Die Beschäftigung mit Musik in der Jugendarbeit unter sozialpädagogischen Aspekten


Diplomarbeit, 2004

88 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Vorwort

2 Stellenwert der Musik in der Sozialpädagogik
2.1 Zielgruppen und Ziele
2.2 Abgrenzung zur Musikerziehung und Musiktherapie

3 Bedeutung der Musik für Jugendliche
3.1 Begriffsbestimmungen: Jugendliche – Popularmusik – Rockmusik
3.2 Aktuelle bedeutsame Stilrichtungen
3.2.1 Techno
3.2.2 Rap & Hip Hop
3.2.3 Punk
3.2.4 Heavy Metal
3.3 Funktionen populärer Musik, dargestellt am Beispiel Rockmusik
3.3.1 Flucht
3.3.2 Orientierung
3.3.3 Abgrenzung und Identifikation
3.3.4 Sozialisation
3.3.5 Weitere Funktionen der Rockmusik

4 Musik als Medium in der Jugendarbeit
4.1 Musik machen
4.1.1 Die Musikwerkstatt/der Bandworkshop
4.1.2 Das Rockmobil
4.1.3 Musikalische Gruppenimprovisation
4.2 Musik hören
4.3 Andere Formen der Musikarbeit mit Jugendlichen
4.3.1 Malen nach Musik
4.3.2 Instrumentenbau
4.4 Spezifische Arbeitsansätze
4.4.1 Die multikulturelle Musikarbeit
4.4.2 Die fallspezifische Musikarbeit

5. Ein Rockmusik-Projekt im Jugendhaus
5.1 Die Institution
5.2 Das Rockmusik-Projekt
5.2.1 Zielgruppe
5.2.2 Zielsetzung
5.2.3 Voraussetzungen des Gruppenleiters
5.2.4 Entstehung und Entwicklung des Projektes
5.3 Reflexion des Projektes
5.3.1 Erreichte Ziele und gewonnene Erfahrungen
5.3.2 Probleme und Schwierigkeiten

6. Schlussbetrachtung

7. Literaturverzeichnis

1. Vorwort

Die Sozialpädagogik hat es mit Menschen unterschiedlichen Alters zu tun, die sich vor allem in Problem- und Randlagen befinden. Um diese Personen zu erreichen, sie zu verstehen und zu fördern, kann Musik auf dem Weg dorthin hilfreich sein. Neben den theoretischen und praktischen Kenntnissen im Umgang mit Musik in der Vergangenheit waren die medienpädagogischen Seminare an der KFH für Sozialpädagogik in Aachen für mich wertvoll. Die dort vermittelten Möglichkeiten, wie man Musik in der Sozialpädagogik einsetzen kann, waren u.a. für die Wahl meines Diplomarbeitsthemas ausschlaggebend. Auch war es eine starke Motivation für mich, dieses Thema zu wählen, da ich selbst von klein an musiziert und Freude an Musik habe. Bei der Beschäftigung mit diesem Thema stellten sich mir folgende Fragen:

Weshalb setzt man Musik in der Sozialpädagogik ein? Welche Zielgruppen erreicht sie? Was sind die Ziele? Welcher Zusammenhang besteht zwischen musikalischer Sozialpädagogik und Musikerziehung bzw. Musiktherapie? Welche Wirkungen hat Musik (Beispiel – Rockmusik) auf Jugendliche und welche Funktionen kann sie übernehmen? Welche Möglichkeiten gibt es, Musik in der Jugendarbeit einzusetzen?

Diese Fragen werden im theoretischen Teil behandelt. Im praktischen Teil berichte ich von einem Rockprojekt, das ich während eines Praktikums in einem Jugendhaus durchgeführt habe.

2. Stellenwert der Musik in der Sozialpädagogik

1976 legte das Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein -Westfalen in einem Erlass zum Studienfach „Ästhetik und Kommunikation“ fest, dass zur sozialpädagogischen Ausbildung Vorlesungen, Seminare und Übungen mit musikpädagogischen Inhalten angeboten werden müssen. Ein Blick in die aktuellen Vorlesungsverzeichnisse sozialpädagogischer Hochschulen zeigt, dass die Fähigkeit, Musik reflektiert und methodisch anzuwenden, mittlerweile zum Qualifikationsprofil des Sozialpädagogen gehört. In lediglich 2 von insgesamt 22 Hochschulen mit sozialpädagogischen Studiengängen gibt es kein musikpädagogisches Angebot.

Die Studierenden sollen in die Lage versetzt werden, ein Gespür für Ästhetik zu bekommen und dieses ins berufliche Handeln einzubeziehen.

Klaus Finkel beschreibt die Fachdidaktik Musikpädagogik „als eine auf die Wirklichkeit gerichtete und der Gesellschaft gegenüber verantwortete Disziplin, die der Einheit von Theorie und Praxis, Lehre und berufsbezogener Forschung, Kunst und Wissenschaft sowie Aus- und Fortbildung verpflichtet ist.“[1]

Die Studierenden sollen einmal befähigt werden, Musik als gesellschaftliches und geschichtliches Phänomen zu verstehen und sie sowohl in ihren historischen, soziologischen, psychologischen, ästhetischen, weltanschaulichen, ökonomischen u.a. Bedingungen und Wirkungen zu begreifen als auch Verständnis für ihre vielfältigen Erscheinungen, Stile und Funktionen zu entwickeln. Zum anderen soll die Musik verwirklicht werden, indem in Einzel- und Gruppenaktionen (re)produktiv mit Stimmen, Instrumenten, elementaren Klangwerkzeugen, technischen Medien und anderen Klangerzeugern umgegangen wird. Zuletzt geht es darum, erworbenes Wissen und angeeignete musikpädagogische Fähigkeiten in Theorie und Praxis in sozialpädagogischen Tätigkeitsfeldern umzusetzen, d.h., Musik zu lehren.[2]

2.1 Zielgruppen und Ziele

Im Grunde genommen kann jeder Mensch Adressat musikalischer Sozialpädagogik sein.

Musik kann beruhigende Wirkung auf aggressive und gehemmte Kinder haben und ein Ausgleich zu den krankmachenden Faktoren ihres sozialen Umfeldes sein.

