf alte Freunde der Breslauer Eltern aus deren Königsberger Zeit, u.a. Bertha von Gossler und die Brausewetters. Am 26.10.1903 wurde die Tochter Christel geboren.

Karl Bonhoeffer ging daran, bessere Behand­lungsmethoden für die Patienten einzuführen und einen geordneten klinischen Betrieb zu organisieren. Sein enga­giertes Auftreten trug bald Früchte. Im Übri­gen hielt er medizinische Vor­le­sungen für einen kleinen Kreis von Interessierten. Die Familie integrierte sich rasch in die Königsberger Gesellschaft. Als man sich in der neuen Um­gebung eingerichtet und ein „Gefühl der Anhänglichkeit an die Stadt, das Land und die Menschen“[42] sich eingestellt hatte, traf im Königsberger Winter der Ruf aus Heidelberg ein. An sich wäre die Familie gerne geblieben, aber Karl Bon­hoeffer nahm der Ruf an. „Mitte März 1904 fuhren wir bei 15 Grad Kälte in Königsberg ab; die 5 Kinder, von denen der älteste eben 5 Jahre alt war, wohl in Pelzen ver­packt“[43]. Aber auch in Heidelberg blieb die Familie nur kurze Zeit. Noch im selben Jahr (1904) erhielt Karl Bonhoeffer einen Ruf als Nachfolger von Carl Wernicke nach Breslau und folgte ihm auch.

1912 erhielt er einen Ruf an die Berliner Universität, wo er das Ordinariat für Neurologie und Psychiatrie 26 Jahre lang bis zu seiner Emeritierung 1938 inne­hatte. Gleichzeitig übernahm er die Leitung der Universi­täts­klinik für Nerven- und Geisteskrankheiten in der Charité.

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Abb. 7: Karl Bonhoeffer. Um 1930

Am 4. Februar 1906 kamen in Breslau (Birkenwäldchen 7) die Zwillinge Sabine und Dietrich Bonhoeffer zur Welt. Mit ihren sechs Geschwistern wuchsen sie in einem starken Familienverbund heran[44]. Im Elternhaus herrschte, vor allem vom Vater her, der Geist des Em­pirismus, der Rationalität und des Liberalismus. Karl Bon­hoeffer lehnte es ab, über ungeklärte Erscheinungen zu spekulieren und hielt sich an organisch nachweisbare Phänomene. Er besaß ein großes Vertrauen in den Wert der Naturwissenschaften. „Bemerkens­werte Zu­rück­haltung übte Bon­hoeffer gegenüber allen rigorosen therapeu­tischen Metho­den“[45]. ‚Selbst­beschei­dung‘ gehörte zum Zen­tralen seines medizinischen Ethos, in dem eine nüchterne und strenge Sicht Entscheidungen oder Urteile lenkte. „Er hasste Über­trei­bungen, vor allem zu große Worte … Überheblichkeit … war ihm zu­wider“[46]. Die sachbezogene Perspektive und die liberale Grund­haltung hatten ihn während seiner Heidelberger Zeit in die Nähe des Kreises um Max Weber geführt. Er­wähnenswert ist auch seine ausgesprochene Distanz gegen­über allem Mili­tä­rischen und Ideologischen. Die politische Entwicklung in Deutschland unter den Nationalsozialisten begleitete er mit Sorge und Abneigung.

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Abb. 8: Paula Bonhoeffer mit ihren Kindern 1910.

Dietrich Bonhoeffer: 2. von rechts.

Durch die Mutter wurde eine betont christliche (nicht unbedingt kirch­liche) und zugleich libe­ra­le Haltung in der Familie gefördert. Paula Bonhoeffer unter­rich­tete ihre Kinder, zu denen auch Kinder befreun­deter Familien stießen, zu Hause und sorgte für eine förderliche Atmosphäre. Sie „war eine sehr anregende und nie kapitulierende Mutter … Sie war gewohnt, sich bei Kindern und Er­wach­senen durchzusetzen, und fand stets die ent­sprechenden Mittel und Wege … Mit ent­waffnendem Schwung brachte sie Zaghafte und Ängstliche – wie sie sagte – ‚auf den Trab‘“[47]. Ihr pädagogischer Eros galt der Liebe zu Wahrheit und Klar­heit, der Ablehnung des Pathetischen, der Aus­bildung von Takt und Hilfs­­bereit­schaft, sowie der Einübung ästhetischer und musischer Fähig­keiten. Neben „le­ben­diger Offenheit für das Neue“ wurde „ein ausge­prägter Sinn für das Ge­wor­dene“ ge­pflegt[48].

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Abb. 9: Mitgliedskarte der Bekennenden Kirche („rote Karte)

Für den Außenstehenden mag es paradox er­scheinen, dass sich die Perspektive des politischen Liberalismus mit der Orien­tierung an christlichen Grundwerten verbunden hat. Dass es möglich war, zeigen jedoch die souveräne Eindeutigkeit, das Verant­wor­tungs- und Freiheitsbewusstsein in den Bio­graphien der Bon­hoeffers. „Die unbedingte Verbindlichkeit der Nachfolge mit der Freiheit des Liberalen zu einer unbefangenen und ex­perimentierenden Sicht der Dinge zu verbinden, das war die große Aufgabe, die er (sc. Dietrich Bonhoeffer) vor sich sah“[49]. Auch sollte nicht vergessen werden, dass im Hause Bonhoeffer Denken

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Abb. 10: Familie Bonhoeffer im Jahre 1926 in der Wangenheimstraße 14 in Berlin.

Hintere Reihe (von l. nach r.): Christel und Hans von Dohnanyi, Sabine und Gerhard

Leibholz, Karl Frie­drich Bonhoeffer, Susanne Bonhoef­fer, Klaus Bonhoeffer,

Die­t­­­­rich Bonhoeffer. Vor­­­dere Reihe (von l. nach r.): Julie Bon­hoeffer, geb. Tafel

(Karl Bon­hoeffers Mutter), Karl Bonhoeffer, Paula Bon­hoeffer (mit dem ersten

Enkelkind Hans Walter Schleicher), Ursula und Rüdiger Schleicher. (○ = zeitweilig

inhaftiert, x = von den Nazis ermordet, + = zur Emigration gezwungen).

