Die EMRK und das Schweizer Minarettverbot

Der Minarettstreit im Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention


Seminararbeit, 2012

36 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

2. EINLEITUNG

3. GESCHICHTE & BEDEUTUNG DES MINARETTS IM ARABISCHEN RAUM

4. DER SCHWEIZER MINARETTSTREIT

5. RELEVANTE RECHTSQUELLEN
5.1. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte & Internationaler Pakte über bürgerliche und politische Rechte
5.2. Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte

6. DIE RELIGIONSFREIHEIT DER EMRK
6.1. Allgemeines
6.2. Allgemeines zu Art 9 EMRK
6.3. Positive Religionsfreiheit Keine abschließende Definition „Forum internum" und „forum externum"
6.4. Negative Religionsfreiheit
6.5. Zulässige Beschränkungen der Religionsfreiheit
6.6. Religionsfreiheit - ein Teil des völkerrechtlichen „Ius Cogens"?

7. DER KOPFTUCHSTREIT
7.1. Allgemeines Historisches zum muslimischen Kopftuch
7.2. Kopftuchdebatte in Frankreich
7.3. Kopftuchdebatte in Deutschland
7.4. Kopftuchverbot und Ordenstracht christlicher Nonnen

8. DER MINARETTSTREIT
8.1. Argumente der Minarett-Gegner VS Argumente der Minarett- Befürworter „Minarette sind keine notwendiger Bestandteil des islamischen Glaubens..." „Minarette erfüllen heutzutage ohnehin eine rein dekorative Funktion." „Das Minarett ist Ausdruck des Machtanspruchs des Islam..."
8.2. Ist das Minarettverbot religionsfreiheitskonform? Oder: „Die Argumente der Minarett Befürworter" Allgemeines zur Notwendigkeit eines gerechtfertigter staatlicher Eingriff in die Religionsfreiheit 26 Notwendigkeit eines staatlichen Eingriffs aufgrund des Ortsbildschutzes Notwendigkeit eines staatlichen Eingriffs aufgrund des Dominanzanspruchs des Islams über das Christentum
8.3. Das Minarettverbot als ungerechtfertigte Diskriminierung
8.4. Das Minarettverbot als Verstoß gegen das Ius Cogens

9. EXKURS: KIRCHTURM- / KIRCHENVERBOT IN ISLAMISCHEN STAATEN

10. RESUMEE

11. LITERATURVERZEICHNIS

RECHTS- UND GENDERHINWEIS

Vorliegende Arbeit wurde von uns selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet. Alle Stellen, die wörtlich oder inhaltlich den angegebenen Quellen entnommen wurden, sind als solche kenntlich gemacht.

Aus sprachlichen Gründen werden geschlechtsbezogene Bezeichnungen manchmal nur in einer Form verwendet. Damit ist keinerlei diskriminierende Wertung verbunden.

1. Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2. Einleitung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem verfassungsrechtlich verankerten Schweizer Minarettverbot, das möglicherweise gegen die Menschenrechte verstößt.

Diese Thematik ist nichts „Schweizspezifisches“, da sich auch in Österreich von 1981 bis 2001 die Anzahl der Muslime vervierfachte und dies auch hier zwangsläufig zu kulturellen Spannungen und womöglich zu dem prophezeiten „Kampf der Kulturen“[1] führt.[2] Die breite Ablehnung der lokalen Bevölkerung gegen den Bau von Minaretten, wie dies zB in Telfs oder Bad Vöslau der Fall war, scheint sich auch hier nicht gegen die Gotteshäuser, sondern gegen die Gebetstürme als sichtbares Zeichen zu richten. Die Gegner argumentieren immer wieder mit dem traditionellen Landschafts- und Ortsbild und dass das Minarett ein islamisches Symbol eines „unbedingten religiösen Machtanspruchs über das Christentum“ sei.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan verkündete während einer Wahlveranstaltung 1997:

„Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten."[3]

Zehn Jahre später kam auch in Österreich - so scheint es - die Antwort auf Erdogans Aussagen von der Freiheitlichen Partei Kärntens durch Jörg Haider, der die Kärntner Bauordnung dahingehend abändern wollte, dass der Bau von Minaretten wegen der Störung des Ortsbildes generell verboten werden sollte, was im Jahr 2008 im Zuge der Novellierung des Kärntner Ortsbildpflegegesetzes auch geschah.[4]

Genau diese kulturellen Spannungsfelder, wie sie in ganz Europa aufzutreten scheinen, sowie eine mögliche Verletzung des Menschenrechts der Religionsfreiheit möchten wir im Zuge dieses Papers näher betrachten.

