Zu Beginn der Politikwissenschaft setzte man sich bei der Untersuchung politischer Systeme vorwiegend mit den Institutionen und systemischen Rahmenbedingungen politischen Handels auseinander (Makroebene). Der Bürger kam in diesen Analysen nur am Rande vor und spielte für das politische Geschehen eine untergeordnete Rolle, da er laut diesen Theorien hauptsächlich von Außenbedingungen determiniert und folglich handlungsbeschränkt war. Diese Sichtweise veränderte sich erst in den 1950er und 1960er Jahren, als angelsächsische Politikwissenschaftler wie Gabriel Almond, David Easton, Seymour M. Lipset und Sidney Verba Konzepte entwickelten, die den Bürgern eine größere Einflussnahme auf die Stabilität und Entwicklung politischer Systeme zuwiesen. Dabei kommt dem Wertegerüst der Bürger, ihren Einstellungen zum politischen System und somit den subjektiven Rahmenbedingungen eine bedeutende Rolle zu (Mikroebene). Diese Konzepte werden unter dem Begriff der politischen Kulturforschung zusammengefasst.
Nach einer Phase, in der Ansätze der Makroebene das Gebiet der Politikwissenschaft beherrschten, kommt es in den letzten Jahren zu einer Revitalisierung der politischen Kulturforschung und somit zu einer Auferstehung von Ansätzen der Mikroebene. Ein Grund für diese Renaissance ist die „unzureichende Erklärungskraft rein ökonomisch-struktureller, institutioneller oder auf die Eliten der Länder ausgerichteter Ansätze der internationalen Transformationsforschung für Fragen der Konsolidierung“, vor allem in Bezug auf die Länder Lateinamerikas und Mittel- und Osteuropas seit Beginn der dritten Demokratisierungswelle ab den 1970er Jahren.
Diese Arbeit knüpft hier an und befasst sich mit der nationalen Identität als einem Teilas-pekt der Mikroebene und deren Auswirkungen auf den Prozess der demokratischen Konsolidierung in Mittel- und Osteuropa. Außerdem wird weitergehend speziell auf die Besonderheiten der nationalen Identität in Russland eingegangen. Dabei sucht die Arbeit auf Grundlage der Artikel von Gaber (2006) und Brudny/Finkel (2011) folgende zwei Leitfragen zu beantworten:
1. Unterstützt die nationale Identität die Festigung der Demokratien in Mittel- und Osteuropa?
2. Welche Besonderheiten stellen sich in Russland in Bezug auf die nationale Identität und Demokratisierung ein?
Nach diesen Leitfragen ist die vorliegende Arbeit auch gegliedert.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Heutige Relevanz subjektiver Rahmenbedingungen in der Politikwissenschaft
2. Zusammenhang zwischen nationaler Identität und Demokratiekonsolidierung
2.1. Theoretisches Analyse
2.1.1. Definition von nationaler Identität und Demokratiekonsolidierung
2.1.2. Konzept der politischen Unterstützung nach Easton
2.1.3. Modell der Demokratieunterstützung nach Fuchs
2.2. Empirische Analyse
2.2.1. Gang der Untersuchung
2.2.2. Ausprägung des Nationalstolzes in Mittel- und Osteuropa
2.2.3. Zusammenhang zwischen Nationalstolz und Demokratieunterstützung
2.3. Vergleichende kritische Analyse
3. Besonderheiten der nationalen Identität und Demokratisierung in Russland
3.1. Historisches Erbe der Sowjetunion auf die nationale Identität Russlands
3.2. Fehlende Alternative zum historischen Erbe im postsowjetischen Russland
4. Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Konzept der politischen Unterstützung nach Easton
Abbildung 2: Modell der Demokratieunterstützung nach Fuchs
Abbildung 3: Ausprägung des Nationalstolzes in Mittel- und Osteuropa
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Zusammenhang zwischen Nationalstolz und Demokratieunterstützung
1. Heutige Relevanz subjektiver Rahmenbedingungen in der Politikwissenschaft
Zu Beginn der Politikwissenschaft setzte man sich bei der Untersuchung politischer Systeme vorwiegend mit den Institutionen und systemischen Rahmenbedingungen politischen Handels auseinander (Makroebene). Der Bürger kam in diesen Analysen nur am Rande vor und spielte für das politische Geschehen eine untergeordnete Rolle, da er laut diesen Theorien hauptsächlich von Außenbedingungen determiniert und folglich handlungsbeschränkt war. Diese Sichtweise veränderte sich erst in den 1950er und 1960er Jahren, als angelsächsische Politikwissenschaftler wie Gabriel Almond, David Easton, Seymour M. Lipset und Sidney Verba Konzepte entwickelten, die den Bürgern eine größere Einflussnahme auf die Stabilität und Entwicklung politischer Systeme zuwiesen. Dabei kommt dem Wertegerüst der Bürger, ihren Einstellungen zum politischen System und somit den subjektiven Rahmenbedingungen eine bedeutende Rolle zu (Mikroebene). Diese Konzepte werden unter dem Begriff der politischen Kulturforschung zusammengefasst (vgl. Pickel, 2010, 611; Pickel/Pickel, 2006, 15 und 56).