und Ethos von Natur- und Rechts­wis­senschaft maßgeblich geleitet wurden und vor dem Hin­ter­grund ästhetischer und religiöser Prinzipien einen eigenen Intel­lek­tualis­mus kon­­­­­stituierten. Über das „Familienethos“ wurde eine wirk­lichkeits­ge­mäße Ein­stellung zum Leben ver­mittelt, die deutliche Spuren bei allen Kin­dern (und auch in Bon­hoeffers Theologie) hinterlassen hat. So vollzog sich trotz zu­neh­mender ge­sell­schaft­licher Spannungen und poli­tischer Ausein­an­der­setzungen „eine zwar nicht weltfremde, aber in sich ruhende, undok­trinäre, alles Indivi­duelle för­dern­de mensch­lich-familiäre Ent­wick­lung“[50]. Von Seiten der Eltern erhielt Dietrich Bonhoeffer uneingeschränkte Unterstüt­zung in seinem kirchen- und gesell­schafts­­kritischen Engagement. Dem Fun­da­ment des Fami­lienethos wurde soviel Vertrauen entgegengebracht, dass Be­denken gegenüber der Institution Kirche zur Nebensache wurden. In einem Brief schrieb Karl Bonhoeffer an seinen Sohn:

„Als Du Dich seiner Zeit für die Theo­logie entschlossen hast, dachte ich manchmal im Stillen, dass ein stilles, unbe­wegtes Pastorendasein, wie ich es von meinen schwäbischen Onkeln kannte und wie es Mörike schildert, eigentlich doch fast zu schade für Dich wäre. Darin habe ich ja, was das Unbewegte anlangt, mich gröblich getäuscht. Dass eine solche Krise auch auf dem Gebiete des Kirchlichen möglich wäre, schien mir aus meiner natur­wissenschaftlichen Erziehung heraus eigentlich ausge­schlos­sen“[51].

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Abb. 11: Haus der Bonhoeffers in Berlin.

Marienburger Allee 43

Nicht zu unterschätzen waren vorgelebte Integrität und Unabhängigkeit. So hat Karl Bonhoeffer sich in seinen Arbeitsbereichen nicht zum Handlanger oder Er­füllungsgehilfen nationalsozialistischer Gesundheitspolitik (Zwangssteri­lisa­tion und Euthanasie) machen lassen[52]. Gegen die Entlassung von Mitarbeitern in der Charité, die jüdischer Herkunft waren, hat er, wenn auch vergeblich, Einspruch erhoben.

Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde das Haus in der Marienburger Allee 43 vielen zum „Refugium und Quellort für die Energie zum Durchhalten und zu immer neuer Motivation“[53]. Die Liste der von Eberhard Bethge auf­ge­führten Namen lassen Geist, Kultur und Kraft ahnen, die in den „unge­wünschten und ungeübten Widerstand“ flossen. Karl Bonhoeffer schrieb in seinen „Erin­nerungen“: „Wenn wir Eltern auch in die Einzelheiten der Komplotte nicht ein­geweiht wurden, so waren wir doch durch die zahlreichen Besprechungen, die in unserem Hause stattfanden, über vieles unterrichtet und über die Ge­fährlichkeit der Situation für unsere Kinder, wie über die Notwen­digkeit ihres Tuns im In­teresse der deutschen Zukunft durchaus im klaren“[54].

Im Hause Bonhoeffer kam es 1940 mehrfach zu Besprechungen mit dem Kreis um Oberst (seit 1943 Generalmajor) Hans Oster und Hans von Dohnanyi. Am 9. Mai hat Oster dem holländischen Militärattaché Sas den An­griffstermin auf dessen Land mitgeteilt. Karl Bon­hoeffer hat, angeregt durch seinen Sohn, am 7. Mai 1940 zusammen mit Friedrich von Bodelschwingh (Be­thel) und dem Leiter der Lobetaler Anstalten, Pastor Paul Braune, nach Mög­lich­­keiten gesucht, das fortschreitende Euthanasie-Programm aufzuhalten. Brau­ne hatte dann am 9. Mai eine Unter­redung mit Hans von Dohnanyi und wurde nach einem Protest gegen die staatlichen Maßnahmen[55] verhaftet. Im Kapitel „Das natürliche Le­ben“ seiner „Ethik“[56] geht Dietrich Bonhoeffer auf Fragen ein, die im Ge­spräch mit seinem Vater virulent geworden waren. Ein­blick in Karl Bonhoeffers Den­ken gibt auch die 1947 als Fahnenabzug fertig gestellte Arbeit „Führer­per­sön­lichkeit und Massenwahn“[57]. Im letzten Absatz heißt es:

„Jedenfalls habe ich gefunden, dass die Zahl der Deutschen, für die ihre Soldatenzeit, die Studentenjahre, ihre Korporationszu­gehörig­keit auch späterhin der Mittelpunkt ihres Erlebens bleibt, verhält­nismäßig groß ist und dass man bei ihnen auch häufig eine nicht ausgereifte Begei­ste­rungsfähigkeit findet. Richtig ist wohl auch, wenn man beim Deutschen in einer gewissen Freudigkeit zum Ge­horsam eine Bereitschaft zur Mas­sen­suggestion sieht. Es ist wohl nicht zwei­felhaft, dass beim Deutschen im öffentlichen Leben auch außerhalb des Militärs das Verhäl­tnis vom Vor­gesetzten und Unter­gebenen, des Befehls und des Ge­hor­sams eine grö­­ßere Rolle spielt als in den westlichen Ländern. Daß diese gei­stige Haltung anlage­mäßig bedingt ist, ist fraglich, wahrscheinlich ist wohl, dass es ein Züchtungsergebnis der durch die letzten Jahrhunderte ge­henden mili­taristischen Erziehung des gesamten Volkes ist. Ob diese durch die ge­fähr­dete geographische Lage Deutschlands geboten war, steht hier nicht zur Er­örterung. Jedenfalls begünstigte sie den Verzicht auf eigenes Urteil und eigene Verant­wort­lichkeit. „Zivilcourage“ und „Kada­vergehorsam“ sind wohl nicht zufällig deut­sche Wort­bildungen. Es mag auch die vielfach gehörte Klage nach dem Fehlen politisch führender Köpfe in Deutschland damit in Zusam­menhang ge­bracht werden. Man wird aber bei dieser Frage vor allem auch auf den schwe­ren Aderlaß an Menschen­gut, den Deutsch­­land im Kriege 1914 bis 1918 er­fahren hat hingewiesen. Man weiß, dass sechzig Prozent von den eindreiviertel Mil­lio­nen in jenem Krieg Gefallenen zwischen dem neunzehnten und neun­und­zwan­zigsten Lebensjahre standen, dass es sich dabei um gesunde, zukunfts­ver­spre­chen­de Jugend gehandelt hat und dass andererseits unter den Über­lebenden die psychopathischen Individuen nach Art der mi­litärischen Aus­­lese einen nicht zu unterschätzenden zahlen­mäßigen Anteil hatten, der hin­sichtlich der sozialen Qua­­­litäten und der Erbmasse zu er­heblichen Bedenken Anlaß gab. Es mag in dieser Tatsache eine gewisse Erklärung für die Qualität der Nazi­führer­schaft wie für die ihrer Massen­gefolgschaft gegeben sein.