Ihr Einsatz ist sinnvoll, wenn ein Kind durch optische Reize überflutet wurde oder eine Unterstimulation der Reize festzustellen ist. Auch Sprach- oder Lernprobleme bzw. Überaktivität oder Passivität können mit Hilfe der Musik angegangen werden. Der Sozialpädagoge hat die Aufgabe, die Entwicklung sozialer Kompetenzen zu fördern und der Entstehung von Verhaltensauffälligkeiten vorzubeugen oder korrigierend einzugreifen.

Bei der musikpraktischen Arbeit mit Kindern geht man spielerisch und experimentell mit Klängen und Geräuschen um. Das Kind macht auf diese Weise vielfältige Klangerfahrungen. Dadurch passt es sich besser der Gruppe an, wird kontaktfähiger und sensibler. Außerdem nimmt es Klänge und Geräusche differenzierter wahr und zeigt größere Lernbereitschaft.[3]

Klaus Finkel hält es für möglich, dass Musik und Bewegung bei psychisch deprivierten jungen Menschen neue kommunikative Prozesse in Gang setzen kann. Das auffällige Verhalten des Kindes hat seine Ursache in der primären Sozialisation, in der die Kommunikationsfähigkeit gestört wurde. Jegliche Kommunikation beruht auf der Basis des Sendens und Empfangens. Wenn dieser Prozess frühkindlich gestört wurde, kann ein zerstörtes Urvertrauen die Folge sein, das ein tiefes Misstrauen gegenüber der Umwelt nach sich zieht. Das Kind ist kaum in der Lage, dem anderen zuzuhören oder jemandem etwas mitzuteilen.[4]

Mit Hilfe der Musik wird die Geschicklichkeit im Umgang mit dem eigenen Körper und den anderen Menschen gefördert, wenn man daran denkt, welche Möglichkeiten etwa Tanz oder Bewegungsspiele bieten. Der Sozialpädagoge kann motorische und kommunikative Defizite ausgleichen und Grunderfahrungen in der Kommunikation korrigieren, wenn er auf versteckte und verschlüsselte Signale des Kindes eingeht.[5]

Maria Montessori glaubt, dass vor allem Bewegungsspiele die Intelligenz des Kindes fördern können: „Die Bewegung ist somit ein wesentlicher Faktor beim Aufbau der Intelligenz, die zu ihrer Nahrung und Erhaltung der Eindrücke aus der Umwelt bedarf. Sogar die abstrakten Vorstellungen reifen ja aus den Kontakten mit der Wirklichkeit, und die Wirklichkeit kann nur durch Bewegung aufgenommen werden.“[6]

Musik kann sich auch in der Altenhilfe positiv auswirken. Wenn alte Menschen Musik hören, wenn man mit ihnen singt, wenn sie aktiv musizieren oder tanzen, erfahren sie das als Bereicherung in ihrem Leben. Diese Vorgänge stärken die Kommunikations- und Kontaktfähigkeit und beugen Isolation und Vereinsamung vor. Sie erfahren Anerkennung in der Gemeinschaft und fühlen sich nicht nutzlos.

Norbert Jers hält das Singen vorzugsweise traditioneller Lieder mit alten Menschen für besonders wichtig, da es für viele Menschen emotional besetzt und oft mit Assoziationen an frühere Zeiten verbunden ist. Jers erklärt weiter, dass Singen die Gesundheit fördern und unter Umständen Defizite im Sprachvermögen ausgleichen kann. Außerdem ist es möglich, dass die Kompetenz älterer Menschen im Singen auch dadurch eine erfüllende Funktion bekommt, wenn Lieder an Kinder weitergegeben werden.[7]

In der musikalischen Arbeit mit geistig behinderten Menschen bietet sich das improvisatorische Musizieren hervorragend an, da es voraussetzungslos angewandt werden kann und sich somit optimal an die musikalische Disposition der Beteiligten anpasst. Der Sozialpädagoge hat außerdem die Möglichkeit, vielfältige Schallmaterialien zum Gruppenmusizieren einzusetzen oder mit den Behinderten Musik zu hören und zu singen. Musik wirkt sich insofern positiv dabei aus, als dass sie unterstützend bei der Kontaktsuche und Kontaktaufnahme wirkt, den Gebrauch der kognitiven und körperlichen Möglichkeiten anregt und behilflich bei der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist. Außerdem werden durch Musik die Kommunikation, der Ausdruck, die Wahrnehmung und die Bewegungsfähigkeit des Behinderten gefördert.[8]

Für Jugendliche ist Musik ein wichtiger Begleiter in ihrem Leben. Sie hören Musik zu Hause, auf dem Weg zur Schule oder zur Arbeitsstelle, zusammen mit Freunden oder auf Konzerten. Außerdem investieren sie viel Geld für Hifi-Anlagen, Cd´s, Verstärker, Instrumente und Festival- oder Konzertbesuche. Auf der einen Seite definieren sich Jugendliche über ihre Musik und können sich damit von anderen abgrenzen. Auf der anderen Seite kann der gemeinsame Musikgeschmack ein Gefühl der Zusammengehörigkeit bewirken und Freundschaften entstehen lassen. Jugendliche nutzen die Musik, um von Problemen im Alltag abzulenken und die eigene Stimmung zu verbessern. Das Gebiet der Pop- und Rockmusik spielt entwicklungsbedingt für sie eine wichtige Rolle.

In Heimen untergebrachte Jugendliche zeigen häufig Störungen, Abweichungen und Defizite in ihrem Verhalten. Diese Verhaltensweisen lassen sich oft auf die Lebensgeschichte – z.B. auf die nicht oder unzureichend stattgefundene Sozialisierung – zurückführen.

Decker Voigt ist der Ansicht, dass durch Musik alleine keine Genese dissozialen Verhaltens zu erwarten ist. Vielmehr müssen andere therapeutische Strategien eingesetzt werden, um Defizite aufzuarbeiten bzw. sie zu verarbeiten.[9]

Wenn aufgrund der Strukturen eines Heims und der oftmals ausgelasteten Kapazität der Mitarbeiter wenig Raum für einen intensiven Einsatz von Musik bleibt, kann diese dennoch befreiend auf den Jugendlichen wirken und ihm Entwicklungsmöglichkeiten für seine Persönlichkeit geben.

