Peter Singer und der Utilitarismus


Hausarbeit, 2007

16 Seiten, Note: 1,5

Agnes Thiel (Autor:in)


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Utilitarismus
2.1 Der Utilitarismus und seine Einordnung in die Ethik
2.2 Der klassische Utilitarismus und seine Charakteristika

3. Peter Singer und seine utilitaristische Position
3.1 Singers Selbsteinstufung in die wissenschaftliche Ethik
3.2 Singers Drei-Stufen-Modell
3.3 Der singersche Personenbegriff
3.4 Singer über den Status von Embryonen

4. Kritik und Wertung

Literatur

Peter Singer und der Utilitarismus

1. Einleitung

Alle vergangenen Kulturen und Gesellschaften kannten für ihre Mitglieder verbindliche Vorschriften und Gesetze.[1] Diese waren in der Regel religiös legitimiert. Es ist aber ein zentrales Merkmal der abendländischen Kultur, dass sie im Zuge und als Folge der Reformation, der Aufklärung und der allgemeinen Säkularisierung – wie es M. Weber formulierte – in religiöser Hinsicht entzaubert wurde.[2] Diese Entzauberung der Welt hat Auswirkungen auf die Gesetzgebung der Menschen. Die Gesetzgebung der modernen Staaten beruht nicht mehr auf religiös legitmierten Normen. Vor allem der Utilitarismus verlangt heute eine rationale, vernunftgemäße Begründung der Ethik. Auch für Peter Singer gelten nur rational begründbare und nicht religiöse Argumente (s. u.).[3]

Bahn brechend war hier Hobbes´ Vertragstheorie, deren Grundgedanke ja darin besteht, dass legitime Souveränität gänzlich ohne göttliches Eingreifen funktioniert und ausschließlich auf der Basis eines Vertrages zwischen `gleichberechtigten´ Menschen entsteht. Der Souverän ist der unbeteiligte Dritte, auf den das `Recht auf alles´ des Naturzustandes übertragen wird. Der Leviathan bietet dafür – quasi als Gegenleistung - Sicherheit, Frieden und Wohlstand.[4] Bei Hobbes deutet sich also das erste Mal an, was Kennzeichen aller Gesetzgebung der Neuzeit sein wird: Wenn es keine Rückbindung an Gott mehr gibt, dann sind die Menschen auf sich selbst zurückgeworfen; sie müssen dann untereinander verbindliche Regeln schaffen, die mit der Vernunft einsehbar sind und allgemeine Verbindlichkeit beanspruchen müssen.

Der Utilitarismus ist eine Geistesströmung, die genau diesen Anspruch erhebt: allgemein verbindliche Normen sollen mit wissenschaftlichem Handwerkszeug begründet werden.[5] Wegweisend war Benthams Forderung, die Moralphilosophie müsse sich (nun endlich) auf den Weg der Wissenschaftlichkeit begeben.[6] Dies ist deshalb schwierig, weil in einer pluralistischen Gesellschaft die Gruppen und die von diesen vertretenen Interessen mannigfaltig sind. Deshalb geht der Utilitarismus von einer Grundannahme aus: der Mensch ist ein Wesen, das jederzeit nach seinem Nutzen strebt. Diese Annahme ist keine Erfindung der Utilitaristen, sondern sie können sich hier auf einige antike Denker berufen (s. u.).

In einem ersten Schritt soll zunächst der Utilitarismus ganz allgemein in die Ethik als Wissenschaft eingeordnet werden (Kap. 2.1), bevor wir im Anschluss daran die Kernpunkte des Utilitarismus vorstellen (Kap. 2.2). Diese Vorarbeit ist notwendig, weil sich Peter Singer selbst in diese Tradition einordnet und auch so in der Forschung behandelt wird. Der zweite Teil macht es sich zur Aufgabe Singers Position detailliert nachzuzeichnen. Deshalb soll zunächst seine Selbsteinschätzung angesprochen werden (Kap. 3.1), bevor wir auf sein Drei-Stufen-Modell näher eingehen (Kap. 3.2). Zentral für die singersche Position ist der Personenbegriff, deshalb wird dieser in Kap. 3.3 in den Mittelpunkt gestellt werden. Um auch inhaltlich die ganze Tragweite der Singerschen Position zu verdeutlichen, soll seine Vorstellung über den Umgang mit Embryonen näher beleuchtet werden (Kap. 3.4). Die Arbeit wird mit einer Kritik an Singers Positionen enden (Kap. 4).

