Das Kunstverständnis Adolf Hitlers - abgeleitet aus Biographie und Werkkatalog und angewandt auf die Beispiele "Entartete Kunst" sowie "Sonderauftrag Linz"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2009

43 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung

B. Hauptteil
I Einblick in die frühe Biographie Adolf Hitlers
1.1 Kindheit und frühe Jugend
1.2 Jugendjahre in Wien
1.2.1 Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts
1.2.2 Erste Wienreisen und das Scheitern an der Wiener Kunstakademie
1.2.3 Vom dauerhaften Aufenthalt in Wien bis zum Ersten Weltkrieg
1.2.4 Wien als politische Schule Adolf Hitlers
1.3 Interpretationsversuch der frühen Hitlerbiographie
1.4 Hitler als Forschungsgegenstand der „Psycho-History“
II Adolf Hitler und die Kunst
2.1 Das Kunstverständnis Adolf Hitlers
2.1.1 Hitler und die Architektur
2.1.2 Hitler und die Musik
2.1.3 Hitler und die Malerei
2.2 „Entartete Kunst“
2.2.1 Terminologie und Begriffsklärung
2.2.2 Die Ausstellung „Entartete Kunst“ in München
2.3 „Sonderauftrag Linz“

C. Schluss

D. Bildanhang zur Hausarbeit

Quellen- und Literaturverzeichnis

Einleitung

„Als ihn der Herr Postmeister eines Tages frug was er eigentlich einmal werden wolle […] , erwiderte er, daß es seine Absicht sei einmal ein großer Künstler zu werden“.[1]

Dieses Zitat ist von einer Nachbarin der Familie Hitler überliefert und zeigt, dass der Weg des jungen Adolf Hitlers zum Diktator, der Deutschland und die Welt in die Katastrophe des 20. Jahrhunderts stürzen sollte, nicht vorgezeichnet war, sondern, dass er für sich lange eine Karriere als Künstler geplant hatte.

Die vorliegende Arbeit hat das Ziel zu zeigen, dass für Hitler Kunst, Politik und Ideologie untrennbar miteinander verwoben waren. Da es für den Historiker gefährlich wäre, diese Begriffe isoliert zu betrachten, soll dieser Komplexität dadurch Rechnung getragen werden, dass die Lebensgeschichte Hitlers und sein Kunstverständnis untersucht und in Beziehung zueinander gesetzt werden.

Damit dies gelingt, wird zunächst auf die Biographie Hitlers eingegangen. Die Kindheit des späteren „Führers“ und vor allem seine Jugendjahre in Wien, spielten eine entscheidende Rolle bei seiner Persönlichkeitsentwicklung und verdienen daher eine genauere Untersuchung. Besonderes Augenmerk wird hierbei auf seine Beziehung zur Bildenden Kunst, insbesondere zur Malerei gelegt. Im Fokus der Betrachtung steht dabei sein eigenes Wirken und Scheitern als Künstler und die Frage, ob und wie diese Umstände eine Auswirkung auf seine spätere Kunst- und Kulturpolitik hatten.

Es schließt sich ein Interpretationsversuch seiner Kindheit und Jugendjahre an, bevor ein kurzer Exkurs auf das Gebiet der „Psycho-History“ angefügt wird.

Im zweiten Teil der Arbeit wird dann das Kunstverständnis Hitlers anhand von Architektur, Musik und Malerei näher beleuchtet, bevor „Entartete Kunst“ und „Sonderauftrag Linz“ als Phänomene der nationalsozialistischen Kunst- und Kulturpolitik betrachtet werden.

Im Anhang befinden sich ausgewählte Bilder des Malers Adolf Hitler, um einen Einblick in seinen Werkkatalog zu ermöglichen und um den vorangegangenen Ausführungen mehr Anschaulichkeit zu verleihen.

Die Hausarbeit des Wintersemesters 2008/2009 hat also den Anspruch, Hitlers Kunstverständnis in den Kontext seiner ersten Lebenshälfte zu stellen und diese in Beziehung zur „Entarteten Kunst“ und zum „Sonderauftrag Linz“ zu setzen.

