Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine Gedichtinterpretation, die vor allem die Gegensätze in Goethes Gedicht "Willkommen und Abschied" herausarbeitet. Dabei wird sich auf die Fassung von 1775 bezogen.
Am Schluss wird noch kurz auf die Veränderungen in der Fassung letzter Hand von 1789 zu der behandelten Fassung von 1775 eingegangen.
1. Einleitung
Goethe verfasste das Gedicht „Willkommen und Abschied“ erstmals 1771 in seiner Sturm und Drang Phase. Insgesamt gibt es drei Versionen des behandelten Gedichtes. Die erste Fassung schrieb Goethe 1771 im Alter von 21 Jahren. Sie umfasste nur 10 Verse. Erstmals veröffentlicht wurde das Gedicht „Willkommen und Abschied“ 1775 in der Fassung des Iris Drucks, damals noch ohne Titel, aber in einer deutlich längeren und ausgearbeiteter wirkenden Form. Eine nachbearbeitete Fassung lieferte Goethe im Jahre 1789, die sich aber nur marginal vom Iris-Druck unterscheidet.[1]
Gewidmet war das Gedicht der jungen Pfarrerstochter Friederike Brion, in die er sich damals in Sessenheim verliebt hatte und mit der er längere Zeit eine Beziehung geführt hat. Sowohl „Willkommen und Abschied“ als auch weitere Gedichte, die er für Friederike Brion geschrieben hat, wurden unter dem Oberbegriff „Sessenheimer Lieder“ oder „Sessenheimer Gedichte“ bekannt. Auf Grund der autobiographischen Komponente, wie auch der Unmittelbarkeit des Geschehens lässt sich das Gedicht in die damals neue Form der so genannten „Erlebnislyrik“ einordnen.[2] Die Handlung, die im Mittelpunkt dieser neuen Lyrik stand, sollte vom Leser miterlebt und mitgefühlt werden.[3]
Im Folgenden wird versucht, das Gedicht „Willkommen und Abschied“ in Bezug auf die darin enthaltenen Gegensätze zu analysieren. Dabei wird sich auf die 1775 erschienene Fassung des Iris-Drucks bezogen, da diese Version ausgearbeiteter erscheint als die Sessenheimer Handschrift von 1771, gleichzeitig aber urtümlicher wirkt als die nachbearbeitete Version von 1789, bei der bereits eine gewisse Distanz zum Geschehen erkennbar ist und Goethe die Erlebnisse im Zuge seiner Reflexion in geringem Maße abgewandelt hat.
Zum Schluss wird sich die Arbeit noch mit den Unterschieden des Iris-Drucks zur Fassung letzter Hand beschäftigen. Teilweise werden durch die geringfügigen Veränderungen in der neuen Version neue Bedeutungsnuancen aufgezeigt oder Bedeutungen gar umgekehrt.
2. Hauptteil
Die erste Strophe behandelt den impulsiven Aufbruch des lyrischen Ichs, ohne dass jedoch sein Ziel ersichtlich ist. Die zentralen Begriffe „Herz“ (Vers 1) und „wild“ (Vers 2) verweisen auf die Leidenschaft mit der das lyrische Ich sich auf den Weg begibt. Zusätzlich versprüht die emphatische Interjektion „wie ein Held zur Schlacht!“ (Vers 2) einen jugendlichen Tatendrang, der parallel zur Programmatik des Sturm und Drang den idealisierten und angestrebten Mann von Saft und Kraft verkörpert.
Im Gegensatz dazu stehen die dritte und vierte Verszeile. Die Wortwahl wirkt hier sanft und fließend, da das „wiegen“ (Vers 3) eine gleichmäßige Bewegung ist und beruhigend wirkt. Die Assoziation, dass Kleinkinder von ihren Müttern gewiegt werden, liegt hier nahe und vermittelt eine Stimmung der Geborgenheit. Dass der Abend die Erde wiegt, kündet von dem Einbruch der Nacht, der sich in der vierten Verszeile bestätigt.
Im Unterschied zu den ersten beiden Verszeilen der ersten Strophe, wirken die beiden Folgenden fast etwas romantisch verklärt. Die letzten vier Verszeilen, wie auch die zweite Strophe des Gedichts befassen sich hingegen mehr mit Stimmungen und Themen aus den Bereichen Dunkelheit, Angst und Bedrohung. Die Eiche verwandelt sich in einen bedrohlichen Riesen, der aus dem Nebel heraussticht. Die Finsternis wird antropomorphisiert und zum Ungeheuer, der das lyrische Ich mit seinen „hundert schwarzen Augen“ (Vers 8) beobachtet und belauert. Hier wird auch wieder das Bild des Helden aufgegriffen, der ja in Märchen und Sagen immer Riesen und Ungeheuer bekämpfen und überwinden muss, um sein Heldentum unter Beweis zu stellen. Die Natur wandelt sich von einer abendlichen Idylle in eine bedrohliche und unheimliche Situation. Ein Gefühl der Gefahr und des Unbehagens begleitet die letzten Verszeilen der ersten Strophe.
Die zweite Strophe beginnt mit der Betrachtung des Mondes, der von Wolken umrahmt ist und eigentlich eher ein romantisches Motiv darstellt, aber dem lyrischen Ich keinen Trost schenken kann, er erscheint „kläglich“ (Vers 10). Der personifizierte Wind klingt wie „leise Flügel“ (Vers 11), wobei das Adjektiv „leise“ (Vers 11) in diesem Fall eine positive Konnotation trägt und beruhigend auf den Leser wirkt. Auch das Verb „schwangen“ (11) gibt eine gleichmäßige und beruhigende Bewegung wieder. Es scheint, als wäre die Gefahr gebannt.
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[1] Eckhardt Meyer-Krentler, „Willkommen und Abschied“: Wege der Forschung, in: Johann Wolfgang Goethe: Lyrik und Drama: Neue Wege der Forschung, hrsg. v. Bernd Hamacher und Rüdiger Nutt-Kofoth, Darmstadt 2007, S.34.
[2] Eckhardt Meyer-Krentler, „Willkommen und Abschied“: Wege der Forschung, in: Johann Wolfgang Goethe: Lyrik und Drama: Neue Wege der Forschung, hrsg. v. Bernd Hamacher und Rüdiger Nutt-Kofoth, Darmstadt 2007, S.34.
[3] Helmut Brandt, Goehtes Sesenheimer Gedichte als lyrischer Neubeginn, in: Goethe Jahrbuch, hrsg. v. Karl-Heinz Hahn und Jörn Göres, Köln 1990, S.39.
- Arbeit zitieren
- Stefan Besenhard (Autor:in), 2008, Gegensätze in Goethes "Willkommen und Abschied", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/264145