Musikalische Sozialpädagogik kann ebenso mit Jugendlichen stattfinden, die sich für Musik interessieren und auf diesem Gebiet ihren Horizont erweitern möchten. Norbert Jers weist in diesem Zusammenhang auf das „Musik-Hörprogramm für junge Erwachsene“ hin, bei dem in „der Auseinandersetzung mit verschiedenen musikalischen Sparten (E- und U-Musik), Gattungen (Vokal- und Instrumentalmusik usw.) und Stilen (alt – modern, ruhig – bewegt usw.)“ die eigene Musik entdeckt und situativ genutzt werden kann. Auch das „Liedermachen mit politisch Engagierten“ hält Jers für einen guten Ansatz, „die Fähigkeit zur emotional-kreativen Artikulation politischer Botschaften zu entwickeln.“ Dies soll so geschehen, indem eigene oder vorgefertigte Texte inhaltsbezogen mit herkömmlichen Instrumenten oder den neuartigen elektronischen Klangerzeugern musikalisch gestaltet werden.[10]

2.2 Abgrenzung von Musikerziehung und Musiktherapie

Es können zwei Grundfunktionen der Musikerziehung unterschieden werden. Auf der einen Seite, bei der Personalisation und Sozialisation – der Erziehung durch Musik – steht der Mensch im Mittelpunkt. Auf der anderen Seite, bei der Enkulturation – der Erziehung zur Musik – wird die Musik als Gegenstand betrachtet. In diesem Zusammenhang werden Fragestellungen angesprochen, wie z.B. „Wie hat sich die Musik entwickelt?“ oder „Welche Erscheinungsformen und welche geistigen Inhalte hat sie?“ Musik ist also nicht nur ein Mittel, sondern gleichzeitig ein Ziel.

Christoph Schwabe definiert Musikerziehung wie folgt: „Musikerziehung beabsichtigt Bildungs- und Erziehungsziele mit und zur Musik. Auch dann, wenn therapeutische Erkenntnisse in der Musikerziehung berücksichtigt werden, dienen diese Bildungs- und Erziehungszielen.“[11]

Der musikalisch arbeitende Sozialpädagoge hingegen hat die Intention, Gedanken beim Menschen freizusetzen und Prozesse in Gang zu bringen, aus denen Erfahrungen, Erlebnisse und Erkenntnisse gewonnen werden können.

Lore Auerbach ist der Meinung, dass beim Einsatz von Musik in der Sozialpädagogik nicht ein vorgegebenes musikalisches Lernziel entscheidendes Kriterium ist, sondern der Weg selbst, auf dem der Lernprozess stattfindet.[12]

Das schließt eine Zielsetzung in der musikalischen Arbeit nicht zwangsläufig aus, denn in der Arbeit mit Jugendlichen kann die Motivation und Bereitschaft dadurch gefördert werden, dass ein konkretes vorzeigbares Ergebnis angestrebt wird.

In der musikalischen Sozialpädagogik steht die Diagnose („Was sehe ich?“) auf der einen

und die Intervention auf der anderen Seite. Die Intervention kann sowohl durch Singen, auf Instrumenten spielen oder Musikhören als auch durch die Transposition von Musik, z.B. durch Malen oder Schreiben nach Musik, erfolgen.

Nach Klaus Leidecker gilt in der musikalisch-sozialpägogischen Arbeit der Grundsatz, keine musikalischen Grundkenntnisse als unabdingbare Voraussetzung zu fordern und keine Anfangsbarrieren zu setzen.[13]

Was versteht man unter Musiktherapie? Christoph Schwabe erklärt Musiktherapie als eine klinisch-medizinische Behandlungsform, die ihrem Wesen nach dem Bereich der Psychotherapie zuzuordnen sei. Die Anwendung von Musiktherapie erfolge nur bei Patienten, die unter akuten psychischen und/oder körperlichen Beschwerden mit Krankheitswert leiden. Als musiktherapeutische Ziele nennt Schwabe u.a. die Aktivierung und Auslösung

emotionaler Prozesse (Introspektion) im Sinne der Stimulierung von Vorgängen, die eine intrapsychische Auseinandersetzung mit psychopathologisch relevanten Konflikten und deren Beseitigung bewirken;

sozial-kommunikativer Interaktionen auf nonverbaler Ebene, die eine Überwindung sozial-kommunikativer Verhaltensstörungen mit pathologischer Relevanz bewirken.[14]

Unverständlich erscheint mir Schwabes Aussage, dass die Musiktherapie „ihrem Wesen nach“ dem Bereich der Psychotherapie zugeordnet werden kann. Der Sachverhalt wäre meines Erachtens weniger missverständlich, wenn es hieße, dass Musiktherapie eine klinisch-medizinische Behandlungsform sei, die „primär“ dem Bereich der Psychotherapie zugeordnet werden könne.

Helmut Hopf, Walter Heise und Siegmund Helms geben eine weitere Definition. Sie beschreiben die Musiktherapie als gezielte Anwendung von Musik oder musikalischen Elementen, um therapeutische Ziele zu erreichen. Die Ziele sind die Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung seelischer und körperlicher Gesundheit.[15]

Auch Siegfried Vogelsänger sieht die Musiktherapie als eine sich primär der Musik bedienende Profession, mit deren Hilfe ein therapeutisches Verhältnis aufgebaut und die Probleme des Patienten erforscht werden kann. Die Musiktherapie – so Vogelsänger – soll auf der Basis einer Anamnese und einer Diagnose „ein Therapieprogramm nach musiktherapeutischen Kriterien aufstellen, dieses Programm mit Hilfe wissenschaftlich gesicherter musiktherapeutischer Methoden durchführen und dessen Ergebnisse unter musiktherapeutischen – und nicht etwa unter musikalischen, musikästhetischen u.ä. – Gesichtspunkten beurteilen und in einen gesamttherapeutischen Kontext einordnen.“[16]

Zusammenfassend kann Musiktherapie als eine Behandlungsmaßnahme auf wissenschaftlich-professioneller Grundlage angesehen werden, die in erster Linie mit Hilfe des Mediums Musik versucht, die Gesundheit seelisch oder körperlich kranker Menschen wiederherzustellen, zu erhalten oder zu fördern.

Welchen Bezug hat die musikalische Sozialpädagogik zur Musiktherapie?

Es ist schwierig, beide Arbeitsfelder voneinander abzugrenzen, da die Zielgruppen zu einem großen Teil identisch sind. Gemeinsame Arbeitsfelder von Sozialpädagogen und Musiktherapeuten sind z.B. die Arbeit mit körperlich und geistig Behinderten, mit Straffälligen, mit Alten, mit psychisch Kranken oder mit Suchtkranken.