1. Einblick in die frühe Biographie Adolf Hitlers

1.1. Kindheit und frühe Jugend

Adolf[2] Hitler wurde am 20.04.1889 als viertes der sechs Kinder von Klara und Alois Hitler (bis 1876 Schickelgruber) in Braunau am Inn geboren.

Der Alltag der Familie Hitler verlief selten harmonisch. Der Vater hatte sich vom Schuhmacherlehrling zum staatstreuen, sparsamen und pflichtbewussten Zollbeamten hochgearbeitet, der seinen Kindern gegenüber autoritär und leicht reizbar auftrat. Als Gegenpol zu Alois fungierte Klara, deren Wesen als fürsorglich und liebenswürdig beschrieben wird, die aber die Kinder nicht gegen den Zorn des Vaters verteidigen konnte. Seiner Mutter brachte Adolf eine tief empfundene Liebe entgegen, was sich in der Tatsache zeigt, dass er stets ein Bild von ihr bei sich trug.

Neben der fehlenden Kontinuität innerhalb der Familie, trugen zahlreiche Wohnungswechsel zum gestörten Gleichgewicht in Hitlers Kindheit bei. Über Passau (1892) führte der Weg der Familie Hitler 1895 zur Gemeinde Fischlahm, 1897 nach Lambach und 1898 nach Leonding. Die drei letztgenannten Orte lagen in unmittelbarer Nähe von Linz, die Hitler stets als Heimatstadt ansah, woraus auch die spätere Förderung resultieren dürfte.[3]

Adolf besuchte ab 1895 die Volksschule und erzielte in dieser Zeit gute schulische Leistungen. Auf Wunsch des Vaters schloss sich ab 1900 der Besuch einer Linzer Realschule an. Dort wurden ihm ungleichmäßiger Fleiß und deutlich schlechtere Noten attestiert. Darüber hinaus hatte er keine engen Schulfreunde, tat aber auch nichts, um diesen Umstand zu ändern. Seinen Lehrern gegenüber hatte er eine schlechte Meinung, mit Ausnahme seines Geschichtslehrers Leopold Pötsch, der auch in „Mein Kampf“ lobend erwähnt wird[4] , da er in ihm deutschnationale Gefühle gegen Habsburg angeregt habe, die in dieser Zeit in Linz vorherrschend waren. Als sich seine Noten weiter verschlechterten, wechselte er 1905 auf die Realschule in Steyr, wo er im selben Jahr die Abschlussprüfung der niederen Realschule knapp bestand und noch im selben Jahr von der Schule abging. Zwei Jahre zuvor verstarb sein Vater unerwartet, wodurch er nun die ungeschwächte Zuneigung der Mutter genießen konnte.

Die Jahre zwischen 1905 und 1907 verbrachte Hitler umsorgt von der Mutter, fern jeder Arbeit. Er widmete sich vor allem dem Malen, Schreiben und der Musik. Der Wunsch Künstler zu werden existierte schon länger, nahm aber in seiner Zeit in Wien konkretere Formen an, als er sich, von Wagners Opernmusik berauscht, eine eigene Scheinwelt schuf.

1.2. Jugendjahre in Wien

1.2.1 Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Das Wien, welches der junge Adolf Hitler kennen lernen sollte, war eine Stadt der Gegensätze. Die Bauten der Ringstraße zeugten von kaiserlicher Größe, während wenige Straßen weiter die ärmsten und elendsten Viertel Europas lagen. In der Metropole herrschte der Widerspruch von Stabilität, durch die lange Regierungszeit Franz Josephs auf der einen und Wandel durch die nationalistischen Kräfte auf der anderen Seite. Eine allgemeine Stimmung von Auflösung und Verfall der alten Ordnung war greifbar.