3. Geschichte & Bedeutung des Minaretts im arabischen Raum

Ein Minarett (auch Minar genannt, richtiger arabisch manära bedeutet zu Deutsch: „Platz wo Feuer und Licht ist[5] ) ist ein Turm an einer Moschee, von dem der Muezzin täglich 5 mal (in der Früh, zu Mittag, am Nachmittag, am Abend und vor dem Schlafengehen) zum Gebet ruft. Heutzutage hat das Minarett oftmals, vor allem bei größeren modernen Moscheen, nur noch einen symbolischen Charakter bzw. eine dekorative Funktion. In muslimisch geprägten Ländern wird üblicherweise aus dem Betsaal per Lautsprecher gerufen und in westlich geprägten Ländern, wie beispielsweise in Großbritannien, wo es sehr große muslimische Gemeinschaften gibt, sogar schon per SMS[6] zu den Gebeten aufgefordert.

Man geht davon aus, dass das erste Minarett ca. im Jahre 665 nChr im Auftrag des Gouverneur des Irak Ziyäd b. Abihi errichtet wurde. Er ließ auf der Moschee von Basra einen Turm aus Stein bauen, welcher jedoch heute nicht mehr erhalten ist. Etwas später errichtete der Kalife Mu'äwiya (661- 680) erstmals Minarette in Ägypten.[7] Neben dem religiösen Zweck erfüllten die früheren Minarette noch weitere Funktionen. So dienten sie unter anderem auch als Wachtürme, Leuchttürme sowie als Orientierungshilfen für Karawanen.[8]

Je nach Region sind die Türme bezüglich Höhe und Form sehr unterschiedlich ausgestaltet. So wurden in Westafrika relativ einfach gehaltene niedrige quadratische Türme, in der Türkei und im Iran hohe zylindrische und in China sogar Pagoda-artige Minarette errichtet. Im osmanischen Reich wurden sie typischerweise mit nadelförmigen Spitzen versehen.

Seit dem 21. Jahrhundert vereinheitlichte sich die Architektur weitgehend und es setzte sich als internationaler Standard der Bau von Moscheen mit Kuppeln und die Errichtung von hohen schlanken Minaretten durch.

Das derzeit höchste Minarett mit 210m ist Bestandteil der Hassan-II.-Moschee in Casablanca/Marokko und gilt somit als höchstes religiöses Bauwerk der Welt. In der Nacht weist ein Laser Strahl die Richtung nach Mekka.[9]

In Algerien wird gegenwärtig ein 214m hohes[10] sowie in Teheran ein 230m hohes Minarett errichtet.[11]

Im Laufe der Zeit wurden Moscheen - abhängig von Status und Experimentierfreudigkeit der Bauherren - mit unterschiedlicher Anzahl von Minaretten gebaut oder bereits bestehende Moscheen mit weiteren Türmen ausgestattet.[12] Jedoch wurde der Bau der früheren Minarette stets von der obersten staatlichen Autorität in Auftrag gegeben, sprich nie von der Bevölkerung initiiert.[13]

Aber es besitzt nicht jede Moschee ein Minarett, ganz im Gegenteil: in Europa verfügen die meisten über keines und selbst in muslimischen Ländern, vor allem bei kleinen Moscheen wurde und wird auf den Bau von Minaretten verzichtet.[14]