Siegfried Vogelsänger ist der Ansicht, dass die Handlungsmethoden beider Professionen sich miteinander vermischen: „So haben denn auch Zielvorstellungen und Arbeitsweisen aus dem musiktherapeutischen Bereich Eingang in die Ausbildung von Sozialpädagogen gefunden und treffen hier zusammen mit bewährten Methoden und Prinzipien der Sozialarbeit und Sozialpädagogik wie Gesprächsführung, themen- und konfliktzentrierte Interaktion usw. .“[17]

Siegfried Vogelsänger warnt davor, die sozialpädagogische Ausbildung mit Musik mit der Ausbildung zum Musiktherapeuten zu verwechseln. Die musikalische Zusatzausbildung eines Sozialpädagogen – so Vogelsänger – enthält zwar musiktherapeutische Anteile, seine musikalische Arbeit muss aber immer sozialpädagogisch ausgerichtet sein, d.h., die Planung, Durchführung und Analyse musikalischer Aktivitäten darf nicht unter therapeutischen, sondern muss unter sozialpädagogischen Aspekten stattfinden. Der Sozialpädagoge setzt sich eher mit soziologischen, psychologischen oder sozialpolitischen Fragen auseinander.[18]

Almut Seidel ist der Ansicht, dass Musiktherapeuten fachbezogen – d.h. ausschließlich mit Musik – arbeiten, während die musikalische Arbeit für den Sozialarbeiter in der Regel nur ein Bestandteil einer größeren Gesamtaufgabe ist.[19]

Seidel beschreibt weiter, dass Musiktherapeuten und Sozialpädagogen bei ihrer Arbeit mit Musik unterschiedliche Ziele verfolgen. Für den Sozialpädagogen ist es wichtig, positive Erlebnisse zu vermitteln, Selbst- und Fremdwahrnehmung zu schulen und die Beziehungs- und Bindungsfähigkeit zu verbessern. Dabei werden die verdrängten Konfliktinhalte, neurotischen Fixierungen und Fehlhaltungen, die durch den Musiktherapeuten analytisch, gestalttherapeutisch oder verhaltenstherapeutisch aufgearbeitet werden können, nicht berücksichtigt. Gemeinsame Bezugspunkte musiktherapeutischen und sozialpädagogisch-musikalischen Handelns sieht Almut Seidel im Klienten und dessen Alltagsbewältigung.[20]

3. Bedeutung der Musik für Jugendliche

3.1 Begriffsbestimmungen: Jugend – Popularmusik – Rockmusik

Der Jugendzeit wird soviel Bedeutung beigemessen wie kaum einem anderen Lebensabschnitt. Die meisten erinnern sich gerne an die Jugend als die schönste Zeit ihres Lebens.

„Die Beschäftigung mit dem Jugendalter ist immer auch eine Beschäftigung mit sich selber. Es ist die Zeit, in der im Verlauf der lebenslangen Entwicklung das Verhältnis von Ich und Umwelt zum ersten Mal intensiv erlebt und gelebt wird. Im Jugendalter wird dieses Verhältnis in seiner ganzen Komplexität wahrgenommen. Als Erwachsener mag man verklärt auf die Zeit der Kindheit zurückschauen, doch erleben möchte man, wenn überhaupt, noch einmal die Jugend.“[21]

Bernhard Schäfers fasst den Begriff der Jugend aus soziologischer Sicht zusammen:

Jugend ist

a) „eine Altersphase zwischen Kindheit und Erwachsensein, die mit Einsetzen der Pubertät um das 13Lebensjahr beginnt;
b) die Altersgruppe der etwa 13- bis etwa 25jährigen, die Gemeinsamkeiten des Verhaltens, der Wertorientierung wie der Soziallage ganz allgemein teilt;
c) ein idealer Wertbegriff, der auf ein in vielen Kulturen hoch geschätztes Gut verweist.[22]

Im Zusammenhang mit dem Begriff „Jugend“ ist es sinnvoll, dass die Bezeichnungen „Pubertät“ und „Adoleszenz“ genannt werden. Während die Jugend überwiegend von positiven Erinnerungen geprägt ist, verbindet man mit der Pubertät auch unangenehme Gefühle wie Ängste und biologische Veränderungen, die man schlecht einordnen kann und nicht versteht.

„Die Pubertät ist die Phase, in der der Heranwachsende besonders einschneidende physiologisch-biologische Veränderungen durchmacht (er wird geschlechtsreif) und im Zusammenhang dieser Erfahrungen die allmähliche Ablösung vom Elternhaus intensiviert. Es handelt sich dabei um eine längere und differenzierte Phase mit zeitlich offenen Grenzen.“[23]

Während sich biologische Veränderungen eher der Pubertät zuordnen lassen, kann man mit der Adoleszenz auch eine Reihe psychologischer Veränderungen in Verbindung bringen.

In der Adoleszenz setzt sich der Mensch psychisch mit sich selbst und der Gesellschaft auseinander.

Dieter Baacke ist der Auffassung, dass in der Adoleszenz die Pubertät psychisch verarbeitet wird: „Die unmittelbare Pubertät ist meist schon beendet, ohne dass jedoch ihre sozialen und emotionalen Folgen bereits völlig bewältigt sind. Man spricht daher von Adoleszenz, indem man nicht nur das Ereignis der Pubertät meint, sonder eine längere gestreckte Phase einer Altersgruppe, die umgangssprachlich unter dem Terminus „Jugendliche“ zusammengefasst wird.“[24]

Was versteht man unter Pop-Musik, populärer Musik bzw. Popularmusik?

In den 30er Jahren verstand man unter Popmusik die Schlagermusik der weißen Bevölkerung in den USA. Mit der Entstehung des Rock´n´Roll in den 50er Jahren in Europa wurde der Begriff „Popmusik“ für einen Musikstil übernommen, der in erster Linie dem jugendlichen Publikum zusagte. Er setzte sich aus dem amerikanischen Schlager und Rock´n´Roll zusammen. Die Bezeichnung „Popmusik“ versteht sich heute als Musik „zwischen den beiden musikalischen Polen Schlager- bzw. Schnulzenmusik und Rockmusik.“[25]

In der Microsoft Encarta Enzyklopädie Professional 2004 steht populäre Musik oder Popmusik als Sammelbegriff für eine Vielzahl musikkultureller Phänomene und Stilrichtungen. Populäre Musik im weiteren Sinn bezeichnet im Unterschied zur Kunstmusik zumeist erfolgreiche, ohne spezielle Vorbildung verständliche, massenhaft konsumierbare und uneingeschränkt zugängliche Unterhaltungs- und Tanzmusik. Popmusik im engeren Sinn umfasst stilistische Entwicklungen und Äußerungsformen musikalischer Jugendkultur seit Beginn der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts.[26]