Die Stadt war zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts auf kulturellem Gebiet ein Vorreiter der Innovation und Moderne. Wien war Treffpunkt der europäischen Avantgarde, noch vor Berlin oder Paris. Dabei war in der Kunstszene der jüdische Anteil besonders hoch. Gemessen an der Gesamtbevölkerung Wiens nahmen die Juden nur 8,6% (1910) ein, was aber im Vergleich zu anderen europäischen Städten relativ hoch war.[5]

Dass dieser Schmelztiegel kultureller und nationaler Unterschiede entscheidend auf den jungen Adolf Hitler eingewirkt hat, steht laut Kershaw außer Frage. Die Erfahrungen, denen er in der österreichischen Hauptstadt ausgesetzt gewesen sei, hätten sich ihm unauslöschlich eingeprägt und entscheidend die Ausbildung seiner Vorurteile und Phobien gefördert.[6]

1.2.2 Erste Wienreisen und das Scheitern an der Wiener Kunstakademie

Im Jahr 1906 unternahm der siebzehnjährige Adolf Hitler seine erste Wienreise, die von der Mutter finanziert wurde. Er verbrachte mindestens zwei Wochen als Tourist in der Metropole und bewunderte die vielen kulturellen Attraktionen der Stadt. Nachhaltigste Wirkung auf ihn hatte dabei die Architektur der Ringstraße, deren repräsentativen Prunkbauten dem architektonischen Ideal Hitlers entsprachen. Sein kurzer Aufenthalt in Wien bestärkte ihn in seinem Ziel, an der Wiener Akademie für Bildende Künste Karriere zu machen.

Ein Jahr darauf überredete er seine Mutter, die mittlerweile an Brustkrebs erkrankt war und von ihm einige Zeit lang gepflegt wurde, ihn nach Wien zurückkehren zu lassen. Er brach im September 1907 ein zweites Mal in Richtung Wien auf, um sich der Aufnahmeprüfung der Akademie zu stellen. Die Zulassung zur Prüfung hing dabei von einem Eingangstest ab, dem die Einschätzung der eingereichten Arbeitsmappen zugrunde lag. Von den 113 Kandidaten wurden 80 zur eigentlichen Prüfung zugelassen, darunter war auch Adolf Hitler.

Anfang Oktober absolvierte er zwei dreistündige Prüfungen, wobei die Kandidaten Zeichnungen nach festgelegten Themen anfertigen mussten (z.B. Spaziergang, Vertreibung aus dem Paradies). Die Aufnahmeprüfungen bestanden 28 Kandidaten, Hitler zählte nicht dazu. Der Rektor der Akademie schätzte ihn als ungeeignet für die Malerschule ein, attestierte ihm aber ein eindeutiges Talent für die Architektur.

„Ich war vom Erfolg so überzeugt, daß die mir verkündete Ablehnung mich wie ein jäher Schlag aus heiterem Himmel traf“.[7]

Hitler kehrte Ende Oktober zur schwerkranken Mutter zurück, vermied es allerdings, ihr vom Scheitern in Wien zu erzählen. Klara Hitler verstarb am 21. Dezember 1907. Damit verlor der junge Adolf die einzige Person, für die er je Zuneigung und Wärme empfunden hatte.[8]

1.2.3 Vom dauerhaften Aufenthalt in Wien bis zum Ersten Weltkrieg

Die folgenden Jahre, genauer 1908-1913, verbrachte Hitler wieder in der österreichischen Hauptstadt. Die Waisenrente und Geldgeschenke einer Tante sorgten am Anfang dafür, dass er nicht für seinen Lebensunterhalt arbeiten musste. Seine Freizeit verbrachte er mit Zeichnen, Wagnermusik und Lesen, wobei das angesammelte Faktenwissen einzig der Bestätigung bereits vorhandener Meinungen diente.

