Als Nähesprache wird meist vor allem die gesprochene Form einer Sprache bezeichnet. Jedoch ist sie, ebenso wenig wie die Distanzsprache an das Medium „geschrieben“, an das Medium „gesprochen“ gebunden. So gibt es durchaus auch nähesprachlich hoch markierte Literatur. Die literarische Gattung des Comic scheint für Nähesprache in Schriftform besonders geeignet und beliebt zu sein, da Comics in der Regel nähesprachliche Kommunikationssituationen darstellen. So wird der Text schließlich meist in sogenannten „Sprechblasen“ wiedergegeben, die Mündlichkeit erkennen lassen sollen. Durch die den Text meist dominierenden Zeichnungen wird das Verständnis gewährleistet und die Nähesprachlichkeit des Textes, wie zum Beispiel stilistische Einfachheit und Textkürze unterstützt. Jedoch darf man nicht außer acht lassen, dass es sich trotz allem um fingierte Mündlichkeit handelt. Anhand einer Korpusanalyse habe ich versucht, herauszufinden, inwieweit hier der Nähesprache entsprochen wurde und inwieweit die Schriftlichkeit immer noch den Tribut distanzsprachlicher Normen fordert. Meine Analyse beschränkt sich auf Band 1 der Comic-Serie Agrippine von Claire Brétecher, “die seit Mitte der achtziger Jahre im Nouvel Observateur erscheint und von der bisher vier Bände von je 50 Seiten im Eigenverlag der Verfasserin publiziert worden sind.“ 1 Die Ergebnisse meiner Analyse möchte ich in folgendem darlegen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Nähesprache in Comics am Beispiel von Claire Brétechers Agrippine
2.1 Nähesprachliche Merkmale der Morphosyntax.
2.1.1 Der Gebrauch von on „nous“
2.1.2 Der Ausfall der Negationspartikel ne
2.1.3 futur composé und futur simple
2.1.4 Der Gebrauch von ça
2.1.5 Weitere nähesprachliche Auffälligkeiten im Bereich der Morphosyntax
2.2 Nähesprachliche Merkmale der Syntax
2.2.1 Die Änderung der Valenz bei craindre
2.2.2 Gesprächswörter
2.2.3 Segmentierung und Präsentativ
2.2.4 Formen der Satzfrage
2.2.5 „Unvollständige“ Syntax
2.3 Nähesprachliches Lexikon
2.3.1 Suffixbildungen
2.3.2 Das Vertauschen von Silben
2.3.3 Apokopen
2.3.4 Der Gebrauch der englischen Sprache
2.4 Imitation der Aussprache
3 Schlussbetrachtung
4 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Als Nähesprache wird meist vor allem die gesprochene Form einer Sprache bezeichnet. Jedoch ist sie, ebenso wenig wie die Distanzsprache an das Medium „geschrieben“, an das Medium „gesprochen“ gebunden. So gibt es durchaus auch nähesprachlich hoch markierte Literatur. Die literarische Gattung des Comic scheint für Nähesprache in Schriftform besonders geeignet und beliebt zu sein, da Comics in der Regel nähesprachliche Kommunikationssituationen darstellen. So wird der Text schließlich meist in sogenannten „Sprechblasen“ wiedergegeben, die Mündlichkeit erkennen lassen sollen. Durch die den Text meist dominierenden Zeichnungen wird das Verständnis gewährleistet und die Nähesprachlichkeit des Textes, wie zum Beispiel stilistische Einfachheit und Textkürze unterstützt. Jedoch darf man nicht außer acht lassen, dass es sich trotz allem um fingierte Mündlichkeit handelt. Anhand einer Korpusanalyse habe ich versucht, herauszufinden, inwieweit hier der Nähesprache entsprochen wurde und inwieweit die Schriftlichkeit immer noch den Tribut distanzsprachlicher Normen fordert. Meine Analyse beschränkt sich auf Band 1 der Comic-Serie Agrippine von Claire Brétecher, “die seit Mitte der achtziger Jahre im Nouvel Observateur erscheint und von der bisher vier Bände von je 50 Seiten im Eigenverlag der Verfasserin publiziert worden sind.“[1]
Die Ergebnisse meiner Analyse möchte ich in folgendem darlegen.
2 Nähesprache in Comics am Beispiel von Claire Brétechers Agrippine
Protagonisten der Comic-Serie Agrippine von Claire Brétecher sind die Jugendliche Agrippine, ihre Familie, ihre Freundinnen sowie ihre Klassenkameraden. Agrippines Vater ist Schriftsteller, und auch ihre Mutter gehört dem Bildungsbürgertum an. Agrippine selbst besucht ein lycée.[2] Dies alles lässt eher die Verwendung von Distanzsprache erwarten, was jedoch nicht einmal auf die Erwachsenengeneration zutrifft. Agrippine und ihre Freunde verwenden ihre eigene Nähesprache, die man auch als Jugend- oder Gruppensprache bezeichnen könnte. Diese sowie die Sprache der Erwachsenen im Comic soll in folgendem näher untersucht werden.