Religionswissenschaftlich wird die Architektur des Minarettes mit seiner vertikalen Ausrichtung auch als ein Symbol der Mittlerschaft, das die Moschee mit den höheren Sphären der islamischen Kosmologie verbindet, verstanden. Zudem wollen manche in der Architektur des Minarettes den ersten Buschstaben des arabischen Alphabets, der auch der Anfangsbuchstabe des Wortes „Allah“ ist, wiedererkennen.[15] Nicht-Muslime sehen hingegen seit jeher in Minaretten ein religiös-politisches Machtsymbol des Islam. So haben beispielsweise serbische Einheiten im Kosovokrieg, explizit Minarette in die Luft gesprengt, um sich von den Zeichen der osmanischen Herrschaft zu befreien. Es lässt sich zwar geschichtlich belegen, dass im Mittelalter Minarette nach der Eroberung von Gebieten als Herrschaftssymbole errichtet wurden, jedoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die christlichen Eroberer gleich vorgingen und bei Rückeroberungszügen unter anderen Minarette einfach direkt in Kirchtürme umfunktionierten.[16]

4. Der Schweizer Minarettstreit

4.1 Die Muslimischen Gemeinschaften in der Schweiz

Von den rund 8 Millionen Einwohnern der Schweiz sind rund 400.000 muslimischen Glaubens. Davon stammen ca. 58 % aus Ländern des ehemaligen Jugoslawien, 21 % aus der Türkei. Von der Gesamtheit der Schweizer Muslimen haben lediglich 12 % die Schweizer Staatsbürgerschaft.[17] Die muslimischen Gemeinschaften bilden nach der römisch- katholischen Kirche und der evangelisch-reformierten Kirche die drittgrößte Religionsgemeinschaft in der Schweiz.[18]

Es gibt rund fünfzig muslimische Vereine (darunter Jugend- und Frauenzentren) und 130 muslimische Kulturzentren und Gebetsstätten[19], die sich zu meist in gewöhnlichen Wohnungen oder „versteckt“ - von außen nicht sichtbar - in unscheinbaren Gebäuden bzw. ehemaligen Gaststätten oder Läden befinden. Diese einfachen, durch Umnutzung schon bestehender Räumlichkeiten entstandenen Zentren, wurden im deutschen Sprachgebrauch als sogenannte „Hinterhofmoscheen" bzw. „Ladenmoscheen" bekannt.[20] Laut der Studie „Muslime in der Schweiz“ der Schweizer Eidgenossenschaft finden sich diese Gemeinschaften jedoch nicht basierend auf der gleichen Konfession, sondern aufgrund derselben nationalen oder ethnischen Zugehörigkeit zusammen. So sind diese Zentren primär Orte, wo man sich trifft, um die Muttersprache sprechen und die kulturellen und gesellschaftlichen Traditionen aus der Heimat pflegen zu können.[21] Grundsätzlich gilt es festzuhalten, dass die überwiegende Mehrheit der im Rahmen der Studie befragten Muslime, angab, ihre Religion nicht zu praktizieren (ca. 85 - 90 %) und wenn dann nur im Privaten, sprich zu Hause.[22]

4.2 Hergang des Minarettstreites

Als Schweizer Minarettstreit bezeichnet man den sich im Jahr 2005 formierenden öffentlichen Widerstand gegen Baugesuche für Minarette in Wangen bei Olten, im Langenthal und Will, der schlussendlich im Jahr 2009 in einem verfassungsrechtlich verankerten Bauverbot für Minarette gipfelte.[23]

Als der Minarettstreit entbrannte, gab es in der Schweiz bereits drei Moscheen mit einem Minarett (in Zürich, Genf und in Winterthur).[24]

Als zentraler Auslöser für den Streit gilt das Baugesuch des türkischen Kulturvereins in der Schweizer Gemeinde Wangen bei Olten im Kanton Solothurn.

Das geplante 6 Meter hohe, nicht beschallbare Minarett sollte auf der bereits in der Gewerbezone von Wangen bestehenden Moschee als sichtbares Symbol der hiesigen islamischen Gemeinde, errichtet werden.