Unter Popularmusik verstehen Hopf, Heise und Helms „verschiedene Arten von volkstümlicher, eingängiger oder trivialer Musik, () die ihre Existenz primär der massenweisen Herstellung, Aufbereitung und Vertreibung nach außermusikalischen () Gesichtspunkten verdanken.“[27]

Zwei gegenwärtige Thesen von Reinhard Flender und Hermann Rauhe verschaffen einen Einblick in die Popularmusik:

1. „Popularmusik stellt eine neue kulturelle Ausdrucksform der Massenmedien dar, die als „Industriekultur“ angesehen werden muss. Sie unterscheidet sich als solche grundlegend von allen ihr vorangehenden populären Musikgattungen wie Volkslied und Volkstanz, Kirchenlied, Militärmusik oder städtische Unterhaltungsmusik.

2. Popularmusik umfasst ein weites Spektrum von Stilrichtungen, die ebenso „unterhaltende“ wie „ernste“ Musik einschließen. So ist die Einordnung des gesamten Komplexes der Popularmusik unter „U“, wie es in den europäischen Rundfunkanstalten geschieht, falsch. Es gibt zweifelsohne Musiken aus dem Repertoire der Jazz- und Rockmusik (wie z.B. Bebob, Free Jazz, Avantgarde-Rock usw.), die der „E“- Musik zugerechnet werden müssen.“[28]

Flender und Rauhe widersprechen damit Peter Ortmann, der populäre Musik der „U“ (Unterhaltungs-) Musik zuordnet. Ortmann stellt sich aber die Frage, warum Unterhaltungsmusik nicht ernst genommen werden sollte und warum man sich durch „E“ (Ernste-) Musik nicht auch unterhalten könne.[29]

Wieland Ziegenrücker und Peter Wicke definieren „populäre Musik“ als ein „Ensemble sehr verschiedenartiger Genres und Gattungen der Musik, denen gemeinsam ist, dass sie massenhaft produziert, verbreitet und angeeignet werden, im Alltag wohl fast aller Menschen, wenn auch im einzelnen auf unterschiedliche Weise, eine bedeutende Rolle spielen.“[30]

Popularmusik beinhaltet also eine Vielzahl von Stilrichtungen, die massenhaft konsumiert wird und hauptsächlich auf das Interesse Jugendlicher stößt. Neben Rock- und Popmusik zählt man den Schlager und die kommerzielle Volksmusik u.a. auch zur populären Musik.

Wie kann man den Begriff „Rockmusik“ erklären?

Es gibt keine einheitliche Definition von Rockmusik. Von einigen Autoren wird die Musik bestimmter Musiker als Popmusik[31], von anderen wiederum als Rockmusik bezeichnet.[32] Die gleichen Musikstücke erhalten also unterschiedliche Etikettierungen. Bei einer Diskussion über inhaltliche Themen der Pop- bzw. Rockmusik kann dies zu Missverständnissen führen, was bei einer Übereinstimmung der Termini nicht der Fall wäre.

Problematisch ist ebenso, dass in verschiedenen Ländern die beiden Begriffe unterschiedlich verwendet werden. In den 60er Jahren und Anfang der 70er Jahre bezeichneten die Rubriken „Beat“ aus England, „Popmusik“ aus Deutschland und „Rockmusik“ aus den USA den gleichen Musikstil. Die Mainstream-Unterhaltungsmusik, die Popmusik, war vergleichbar mit dem deutschen Schlager. In England ersetzte der Terminus „Rock“ den „Beat“ - Begriff.[33]

„Ursprünglich sprach man von „Mersey Beat“, benannt nach dem Fluss, der durch Liverpool fließt. In dieser Stadt begannen Anfang der 60er Jahre die Bands Rock´n´Roll nachzuspielen, den sie aber auf ihre eigene Art veränderten. Meistens war es eine weiche und gefällige Art des Rock´n´Roll.“[34]

Für Wieland Ziegenrücker und Peter Wicker ist Rockmusik eine „Form der populären Musik, die auf Jugendliche, ihre Bedürfnisse, sozialen Erfahrungen, geistigen und kulturellen Ansprüche bezogen ist und auf den technisch fortgeschrittensten Produktions- und Verbreitungsbedingungen basiert, damit zugleich das bisher letzte Entwicklungsstadium der populären Musik repräsentiert.“[35]

Es gibt zahlreiche unterschiedliche Stile, Spielkonzeptionen und Musikauffassungen der Rockmusik, die eine genaue Zuordnung der Rockmusik unmöglich machen. Flender und Rauhe nennen unterschiedliche Stile der Rockmusik, wie z.B. den Soft Rock, Hard Rock, Heavy Rock, Folk Rock, Latin Rock und Classic Rock.[36]

Rockmusik zeichnet sich zum einen durch das Zusammenspiel von Lead-, Rhythmus- und Bassgitarre und dem Schlagzeug aus. Die verzerrten Gitarren und der unterstütztende Rhythmus vom Schlagzeug verleihen der Rockmusik eine gewisse Aggressivität. Zum anderen ist die Rockmusik durch den Gesang gekennzeichnet, durch dessen meist rauhen Klang bei Zuhörern Emotionen wie Aggressionen, Wut oder Trauer ausgelöst werden können.

Rockmusik ist eine Kurzform des Begriffs Rock´n´Roll Music. Ein großer Teil der aktuellen Musikkultur ist im Rock´n´Roll verwurzelt. Verschiedene andere Musikstile enthalten Elemente des Rocks. „Hip Hop“ greift auf Samples von alten Soul und Rockplatten zurück. Heavy Metal entwickelte sich aus dem Rock und ist heutzutage härter, schneller und lauter geworden. Auch der heutige Jazzrock hat seine Wurzeln im früheren Rock´n´Roll. Wenn man sich die Hitparade anhört, stellt man fest, dass teilweise alte Rocksongs in neuerer Fassung reproduziert werden.