2.1 Nähesprachliche Merkmale der Morphosyntax
2.1.1 Der Gebrauch von on „nous“
Aus vermutlich sprachökonomischen Gründen wird nous im heutigen gesprochenen Französisch überwiegend durch on ersetzt. Dadurch wird das Verbparadigma verkürzt und die Reflexivkonstruktion vereinfacht (z.B. on se promène statt nous nous promenons). In Sprachbüchern wird der Gebrauch von on „nous“ meist dem français familier zugeordnet. Man ist sich aber nicht sicher, ob on „nous“ überhaupt noch diastratisch zu klassifizieren ist. Die Verwendung von on in der Bedeutung von nous im Schriftlichen gilt jedoch als Normverstoß.[3]
Bei der Untersuchung von Agrippine Bd. 1 auf dieses Phänomen der Nähesprache hin, fiel auf, dass für nous ausschließlich on verwendet wird. Somit kommt das Personalpronomen nous kein einziges Mal vor, und auf on „nous“ entfallen 100 %. Insgesamt konnten 16 on „nous“ gezählt werden[4], wobei darauf hinzuweisen ist, dass auch die Erwachsenen sich dessen bedienen. So verwendet auch Agrippines Vater zweimal on in der Bedeutung von nous. Somit darf dies nicht als jugendsprachliches Phänomen in Agrippine Bd. 1 angesehen werden. Da die Verwendung von on „nous“ in der Sprechsprache bei 58-100 % liegt[5], entspricht Brétecher in diesem Punkt sehr prägnant der nähesprachlichen Tendenz, die den Gebrauch von on für nous favorisiert.
2.1.2 Der Ausfall der Negationspartikel ne
Der Ausfall der Negationspartikel ne in der langue parlée schwankt in verschiedenen Erhebungen zwischen etwa 66-81 %.[6] Somit ist der Ausfall von ne in der Nähesprache gängig und meist häufiger als die Setzung.[7]
Für die Erhebung dieses Merkmals in Agrippine Bd. 1 wurde die eingliedrige Verneinung mit pas, que, rien, plus und jamais sowie die zweigliedrige mit ne gezählt. In 28 Fällen fiel ne aus, wobei ne im Falle von ne...pas alleine 21 Mal ausfiel und davon 9 Vorkommnisse auf die hochfrequente Verbkonstruktion „c’est pas“ verfallen. Insgesamt 40 Mal blieb die Negationspartikel ne erhalten. Somit liegt der Ausfall von ne bei etwa 41 % gegenüber 59 % Erhalt. Diesbezüglich lässt sich also feststellen, dass Brétecher sich zwar der Nähesprache annähert, aber immer noch deutlich unterhalb der üblichen Ausfallfrequenz bleibt. In diesem Punkt muss man also einen geringen Abstrich bezüglich der nähesprachlichen Authentizität machen.
2.1.3 futur composé und futur simple
Korpus-Auswertungen von Lorenz 1989 weisen für das futur simple 55 % und für das futur composé 45 % Anteil im français parlé nach.[8] Somit gibt es einen leichten Überhang des futur simple in der französischen Nähesprache. Jedoch scheint es tendenziell immer mehr durch das futur composé verdrängt zu werden, da es die immer mehr favorisierte Prädetermination im Französischen ermöglicht.[9] Weiterhin können dadurch die oft unregelmäßigen Formen des futur simple vermieden werden. Außerdem dient der vermehrte Gebrauch des futur composé der Disambiguierung in der ersten Person Singular, „da die Form des futur simple mit der des conditionnel durch Neutralisierung der Oppostion [e] : [e] tendenziell zusammenfällt.“[10]
Bei der Erhebung der futuristischen Tempora in Agrippine Bd. 1 ergaben sich 26 Okkurrenzen für das futur composé, wohingegen das futur simple nur 14 Mal verwendet wurde. Dies entspricht einer Prozentverteilung von 65 % futur composé zu 35 % futur simple. Lediglich Söll hat 1969 bei der Analyse eines kindersprachlichen Korpus ein ähnliches Verhältnis (66% futur composé: 34 % futur simple) ermittelt.[11] Da es sich aber in vorliegendem Korpus um Jugend- und Erwachsenensprache handelt, kann kein wirklicher Zusammenhang dazu hergestellt werden. Es bleibt lediglich die Vermutung, dass das futur composé auch in der Jugendsprache sehr beliebt ist, da es gegen stilistische Normen der französischen Schriftsprache verstößt[12] und somit einen eigenen Sprachstil unterstützt, der vor allem von Jugendlichen immer angestrebt wird. Außerdem scheint Brétecher hier ein eindeutig nähesprachliches Merkmal vermehrt einzusetzen, um dadurch in diesem Punkt den Eindruck der Mündlichkeit zu garantieren.
2.1.4 Der Gebrauch von ça
Das Demonstrativpronomen ça kommt sowohl in der langue parlée als auch in der langue écrite vor, obgleich ça gegen die Schriftnorm verstößt und deshalb cela häufiger schriftlich verwendet wird.[13] Ça hat sich als ursprünglich lautimitierende Schreibung von cela zu einem selbständigen Lexem entwickelt, obgleich es schriftsprachlich immer noch nicht akzeptiert ist.[14] Jedoch erscheint im gesprochenen Französisch praktisch ausschließlich ça.[15]
[...]
[1] Bollée 1997, S. 25.
[2] Vgl. ebd. S. 27.
[3] Vgl. Widmann 1995, S. 32ff.
[4] Anmerkung: on in der ursprünglichen Bedeutung von „man“ im Deutschen wurde natürlich nicht mitgezählt.
[5] Vgl. ebd. S. 34.
[6] Vgl. Widmann 1995, S. 41.
[7] Vgl. Koch/Oesterreicher 1990, S. 157.
[8] Vgl. Widmann 1995, S. 44f.
[9] Vgl. ebd. S. 45.
[10] Widmann 1995, S. 45.
[11] Vgl. ebd. S. 46.
[12] Vgl. Widmann 1995, S. 49.
[13] Vgl. Widmann 1995, S. 50; 53.
[14] Vgl. ebd. S. 49f.
[15] Vgl. Koch/Oesterreicher 1990, S. 153.
- Arbeit zitieren
- Daniela Kilper-Welz (Autor:in), 2002, Nähesprache in Comics am Beispiel von Claire Brétechers "Agrippine", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23849
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