Dieses Bauvorhaben wurde von einigen Einwohnern der 4.700-Seelen Gemeinde mit Begründungen wie beispielsweise: „Ein Minarett sei nichts Schweizerisches; es passe nicht ins Dorfbild; es gefährde den Religionsfrieden, so wie führe zu einer schleichenden Unterwanderung des Islams" kategorisch abgelehnt. Es wurde mittels sieben Einsprachen, darunter diejenige einer lokalen Kirchengemeinde sowie eine von einem Schweizer - Volksparteipolitiker (SVP) initiierte Sammeleinsprache mit 381 Unterschriften, auch juristisch bekämpft.[25]

Neben den juristischen Streitfragen sorgte auch das omnipräsente Vereinslogo des Wangener türkischen Kulturvereins - ein grauer Wolf- für reichlichen Konfliktstoff. Für viele Türken ist der graue Wolf aus der Mythologie ein oftmals verwendetes Herkunftssymbol. Dem Verein wurde aufgrund der Verwendung dieses Symboles eine Verbindung zu der türkischen rechtsnationalen Gruppierung der „Grauen Wölfe" unterstellt, welche für tausende Morde in den 60iger und 70iger Jahren verantwortlich sind. Obwohl sich der Verein von diesen Extremisten distanzierte, kam es zu weiteren Anfeindungen.[26]

Das Baugesuch wurde schließlich aus baurechtlichen, raumbezogenen aber auch ästhetischen Gründen abgelehnt, worauf ein vierjähriger Rechtsstreit entbrannte, mit dem sogar das schweizerische Bundesgericht befasst wurde.

Im Jahre 2009 konnte das geplante Minarett in Wangen bei Olten schlussendlich doch errichtet werden.[27]

Ein Versuch der SVP bereits im Jahr 2006 mit einer parlamentarischen Initiative ein Bauverbot für Minarette im Kanton Zürich zu erwirken, scheiterte.[28]

4.3 Die „Minarettinitiative"

Im Jahr 2007 wurde von einem Initiativkomitee „Gegen den Bau von Minaretten“ (die sog Minarettinitiative) auf Grundlage des Art 139 der Schweizer Bundesverfassung (BV) eine eidgenössische Volksinitiative gestartet.

„(1) 100 000 Stimmberechtigte können innert 18 Monaten seit der amtlichen Veröffentlichung ihrer Initiative eine Teilrevision der Bundesverfassung verlangen.
(2) Die Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung kann die Form der allgemeinen Anregung oder des ausgearbeiteten Entwurfs haben.
(3) Verletzt die Initiative die Einheit der Form, die Einheit der Materie oder zwingende Bestimmungen des Völkerrechts, so erklärt die Bundesversammlung sie für ganz oder teilweise ungültig.
(4) Ist die Bundesversammlung mit einer Initiative in der Form der allgemeinen Anregung einverstanden, so arbeitet sie die Teilrevision im Sinn der Initiative aus und unterbreitet sie Volk und Ständen zur Abstimmung. Lehnt sie die Initiative ab, so unterbreitet sie diese dem Volk zur Abstimmung; das Volk entscheidet, ob der Initiative Folge zu geben ist. Stimmt es zu, so arbeitet die Bundesversammlung eine entsprechende Vorlage aus.
(5) Eine Initiative in der Form des ausgearbeiteten Entwurfs wird Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet. Die Bundesversammlung empfiehlt die Initiative zur Annahme oder zur Ablehnung. Sie kann der Initiative einen Gegenentwurf gegenüberstellen."

Art 139 BV, Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung Eine solche Volksinitiative ist der stärkste Ausdruck einer direkten Demokratie, da sie den Schweizer Bürgern unmittelbar erlaubt, eine Änderung in der Bundesverfassung vorzuschlagen und in der Folge auch zu beschließen (und dies sogar gegen den Willen von Regierung und Parlament). Wenn innerhalb von 18 Monaten 100.000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht werden, kommt die Vorlage ins Parlament (Bundesversammlung) und wird auf ihre Gültigkeit überprüft.

Unabhängig ob eine gültige Initiative vom Parlament angenommen oder ein Gegenvorschlag unterbreitet wird, kommt es zu einer Volksabstimmung.[29]

Aufgrund von 113.540 gültigen Unterschriften[30] kam die Initiative zustande und wurde von der Bundesversammlung für gültig erklärt. Die Bundesversammlung kam zum Schluss, dass das Recht auf Religionsfreiheit nicht zum Bestand der zwingenden Völkerrechtsnormen gehört und somit keine Verletzung von „Ius Cogens"[31] iSd Art 139 Abs 3 Bundesverfassung vorliegt.[32]

