Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die direkte Demokratie – eine Begriffsdefinition
3. Die Menschenrechte – eine mögliche Definition
4. Die Vorgeschichte zum Schweizer Minarett-Verbot
5. Mögliche Erklärungen für das Abstimmungsverhalten
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der 29. November 2009 ging zweifelsohne als besonderer Tag in die Geschichte der Schweiz ein, welcher weltweite Empörung, aber auch Jubelschreie bei Europas rechtspopulistischen Parteien hervorrief. An diesem Datum entschieden die Eidgenossen über die Initiative „Gegen den Bau von Minaretten“ und stimmten dieser mit eindeutigen 57,5 Prozent zu. Seitdem gilt in der Schweiz ein generelles Bauverbot von Minaretten, von welchen der sogenannte „Gebetsrufer“ oder auch Muezzin das islamische Gebet verkündet.
National wie international rief dieses Abstimmungsergebnis vor allem Empörung, Unverständnis sowie Besorgnis hervor. Bis auf die Schweizerische Volkspartei (SVP), die zusammen mit der Eidgenössischen Demokratischen Union (EDU) diese Initiative lanciert hatte, distanzierten sich alle etablierten Parteien sowie die Regierung der Schweiz vom Ergebnis dieser Abstimmung. Im Vorfeld warnten Parteien wie die Sozialdemokratische Partei (SP) sogar vor den Folgen dieser Abstimmung, weshalb aus nationaler Sicht überwiegend Besorgnis über die weitere Entwicklung nach der Abstimmung existierte.[1]
International hagelte es überwiegend Kritik an der Schweiz. Europäische Staaten, die Vereinigten Staaten von Amerika (USA), die arabische Welt, die Vereinten Nationen (VN) sowie viele Weitere kritisierten das Ergebnis und bezeichneten es als „klar diskriminierend“[2], da es das Menschenrecht der Religionsfreiheit eindeutig einschränke. Einige Länder wie die Türkei und Pakistan forderten sogar eine Rücknahme dieser Entscheidung.[3] Wieder andere wie die rechtspopulistischen Parteien Front National (FN) in Frankreich, die Partei für die Freiheit (PVV) in den Niederlanden sowie die italienischen Regierungspartner von Lega Nord und Popolo della Libertà (PdL) begrüßten das Schweizer Ergebnis und forderten in ihren Ländern ähnliche Beschlüsse.[4]
Es blieb in der Folgezeit allerdings offen, wie in einem demokratischen Land wie der Schweiz, das weltweit als Vorzeigemodell der direkten Demokratie galt, Menschenrechte so eklatant eingeschränkt werden konnten? Um einer Antwort auf diese Frage etwas näher zu kommen, soll im folgenden Kapitel zunächst eine allgemeine Definition für die direkte Demokratie vorgestellt werden. Im Anschluss daran werden die Menschenrechte und das Menschenrecht der Religionsfreiheit näher beleuchtet. Anschließend an diesen Punkt sollen die Initiative zum Bauverbot von Minaretten sowie der zeitliche Ablauf ebendieser dargestellt werden, um darauf aufbauend mithilfe einer Studie des Forschungsbereichs Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich die hier gestellte Fragestellung zu beantworten. Das Fazit wird am Ende dieser Arbeit die Ergebnisse zusammenfassen und Schlussfolgerungen aus diesen ziehen.
2. Die direkte Demokratie – eine Begriffsdefinition
Nach Florian Grotz kann ganz allgemein zwischen einer direkten Demokratie im weiteren sowie im engeren Sinne unterschieden werden. Ersterer Typus bezeichnet „eine idealtypische Staatsform, in der die politische Herrschaft unmittelbar und ausschließlich in den Händen des Volkes liegt.“[5] Demnach steht diese Demokratieform im Gegensatz zur repräsentativen Demokratie, in welcher gewählte Volksvertreter über die Wahlbürger regieren. Eine direkte Demokratie im engeren Sinne meint hingegen „alle Formen polit. Willensbildung und Entscheidung, bei denen die Bürger unmittelbar über bestimmte policies (d. h. nicht die Besetzung von öffentl. Ämtern) abstimmen.“[6] Dieses enge Verständnis bildet den Gegenpart zu (demokratischen) Wahlen.
Aus historischer Sicht geht das Modell der direkten Demokratie auf die griechische Polis der Antike zurück, da hier die bedeutendsten öffentlichen Entscheidungen von einer Versammlung der männlichen Vollbürger getroffen wurden. Für unser modernes Verständnis von direkter Demokratie gilt der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau als der Begründer einer normativen Theorie dieser Demokratieform.[7] Nach Rousseau kann „polit. Macht nur dann Legitimität beanspruchen […], wenn sie auf der volonté generale, d. h. dem auf das Gemeinwohl abzielenden Willen des Volkes, gründet.“[8] Erreicht werden kann diese vollkommende Volkssouveränität laut Rousseau allerdings nur, wenn alle politischen Entscheidungen von den Bürgern selbst getroffen werden. Ein derartiges politisches System hätte zur Folge, dass Regierte und Regierende zusammenfallen, sodass ebenfalls von identitärer Demokratie gesprochen werden kann. Ein solches direktdemokratisches System ist freilich nur schwer in der Realität umsetzbar, weshalb es in der Geschichte nur begrenzt umgesetzt werden konnte. Nach allgemeiner Auffassung zählen ein beschränktes sowie ein homogenes Gemeinwesen zu den Funktionsbedingungen dieses politischen Systems. Eine Gewährleistung für gemeinwohlorientierte Entscheidungen können diese Bedingungen allerdings ebenfalls nicht bieten, weshalb das Rousseau’sche Modell mehr Theorie denn Realität bleiben wird.[9]
[...]
[1] Vgl. Spiegel Online (2009): Initiative. Schweizer stimmen gegen Minarett-Bau. http://www.spiegel.de/politik/ausland/initiative-schweizer-stimmen-gegen-minarett-bau-a-664104.html (27.07.2012).
[2] Zitiert nach Neue Zürcher Zeitung (2009): Zunehmende Empörung über Minarett-Verbot. UNO spricht von Diskriminierung – Türkei und Pakistan fordern Rücknahme. http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/zunehmende_empoerung_ueber_minarett-verbot-1.4089840 (27.07.2012).
[3] Vgl. Ebd.
[4] Vgl. Spiegel Online (2009): Abstimmung in der Schweiz. Europas Rechte bejubeln Minarett-Verbot. http://www.spiegel.de/politik/ausland/abstimmung-in-der-schweiz-europas-rechte-bejubeln-minarett-verbot-a-664222.html (27.07.2012).
[5] Grotz, Florian (2011): Direkte Demokratie, in: Nohlen, Dieter / Grotz, Florian (Hrsg.): Kleines Lexikon der Politik, München, C. H. Beck, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, S. 101.
[6] Ebd.
[7] Vgl. Ebd.
[8] Ebd.
[9] Vgl. Grotz, Florian (2011): Direkte Demokratie, S. 101.