Endlich sei noch auf einen wesentlichen äußeren Faktor für die ungeheure Ausdehnung der Massensuggestion hingewiesen. Es ist in der Geschichte der revolutionären Masseninfektion zum er­sten­­mal, dass alle die modernen tech­ni­schen Mittel zur Massen­wirkung und Nivellierung des geistigen Niveaus in Radio, Kino und Laut­sprecher in einem Umfange den führenden Kreisen zur Ver­fügung standen, der der früheren Zeit, auch noch in den Jahren 1918 bis 1919, unbekannt war. Es mag einem durch jahre­lange Not­zeit geschwächten Volke als Milderung der Schuld an­ge­rechnet werden, wenn es durch diese von allen Seiten und alltäglich ein­stür­menden Propaganda mehr und mehr dem Massen­­wahne verfällt“[58].

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Abb. 12: Dietrich Bonhoeffers Eltern 1945

Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.

(2. Korinther 3,6)

So ist die Liebe des Gesetzes Erfüllung.

(Römer 13,10)

„Diese beiden Bibelverse … finden sich in der Konfirmandenbibel Dietrich Bonhoeffers, die ihn sein Leben lang begleitete … hatten die beiden Bibelverse für die ganze Familie Bonhoeffer Bedeutung, wie sich in der gemeinsamen Haltung und in ihrem Handeln gegen das Unrechtsregime des Nationalsozial­ismus zeigte“[59].

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(http://www.bonhoeffer.com)

II. Ostpreußen und die komplexen Beziehungen

zwischen Staat und Evangelischer Kirche

2.1 Zur Vorgeschichte

Während des Ersten Weltkrieges ist Ostpreußen als einzige deutsche Provinz zum Kriegsschauplatz geworden. Die Russische Invasion 1914 (Njemen-Armee im Norden und Narew-Armee im Süden) brachte Bedrängnis (Schlacht von Gum­binnen, 19. August 1914) und Zerstörung über die Bevölkerung. Zum Ende des Jahres 1914 war der größte Teil Ostpreußens besetzt. Zwar hatten die Schlach­­­ten von Tannen­berg (26. – 30. August 1914) und an den Masurischen Seen (1. – 14. September 1914) zwischenzeitliche Erleichterung gebracht. Doch erst die Winter­schlacht in Masuren (7. – 22. Februar 1915) führte eine Wende im Kriegs­geschehen herbei. Im Bewusstsein der Bevöl­kerung hatte der Krieg tiefe Spuren hinterlassen. 39 Städte und 1900 ländliche Ortschaften waren von den Zerstörungen direkt betroffen. Die „Angst vor den Russen“ wurde in den kommenden Jahren durch die Propaganda von rechts immer wieder ge­schürt.

Nach Kriegsende musste die Provinz geopolitische Veränderungen akzep­tieren, die der Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919 dekretiert hatte. Im Memel­gebiet übernahm Frankreich im Namen des Völkerbundes am 15. Februar 1920 die Ver­­waltung. An Polen fielen nicht nur weite Teile Westpreußens, sondern ohne Befragung der Bevölkerung auch Teile des Kreises Neidenburg und die Stadt Soldau. Durch Soldau führte die Eisenbahnlinie Danzig-Warschau. Dage­gen ent­­schied eine Volksab­stimmung am 11. Juli 1922 über die endgültige Zu­ge­hö­rig­keit aller südlichen Kreise Ostpreußens und der umstrittenen Kreise in West­preußen (Erm­­land) zu Deutsch­land. Stadt- und Landkreis Elbing, sowie vier rechts von Weichsel und Nogat gelegene Kreise wurden als neuer Regie­rungs­bezirk West­preußen der Provinz Ostpreußen angeschlossen.

Geographisch war Ostpreußen durch den „Korridor“ vom „Reich“ abge­schnitten. Darüber konnte auch die Intensivierung der Schifffahrtsverbindungen auf der Ostsee nicht hinwegtäuschen. Folge dieser „Insellage“ und Isolation war, dass die Wirtschaft stag­nierte. Der Osthandel ging um mehr als 2/3 gegenüber der Vorkriegszeit zurück, denn die tradi­tio­nellen Absatz­märkte bei den östlichen Nachbarn waren ver­schlossen. Dazu kam, dass Polen und Litauen einen Zoll- und Handelskrieg gegen Deutschland führten. Es gab aber auch interne Fak­toren, die zur Verschärfung der politischen und ökonomischen Lage führten.

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Abb. 13: Deutschlandkarte mit den Abtretungsgebieten gemäß

des Versailler Vertrags

Ost­­preußen war mit 37 000 km2 nach Schlesien und Branden­burg zwar die dritt­größte preußische Provinz, wies aber die ge­ringste Bevölkerungsdichte auf: 55 Einwohner pro km2. Mehr als die Hälfte der im Jahre 1933 Erwerbstätigen (54 % im Vergleich zum nationalen Durch­schnitt von 29 %) waren in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigt. Die Do­minanz einer agra­risch bestimmten Wirt­schaft belegt auch die Statistik, wonach die Anzahl der Großbetriebe (über 100 Hektar) einen Anteil von 39,2 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche aus­mach­ten. 1925 verfügten 1,9 % aller landwirtschaftlichen Betriebe über 50 % der gesamten Nutzfläche. Daneben fielen der Industria­lisierungs- und Verstädte­rungsprozess eher bescheiden aus. Königsberg war mit ca. 340 000 Einwohnern die einzige Großstadt. Von den 4805 Gemeinden in Ostpreußen hatten 4719 weniger als 2000 Einwohner[60]. Insgesamt wirkte sich hier der Bevöl­kerungs­rückgang aus, verursacht durch steigende Ab­wanderung in die westlichen In­du­striegebiete, die einzige Alternative zu Beschäf­tigungslosigkeit und Woh­nungs­not. Zudem hatten die Abrüstungsauflagen der Alliierten viele Garnisons­städte in die Bedeutungslosigkeit geführt. Alle Maßnahmen zur Ent­wicklung der Öko­nomie (u.a. Verzicht auf Rückzahlung von Saatgutkrediten, Steuernach­lässe, La­sten­­senkungen) blieben ohne durchschlagenden Erfolg. Die Neuver­schuldung der Provinz drohte die Vorkriegsverhältnisse zu überholen. Als 1928 die Staat­liche Ostpreußen­hilfe („Osthilfe“) zur Sanierung und Strukturver­besse­rung an­lief, lande­ten die Fördermittel nur zu einem geringen Teil in den Not leiden­den Kleinbetrieben. Es konnte daher nicht verwundern, dass in dieser Zeit radikale Parolen[61] sich überschlugen und ein revolutionäres Klima[62] entstand. Anti­demo­kra­tische und anti­parlamentarische Kräfte gaben den Ton an und offen­barten zu­nehmende Gewalt­bereitschaft. Der Kapp-Putsch fand in der Öffent­lichkeit[63] breite Zu­stimmung. In das Misstrauen gegenüber der neuen Republik mischte sich Kopflosigkeit und utopische Neu­erungssucht. Die Groß­agrarier, die bisher in der Deutsch­nationalen Volkspartei (DNVP) ihr politisches Sprachrohr hatten, wandten sich bald der NSDAP zu. In der Stadt Königsberg konnte der soziale Friede dank einsichtiger Regierungen bis 1929 in der Balance gehalten werden. Aber schon mit den Reichstagswahlen vom 14. Sep­tember 1930 begann der ra­sante Aufstieg der NSDAP in Ost­preußen (Stim­men­anteil von 22,5 %).