Am 29.11.2009 kam es zur Volksabstimmung und entgegen der Empfehlung der Schweizer Bundesversammlung[33] und des Schweizer Bundesrates (Bundesregierung)[34] diese Initiative abzulehnen, sprachen sich von 53.76% der stimmberechtigten Personen, 57.5% für ein Minarettverbot und 42.5% gegen ein solches aus.[35] Demgemäß wurde in Art 72 der Schweizer Bundesverfassung, welcher das Verhältnis zwischen Kirche und Staat regelt, in einem neu eingefügten Absatz ein Bauverbot für Minarette verankert:[36]

„Der Bau von Minaretten ist verboten." Art 72 Abs 3 BV

5. Relevante Rechtsquellen

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte VS. Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte Völkerrechtlich sind bei der Rechtmäßigkeitsprüfung des Schweizer Minarettverbotes auf universeller Ebene die Art 2 (Diskriminierungsverbot) und Art 18 (Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (PbpR), sowie auf regionaler, sprich europäischer Ebene Art 9 (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) und Art 14 (Verbot der Benachteiligung) der europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK ) relevant.

Vorab folgt eine kurze Darstellung dieser beiden Rechtsquellen.

5.1. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte & Internationaler Pakte über bürgerliche und politische Rechte

Am Beginn des 20. Jahrhunderts ist dem Schutz der Menschenrechte, angesichts der vorangegangenen Weltkriege, eine immer größere Bedeutung zugekommen.

Als erster Meilenstein für die Entstehung universeller menschenrechtlicher Standards gilt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948. Wie alle Resolutionen der Generalversammlung entfaltet sie keine rechtliche Bindungswirkung, sondern ist lediglich eine unverbindliche Erklärung. Jedoch gehören etliche ihrer festgelegten Menschenrechte der herrschenden Lehre folgend heute zum Völkergewohnheitsrecht (insb. Das Verbot von Folter, Sklaverei und Rassendiskriminierung) oder fanden beispielsweise in den nachfolgenden rechtlich verbindlichen UN-Menschenrechtspakten von 1966 (Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte) Berücksichtigung.[37]

In den Art 2 und 18 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (PbpR) wurde das bereits in der AEMR festgelegte Diskriminierungsverbot sowie das Recht auf Religionsfreiheit verankert.

Die Schweiz hat den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte im Jahr 1992 ratifiziert.[38]

Über die Einhaltung des Paktes wacht der Menschrechtsausschuss mit seinen 18 unabhängigen Mitgliedern. Die Vertragsstaaten sind zur Vorlage von Berichten über den erzielten Fortschritt der Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte verpflichtet (Art 40). Zudem kann ein Vertragsstaat beim Menschenrechtsausschuss eine Beschwerde gegen einen anderen Vertragsstaat erheben, wenn er der Ansicht ist, dieser komme den Verpflichtungen aus dem Pakt nicht nach. Voraussetzung für eine solche Staatenbeschwerde ist jedoch, dass die beteiligten Vertragsstaaten in einer gesonderten Erklärung die Prüfungszuständigkeit des Ausschusses anerkannt (Art 41) haben.

Im Rahmen des ersten Fakultativprotokolls des PbpR wurde durch die Schaffung der Möglichkeit zur Erhebung einer Individualbeschwerde ein weiteres Überwachungsinstrument geschaffen. Die Vertragspartner (vgl nächste Seite) dieses Zusatzprotokolls unterwerfen sich ohne weitere Erklärung der Prüfungszuständigkeit des Ausschusses. Sohin ist es nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges des Vertragsstaates und Vorliegen weiterer Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Einzelperson möglich, dem Ausschuss eine Menschenrechtsverletzung mitzuteilen (Art 2).

Die abschließende Beurteilung des Menschenrechtsauschusses wird sowohl dem betroffenen Vertragsstaat als auch der Einzelperson mitgeteilt und im Rahmen des jährlichen Tätigkeitsberichtes im Jahresbericht des Ausschusses veröffentlicht (Art 5 und 6).

Eine weitere erhebliche Bedeutung kommen den allgemeinen Bemerkungen (general comments) des Ausschusses zu, die für eine fortlaufende Konkretisierung und eine einheitliche Auslegung der normierten Menschenrechte herangezogen werden (Art 40 Abs 4).[39]

Die Schweiz hat das erste Fakultativprotokoll des PbpR nicht ratifiziert[40], sohin wäre es nicht möglich gegen das Bauverbot von Minaretten eine Individualrechtsbeschwerde zu erheben.

