Die Arbeit untersucht die Inversionsstruktur literarischer Sprachkritik in zwei Teilen: einer problemgeschichtlichen Grundlegung und einer Untersuchung der Sprachscheu und ihrer produktiven Wendung in der Werkgeschichte Rainer Maria Rilkes. Der problemgeschichtliche Teil fasst das Dilemma der Sprachkrise als ontologische Differenz zwischen Denken und Sein bzw. Fühlen und Sein und als poetologische Differenz zwischen Sagen und Sein. Als Modelle einer philosophischen Vermittlung dieser Differenzen werden Dialektik und Identitätsphilosophie, ontotheologische Vermittlungsmodelle wie der Wahrheitsessentialismus und die Lichtmetaphysik sowie - als ästhetisches Vermittlungsmodell - die Vermittlungsleistung des poetischen Bildes vor Augen geführt. Letztere zerfällt in die Kategorien einer auf das Sein bezogenen Transparenzsymbolik und einer selbstreferentiell-opaken Zeichensymbolik. Als Konkretionen einer Problemgeschichte der ontologischen und poetologischen Differenz werden Novalis 'Monolog', Nietzsches 'Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn', Ernst Machs 'Analyse der Empfindungen' und Hofmannsthals Chandos-Brief beleuchtet.
Der zweite Teil der Arbeit untersucht Rilkes 'Archaischen Torso Apollos', seine 'Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge' sowie die Anfänge der 'Duineser Elegien' unter dem Aspekt der Sprachkrise und ihrer Wendung in eine Kairologie, eine Sprache des Kairos. Die Krise der 'Duineser Elegien' und ihre Vollendung werden entstehungsgeschichtlich genau rekonstruiert und interpretatorisch ausgewertet. Es folgt eine Gesamtanalyse der Sprache der 'Duineser Elegien'. Die Dialektik zwischen Sprachscheu und Sprachenthusiasmus, Krisis und Kairos, wird in der elegischen Dialektik von Klage und Rühmung verankert.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Hauptteil: Die Inversionsstruktur literarischer Sprachkritik
- Erster Teil: Problemgeschichtliche Grundlegung
- 1. Das Problem
- 1.1 Ontologische Differenz
- 1.2 Poetologische Differenz
- 1.3 Vermittlungsmodelle
- 1.3.1 Philosophische Vermittlung
- 1.3.2 Ontotheologische Vermittlung
- 1.3.3 Ästhetische Vermittlung
- 1.4 Vermittlungs-Kritik
- 1.5 Entgrenzungsmodelle
- 1.6 Ergebnisse
- 2. Die Problem-Geschichte
- 2.1 Novalis: 'Monolog'
- 2.2 Nietzsche: ‘Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn’
- 2.3 Mach: 'Analyse der Empfindungen'
- 2.4 Hofmannsthal: ‘Ein Brief’
- Zweiter Teil: Rilkes Sprachscheu und ihre produktive Wendung
- 0. Methodologische Vorbemerkungen und Forschungsbericht
- 1. 'Archaischer Torso Apolls' (1908)
- 2. 'Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge' (1904-1910)
- 3. Die Anfänge der ‘Duineser Elegien’ (1912/13)
- 3.1 Diktat und Kairologie
- 3.2 Erste und Zweite Elegie
- 3.3 Ansätze zur Neunten und Zehnten Elegie
- 4. Wendezeit (1914)
- 4.1 'Waldteich' und 'Wendung'
- 4.2 'Ausgesetzt ...'
- 5. 'Sieben Gedichte' (Oktober/November 1915) und Dritte Elegie (1913)
- 6. Die Vierte Elegie (November 1915)
- 7. Krisenjahre (November 1915-1922)
- 7.1 Katalysatoren (1920-1922)
- 8. Die Vollendung der ‘Duineser Elegien’ (1922)
- 8.1 Gesamtanalyse der Form
- 8.1.1 Gattung
- 8.1.2 Sprache
- 8.1.3 Struktur
- 8.2 Problemorientierte Einzelanalysen
- 8.2.1 Die Fünfte Elegie
- 8.2.2 Die Neunte Elegie
- 8.2.3 Die Zehnte Elegie
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht die „Inversionsstruktur“ von Rilkes Sprachfindungsprozess, insbesondere den Übergang von einer Phase sprachlicher Krisis zu einem neuen, produktiven Sprachgebrauch (Kairos). Der Fokus liegt nicht auf der bloßen Beschreibung der Krise, sondern auf der Analyse des dynamischen Prozesses der Umwandlung und der dabei wirksamen strukturellen Mechanismen.
- Konzept der Inversion als Umschlag von Krisis zu Kairos
- Sprachphilosophische Grundlagen der Krise und des sprachlichen Neuanfangs
- Analyse von Rilkes Werk im Kontext der Problemgeschichte der Sprachkritik
- Detaillierte Untersuchung von Rilkes Entwicklung anhand ausgewählter Texte
- Formale und sprachliche Analyse der "Duineser Elegien"
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung führt in die Thematik ein und definiert die zentralen Begriffe: Inversion, Krisis und Kairos. Sie beschreibt die Arbeit als eine Auseinandersetzung mit dem Übergang von sprachlicher Ohnmacht zu einem neuen, produktiven Sprechen. Die „unsägliche Stelle“, an der Sprache in ihr Schweigen zurückkehrt, um sich neu zu formen, bildet den Ausgangspunkt der Untersuchung.