Zeitgleich mit der sich zuspitzenden Agrarkrise und der politischen Radi­ka­lisierung („Ruck nach rechts“) entwickelte sich in Ostpreußen ein neues Landes­bewusstsein, die sog. „Grenz­landmentalität“. Signalcharakter übernah­men die emo­­tional geführten Auseinandersetzungen in der Sprachenfrage. In den grenz­nahen Regionen war es zu Diskriminierungen von Deutschen bzw. Polen und Litauern gekommen. Deutschnationale Kreise nutzten den Anlass, um die Pflege des Deutschtums in speziellen Vereinen zu intensivieren und den „My­thos Ost­-

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Abb. 14: Karte von Ostpreußen

preußen“ zu verbreiten. Die Nation sollte überzeugt werden, dass die Menschen in Ostpreußen einen Auftrag stellvertretend für den Rest des „Reiches“ er­füllten.

Besonders die Medien taten viel, um das Deutsch­tum zu beschwören[64]. Ele­mente der lutherischen, preußischen oder kantischen Tradition wurden zumal bei

Gedenkfeiern zelebriert. Der Germanist Josef Nadler, 1925 nach Königsberg be­rufen, verklärt seine Ankunft in Ostpreußen:

„Man kam, wenn man um die Mitte der zwanziger Jahre ost­preu­ßischen Boden betrat, in eine neue Welt. Ge­spenstisch glitt im Zwielicht des trü­ben Aprilabends das eiserne Netzwerk der Dirschauer Brücke an den Fen­stern vorüber. Die Weichsel war überstanden. Der große Name Marien­burg brannte über einem kleinen Bahnhof. Er war der erste Gruß. Er war eine Verheißung. Er machte Mut und er verpflichtete“[65].

Der politische Prozess in Ostpreußen bleibt unverständlich, wenn in der histo­rischen Analyse die psychologische Dimension unberücksichtigt bleibt, die mit der territorialen Veränderung und dem ökonomischen Niedergang ver­bun­­den war. Im Lebensgefühl der Menschen aller Schichten mischten sich anti­auf­klä­­rerische, antidemokratische, antiliberale, antikommunistische und anti­se­mi­­tische Tenden­zen. Gerade bei den Eliten entwickelte sich große Sym­pathie für einen radikalen Umbruch. Denn mit dem Ausstieg aus der Moderne hoffte man auf das Ende der „Trau­matisierung“, ein Begriff, der den emotio­nalen Zu­stand nach Versailles treffend erfasst[66]. „Los von Versailles“ – unter diesem Ruf ließen sich die politischen Gruppen von rechts bis links vereinen. Vor allem der Grenze mit Polen galten revisionseifrige Umtriebe. Die Wei­ma­rer Republik, die „Republik der Außenseiter“ (Peter Gay), stand von vorn­herein auf verlorenem Posten mit ihrem Ziel, ein demokratisches Ge­mein­wesen auf­zubauen. „Wir ge­nießen das eigentümliche Schauspiel eines Parlaments, das zum großen Teil aus Anti­par­lamentariern besteht“, schrieb Friedrich Georg Jünger.

Ein für die Epoche typisches Phänomen, das die irrationale Befindlichkeit in Deutschland doku­mentiert, war der „politische Messianismus“. So diagno­sti­zier­te Max Scheler (1874-1928) „eine beispiellose Sehnsucht nach Führer­schaft … Das zeigen vielleicht am deutlichsten die zahllosen neuen ‚Gemein­schaften’, ‚Kreise’, ‚Orden’, ‚Sekten’, ‚Schulen’, die mit einem Male in unserem Lande für alle Arten von Lebens­interessen emporgetaucht sind, jede mit ihrem besonderen ’Heiland’, ‚Propheten’, ‚Weltverbesserer’ in der Mitte, jede mit hohen Ansprü­chen aller Art, die Welt zu verbessern und zu bekehren“[67]. Die vertraute Füh­rung war den Deutschen infolge von Krieg und Revolution „ge­nommen“. An der Tages­ordnung war jetzt nicht nur die Suche nach dem „Retter Deutschlands“ sondern auch die Hoffnung auf die Rückkehr alter nationaler Größe. „Die Er­innerung an heroische Vergangenheit nährte Sehn­süchte und Wunsch­­­bilder, die kommende Heilsbringer und wiederkommende Helden er­füllen sollten. Idea­lisierte Ver­gangenheit wurde zum Garanten einer besseren Zu­kunft“[68]. Eine tief sitzende Angst vor der Moderne förderte die Anfälligkeit für radikales Denken. Es verwundert also nicht, wenn politische Enttäu­schun­gen, Verlust­er­fahrungen, kulturelle Um­brüche, Hilflosigkeit u.ä. einen Erwar­tungs­horizont konstituierten, in den der Nationalsozialismus erfolgreich ein­drang. Die Mahnung und War­nungen, z.B. von Max Weber[69] u.a., die enthusia­stisches Le­bensgefühl und mes­sia­nische Schwärmerei auf den Weg der Vernunft zurück­riefen, wurden in den Wind geschlagen. Man war „der Mäkler und Schwät­­zer müd“, hatte sich lang genug „mit Feldwebeln begnügt“; „das Bedürf­nis nach dem starken Mann“ (Friedrich Gundolf) breitete sich in allen Schichten aus wie ein Fieber. Ein Lie­derbuch der „Christlichen Studenten­ver­einigung“ von 1927 verbreitete fol­gen­des Gebet von Ernst Leibl:

[...]


[1] so Joachim Mehlhausen in seinem Artikel „Nationalsozialismus und Kirchen“, in: TRE XXIV (1994), 43-78. – Auf das Verhältnis „Nationalsozialismus und Katholische Kirche“ einzugehen, hätte den Rahmen dieser Untersuchung gesprengt. Angemerkt sei jedoch, dass der Begriff „Kirchenkampf“ im katholischen Forschungsdiskurs weite Akzeptanz gefunden hat.