Er lebte gemeinsam mit seinem Freund Kubizek, den er bereits in Linz kennen gelernt hatte, in einem Zimmer in der Stumpergasse. Hitler hatte die Eltern August Kubizeks überredet, ihren Sohn Musik studieren zu lassen. Er bestand die Aufnahmeprüfung am Konservatorium und ging einem geregelten Musikstudium nach. Im Gegensatz dazu stand Hitler, der in ein träges, bequemes Leben zurückkehrte, ohne Ambitionen zu zeigen den Architektenberuf zu ergreifen oder sich auf den zweiten Versuch an der Akademie vorzubereiten.

Das Miteinander der beiden jungen Männer wird vom Historiker Lothar Machtan für mehr als nur Freundschaft gehalten[9] Wirklich stichhaltige Beweise für eine homosexuelle Beziehung gibt es aber nicht wobei festzustellen ist, dass Hitler in seiner Wiener Zeit Frauen gegenüber mehr oder weniger ablehnend gegenüberstand, mit Ausnahme einer verträumten Schwärmerei. Er vertrat sehr asketische Vorstellungen von der Beziehung zwischen Mann und Frau und hatte bis ins Alter von 25 mit einiger Sicherheit keine sexuellen Erfahrungen.[10]

Die Wege von Hitler und Kubizek trennten sich Ende 1908. Grund dafür war möglicherweise das nochmalige Scheitern Hitlers an der Akademie, nach dem er seinem erfolgreicheren Freund nicht mehr unter die Augen treten wollte.

Für die Zeit bis Ende 1909 gibt es kaum greifbare Belege. Fest steht, dass er mehrmals das Quartier wechselte und dass sich seine Ersparnisse dem Ende zuneigten. Mit dem Jahr 1909 endet die bequeme Zeit Hitlers in Wien. Er kam in Obdachlosenasylen unter oder verbrachte die Nacht im Freien. Sein sozialer Abstieg war endgültig vollendet, als er mit Schneeschippen und Gepäcktragen versuchte, ein wenig Geld zu verdienen.

Mit dem Jahr 1910 besserte sich seine Situation etwas. Er hatte von seiner Tante ein Geldgeschenk erhalten, von dem er sich in einem Männerheim einquartierte und Zeichenmaterialien kaufte. Am Abend nahm er häufig an Debatten im Männerheim teil, bei denen er seinen Kameraden Vorträge über Kunst, die Musik Wagners aber auch über Politik hielt. Er ging nun dazu über, Stadtansichten von Wien zu malen bzw. sie von Postkarten zu kopieren und über seinen Geschäftspartner Reinhold Hanisch an Touristen oder Rahmenhändler zu verkaufen. Sein bester Kunde war dabei ein jüdischer Kunsthändler namens Josef Neumann, mit dem er freundschaftlich verkehrte.[11]

Dafür, dass sich Hitler in seiner Wiener Zeit zum überzeugten Antisemiten entwickelt hätte, wie er es selbst in „Mein Kampf“ formulierte, gibt es keine eindeutigen Beweise. Das Wenige, was über seine Beziehung zu Juden in dieser Phase überliefert ist, deutet auf einen eher pragmatischen Umgang mit den zahlungskräftigen jüdischen Kunden hin. Kershaw stellt daher die Vermutung auf, dass der krankhafte Judenhass des späteren Diktators erst nach dem verlorenen Krieg 1918/1919 entstanden sei. Hitler sei aber höchstwahrscheinlich von der antijüdischen Atmosphäre Wiens nicht unbeeindruckt geblieben, vor allem da er den Nutzen des Antisemitismus für verschiedene politische Strömungen erkannt habe.[12]

Die Zeit Hitlers in Wien endete mit dessen Abreise nach München 1913. Er hatte die letzten Jahre weitgehend unverändert, dahin treibend und von einer Künstlerkarriere träumend im Männerheim verbracht.

In München bezeichnete er sich wie in Wien als „Student“ oder „Kunstmaler“. Auch hier verdiente er sich seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf seiner Bilder. Hatte er sich in Österreich noch dem Militärdienst entziehen können, so meldete er sich 1914 als begeisterter Freiwilliger bei der Bayerischen Armee. Er erlebte den Ersten Weltkrieg als Meldegänger an der Westfront. Aus dieser Zeit stammen auch viele spontane Bilder, da er keine Kundenwünsche mehr bedienen musste.