Nach einer Phase, in der Ansätze der Makroebene das Gebiet der Politikwissenschaft beherrschten, kommt es in den letzten Jahren zu einer Revitalisierung der politischen Kulturforschung und somit zu einer Auferstehung von Ansätzen der Mikroebene. Ein Grund für diese Renaissance ist die „unzureichende Erklärungskraft rein ökonomisch-struktureller, institutioneller oder auf die Eliten der Länder ausgerichteter Ansätze der internationalen Transformationsforschung für Fragen der Konsolidierung“ (Pickel/Pickel, 2006, 15), vor allem in Bezug auf die Länder Lateinamerikas und Mittel- und Osteuropas seit Beginn der dritten Demokratisierungswelle ab den 1970er Jahren (vgl. Lauth/Pickel/Welzel, 2000, 7; Pickel, 2010, 612).
Diese Arbeit knüpft hier an und befasst sich mit der nationalen Identität als einem Teilaspekt der Mikroebene und deren Auswirkungen auf den Prozess der demokratischen Konsolidierung in Mittel- und Osteuropa. Außerdem wird weitergehend speziell auf die Besonderheiten der nationalen Identität in Russland eingegangen. Dabei sucht die Arbeit auf Grundlage der Artikel von Gaber (2006) und Brudny/Finkel (2011) folgende zwei Leitfragen zu beantworten:
1. Unterstützt die nationale Identität die Festigung der Demokratien in Mittel- und Osteuropa?
2. Welche Besonderheiten stellen sich in Russland in Bezug auf die nationale Identität und Demokratisierung ein?
Nach diesen Leitfragen ist die vorliegende Arbeit auch gegliedert. So wird in Kapitel 2.1. zunächst das theoretische Rahmengerüst erschlossen. Dazu werden zunächst die wichtigsten Begriffe definiert und ein die zugrunde liegenden Modelle dargestellt. Anschließend werden in Kapitel 2.2. die empirischen Untersuchungsergebnisse von Gaber zum Zusammenhang zwischen nationaler Identität und Demokratiekonsolidierung vorgestellt. Kapitel 2.3. trägt die Ergebnisse des Theorie- und Empirieabschnitts zusammen, stellt diese gegenüber und hinterfragt sie kritisch. Kapitel 3 widmet sich schließlich den Besonderheiten der nationalen Identität in Russland. Dabei wird vornehmlich auf das historische Erbe der Sowjetunion, das Scheitern der liberalen Kräfte im postkommunistischen Russland und deren Folgen im Zusammenhang mit der nationalen Identität eingegangen. Kapitel 4 gibt schließlich eine Zusammenfassung und einen knappen Ausblick.
2. Zusammenhang zwischen nationaler Identität und Demokratiekonsolidierung
2.1. Theoretisches Analyse
2.1.1. Definition von nationaler Identität und Demokratiekonsolidierung
Für das Konzept der nationalen Identität existiert keine allgemein gültige Definition. Manche Autoren verwenden für diesen Begriff Synonyme wie Nationalismus, nationaler Charakter und Nationalstaatlichkeit, wobei andere diese wiederum voneinander unterscheiden. Gaber (2006, 37-38) definiert die nationale Identität als eine individuelle Einstellung, welche die geistige und emotionale Bindung gegenüber der Nation begründet. Diese sozialpsychologische Definition der nationalen Identität entstammt der Feder von Tajfel (1969, 139-141).