2. Der Utilitarismus

2.1 Der Utilitarismus und seine Einordnung in die Ethik als Wissenschaft

Da es in jeder Gesellschaft Sitten und Bräuche gab und gibt, hat auch jede Gesellschaft eine spezifische Moral (lat. mos, moris: Sitte, Brauch, Gewohnheit, Ordnung). Moralisch verhält sich ein Mensch dann, wenn er sich an diesen Grundbestand sittlicher Verhaltensweisen seiner Gesellschaft hält. Davon zu unterscheiden ist Moralität, da damit die Grundlagen der jeweiligen Moral, die Prinzipien derselben gemeint sind. Nun bedeutet auch Ethos (von griech. Ethos: Sitte, Gewohnheit) so etwas wie Moral, aber hier ist schon eine reflektierte, eine bewusst vertretene, nicht irgendeine Moral gemeint. Ethik meint dann eine übergreifende und alle Moral umfassende Theorie der menschlichen Lebensführung(en) bzw. eine Theorie des sittlichen Verhaltens. Dabei bezieht sich der Begriff Theorie auf die systematische Reflexion und Rechtfertigung aller Moral und die daraus abgeleitete wissenschaftliche Analyse, Darstellung und Begründung der Moral. In diesem Zusammenhang spricht man hin und wieder auch von Moralphilosophie. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen drei Bereichen innerhalb der Ethik:

1.) Die deskriptive Ethik, auch empirische Ethik genannt. Hier wird versucht, die Phänomene und Ausprägungen von Sittlichkeit zu beschreiben, zu verstehen und zu erklären. Zu diesem Zweck werden Daten aus der Erfahrung, auch experimentelle genutzt.
2.) Die normative Ethik, welche die Normen und Wertmaßstäbe sittlichen Handelns aufstellt. Ihr Ziel ist es, Normen zu finden, die den Gesprächspartner zur Zustimmung veranlassen. Normen stehen also im Mittelpunkt, sowohl ihre inhaltliche Bestimmung als auch deren Begründung.
3.) Die Metaethik klärt, was „Ethik“ überhaupt ist. Sie fragt außerdem nach den Bedingungen ethischen Reflektierens. Dabei werden ethische Begründungsverfahren genau so untersucht wie die verwendete Sprache etc.

Der Utilitarismus ist vor allem eine deskriptive Ethik, was nicht heißen soll, dass er keine normativen Elemente hätte. Im Folgenden soll dies aufgezeigt werden.

2.2 Der klassische Utilitarismus und seine Charakteristika

Der antike Hedonismus und der Utilitarismus stehen in einem engen Zusammenhang. Der Begriff Hedonismus leitet sich vom griechischen Wort hedoné (Lust, Freude) ab. Hedonismus meint die Vorstellung, dass menschliche Handlungen ausschließlich durch die Gewinnung von Lust und die Vermeidung von Unlust motiviert sind. Diese Lust-Unlust-Relation kann nur empirisch erfasst werden, weshalb der Hedonismus in die Richtung des Empirismus eingeordnet wird.[7] Der Utilitarismus ist demzufolge eine Spielart des ethischen Empirismus, weil sich Moralvorstellungen und Konsequenzen von Handlungen nicht allein aus der Vernunft ableiten lassen, sondern vor allem auf empirische Datenerhebung gründen.

Auch die Vernunft ist dem hedonistischen Kalkül der Befriedigung von Lust unter- bzw. beigeordnet; sie dient nämlich ausschließlich der Optimierung des Lust-Unlust-Kalküls. Ethik wird damit zur Lebenskunst. Hauptziel ist ein `lustvolles´ Leben. Dabei deutet die Übersetzung von hedoné Lust und Freude an, dass es sich nicht nur um die Lüste wie Essen und Trinken, sondern auch um „höhere“ Bedürfnisse wie Theaterbesuche etc. handelt. J. St. Mill knüpfte hier mit seinem qualitativen Utilitarismus an.[8]

Der Utilitarismus ist heutzutage die bedeutendste und vielfältigste Strömung innerhalb der empiristischen Ethik.[9] Der Begriff leitet sich vom lateinischen Wort „utile“ her, was mit „nützlich“ zu übersetzen ist. Damit ist auch schon die Grundintention, den Utilitaristen geht es um den Nutzen von Handlungen; im Rahmen der Ethik handelt es sich hierbei um Handlungen mit moralische Relevanz. Sein Begründer war Jeremy Bentham, aber das erste Werk, das sich dezidiert so nennt, stammt von J. St. Mill. Sein Werk Utilitarism war nach Erscheinen ein großer Erfolg und gehört noch heute zu den Standardwerken.

In Deutschland besteht eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem Utilitarismus. Er hat einen „schlechten Ruf“.[10] Durch die `Singer-Debatte´[11] hat sich dieses Negativbild eher noch verschärft. Es gibt mittlerweile vor allem im englischsprachigen Raum eine Fülle von utilitaristischen Positionen, die sich mit ganz verschiedenen Themenbereichen wie Wissenschaftsethik, Tierethik etc. beschäftigen. Ziel ist es jeweils, die utilitaristischen Grundaxiome in den verschiedenen Teilgebieten erfolgreich zur Anwendung zu bringen. Man darf dem Utilitarismus nicht attestieren, er stagniere; ganz im Gegenteil: er ist eine sehr produktive und innovative Richtung, die sich um eine immanente Verbesserung von Lösungsstrategien bemüht.