Die militärische Niederlage Deutschlands und der von breiten Bevölkerungsteilen als Schmachfrieden empfundene Versailler Vertrag, waren auch für Hitler selbst ein absoluter Tiefpunkt, mit dem noch die persönliche Erfahrung eines Senfgasangriffes zusammenfiel. Der Weg des gescheiterten Malers aus einem Wiener Männerheim, sollte durch verschiedenste Umstände begünstigt, in die Politik führen – ein Kapitel, das in dieser Arbeit ausgespart werden muss.[13]

1.2.4 Wien als politische Schule Adolf Hitlers

Ob Hitlers politische Weltanschauung bereits in Wien geprägt wurde, ist unter Historikern umstritten. Er selbst behauptet das in „Mein Kampf“, wobei dessen autobiographische Teile mit Vorsicht zu genießen sind, da dieses Buch der Verklärung und dem Mythos des späteren „Führers“ dienen sollte.

Schon im nationalistischen Linz, aber vor allem später in Wien, hatte Hitler Kontakt zur Bewegung des Georg Ritter von Schönerer, dessen Programm die größte Verantwortung trug, die nationalistische Agitation in das Parlament getragen zu haben. Diese Strömung vertrat in erster Linie einen radikalen deutschen Nationalismus kombiniert mit Sozialreformen, Demokratiefeindlichkeit und Rassenantisemitismus. Letzterer sollte als verbindendes Element seiner antiliberalen, antisozialistischen und antikatholischen Ideologie gegen Habsburg fungieren. Die Parallelen zwischen der späteren NSDAP und der Schönerer Bewegung sind somit offensichtlich und zeigen sich vielleicht am deutlichsten in der Übernahme des „Heil“ Grußes und dem Titel des „Führers“ durch Hitler. Er kritisierte aber die Vernachlässigung der Massen durch diese Strömung.

In diesem Punkt nahm er sich ein Vorbild am Wiener Oberbürgermeister Karl Lueger. Dessen christlich-soziale Partei hatte einen raschen Aufstieg erlebt, was Hitler bewundernd zur Kenntnis nahm. Er stellte fest, dass sich Lueger der „Gewinnung von Schichten, deren Dasein bedroht war“ verschrieb. Dieses Ziel erreichte er durch populistische Rhetorik und kalkulierte Demagogie. Hitler lernte durch Lueger den Gebrauch der Propaganda, um die Massen nach seinem Willen zu beeinflussen. Von den von ihm verhassten Sozialdemokraten, unter Anführung Viktor Adlers, übernahm er noch die organisierten Massenaufmärsche. Somit ist nachgewiesen, dass Hitler bereits in jungen Jahren Kontakt zu den Säulen seiner späteren politischen Ideologie hatte, die in Wien aber noch im Entstehen begriffen war.[14]

1.3 Interpretationsversuch der frühen Hitlerbiographie

Die klassischen Theorien der Psychoanalyse messen den ersten Lebensjahren eine entscheidende Bedeutung für den Werdegang eines Menschen zu, wobei sich die Persönlichkeit während des ganzen Lebens im Erfahren diverser Krisen entwickelt.[15]

Sicher ist das gespaltene Verhältnis des jungen Hitlers zu den Eltern. Dem brutalen und autoritären Vater auf der einen Seite, stand eine zärtliche und liebevolle Mutter auf der anderen Seite entgegen – ein nahezu ödipaler Konflikt.[16] Die übermäßige Liebe zu seiner Mutter könnte später auch seine problematische Beziehung zu Frauen geprägt haben. Seine unterdrückte Leidenschaft wäre dann im Laufe seines Lebens unbewusst von ihm auf Deutschland projiziert worden. Darüber hinaus existiert die Hypothese, dass die übermäßige Mutterliebe und die enge Symbiose zwischen Mutter und Kind, besonders nach dem Tod des Vaters, die Vorstellungen von Allmacht und Unfehlbarkeit geschaffen haben.[17] Der traumatische Verlust der Mutter löste in ihm eine schwere Identitätskrise aus, welche er nach Auffassung mehrerer Autoren niemals überwinden konnte.[18]