Zusammenfassend halten wir fest, dass der PbpR über eher schwache Durchsetzungsinstrumente verfügt, da der Menschenrechtsausschuss weder mit Exekutivbefugnissen ausgestattet ist, noch ein Menschenrechtsgerichtshof errichtet wurde.[41]

5.2. Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte

Auf europäischer Ebene ist es auf Grundlage der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) des Europarates vom 4. November 1950 gelungen, einen weltweit einzigartigen internationalen und va durch justizförmige Verfahren durchsetzbaren Menschenrechtsschutz zu schaffen. Als zentrales Kontrollorgan über die Einhaltung der Konventionsrechten wurde der ständige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Art 19 EMRK) in Straßburg errichtet, bei dem sowohl Staatenbeschwerden durch Mitgliedstaaten als auch Individualrechtsbeschwerden von jeder natürlichen Person oder NGO erhoben werden können (Art 33 und Art 34). Somit genießt der Einzelne, unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit, nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges, diesen völkerrechtlichen Schutz. Die endgültigen Urteile des EuGMR sind rechtlich verbindlich (Art 46). Werden die Konventionsrechte vom betroffenen Vertragsstaat nicht oder nicht ausreichend befolgt, so kann der Gerichtshof der verletzten Person eine gerechte Entschädigungszahlung zusprechen (Art 41).

Die dynamische, unter dem Verständnis der Konvention als „living instrument", ergehende Rechtsprechung des EuGMR dient stets als zeitgemäße Leitlinie für die Auslegung der Konventionsrechte.[42]

Die Schweiz hat als Mitglied des Europarates, die EMRK im Jahr 1974 ratifiziert.[43]

6. Die Religionsfreiheit der EMRK

6.1. Allgemeines

Wie bereits in der Einleitung festgehalten gibt es immer mehr politisches Interesse daran, Minarette gesetzlich zu verbieten. Ob ein solches Verbot den Menschenrechten widerspricht, soll in weiterer Folge unser Untersuchungsgegenstand sein. Zuvor halten wir es für allerding für unumgänglich und somit notwendig auf den Inhalt der Religionsfreiheit genauer einzugehen.

[...]


[1] Damit ist die vom Politologen Samuel Huntington aufgestellte und höchst umstrittene sowie brisante Theorie des „Clash of Civilizations“ angesprochen. Neuhold / Hummer / Schreuer, Österreichisches Handbuch des Völkerrechts. S 8.

[2] Statistik Austria, Volkszählungen 1951 bis 2001 vom 01.06.2007.

[3] Für diese Aussagen wurde Erdogan 1998 zu zehn Monaten Haft aufgrund der Anstiftung religiösen Hasses verurteilt, wovon er vier tatsächlich im Gefängnis saß. Greimel, Sind Bauverbote für Minarette zulässig?. S 123.

[4] Greimel, Sind Bauverbote für Minarette zulässig?. S 123.

[5] Brockhaus Enzyklopädie21, Band 18. S 489.

[6] Bloom, The Minaret, Symbol of Faith and Power.

[7] Rifa At Lenzin, in Streit um das Minarett. S 46.

[8] handwörterbuch des islam. S 435 ff.

[9] oxford encyclopedia of the islamic world, Band 4. S 8.

[10] Die Welt Online, vom 22.01.2008, unter: http://www.welt.de/kultur/article1584008/deutsche-bauen- das-hoechste-minarett-der-welt.html (30.05.2012).

[11] Oxford Encyclopedia of the Islamic World, Band 4. S 8.

[12] Oxford Encyclopedia of the Islamic World, Band 4. S 6 f.

[13] Rifa at' Lenzin , in Streit um das Minarett. S 46.

[14] Bauer, Kopftuch und Minarett - eine Erregung. S 5.

[15] Vgl. Zimmermann, Zur Minarettsverbotsinitiative in der Schweiz. S 841.

[16] Bloom, The Minaret, Symbol of Faith and Power.

[17] Universität Luzern, Kuppel-Tempel-Minarette, Religiöse Bauten zugewanderter Religionen in der Schweiz.