[2] So Günther van Norden, Zwei Aspekte kirchlicher Zeitgeschichte, in: Transparent-Extra 94/ 2009, 1-12.

[3] Vgl. z.B. Peter Maser, Der Kirchenkampf und seine Legenden, in: ders. (Hg.), Der Kirchenkampf im deutschen Osten und in den deutschsprachigen Kirchen Osteuropas, Göt­tingen 1992, 9-26; Heinz Eduard Tödt, Komplizen, Opfer und Gegner des Hitler­regimes. Zur ‚inneren Geschichte’ von protestantischer Theologie und Kirche im ‚Dritten Reich’, Gü­tersloh 1997, 383ff; Kristine Fischer-Hupe, Der Kirchenkampfdiskurs nach 1945. Wie katholische und evangelische Theologen in der frühen Nachkriegszeit über den Kirchenkampf der Jahre 1933-1945 sprachen, in: Kirchliche Zeitgeschichte 15, 2002, 461-489; Frank-Michael Kuhle­mann, Erinnerung und Erinnerungskultur im deutschen Prote­stantismus, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 119, 2008, 30-44.

[4] Diese Frage behandelt Eberhard Bethge auf der Grundlage von persönlichen Erinne­rungen, Kontextanalyse und theologischen Reflexionen: Zwischen Bekenntnis und Wider­stand. Erfahrungen in der Altpreußischen Union, in: ders., Bekennen und Widerstehen. Aufsätze, Reden, Gespräche, München 1984, 141-150; 145: „Asmussen hatte in Barmen deutlich genug betont, dass das Bekenntnis zum solus Christus nichts zu tun habe mit einer Opposition gegen das neue Deutschland und seine veränderte Staatsform“.

[5] Vgl. Hans Prolingheuer, Das kirchliche Wendejahr 1946. Ein historisch-kritischer Rück­­blick, Manuskript Deutschland-Radio, 16. November 1996, 5ff.

[6] Über zwei Fälle aus dem kirchlichen Bereich ist wieder vor einigen Jahren berichtet worden: Rainer Hering, Heilige Opfer für Hitler. Der Fall Biberstein und die evangelische Kirche (in: DIE ZEIT Nr. 16, 13.04.2000) und Manfred Gailus, Vom ‚gottgläubigen’ Kirchen­­kämpfer Rosenbergs zum ‚christgläubigen’ Pfarrer Niemöllers: Matthes Zieglers wun­­­­derbare Wandlungen im 20. Jahr­hundert, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 54, 2006, 937-973. Vgl. auch Jens Gundlach, Otto Dibelius und die Aufarbeitung des National­sozialismus, Mss. 2012 (Vortrag auf dem Symposion zu Ehren von Prof. Dr. Joachim Perels in Hannover), 6f.

[7] Frederick Taylor spricht in seiner Darstellung der ersten Nachkriegsjahre („Zwischen Krieg und Frieden. Die Besetzung und Entnazifizierung Deutschlands 1944-1946“, Berlin 2011) sogar von einer „hyperkapitalistischen Orgie des Vergessens“.

[8] Arthur Frey, Kirchen im Gericht, Zollikon-Zürich 1949, 15f zitiert nach Maser (wie Anm. 3), 11.

[9] Günther van Norden, Zwischen Patriotismus und Bekenntnis. Der deutsche Protestan­tis­mus 1920-1950, in: Evangelische Theologie 1/ 1994, 61-78.

[10] So van Norden (wie Anm. 2), 6ff in Auseinandersetzung mit Thesen von Kurt Meier und Kurt Nowak.

[11] A.a.O., 10. Vgl. Klaus Scholder, Politischer Widerstand oder Selbstbehauptung als Pro­blem der Kirchenleitungen, in: Jürgen Schmädecke/ Peter Steinbach (Hg.), Der Wider­stand gegen den Nationalsozialismus. Die deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler, München 1985, 262: „Was an tatsächlichem Widerstand gegen das Regime von den Kirchen ausging, kam durchweg von unten, von Pfarrern, Gemeinden und einzelnen Christen. Sie hatten, wie die Listen der Opfer ausweisen, auch die ganze Last der Verfolgung zu tragen. Nicht selten haben Kirchenleitungen den aus politischen Gründen Inhaftierten und Verurteil­ten die Solidarität verweigert“.

[12] Tödt (wie Anm. 3), 388. – Am 23. Juli 1933 (Tag der Kirchenwahlen) predigte Dietrich Bon­hoef­­fer in der Berliner Dreifaltigkeitskirche über Matthäus 16, 13-18 (Petrusbekenntnis in Cäsarea Philippi). Die Predigt hebt die „bekennende Kirche“ von anderen Kirchen­model­len ab (vgl. DBW XII, 465-470).

[13] Vgl. dazu die kritischen Anmerkungen von Hartmut Ludwig (Der Kirchenkampf blieb Episode, in: Junge Kirche 56, 1995, 418-422) sowie die linguistischen Analysen von Fischer-Hupe (wie Anm. 3).

[14] Zur allgemeinen Orientierung sei auf folgende Artikel hingewiesen: http://de.wikipedia. org/wiki/Stutt­garter_Schuldbekenntnis und http://de.wikipedia.org/wiki/Darmstädter_Wort; (10.10.2011). Ferner: Joachim Mehlhausen, Die Wahrnehmung von Schuld in der Ge­schichte. Ein Beitrag über frühe Stimmen in der Schulddiskussion nach 1945, in: ders. (Hg.), … und über Barmen hinaus: Studien zur Kirchlichen Zeitgeschichte. FS für Carsten Nico­laisen, AKZG B 23, Göttingen 1995, 471-498; Martin Greschat, Die evangelische Christenheit und die deutsche Ge­schichte nach 1945. Weichenstellung in der Nachkriegszeit, Stuttgart 2002, 322-338 (zum Darmstädter Wort im historischen Kontext).

[15] Art. Darmstädter Wort (wie Anm. 14), 5. Schon am 29. Mai 1945 hat Paul Schempp in einer scharfen und weitsichtigen Analyse („Der Weg der Kirche“) das verzerrte Ge­schichts­bild und die autoritären An­sprü­che der Kirchenführung (gemeint ist der würt­tem­bergische Bischof Wurm) angegriffen. Vgl. Hans Prolingheuer, Der erstickte Bußruf des Paul Schempp, in: Neue Stimme, 4/ 1985, 7-11.

[16] S.o. Anm. 7.

[17] Formulierungen von Dorion Weickmann in ihrer Besprechung des Buches von Frede­rik Taylor (wie Anm. 7), in: Süddeutsche Zeitung Nr. 256, 16. Gundlach (wie Anm. 6) zeigt am Beispiel Otto Dibelius die ablehnende Einstellung protestantischer Kreise gegen die von den (West-) Aliierten verordneten Entnazifizierungsmaßnahmen.