Wenn man die populäre Musik – dazu gehört die Rockmusik – unter ökonomischen, gesellschaftlichen und musikalischen Gesichtspunkten im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Medien betrachtet, dann kann sie u.a. als historisches Produkt aus

a) der Übernahme kulturellen Gedankenguts (Akkulturation) afrikanischer und europäischer Kulturen gesehen werden, wobei sie sich in ihrer Form aufgrund der unterschiedlichen nationalen Musiktraditionen verändert und vor allem unterhaltenden Charakter angenommen hat;
b) den technischen Fortschritt hinsichtlich der Aufnahmemöglichkeiten und der damit verknüpften industriellen Verwertung und Wiedergabe beschrieben werden;
c) den festen Werte- und Normensystemen und den überlieferten moralischen und musikalischen Vorstellungen der Erwachsenen betrachtet werden, gegen deren Bevormundung sich Jugendliche durch ihre Musik auflehnen.[37]

Populäre Musik übernimmt also gesellschaftliche Funktionen. Dabei scheinen sowohl sozialpsychologische Faktoren für die Musikrezipienten als auch ökonomische Faktoren für die Produzenten eine größere Bedeutung zu haben als der rein musikalische Aspekt.

In der Abbildung auf der folgenden Seite ist dargestellt, wo die Ursprünge der Rockmusik liegen und welche aktuellen Musikstile sich daraus u.a. entwickelt haben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[38]

3.2 Aktuelle bedeutsame Stilrichtungen

3.2.1 Techno

„Der Begriff „Techno“ als Bezeichnung für eine bestimmte Musikrichtung wurde 1984 vom schwarzen Detroiter Discjockey, Komponisten und Produzenten Juan Atkins ins Leben gerufen. Atkins verfremdete afroamerikanische Musikelemente mit Hilfe seines modernen, vollelektronischen Studioequipments.“[39]

Bei Technomusik handelt es sich also um mit dem Compunter hergestellte elektronische Musik. Im Mittelpunkt steht der DJ, der auf einer vergleichhbar populären Ebene steht wie Musiker bzw. Bands anderer Musikrichtungen. Techno ist erst durch die Entwicklung moderner Technologien möglich geworden.

Ursprünglich zielte Techno nicht auf den Massengeschmack und kommerziellen Erfolg ab. Er spielte sich im Untergrund ab und richtete sich gegen die etablierte Musikindustrie. Allmählich jedoch wurde er zunehmend erfolgreicher und von der Musikindustrie vereinnahmt. Er findet heute großen Anklang bei vielen Jugendlichen.

Zu den derzeit populärsten DJ´s gehören Marusha (Marion Gleiss) und Cosmic Baby. Marusha gründete in Nürnberg den ersten Techno-Club. Zusammen mit dem DJ Westbam und seinem Bruder veranstaltete sie die erste „Mayday“ (Techno-Großveranstaltung). Cosmic Baby (Harald Blüchel) ist einer der wenigen DJ´s, der über eine solide musikalische Ausbildung verfügt. Er studierte in Berlin Komposition und Tontechnik.

Was macht Techno für Jugendliche so interessant und welchen Stellenwert hat er in unserer Gesellschaft?

Jugendliche wählen oft eine bestimmte Musikrichtung, um auf gesellschaftliche Mißstände zu reagieren. Zu jeder Jugendkultur gehören Rebellion und politisch revolutionäre Utopien. Bei den neueren Jugendkulturen scheinen jedoch andere Aspekte eine wichtigere Rolle zu spielen.

Antje Schneider und Liv Töpfer glauben, dass die Technokultur nicht ausdrücklich beabsichtigt, sich in extreme Richtungen darzustellen und gegen gesellschaftlich-politische Zustände zu rebellieren.[40]

Es scheint, als würden Sprachlichkeit und Diskurs im Zuge der Verbreitung des Fernsehens und anderer visuell orientierter Medien und der damit verbundenen sinnlichen Wahrnehmungen, Bildlichkeit und Oberflächlichkeit immer mehr an Bedeutung verlieren.

Die Riesenveranstaltungen „Mayday“ und „Love Parade“ präsentieren eine Vielfalt an Farben und die Teilnehmer sind extrem bewegungsfreudig. Die Technoanhänger scheinen nichts als toben, tanzen, feiern und auffallen zu wollen. Durch bestimmte Merkmale repräsentieren sie ihre eigene Kultur und ihren Stil.

Bernhard Schäfers versteht unter der Bezeichnung „Stil“ die „Gesamtheit der auf typische Weise genutzten oder neu innovierten Ausdrucksmittel“ und schreibt den einzelnen Stilelementen Musik, Mode und (Körper)-Sprache eine integrierende, signalisierende, symbolisierende und selektierende Funktion zu.[41]

Die Techno-Hörer distanzieren sich vom Alltag und genießen ausschließlich die Musik. Problematisch dabei ist der Konsum von härteren Drogen wie Speed, Ecstasy oder Kokain, die es erst ermöglichen, mehrere Nächte durchzutanzen.

Die Erwachsenen reagieren eher fassungslos auf diese Jugendlichen, die nichts anderes im Sinn zu haben scheinen, als sich zu vergnügen. Dass Jugendszenen aber aus unserer Gesellschaft entstehen, erklären Olivia Henkel und Karsten Wolff: „Geht man davon aus, dass das Bild einer Generation meist vom Leben ihrer kulturellen Avantgarde geprägt wird, und das ist zurzeit gewiss der Techno-Underground, so kann man den Umkehrschluss wagen und feststellen, dass diese Avantgarde stellvertretend Spiegel der Generationenkonflikte dieser Zeit ist. Jede Gesellschaft hat die Jugend, die sie verdient.“[42]

Techno reißt durch seine Energie die Hörer mit und hat begeisternde Wirkung auf Massen von Menschen, was deutlich auf ein Merkmal populärer Musik hindeutet. Sie lässt sich in verschiedene Stilrichtungen aufspalten, wie z.B. Techno-Jungle, Techno-House, Techno-Pop, Detroit-Techno, Electonic Body Music (EBM) und Techno-Trance.

Wenn man sich vor Augen führt, dass in unserer Gesellschaft feste Werte an Bedeutung verloren haben und viele mit der extremen Vielfalt an Waren, Konsum und Informationen überfordert sind, dann ist es nicht verwunderlich, dass die Menschen ihre Identität immer häufiger selbst bilden.