Auch der Vater-Sohn-Konflikt hatte unzweifelhaft Auswirkungen auf die spätere Entwicklung Hitlers. Alois Hitler, der treu zur Habsburger Monarchie stand, sah für seinen Sohn eine Beamtenlaufbahn vor, was von Adolf, der die Monarchie verabscheute und von einer großdeutschen Lösung träumte, vehement abgelehnt wurde. Nicht weniger ablehnend stand der Vater dem Wunsch Adolfs gegenüber, Maler zu werden, was in seinen Augen kein existenzsichernder Weg gewesen wäre. Dem gespannten Vater-Sohn-Verhältnis schrieb Hitler in „Mein Kampf“ auch die abfallenden Schulnoten zu, die er als Aufbegehren gegen die Pläne seines Vaters rechtfertigte[19] , eine Aussage, die widerlegt werden kann, da seine Noten auch nach dem Tod des Vaters nicht besser wurden. Der Beruf des Kunstmalers war für ihn daher aus zwei Gründen interessant: Zum einen spielten Schulnoten seiner Meinung nach keine Rolle, zum anderen stand ein Künstler außerhalb der sozialen Schranken, ihm wurde eine Art Sonderrolle zugestanden, die ihm auch ohne zwingende Disziplin ein relativ hohes Ansehen innerhalb der Gesellschaft verschaffte.[20]

Nach der intensiven Beschäftigung mit der frühen Hitlerbiographie wird also deutlich, dass weder der autoritäre Vater, noch die überfürsorgliche Mutter in der Lage waren, den verschlossenen, verträumten, jungen Adolf Hitler in die Gesellschaft einzufügen.

In Wien begann er dann sich zunehmend in Tagträume zu flüchten. Er sonderte sich im laufe der Zeit von der Welt um ihn ab, die sein Genie, nach eigener Auffassung nicht erkennen wollte. Kershaw formulierte treffend, dass in dieser Lebensphase die Gesellschaft eine größere Gefahr für den jungen Hitler gewesen sei, als er für die Gesellschaft.

Viele Charaktereigenschaften des späteren Hitlers lassen sich vom Ursprung her bereits in der Kindheit lokalisieren. „Geringschätzung für die Fügsamkeit von Frauen, Herrschsucht, `Führerimage´ als strenge, autoritäre Vaterfigur, Unfähigkeit enge persönliche Bindungen einzugehen, Gefühlskälte gegenüber dem Menschengeschlecht, allumfassender Hass und extremer Narzissmus“[21] wurzeln im Ansatz in seiner Kindheit, verstärken und differenzieren sich in Wien und treten spätesten in der Zeit als Politiker offen hervor.

1.4 Hitler als Forschungsgegenstand der „Psycho-History“

Einer der ersten, der eine Zusammenarbeit von Historie und Psychoanalyse zur Ergründung des Wesens Adolf Hitlers forderte, war dessen ehemaliger Rüstungsminister und Lieblingsarchitekt Albert Speer im Jahr 1979.

Er regte dazu an, mit interdisziplinären Fragestellungen und Methoden (z.B. klinische Interviews, projektive Fragestellungen) die engen Grenzen der Fachhistorie zu überwinden, um so zu plausibleren Erklärungen zu gelangen. Schon Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, erkannte die Affinität von psychoanalytischen und historischen Methoden.