[18] Kuhlemann (wie Anm. 3), 40.

[19] Tödt (wie Anm. 3), 383.

[20] Vgl. z.B. Maser (wie Anm. 3), 20ff; Tödt (wie Anm. 3), 393ff; 397 und die Dis­kus­sio­nen, die im Umfeld des Darmstädter Wortes geführt worden sind.

[21] Rudolf von Thadden, „Dietrich Bonhoeffer und der deutsche Nachkriegspro­testan­tis­mus“, in: Kirchen in der Nachkriegszeit. Vier zeitgeschichtliche Beiträge, Göttingen 1979, 125-138; 128; vgl. auch 130.

[22] Bethge (wie Anm. 4), 153.

[23] Bekanntheitsgrad und verstehende Rezeption gehen allerdings nicht Hand in Hand. Das reflektiert von Thadden in seinem in Anm. 21 genannten Aufsatz.

[24] Vgl. Jürgen Seim, Hans Joachim Iwand. Eine Biografie, Gütersloh 1999, 368ff.

[25] Die Rede ist von der „Gemeinschaft evangelischer Ostpreußen“, die Jahre später mit der „Evangelischen Notgemeinschaft in Deutschland“ eng zusammenarbeitete. Letztere vertrat extrem kon­serva­tive Ansichten und fühlte sich be­rufen, einen „Kirchenkampf gegen den moder­nen Zeitgeist“ zu führen; vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Evangelische_Notge­mein­schaft_in_Deutschland; (12.02.2012).

[26] Walther Hubatsch, Geschichte der Evangelischen Kirche Ostpreußens, Bd. I., Göt­tingen 1968, 422-480. Einen kurzen Überblick bieten auch Kurt Meier, Der Evangelische Kirchenkampf Bd. III., Halle/Göttingen 1984 und Fritz Gause, Die Geschichte der Stadt Königsberg, III. Band: Vom Ersten Weltkrieg bis zum Untergang Königsbergs, Köln/ Wien 1971, 149ff.

[27] Hugo Linck, Der Kirchenkampf in Ostpreußen 1933-1945. Geschichte und Dokumen­tation, München 1968.

[28] Manfred Koschorke (Hg.), Geschichte der Bekennenden Kirche in Ostpreußen 1933-1945, Göttingen 1976. Außer der ausführlichen Darstellung des Herausgebers enthält der Band Berichte anderer Zeitzeugen.

[29] Das kann so gesagt werden, obwohl das Todesurteil gegen Bonhoeffer u.a. erst sehr spät aufgeho­ben worden ist – Bundesgesetze zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechts­urteile wurden erst 1998 und 2002 verabschiedet. - und obwohl die deutsche Justiz in vielen Fällen zugunsten der „Täter“ und gegen die „Opfer“ geurteilt hat.

[30] In: Wort und Glaube, Tübingen 21960, 90ff.

[31] Z.B. bei Julio de Santa Ana, Bonhoeffer und die Theologie der Befreiung, in: Hans Pfeifer (Hg.), Genf’ 76. Ein Bonhoeffer-Symposion, IBF 1, München 1976, 151-170; Gusta­vo Gutierrez, Die historische Macht der Armen, München/ Mainz 1984, 190-203; Her­mann Brandt, Widerstand und Vergebung. Lateinamerikanische Perspektiven zum Ver­hält­nis von Religion und Macht, in: J.Mehlhausen (Hg.), Recht-Macht-Gerechtigkeit, Gü­tersloh 1998, 768-790; ISEDET, Cátedras Carnahan 1995. Dietrich Bonhoeffer, Buenos Aires 1998; vgl. Paul Gerhard Schoenborn, Alphabete der Nachfolge, Wuppertal 1996, 104ff; ders., Nachfolge-Mystik-Martyrium. Studien zu Dietrich Bonhoeffer, Münster 2012, 127-183.

[32] Exemplarische Verortungen kennzeichnen die Beiträge in dem von Josef Außermair herausge­gebenen Band „Dietrich Bonhoeffer – Orte seiner Theologie“ (Paderborn 2008), ohne dass Ostpreußen Erwähnung findet.

[33] Das Buch von Anatolij Bachtin/ Gerhard Doliesen, Vergessene Kultur. Kirchen in Nord-Ostpreußen. Husum 32000 vermittelt einen Eindruck von „einst“ und „jetzt“. Im Übri­gen vgl. Walther Hubatsch, Geschichte der Evangelischen Kirche Ostpreußens, Bd. 2: Bil­der ostpreußischer Kirchen, Göttingen 1968.

[34] Über die Eltern bzw. die Familie Dietrich Bonhoeffers informieren Sabine Leibholz-Bonhoeffer, Weihnachten im Hause Bonhoeffer, Wuppertal 61984; dies., in: Wolf-Dieter Zimmermann (Hg.), Begegnungen mit Dietrich Bonhoeffer, München 21965, 12ff; dies., Vergangen, erlebt, überwunden. Schicksale der Familie Bonhoeffer, Gütersloh 71993, 13ff; Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Theologe – Christ - Zeitgenosse, München 61986, 23ff; Marikje Smid, Hans von Dohnanyi – Christine Bonhoeffer: Eine Ehe im Widerstand gegen Hitler, Gütersloh 2002, 20ff; Ferdinand Schlingensiepen, Dietrich Bonhoeffer 1906-1945. Eine Biographie, München 2005, 17ff. – Gegenüber dem Reichssicherheitshauptamt hat Dietrich Bonhoeffer 1940 in einem Brief die Ahnentafel der Familie „entfaltet“ (vgl. DBW XVI, 61ff).

[35] Auf dem Wappen (nach dem Wappenbrief von 1590) ist ein Löwe, der eine Bohnenranke in der Tatze hält, dargestellt. „Dietrich Bonhoeffer trug einen Siegelring mit diesem Wappen“ (Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer, Reinbek 22007, 15).

[36] In der Grabrede auf seine Großmutter, Julie Bonhoeffer (1842-1936), hat D.Bonhoeffer ihre „Redlichkeit und Einfachheit“, ihre Liebe zur „Unbeugsamkeit des Rechts“ bezeugt; vgl. DBW XIV, 924; Bethge (wie Anm. 34), 31ff und 574.

[37] Eine Würdigung des Mediziners und Menschen Karl Bonhoeffer gibt Jürg Zutt, in: ders. u.a. (Hg.), Karl Bonhoeffer zum hundertsten Geburtstag am 31. März 1968, Berlin 1969, 1-7. Vgl. auch Dag Moskoop/ Dorothea Jäkel (Hg.), Karl Bonhoeffer. Ein Nerven­arzt. Vor­träge zum 60. Todestag, Berlin 2009.