Trotz aller Unterschiede lassen sich einige typische Grundcharakteristika in allen Spielarten des Utilitarismus festmachen. Da sich diese Beurteilungsmaßstäbe für moralisches Handeln auch bei P. Singer finden lassen, seien sie an dieser Stelle kurz resümiert:[12]

1.) Konsequenzprinzip:

Die moralische Beurteilung erfolgt ausschließlich auf der Basis der zu erwartenden Handlungsfolgen, d.h. der Konsequenzen. Moralisch relevant ist also, wie sich eine Handlung auswirkt. Diese Ablehnung der Intentionen für die moralische Bewertung von Handlungen steht im Kontrast zu Kants Lehre.[13] Kant legte ja bekanntlich gerade auf die Reinheit und Sittlichkeit der Motive wert; die Folgen einer Handlung hatten bei ihm dagegen nur eine untergeordnete Bedeutung. Utilitaristische Teleologie (griech.: Telos = Ziel) und kantsche Deontologie (griech.: dei = man muss/soll; to deon: das Nötige, das Schickliche) stehen sich also gegenüber. In den Debatten der Bioethik neigen viele Vertreter vorwiegend zu utilitaristischen Modellen.

[...]


[1] Die jüdische Tora heißt „Gesetz“. Deshalb gilt das Judentum als Gesetzesreligion.

[2] Hauptgrund ist hierfür, laut M. Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, Hamburg 81991 die Reformation, Luthers und vor allem die calvinistische Lehre von der doppelten Prädestination mit ihrem Zug zur innerweltlichen Askese seitens der daran Glaubenden. In paradoxer Verdrehung des Intendierten entsteht der „Geist des Kapitalismus“.

[3] Es wird Singers Praktische Ethik von 1992 benutzt. Die Seitenangaben sind im Haupttext vermerkt.

[4] Vgl. Th. Hobbes, Leviathan, 1. Buch, Kap. 10 – 16.

[5] Vgl. dazu O. Höffe (Hg.), Einführung in die utilitaristische Ethik, S. 8 ff.

[6] So schon J. Bentham in O. Höffe, a.a.O., S. 55 f. (= Bentham, Kap. I, 1).

[7] Vgl. dazu A. Anzenbacher, Einführung in die Ethik, Düsseldorf 1992, S. 18 – 42, bes. 31 ff.

[8] Vgl. J. St. Mill, Utilitarismus, Stuttgart 1991, S. 10 ff. Der Sokrates-Schüler Aristipp von Kyrene lehrte, dass des Menschen Sinnen einzig auf die konkrete und aktuale Befriedigung von Lust ginge. Mit dieser Postulierung eines konkreten lustvollen Lebens richtet er sich – wegweisend für alle späteren Utilitaristen – gegen jede Art von metaphysischer oder religiöser Anbindung der Ethik, wie sie sich etwa bei Platons Idee des Guten (vgl. Rep. 509) findet. Auch hier ist die Ethik eine Lebenskunst, in der es darum geht, nach Lust zu streben, Unlust zu meiden und die Vernunft zu diesem Zweck dienstbar zu machen. Vgl. dazu A. Anzenbacher, a.a.O., 23 ff.

[9] Zum Folgenden vgl. A. Anzenbacher, a.a.O., 18 – 42, bes. S. 31 ff.

[10] So B. Gesang, Eine Verteidigung des Utilitarismus, S. 7. Weil man in Deutschland „Angst vor dem Utilitarismus“ habe und ihm schon vor aller Diskussion die „rote Karte“ zeige, möchte Gesang einen neuen „humanen Utilitarismus“ etablieren. Sein Anspruch: die Schwächen der anderen utilitaristischen Spielarten überwinden und so ein „Fundament einer Zukunftsethik“ (S. 133 ff.) schaffen.

[11] Siehe Ch. Anstötz u. a. (Hgg.), Peter Singer in Deutschland. Zur Gefährdung der Diskussionsfreiheit in der Wissenschaft, Frankfurt am Main 21997. Anlass war: Singer wurde nach Veröffentlichung der dt. Ausgabe seiner Praktischen Ethik von Gegnern daran gehindert, seine Thesen öffentlich vorzutragen.

[12] Zum folgenden siehe O. Höffe, a.a.O., S. 10 ff.

[13] I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, hrsg. von W. Weischedel, Frankfurt am Main 111991.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Peter Singer und der Utilitarismus
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Philosophische Fakultät)
Note
1,5
Autor
Jahr
2007
Seiten
16
Katalognummer
V201134
ISBN (eBook)
9783656271710
ISBN (Buch)
9783656284215
Dateigröße
554 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit gibt kompetent Auskunft über die grundsätzlichen utilitaristischen Standpunkte von Peter Singer und nimmt dazu kritisch Stellung.
Schlagworte
Ethik, Singer, Utilitarismus
Arbeit zitieren
Agnes Thiel (Autor:in), 2007, Peter Singer und der Utilitarismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/201134

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