Der amerikanische Historiker William Langer rief 1957 die Geschichtswissenschaft dazu auf, ihre negative Einstellung zur Psychoanalyse aufzugeben und sich den analytischen Methoden dieser zu bedienen, um darin den Schlüssel zum weiteren Fortschritt der historischen Forschung zu finden. Damit wurde gleichsam der Startschuss für eine neue, interdisziplinäre Geschichtswissenschaft gegeben, die sich besonders in den USA etablieren konnte und sich selbstbewusst als „Psycho-History“ bezeichnet. Als Auszug aus den erschienenen Publikationen, seien an dieser Stelle drei Historiker aufgeführt.

Zunächst Erich Fromm, der in seinem 1974 erschienen Buch „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ Hitler als extremes Beispiel für einen klinischen Fall von Nekrophilie beleuchtet.

Er kommt darin zu dem Schluss, dass sich Hitlers bösartige Aggression, gepaart mit einem extremen Destruktionstrieb, politisch in der Vernichtung der Juden und in einer Politik der verbrannten Erde geäußert habe.[22]

Robert G. L. Waite ergründete das Wesen Hitlers ebenfalls aus historischer und psychologischer Sicht. Er stellt die starke Mutterbindung, die Revolte gegen den Vater und Hitlers sexuelle Defekte in den Fokus dieser extremen Persönlichkeit.

Dass Hitlers Biographie stets auch ein Stück Biographie der Epoche ist, gibt Joachim C. Fest zu bedenken. Darüber hinaus stellt er die individual- und massenpsychologische Wirkungsgeschichte in den Mittelpunkt seiner Analysen.

Die Psychoanalyse kann durchaus als historische Wissenschaft verstanden werden, da sie aus der Lebensgeschichte des Patienten wertvolle Rückschlüsse und Erklärungsansätze gewinnen kann. Dabei muss aber auch beachtet werden, dass eine abwesende Person niemals zur Gänze analysiert werden kann und dass gesellschaftspolitische Zusammenhänge in der Regel nicht durch die Untersuchung von Einzelpersonen vollständig erklärt werden können.[23]

2. Adolf Hitler und die Kunst

2.1 Das Kunstverständnis Adolf Hitlers

2.1.1 Hitler und die Architektur

Architektur musste für Adolf Hitler über Ewigkeitswert verfügen, wie er ihn während seiner Zeit in Wien kennen gelernt hatte. In seinen Augen spiegelten Prachtbauten die Überlegenheit der „arischen Rasse“ auf kulturellem Gebiet wieder. Ein Erbe das erhalten, ausgebaut und dem Volk als ständige Mahnung und Vorbild vor Augen geführt werden sollte.[24]

Besonders nach dem Ersten Weltkrieg wurde Architektur für ihn wichtiger und verschmolz ab 1919 zunehmend mit der Politik. Sein Interesse für Stadtplanung wurde geweckt und zahlreiche Skizzen, beispielsweise für Linz, entstanden. Für Berlin war eine große Achse vom Südbahnhof zu einem Triumphbogen und weiter zu einer großen Halle mit Kuppelbau (Fassungsvermögen 180 000 Menschen) geplant. Kombiniert mit weiteren Prachtstraßen und repräsentativen Bauten, sollte Schritt für Schritt die „Welthauptstadt Germania“ entstehen.

Großen Einfluss auf den späteren „Führer“ hatte der Architekt Paul Ludwig Troost. Er entwarf mit ihm das Parteigebäude in München und einen „Ehrentempel“ für die Toten vom Putsch von 1923. Der Stil von Troost wurde später von Giesler und Speer fortgesetzt.

Ziel seiner größenwahnsinnigen, unfinanzierbaren Träume war die Rückgewinnung des deutschen Selbstbewusstseins. Die Bauwerke sollten gleichsam eine stilisierte Inspiration für die kulturelle und politische Macht der Nation sein.[25]

[...]


[1] Kershaw, Ian, Hitler 1889-1936. Stuttgart 1998, S. 29.

[2] Kershaw, Ian, Hitler 1889-1936. Stuttgart 1998, S. 31ff.

[3] Vgl. 2.3.

[4] Hitler, Adolf, Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band. München 1942, S. 22-23.

[5] Kershaw, Ian, Hitler 1889-1936. Stuttgart 1998, S. 63-65.