Erster Teil: Problemgeschichtliche Grundlegung: Dieser Teil legt das begriffliche Fundament der Arbeit, indem er die Begriffe „Inversion“, „Krisis“ und „Kairos“ erläutert und verschiedene philosophische und ästhetische Vermittlungsmodelle diskutiert. Die Problemgeschichte der Sprachkritik wird anhand von Werken von Novalis, Nietzsche, Mach und Hofmannsthal beleuchtet, um den historischen Kontext von Rilkes Auseinandersetzung mit der Sprache zu verdeutlichen. Der Teil untersucht die ontologische und poetologische Differenz und stellt verschiedene Versuche der Sprachvermittlung gegenüber.
Zweiter Teil: Rilkes Sprachscheu und ihre produktive Wendung: Dieser Teil analysiert Rilkes Werk, um den Prozess seiner Sprachfindung, insbesondere den Übergang von Sprachscheu zu einer produktiven Sprachwendung, zu untersuchen. Anhand ausgewählter Texte, wie dem "Archaischen Torso Apollos", den "Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" und den "Duineser Elegien", wird die Entwicklung seiner sprachlichen Gestaltung und die Überwindung der Krise dargestellt. Der Fokus liegt auf dem dynamischen Wechselspiel von Krisis und Kairos in Rilkes Werk.
Schlüsselwörter
Inversion, Krisis, Kairos, Rilke, Sprachkritik, Sprachphilosophie, Duineser Elegien, Sprachscheu, poetisches Bild, Vermittlung, Ontologie, Poetologie, Ästhetik.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Rilkes Sprachfindungsprozess - Eine Analyse der Inversionsstruktur
Was ist das zentrale Thema der Arbeit?
Die Arbeit untersucht Rilkes Sprachfindungsprozess, insbesondere den Übergang von einer Phase sprachlicher Krise zu einem neuen, produktiven Sprachgebrauch (Kairos). Der Fokus liegt auf der Analyse des dynamischen Prozesses der Umwandlung und der dabei wirksamen strukturellen Mechanismen, die als "Inversionsstruktur" bezeichnet werden.
Welche Begriffe werden zentral behandelt?
Die zentralen Begriffe sind "Inversion", "Krisis" und "Kairos". "Inversion" beschreibt den Umschlag von Krise zu produktivem Sprachgebrauch. "Krisis" kennzeichnet die Phase sprachlicher Ohnmacht, während "Kairos" den günstigen Moment des Neuanfangs markiert.
Welche philosophischen und literarischen Grundlagen werden diskutiert?
Die Arbeit basiert auf sprachphilosophischen Grundlagen und beleuchtet die Problemgeschichte der Sprachkritik anhand von Werken von Novalis, Nietzsche, Mach und Hofmannsthal. Sie diskutiert verschiedene philosophische und ästhetische Vermittlungsmodelle und untersucht die ontologische und poetologische Differenz.
Welche Werke von Rilke werden analysiert?
Die Analyse konzentriert sich auf ausgewählte Texte Rilkes, darunter "Archaischer Torso Apollos", "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" und vor allem die "Duineser Elegien". Die Untersuchung verfolgt die Entwicklung von Rilkes Sprache und die Überwindung seiner sprachlichen Krise.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung, einen ersten Teil zur problemgeschichtlichen Grundlegung und einen zweiten Teil zur Analyse von Rilkes Sprachfindungsprozess. Der erste Teil legt die begrifflichen Grundlagen und den historischen Kontext dar. Der zweite Teil analysiert Rilkes Werk anhand ausgewählter Texte und konzentriert sich auf die "Duineser Elegien".
Was ist das Ziel der Arbeit?
Das Ziel der Arbeit ist es, den dynamischen Prozess von Rilkes Sprachfindung zu analysieren und die strukturellen Mechanismen zu verstehen, die diesen Prozess prägen. Es geht nicht nur um die Beschreibung der Krise, sondern um die Analyse ihrer Überwindung und des Übergangs zu einem neuen, produktiven Sprachgebrauch.
Welche Methoden werden angewendet?
Die Arbeit verwendet eine detaillierte textanalytische Methode, die formale und sprachliche Aspekte von Rilkes Werk berücksichtigt. Sie untersucht die Entwicklung seiner Sprache im Kontext der Problemgeschichte der Sprachkritik und der sprachphilosophischen Grundlagen.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit am besten?
Schlüsselwörter sind: Inversion, Krisis, Kairos, Rilke, Sprachkritik, Sprachphilosophie, Duineser Elegien, Sprachscheu, poetisches Bild, Vermittlung, Ontologie, Poetologie, Ästhetik.
- Arbeit zitieren
- Sandra Kluwe (Autor:in), 1999, Krisis und Kairos. Rilkes Sprachscheu und ihre produktive Wendung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22305