[18] Müller/Tanner; in: Streit um das Minarett, S 22.

[19] Schweizer Eidgenossenschaft, Muslim; in: der Schweiz- Identitätsprofile, Erwartungen und Einstellungen. S 21.

[20] Schmitt, Moscheen in Deutschland. S 77.

[21] Schweizer Eidgenossenschaft, Muslime in der Schweiz. S 21.

[22] Schweizer Eidgenossenschaft, Muslime in der Schweiz. S 14.

[23] Müller/Tanner, in Streit um das Minarett. S 39.

[24] Schweizer Bundesrat, Botschaft zur Volksinitiative „Gegen den Bau von Minaretten“. S 12; unter: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2008/7603.pdf (30.03.2012);

[25] Baumann/Stolz, Eine Schweiz-viele Religionen. S 358.

[26] Müller/Tanner, in Streit um das Minarett. S 37.

[27] Universität Luzern, Kuppel-Tempel-Minarette, Religiöse Bauten zugewanderter Religionen in der Schweiz.

[28] Zimmermann, Zur Minarettverbotsinitiative in der Schweiz. S 831.

[29] Schweizerische Bundeskanzlei, zu Volksinitiativen; unter: http://www.bk.admin.ch/themen/pore/vi/index.html?lang=de (25.04.2012).

[30] Schweizerische Bundeskanzlei, Bekanntmachung der Departemente und der Ämter, Zustandekommen der Eidgenössischen Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten”; unter: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2008/6851.pdf (25.04.2012).

[31] Zwingendes Völkerrecht. Siehe 6.6 unten.

[32] Schweizerischer Bundesrat, Botschaft zur Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten”; unter: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2008/7603.pdf (25.04.2012).

[33] Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Bundesbeschluss über die Volksinitiative „Gegen den Bau von Minaretten"; unter: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2009/4381.pdf (25.04.2012).

[34] Schweizerischer Bundesrat, Botschaft zur Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten”. S. 2; unter: http://www.admin.ch/ch/d/ff/2008/7603.pdf (25.04.2012).

[35] Schweizer Bundeskanzlei, Detailangabe zur Volksinitiative „Gegen den Bau von Minaretten"; unter: http://www.admin.ch/ch/d/pore/va/20091129/det547.html (25.04.2012).

[36] Schweizer Bundeskanzlei, Chronologische Volksinitiativen; unter: http://www.admin.ch/ch/d/pore/vi/vis353t.html (25.04.2012).

[37] Herdegen, Völkerrecht9. S 369 ff.

[38] Sr 0.103.2, Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte; unter: http://www.admin.ch/ch/d/sr/0_103_2/index.html (25.04.2012).

[39] Herdegen , Völkerrecht9. S 379.

[40] Un Treaty Collection; unter: http://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-5&chapter=4&lang=en, (20.04.2012).

[41] Hobe/Kimminich, Einführung in das Völkerrecht8. S 405.

[42] Herdegen , Völkerrecht9. S 383 ff.

[43] Sr 0.101, Konvention vom 05.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten; unter: http://www.admin.ch/ch/d/sr/c0_101.html (20.04.2012).

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Die EMRK und das Schweizer Minarettverbot
Untertitel
Der Minarettstreit im Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention
Hochschule
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck  (Europarecht und Völkerrecht)
Veranstaltung
Islam und Völkerrecht
Note
1
Autoren
Jahr
2012
Seiten
36
Katalognummer
V212304
ISBN (eBook)
9783656400639
Dateigröße
1108 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Das Seminar wurde ergänzend zur Internationalen Konferenz "Islam and International Law" veranstaltet.
Schlagworte
Islam, Minarett, Schweiz, Streit, Minarettverbot, Europäische Konvention der Menschenrechte, EMRK, Praktische Philosophie, Völkerrecht, Kopftuch, Kampf der Gesellschaften, Clash of Cizilizations, Religionsfreiheit, Ius Cogens, Zwingendes Recht, Diskriminierung, Menschenrecht, AEMR
Arbeit zitieren
MMag. Normann Schwarz (Autor:in)Marisa Altenberger (Autor:in), 2012, Die EMRK und das Schweizer Minarettverbot, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/212304

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