[6] Ebd. S. 58.

[7] Hitler, Adolf, Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band. München 1942, S. 26.

[8] Kershaw, Ian, Hitler 1889-1936. Stuttgart 1998, S. 52-58.

[9] Vertiefend dazu: Machtan, Lothar, Hitlers Geheimnis. Das Doppelleben eines Diktators, Berlin 2001.

[10] Eitner, Hans-Jürgen, Hitler - das Psychogramm. Frankfurt 1994.

[11] Hamann, Brigitte, Hitlers Wien. Lehrjahre eines Diktators. München 1999, S. 229-283.

[12] Kershaw, Ian, Hitler 1889-1936. Stuttgart 1998, S. 80-105.

[13] Kershaw, Ian, Hitler 1889-1936. Stuttgart 1998, S. 80ff.

[14] Ebd. S. 66-70.

[15] Eitner, Hans-Jürgen, Hitler - das Psychogramm. Frankfurt 1994, S. 22

[16] Theorie Freuds, nach der ein männliches Kind phasenweise die Mutter begehrt und mit dem Vater konkurriert.

[17] Eitner, Hans-Jürgen, Hitler - das Psychogramm. Frankfurt 1994, S. 24.

[18] Ebd. S. 44.

[19] Hitler, Adolf, Mein Kampf. Zwei Bände in einem Band. München 1942, S. 20.

[20] Eitner, Hans-Jürgen, Hitler - das Psychogramm. Frankfurt 1994, S. 31.

[21] Kershaw, Ian, Hitler 1889-1936. Stuttgart 1998, S. 43.

[22] Michalka, Wolfgang, Hitler im Spiegel der Psycho-History. in: Deutsches Historisches Institut Paris (Hrsg.), Francia (=Forschungen zur westeuropäischen Geschichte, Bd. 8). Sigmaringen 1980, S. 595-611.

[23] Michalka, Wolfgang, Hitler im Spiegel der Psycho-History. in: Deutsches Historisches Institut Paris (Hrsg.), Francia (=Forschungen zur westeuropäischen Geschichte, Bd. 8). Sigmaringen 1980, S. 595-611.

[24] Vgl. „Kein Volk lebt länger als die Dokumente seiner Kultur“ – Hitlers Rede auf der Kulturtagung des Parteitags der NSDAP in Nürnberg am 11.09.1935, in: Eikmeyer, Robert (Hrsg.), Adolf Hitler-Reden zur Kunst- und Kulturpolitik, 1933-1939. Frankfurt am Main 2004, S. 81-96.

[25] Price, Billy F. (Hrsg.), Adolf Hitler als Maler und Zeichner. Ein Werkkatalog der Ölgemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Architekturskizzen, Zug 1983.

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Das Kunstverständnis Adolf Hitlers - abgeleitet aus Biographie und Werkkatalog und angewandt auf die Beispiele "Entartete Kunst" sowie "Sonderauftrag Linz"
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Historisches Institut)
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
43
Katalognummer
V202611
ISBN (eBook)
9783656286028
ISBN (Buch)
9783656288268
Dateigröße
25928 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Mit umfangreichem Bildanhang und Auszügen aus seinem Werkkatalog
Schlagworte
Hitler, Hitler Biographie, Biographie, Linz, Wien, Kunst, Kunstgeschichte, Entartete Kunst, Sonderauftrag, Sonderauftrag Linz, Nationalsozialismus, NS-Staat, Adolf Hitler, Künstler, Werkkatalog, Kunst im Nationalsozialismus, Kunstpolitik, Propaganda, Jugendjahre, Hitler und Kunst, Malerei, Musik, Architektur, Wagner, Oper
Arbeit zitieren
Martin Mehlhorn (Autor:in), 2009, Das Kunstverständnis Adolf Hitlers - abgeleitet aus Biographie und Werkkatalog und angewandt auf die Beispiele "Entartete Kunst" sowie "Sonderauftrag Linz", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/202611

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