„Techno wird so auch als Chance genutzt, in einer Welt der Wirrnis Identität und Eigenständigkeit zu zelebrieren. Gegen die virtuellen Erzeugnisse der medialen Bewusstseinsindustrie ist er ein mächtiges Ritual, das eigene Realitäten aus dem Boden stampft. Er schafft Welten, in denen die Fronten zwischen der Masse der Anderen und der Schar der Dazugehörigen wieder klar verlaufen.“[43]

Die Techno-Hörer grenzen sich also von der breiten Masse ab und schaffen ihre eigenen sozialen Lebensbedingungen. Sie suchen auf großen Partys in der Gemeinschaft Halt und Orientierung.

3.2.2 Rap & Hip Hop

Die Begriffe „Rap“ und „Hip Hop“ hört man häufig im gleichen Kontext. Bernward Halbscheffel und Tibor Kneif verwenden beide Bezeichnungen synonym bzw. sehen in Hip Hop eine Weiterentwicklung des Raps und einen Generationswechsel, durch den ältere Rap-Stars abgelöst wurden.[44]

Rap kommt aus dem Englischen und bedeutet „klopfen“. Halbscheffel und Kneif definieren Rap wie folgt: „Rap ist das rhythmische Sprechen zu einem tönenden Hintergrund, der im einfachsten Fall lediglich aus einem Beat markierenden Schlagzeug, zumeist aber aus einer kunstvollen Collage von Riffs, Schlagzeugfiguren und diversen kurzen Instrumentalklängen besteht.“[45]

Die Ursprünge des Raps bzw. Hip Hops liegen in der USA. Die Rapper protestierten in ihren Texten gegen die Benachteiligung und Unterdrückung der Schwarzen und beschrieben die Zustände in den Schwarzenvierteln der Großstädte. Die Texte handelten zu einem großen Teil von Gewalt und Tod. Rapmusik diente auch der Auseinandersetzung untereinander. Es ging darum, schlagfertig zu sein, den Gegner zu provozieren, sich Respekt zu verschaffen, d.h., verbal auszufechten, wer der Größte und Stärkste ist. Einige Rapper behandelten auch soziale und politische Themen, so z.B. Afrika Bambaataa, Brother D, Grandmaster Flash and The Furious Five.

Rap ist nicht nur auf die schwarze Bevölkerung beschränkt, sondern wird im Folgestil Hip Hop auch von weißen Musikern verwendet. Mittlerweile hat er sich international ausgebreitet. „Die fantastischen Vier“ legten 1991 mit dem Titel „Jetzt geht´s ab“ das Fundament für zahlreiche weitere deutschsprachige Hip Hop Bands, wie z.B. Fettes Brot, Fünf Sterne de Luxe oder Freundeskreis.

Hip Hop besteht aus verschiedenen Bereichen, und zwar aus Musik (Rap, DJing), Tanz (Break Dance) und Malerei (Graffiti = Wandmalerei mit Spraydose). Dazu gehört eine bestimmte Kleidung (Trainingsanzug, Tennisschuhe, umgekehrt aufgesetzte Baseballmütze).

Die heutigen Hip Hop- oder Rapfans erkennt man an ihren weiten Hosen, den großen Shirts, Markenturnschuhen und der Baseball-Kappe. Die derzeitige Hip Hop Szene kann nicht mit der afro-amerikanischen Bewegung verglichen werden. Für die Farbigen aus Amerika hatte der Zusammenschluss in Gruppen und die eigene englische Sprache eine Solidaritätsfunktion in einer Gesellschaft, in der Rassismus und Diskriminierung bis heute noch existiert und in der teilweise um das Überleben gekämpft werden muss. Viele deutsche Rapper haben sich sowohl textlich als auch musikalisch gegenüber der amerikanischen Szene verselbständigt. Die Texte werden mit eigenen Inhalten gefüllt. Da die Rapper oft der deutschen Mittelschicht angehören, wird nicht mehr über Ghetto, Armut und Waffengewelt gerappt, sondern – und das ist auch wesentlich glaubhafter – über das alltägliche Leben.

Auch wenn deutscher Hip Hop nicht mehr viel mit den afro-amerikanische Hintergründen und Zusammenhängen zu tun hat, versucht er dennoch auf politische und soziale Mißstände aufmerksam zu machen. So reagierten die „Goldenen Zitronen“ mit ihrer Platte „80.000 Hooligans“ auf verschiedene rassistische Übergriffe und der Titel „Fremd in eigenem Land“ von „Advanced Chemistry“ thematisierte die Probleme nicht Deutschstämmiger, vor allem Afrodeutscher, in Deutschland.

Für die meisten deutschen Jugendlichen scheint Hip Hop- oder Rapmusik ein Ausdrucksmedium zu sein, über das sie sich von den Erwachsenen abgrenzen und ihre eigene Umwelt schaffen können.

Spatschek, Nachtigall, Lehenherr und Grüßinger glauben, dass heutzutage viele in Hip Hop nur einen Musikstil oder einen Modetrend sehen, der sich aber durch seine verschiedenen Überzeugungen, Nebenprodukte und seine permanente Weiterentwicklung in eine Vielzahl von subkulturellen Untergruppen gliedern lässt.[46]

3.2.3 Punk

Der Begriff „Punk“ kommt aus dem Englischen und kann mit „Mist, verdorben, wertlos“ übersetzt werden. Als miserabel und wertlos wurden die Punks von den Bürgern angesehen und das beabsichtigten sie auch. Sie verstanden sich im übertragenen Sinn als „Abfall der Gesellschaft“. Sie wollten schockieren, anders sein. „No Future“ (keine Zukunft) war ihr Motto. Die Texte richteten sich gegen die Gesellschaft und die Kultur. Man konnte dabei aber nicht von einer ernstzunehmenden politischen Haltung sprechen, da sie lediglich ihre Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen aussprachen. Ihre Musik war brutal und hart, und so ging es auch auf den Tanzflächen zu. Punkmusik wurde in der Regel in einer dreiköpfigen Band gespielt, bestehend aus Bass, Gitarre und Schlagzeug.

Die schlechte Bekleidung und der ungepflegte Eindruck der Punks in den Anfängen war zum Teil durch fehlende finanzielle Mittel begründet. Später ätzten sie bewusst Löcher in die Kleidung hinein, schnitten Ärmel aus usw., um die provokative Wirkung der Musik oder des Verhaltens durch ihr Outfit zu unterstreichen. Der Irokesenhaarschnitt gehörte zum Erkennungszeichen vieler Punks.

Damals kam die Punk-Bewegung von den britischen Inseln nach Deutschland. Viele junge Leute waren begeistert. Die „Null-Bock“-Haltung, das Aussehen und die aggressive Musik waren ein Angriff auf das triste, langweilige Leben der Eltern.