Bei der Bestimmung des Begriffs der Demokratiekonsolidierung geht Gaber (2006, 38-39) lediglich auf die positiven Einflussgrößen für die Festigung eines demokratischen Staates ein. Gaber bedient sich hierbei Rustow (1970, 350-351) und Schmitter (1994, 65), die den Schlüssel für eine erfolgreiche Kräftigung der Demokratie in der von den Bürgern mehrheitlich getragenen Gemeinschaft sehen. Außerdem ist die Zusammensetzung der Bürgergesellschaft und hier vor allem der Anteil der Minderheiten an der Gesamtbevölkerung eines Landes sowie deren politische Einstellung für den Prozess der Demokratiefestigung von großer Bedeutung. Somit werden Anhaltspunkte, jedoch keine genaue Definition des Begriffs gegeben. Hier wäre eine umfassendere Einordnung der Demokratiekonsolidierung anschaulicher, wie sie beispielsweise O´Donnell/Schmitter/Whitehead (1986) herausgearbeitet haben, wonach die Konsolidierung nach der Liberalisierung und Demokratisierung die letzte Stufe im Drei-Phasen-Prozess der demokratischen Transformation darstellt.
2.1.2. Konzept der politischen Unterstützung nach Easton
Um diese beiden Begrifflichkeiten miteinander zu verknüpfen, stützt sich Gaber in ihrer Untersuchung auf das Konzept der politischen Unterstützung nach Easton aus dem Jahre 1965. Dabei kommt für Gaber (2006, 37-38) die Nation als Objekt der nationalen Identität der von Easton propagierten politischen Gemeinschaft nahe. Darunter versteht man die Gemeinschaft von Bürgern, die durch territoriale Grenzen begrenzt und durch eine gewisse politische Arbeitsteilung miteinander verbunden ist. Kommt es innerhalb dieser Gemeinschaft zu einem „sense of community“ beziehungsweise zu einem „we-feeling“ (Easton, 1965, 185), so entwickeln die Bürger einen Sinn für eine gemeinsame Identität und Gemeinschaft, die in Folge Vertrauen und Solidarität schafft und somit letztlich zur Stabilität und Konsolidierung des politischen Systems beiträgt (vgl. Gaber, 2006, 39). Die beiden anderen nach Eastons Konzept zur politischen Unterstützung beitragenden Objekte des politischen Systems sind das politische Regime und die politischen Autoritäten. Das politische Regime verweist auf die grundlegende institutionelle Struktur des politischen Systems. Damit bezieht sich das Regime auf die Rollen und nicht die Rollenträger des Institutionensystems. Letztere werden als konkrete Akteure politischer Positionen unter dem Objekt der Autoritäten zusammengefasst (vgl. Easton, 1965, 192-212; Fuchs, 1989, 15; Pickel, 2010, 618).
Für die Stabilität des politischen Systems bedarf es der positiven Unterstützung dieser drei Unterstützungsobjekte. Diese resultiert aus zwei Quellen: der spezifischen und diffusen Art der Unterstützung. Die spezifische Unterstützung ist definiert als Zufriedenheit mit den Outputs der politischen Akteure und bezieht sich ausschließlich auf die Autoritäten (vgl. Easton, 1965, 270, 445). Sie resultiert also aus der Wahrnehmung und Zufriedenheit der Bürger mit der alltäglichen Leistung der politischen Herrschaftsträger. Somit besitzt diese Art der Unterstützung einen konkret fassbaren Bezugspunkt. Davon zu unterscheiden ist die sogenannte diffuse Art der Unterstützung. Dabei wird das Objekt nicht deshalb bewertet, weil es gewisse Leistungen erbringt, sondern um seiner selbst willen. Hierbei handelt es sich um eine nicht greifbare tiefsitzende emotionale Bindung zum politischen Objekt, welche durch Erfahrungen und Sozialisationsprozesse aufgebaut wird (vgl. Easton, 1975, 444-445). Diese Differenzierung in die beiden Unterstützungsarten zeigt auf, dass die langfristige diffuse Objektbewertung eine höhere Persistenzwirkung für das politische System aufweist, da sie im Gegensatz zur spezifischen Unterstützung von den alltäglichen Outputs unabhängig ist. Easton (1965, 270) kommt gar zu dem Schluss, dass ein politisches System, welches sich allein auf die spezifische Unterstützung beruft, auf Dauer kaum Chancen des Fortbestands hat. Zusammenfassend auf Grundlage dieser Definitionskriterien lässt sich das Konzept von Easton wie folgt vereinfacht darstellen, siehe Abbildung 1. Die weitere Unterteilung der diffusen Unterstützung nach Legitimität und Vertrauen ist für den Zweck dieser Arbeit nicht notwendig und wird deswegen hier nicht weiter beschrieben (vgl. Fuchs, 1989, 14-19;
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Konzept der politischen Unterstützung nach Easton
Quelle: in Anlehnung an Fuchs (1989, 18)
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- Arbeit zitieren
- Andrej Richter (Autor:in), 2013, Nationale Identität und Demokratiekonsolidierung in Mittel- und Osteuropa, insbesondere in Russland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/215398
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