Technik ist seit jeher ein zutiefst vieldeutiges Phänomen und es verwundert keineswegs,
wie sehr die Abschätzungen ihrer Geltung variieren. Sie wurde bisweilen
als unberechenbare fremde Macht dämonisiert, die dem Menschen nicht mehr als
bloße Sklavendienste lässt oder sie als Heilsversprechen glorifiziert, mit dessen Hilfe
die Natur unterworfen, lästige körperliche Arbeit abgeschafft und Krankheiten völlig
beseitigt werden könnten.
Zwischen diesen Polen ordnen sich die gängigen Argumentationen ein, dabei untersche
idet sie die jeweilige Gewichtsverlagerung nach der einen oder anderen Seite.
Der kantisch geprägte Philosoph und Mitbegründer der Soziologie, Georg Simmel,
dessen Schriften maßgeblich von kultur- und gesellschaftskritischen Tendenzen des
frühen 20. Jahrhunderts geprägt sind, zeigt denn auch in seinen Beschreibungen zur
Technik eine für diese Epoche typische Grundhaltung, wenn es um die massiven
Auswirkungen derselben auf die Effizienz von Arbeitsabläufen bzw. auf das Seele nleben
des modernen Bürgers geht. Diese Arbeit versucht nachzuweisen, dass Simmel
es bei dieser Typik nicht uneingeschränkt belässt und warum seine streckenweise
Züge des postmodernen Technikdiskurses tragen.
Methodisch erweist sich dieses Unterfangen, vor allem bedingt durch Simmels
selten systematisch und explizit vollzogene Analysen zu unserem Gegenstand der
Untersuchung, als schwierig. Durch selektiven Zugriff auf eine Vielzahl der Texte
des deutschen wird versucht, das Phänomen Technik in seinen verschiedenen Kontexten
zu beleuchten, um letztlich eine möglichst präzise Darstellung explizieren zu
können.
Obwohl sich dabei ein essayistischer Stil nahezu aufdrängt, orientiert sich dieser
aber an Simmels eigener Methodik: Selten nur finden sich Verweise innerhalb seiner
Texte, rar sind Nennungen von Autoren, gegen die er opponiert. Vielfach bemerkt
der Leser persiflierte, zugespitzte Gedankengänge anderer Schriftsteller, deren Ideen
vielerorts in Zusammenhängen bloß anklingen und oftmals resümierend diskutiert
werden. Dabei scheint jedoch immer wieder die Bereitschaft zu äußerst präzisen Bestimmungen
durch, die sich auf ein breites Spektrum an Argumenten und Beobachtungen
stützen ohne jedoch auf einem einzelner Beobachtungsstandpunkt zu verweilen.
Simmel zeigt sich als ein unruhiger Denker, der sich auf stets neuen Wegen und
aus anderen Blickwinkeln seinen Problemen stellt, sie dabei aber nicht verstellt. [...]
Inhaltsverzeichnis
- 1. EINLEITUNG
- 2. AUSGANGSLAGE: DIE TRAGÖDIE DER KULTUR
- 2.1. ZWEI KULTUREN IM WIDERSTREIT
- 2.2. KULTURKRISEN
- 3. VON MITTELN UND ZWECKEN
- 3.1. EXKURS 1: IMMANUEL KANT
- 3.2. TECHNIK ALS MITTEL ZUM ZWECK
- 3.3. POTENZIERUNG DER MITTEL
- 3.4. UMBRÜCHE
- 4. MASCHINENTECHNIK UND PRODUKTION
- 4.1. EXKURS 2: KARL MARX UND DIE „ARBEITSMASCHINEN“
- 4.2. ENTFREMDUNG UND DIE AUTONOMIE DER DINGE
- 5. KÖRPERTECHNIK
- 6. TECHNIK ALS BEGRIFFSSYSTEM
- 7. LEBENSTECHNIK
- 8. AUSBLICKE
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit analysiert Georg Simmels Werk im Hinblick auf seine Interpretation von Technik und deren Auswirkungen auf Kultur und Gesellschaft. Der Fokus liegt dabei auf der Verbindung zwischen Simmels Kulturkritik und seiner Analyse der fortschreitenden Technisierung im frühen 20. Jahrhundert.
- Die „Tragödie der Kultur“ als Ausgangspunkt für Simmels Technikverständnis
- Technik als Mittel zum Zweck und die Folgen der Potenzierung technischer Mittel
- Der Einfluss der Maschinentechnik auf die Arbeitswelt und die Entstehung von Entfremdung
- Körpertechniken, Begriffssysteme und Lebenstechnik als weitere Aspekte von Simmels Technikbegriff
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Darstellung der "Tragödie der Kultur", die Simmels Analyse der Technik prägt. Sie erläutert das Spannungsverhältnis zwischen Subjekt und Objekt in der Kultur, welches durch den kulturellen Fortschritt und die damit verbundenen Objektivationen entsteht. Simmel sieht in diesem Prozess eine Gefahr für die menschliche Autonomie und die Entfaltung der Persönlichkeit.
Im Anschluss wird der Technikbegriff aus der Perspektive Immanuel Kants betrachtet und Technik als Mittel zu vielfältigen Zwecken definiert. Die Potenzierung der Mittel und die damit verbundenen Umbrüche werden im Kontext der Entwicklungen im frühen 20. Jahrhundert diskutiert. Die Arbeit beleuchtet die Auswirkungen der Maschinentechnik auf die Arbeitsbedingungen und die Entstehung von Entfremdung, die Simmel in seinen Schriften detailliert schildert.
Die folgenden Kapitel widmen sich weiteren Aspekten des Technikbegriffs bei Simmel: Die Bedeutung von Körpertechniken, die technische Fundierung von Begriffssystemen und die prekäre Situation der Lebenstechnik. Diese Abschnitte fokussieren auf Simmels Analyse der Auswirkungen technischer Entwicklungen auf die Lebenswelt und die menschliche Existenz.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter der Arbeit sind: Georg Simmel, Technik, Kultur, Gesellschaft, Entfremdung, Tragödie, Mittel, Zweck, Maschinentechnik, Körpertechniken, Begriffssystem, Lebenstechnik. Die Arbeit beschäftigt sich mit der Kulturkritik Simmels und seiner Analyse der Auswirkungen von Technik auf die menschliche Existenz im frühen 20. Jahrhundert.
- Quote paper
- Marcus Reiß (Author), 2003, Jenseits von Pessimismus und Postmoderne. Über die Reichweite der Technik im Werk Georg Simmels., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22507