[38] In: Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde, Bd. 161, 5f: zit. nach Bethge (wie Anm. 35), 11ff. Vgl. auch Bernhard Meyer, 26 Jahre auf dem Psychiatrie-Lehrstuhl. Der Arzt Karl Bon­hoeffer (1868-1948), in: Berlinische Monatsschrift, Heft 9, 2000, 124-132; 126: „Er überzeugte durch die ‚Vollkommenheit innerer Ordnung’, die Achtung und Distanz zu seinen Mitarbeitern und Patienten gleichermaßen ausdrückte“.

[39] In: Zutt (wie Anm. 37), 61.

[40] Klaus J. Neumärker, Karl Bonhoeffer. Leben und Werk eines deutschen Psychiaters und Neurologen in seiner Zeit, Berlin 1990, 50.

[41] Zutt (wie Anm. 37), 62.

[42] Zutt (wie Anm. 37), 65.

[43] Ibd.

[44] Vgl. Bethge (wie Anm. 34), 34ff. Über die prägenden Erfahrungsräume in der Kindheit bemerkt Carl Friedrich von Weizsäcker, Gedanken eines Nichttheologen zur theo­logi­schen Entwicklung Dietrich Bonhoeffers, in: Hans Pfeifer [Hg.], Genf `76. Ein Bon­hoeffer-Symposion, München 1976, 29-50; 30: „Dietrich Bonhoeffer war einer jener homines reli­giosi, deren Entscheidung, das eigene Leben in den Dienst Gottes zu stellen, früh in der Kind­heit gefallen ist, jenseits dessen, was das Auge eines Mitmenschen hat wahr­neh­men können … Ein Kind kann, unbeschadet seiner kindlich-natürlichen Entwicklung, ein schweigsames und intensives Leben mit Gott haben, für das ihm die Umwelt nur die kulturell geprägten Formen bietet, in welchen es sich seine innere Erfahrung auslegen und ausbilden kann“.

[45] Uwe Gerres, Medizinisches Ethos und Theologische Ethik. Karl und Dietrich Bonhoeffer in der Auseinander­setzung um Zwangssterilisation und Euthanasie im Nationalsozialismus, Mün­chen 1996, 59.

[46] Ibd.

[47] Bethge (wie Anm. 34), 39. Ferner Renate Bethge, Bonhoeffers Familie und ihre Be­deutung für seine Theologie (1985), Berlin 2003, 16; Smid (wie Anm. 34), 25: Paula Bon­hoeffer „han­delte sehr entschieden, war fast pietistisch fromm und immer besorgt um die ihr anvertrauten Menschen“.

[48] Leibholz-Bonhoeffer (1984; wie Anm. 34), 6. Vgl. Von Weizsäcker (wie Anm. 44), 30: „Modernes Bewusstsein in der Gestalt der Tradition“.

[49] Heinz Eduard Tödt, Komplizen, Opfer und Gegner des Hitlerregimes. Zur ‚inneren Ge­schichte’ von protestantischer Theologie und Kirche im ‚Dritten Reich’, Gütersloh 1997, 160.

[50] Neumärker (wie Anm. 40), 72. Davon zeugen die Eintragungen zur Familiengeschichte im sog. „Sylvesterbuch“, die Karl Bonhoeffer alljährlich vorgenommen hat. Vgl. auch von Weizsäcker (wie Anm. 44), 31f; 34ff.

[51] DBW IX, 50.

[52] Vgl. dazu Karl Bonhoeffers Aufzeichnungen in: Zutt (wie Anm. 37), 115 und den bei Leibholz-Bonhoeffer (71993; wie Anm. 34), 108ff abgedruckten „Silvestereintrag“. Ferner Meyer (wie Anm. 38), 129f.

[53] Eberhard Bethge, Haus, Familie und Gäste in der Marienburger Allee 43, in: ders., Erstes Gebot und Zeitgeschichte, München 1991, 156. Vgl. auch Bethges Ausführungen über die Bedeutung der preußischen Tradition in Dietrich Bonhoeffers Vita (in: ders., Bekennen und Widerstehen. Aufsätze, Reden, Gespräche, München 1984, 24ff).

[54] In: Zutt (wie Anm. 37), 106.

[55] Der Text von Braunes Denkschrift vom 4. Juli 1940 ist abgedruckt bei Heinrich Herme­link (Hg.), Kirche im Kampf. Dokumente des Widerstands und des Aufbaus in der Evangeli­schen Kirche Deutschlands von 1933 bis 1945, Tübingen 1950, 519-532.

[56] DBW VI, 163ff; bes. 209-211; vgl. 437f. Dieses Kapitel ist in der Zeit ab dem 9. De­zember 1940 konzipiert worden. Ferner Gerres (wie Anm. 45), 160ff: Karl und Dietrich Bonhoeffer im Vergleich; sowie Helmut Reihlen, Vom Wert des Lebens. Karl und Dietrich Bonhoeffer im ethischen Gespräch, in: Günter Brakelmann/ Traugott Jähnichen (Hg.), Dietrich Bonhoeffer – Stationen und Motive auf dem Weg in den politischen Widerstand, Münster 2005, 59-74.

[57] In: Zutt (wie Anm. 37), 108-114. Aufschlussreich für die Verbindung von medizinischer und gesellschaftspoli­tischer Perspektive sind folgende Arbeiten Karl Bonhoeffers: Über die Bedeutung der Kriegserfah­rungen für die allgemeine Psycho­pathologie und Aetiologie der Geistes- und Nervenkrankheiten, in: O.v.Schjernings Handbuch der ärztlichen Erfahrungen im Weltkriege 1914/1918, Bd. 4, Leipzig 1922, 1-44 und Vergleichende psychopathologische Erfah­rungen aus den beiden Weltkriegen, in: Der Ner­venarzt 18, 1947, 1-4. Vgl. auch Gerres (wie Anm. 45), 109ff: Rückblick nach Kriegsende.

[58] In: Zutt (wie Anm. 37), 113f. – Ein Zeitgenosse, der Historiker Friedrich Meinecke, weist in eine vergleich­bare Richtung, wenn er bei den Deutschen die Neigung diagnostiziert, „einmal ergriffene Ideen zu übersteigern“ und sich von der Vernunft zu verabschieden (Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen, Wiesbaden 21946, 40). Im Übrigen pflegte Karl Bonhoeffer eine Geistes­haltung nüchterner, bisweilen ironischer Sachlichkeit, die an den Publizisten und Satiriker Adolf Glaßbrenner (1810-1876) erinnert:

„Mit der friedlich-liberalen Moral,

der kurzatmigen, ging es fatal,

dagegen mit Eisen und Blut,

Ging vorläufig schnell es gut.

Wie aber durch Eisen und Blut

Man wieder zurückkehren tut

Zur friedlich-liberalen Moral?“

Aus: Ingrid Heinrich-Jost, Die politische Publizistik Adolf Glaßbrenners, in: Manfred Richter (Hg.), Kirche in Preußen: Gestalten und Geschichte, Stuttgart usw. 1983, 160-177; 175.

[59] Renate Bethge, Dietrich Bonhoeffer. Eine Skizze seines Lebens, Gütersloh 22004, 2.

[60] Statistische Angaben nach Christian Tilitzki, Alltag in Ostpreußen 1940-1945. Die ge­heimen Lageberichte der Königsberger Justiz 1940-1945, Leer 1991, 10ff. Vgl. auch An­dreas Kossert, Ostpreußen. Geschichte und Mythos, Mün­chen 2005.

[61] Ein Autor, der großen Einfluss auf die Gedankenwelt Hitlers ausgeübt hat, war Dietrich Eckart („Der Bolschewismus von Moses bis Lenin – Zwiegespräche zwischen Adolf Hitler und mir“); vgl. http:// de.wikipedia.org/wiki/Dietrich_Eckart; (27.02.2012). – Ein Mitglied der religiösen Sozialisten, Lic. theol. und Dr. phil. Paul Piechowski, setzte über sein Buch „Proletarischer Glaube“ (1927) folgendes Motto:

„Es krampft und kreißt die Zeit der Leidenswehen,

der Boden bebt, wo starr die Kreuzeszeichen stehen.

Der Masse Sehnsucht ringt sich los vom Alten

Und will in neuen Formen heilig sich gestalten“.

Zit. nach Kurt Nowak, Religiöser Sozialismus in der Weimarer Republik, in: Joachim Mehlhausen (Hg.), … und über Barmen hinaus: Festschrift für Carsten Nicolaisen, AKZG 23, Göttingen 1995, 100-111; 109.

[62] Über die ideologischen Strömungen und ihre Akteure im Kontext der Weimarer Republik informieren Armin Mohler, Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch, 1950; Graz 62005; Christian Graf von Krockow, Die Entscheidung. Eine Un­ter­suchung über Ernst Jünger, Carl Schmitt, Martin Heidegger, Stuttgart 1958; Fritz Stern, Kulturpessimismus als politische Gefahr. Eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland, Bern/ Stuttgart/ Wien 1963 (Paul de Lagarde 25ff; Julius Langbehn 127ff; Moeller van den Bruck 223ff) und Stefan Breuer, Anatomie der Konservativen Revolution, Darmstadt 21995. Ein viel gelesener Autor war Edgar Julius Jung (1894-1934), der mit seinem Buch „Die Herrschaft der Minder­wertigen. Ihr Zerfall und ihre Ablösung durch ein neues Reich“ (Berlin 1927) zu den Weg­bereitern der NS-Ideologie wurde. Im Zusammenhang der sog. Röhm­-Affäre wurde Jung ermordet. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Edgar_Julius_Jung; (10.06.2011).

[63] Vgl. dazu Fritz Gause, Die Geschichte der Stadt Königsberg, Band III., Köln/ Wien 1971, 34f; Jürgen Manthey, Königsberg. Geschichte einer Weltbürgerrepublik, München 2006, 554ff. – Zum Aufstieg der NSDAP vgl. Bohdan Koziello-Poklewski, Die NSDAP in Ostpreußen. Gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Bedingungen ihrer Entwick­lung, in: Christian Pletzing (Hg.), Vorposten des Reiches? Ostspreußen 1933-1945, München 2006, 15-28.

[64] Vgl. Kossert (wie Anm. 60), 242ff. Nur eine Minderheit sah in der „geographischen Iso­lation“ eine Chance für die „Freiheit einer eigenen Entwicklung“; vgl. Manthey (wie Anm. 63), 652.

[65] Zitiert bei Kossert (wie Anm. 60), 248.

[66] Siehe dazu Frank-Michael Kuhlemann, Protestantische „Traumatisierungen“. Zur Si­tua­­tionsanalyse nationaler Mentalitäten in Deutschland 1918/19 und 1945/46, in: Manfred Gailus/ Hartmut Lehmann (Hg.), Nationalprotestantische Mentalitäten, Göttingen 2005, 45ff. Ferner Tödt (wie Anm. 49), 152 mit Verweis auf Hans Mommsen, Die deutschen Eli­ten und der Mythos des nationalen Aufbruchs von 1933, in: Merkur 38, 1984, 97-102.

[67] Max Scheler, Vorbild und Führer, in: ders., Zur Ethik und Erkenntnislehre. Schriften aus dem Nachlass 1, Berlin 1933, 151. Vgl. Ulrich Linse, Barfüssige Propheten. Erlöser der Zwanziger Jahre, Berlin 1983.

[68] Klaus Schreiner, „Wann kommt der Retter Deutschlands?“. Formen und Funktionen von politischem Messia­­nismus in der Weimarer Republik, in: Saeculum 49, 1998, 107-160; 121.

[69] Vgl. Max Weber, Wissenschaft als Beruf (1917/19), hrsg. von Wolfgang J.Mommsen und Wolfgang Schluchter, Tübingen 1992; Schreiner (wie Anm. 68), 155ff. – Aus theo­logischer Perspektive hat früh (1931) der Barth-Schüler Richard Karwehl warnende Über­legungen geäußert: Politisches Messiastum. Zur Auseinandersetzung zwischen Kirche und Nationalsozialismus, in: Zwischen den Zeiten 9, 1931, 519-543. Auch Ewald von Kleist-Schmenzin, Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht (1933), in: Bodo Scheurig, Ewald von Kleist-Schmenzin. Ein Konservativer gegen Hitler, Berlin/ Frankfurt 1994, 269-274. Im Jahr 1933 hat E. von Kleist-Schmenzin folgenden plakativen Satz zur geistigen Situation geprägt: „In Zukunft wird es heißen: Charakterlos wie ein deutscher Beamter, gottlos wie ein pro­testantischer Pfaffe, ehrlos wie ein preußischer Offizier“ (nach Tödt [wie Anm. 49], 154).

Ende der Leseprobe aus 263 Seiten

Details

Titel
Wie Schafe mitten unter die Wölfe. Die Bekennende Kirche in Ostpreußen und Dietrich Bonhoeffers Visitationsreisen 1940
Autor
Jahr
2012
Seiten
263
Katalognummer
V199795
ISBN (eBook)
9783656260974
ISBN (Buch)
9783656261155
Dateigröße
41896 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kirchenkampf, Bekennende Kirche, Ostpreußen, Dietrich Bonhoeffer, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Hans Joachim Iwand
Arbeit zitieren
Prof. Dr. Ulrich Schoenborn (Autor:in), 2012, Wie Schafe mitten unter die Wölfe. Die Bekennende Kirche in Ostpreußen und Dietrich Bonhoeffers Visitationsreisen 1940, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/199795

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