Während Punk in Amerika eher eine Musik der mittelständischen Post-Adoleszenten, die auch Interesse für Politik, Philosophie und Literatur hatten, war, ließ sich der britische Punk mehr den 13- bis 19jährigen Jugendlichen aus der Arbeiterschicht zuordnen.[47]

Die englische Band Sex Pistols war die bekannteste Band der Punkmusik. Aus der anfangs noch recht geringen Zahl der Anhänger entwickelte sich im Laufe der Zeit ein Kult. Zu den berühmtesten und erfolgreichsten deutschen Bands gehören heute „Einstürzende Neubauten“ und „Die Toten Hosen“. Sie können aber nicht mit dem früheren Punk verglichen werden, der auf aufwendige, technische Mittel zur Musikproduktion verzichtete, um keinen Starkult zu betreiben. Zielgruppe des früheren Punks waren vor allem die auf der Straße lebenden Jugendlichen.

Es gelang dem Punk nicht nur, oppositionell zu sein, sondern darüber hinaus wurden Punkbands von Plattenkonzernen unter Vertrag genommen. Ausgerechnet der Punk-Rock, der das ausdrückliche Ziel verfolgte, gegen Kommerz zu handeln und Kritik an der Wohlstandsgesellschaft zu üben, wurde zur Modeerscheinung.

[...]


[1] Finkel, Klaus: Musik und Sozialpädagogik. Positionen, Probleme, Perspektiven für eine musikpädagogische

Ausbildung im Sozialwesen, Lilienthal 1972. S.

[2] ebd.

[3] Vgl. Gembris, Heiner: Grundlagen musikalischer Begabung und Entwicklung, Augsburg 1998. S. 305 f.

[4] Vgl. Finkel, Klaus (Hrsg.): Handbuch Musik und Sozialpädagogik, Regensburg 1979. S. 141 f.

[5] ebd.

[6] Montessori, Maria: Kinder sind anders, Stuttgart 1988. S.

[7] Vgl. Jers, Norbert in: Zimmerschied, Dieter (Hrsg.): Lebenswelt. Chancen für Musikunterricht und Schule,

Kongressbericht, 20. Bundesschulmusikwoche, Gütersloh 1994. S.

[8] Vgl. Keller, Wilhelm; Sowa, Georg in: Wickel, Hans-Hermann: Musikpädagogik in der sozialen Arbeit.

Eine Einführung, München 1998. S. 47 f.

[9] Vgl. Decker-Voigt, Hans-Helmut in: Finkel, Klaus (Hrsg.): Handbuch Musik und Sozialpädagogik, aaO, S.

[10] Vgl. Jers, Norbert in: Zimmerschied, Dieter (Hrsg.), aaO, S.

[11] Vgl. Schwabe, Christoph in: Pahlen, Kurt: Musiktherapie, München 1973. S.

[12] Vgl. Auerbach, Lore in: Finkel, Klaus (Hrsg.): Handbuch Musik und Sozialpädagogik, aaO, S.

[13] Vgl. Leidecker, Klaus: Musik als Begegnung, Wiesbaden 2002. S.

[14] Vgl. Schwabe, Christoph: Methodik der Musiktherapie und deren theoretische Grundlagen. 3.,

überarbeitete Auflage, Leipzig 1985. S. 151 f.

[15] Vgl. Hopf, Helmut; Heise, Walter; Helms, Siegmund: Lexikon der Musikpädagogik, Regensburg 1984. S.

[16] Vgl. Vogelsänger, Siegfried: in: Musik und Bildung. Jg. 17, H.3, 1985. S.

[17] Vogelsänger, Siegfried in: Decker-Voigt, Hans-Helmut (Hrsg.): Handbuch der Musiktherapie.

Funktionsfelder, Verfahren und ihre interdisziplinäre Verflechtung, Lilienthal und Bremen 1983. S.

[18] ebd.

[19] Vgl. Seidel, Almut in: Decker-Voigt, Hans-Helmut (Hrsg.): Handbuch der Musiktherapie, aaO, S.169 f.

[20] ebd.

[21] Schurian, Walter: Psychologie des Jugendalters, Opladen 1989. S.

[22] Schäfers, Bernhard (Hrsg.): Grundbegriffe der Soziologie, Opladen 2000. S.

[23] Baacke, Dieter: Die 13- bis 18jährigen, Weinheim und Basel 1991. S.

[24] Baacke, Dieter, Die 13- bis 18jährigen, aaO, S. 36 f.

[25] Hopf, Helmut; Heise, Walter; Helms, Siegfried, aaO, S.

[26] Vgl. Dombrowski, Ralf in: Microsoft Encarta Enzyklopädie Professional

[27] Vgl. Hopf, Helmut; Heise, Walter; Helms, Siegmund, aaO, S.

[28] Flender, Reinhard; Rauhe, Hermann: Popmusik. Geschichte, Funktion, Wirkung, Ästhetik, Darmstadt

1989. S.

[29] Vgl. Ortmann, Peter: Jugendzeitschriften und Pop-Musik. Aussagenanalysen des Musikteils von

Jugendzeitschriften, Berlin 1982. S.

[30] Vgl. Ziegenrücker, Wieland; Wicke, Peter: Sachlexikon Popularmusik, Mainz 1989. S.

[31] Vgl. Hartwich-Wiechell, Dörthe: Pop-Musik. Analysen und Interpretationen, Köln 1974. S.

[32] Vgl. Jerrentrup, Ansgar: Entwicklung der Rockmusik von den Anfängen bis zum Beat, Regensburg 1981.

S.

[33] Vgl. Hartwich-Wiechell, Dörthe, aaO, S.

[34] Musik und Bildung, Heft 2, April-Juni 2004. S.

[35] Vgl. Ziegenrücker, Wieland; Wicke, Peter, aaO, S.

[36] Vgl. Flender, Reinhard; Rauhe, Hermann, aaO, S.

[37] Vgl. Ortmann, Peter, aaO, S. 52 f.

[38] Vgl. Musik und Bildung, Heft 2, April-Juni 2004. S.

[39] Blask, Falko; Fuchs-Gamböck, Michael: Techno. Eine Generation in Ekstase, Bergisch Gladbach 1995. S.

[40] Vgl. Schneider, Antje; Töpfer, Liv: Jugendkultur Techno. Jeder tanzt für sich allein?, Hamburg 2000. S.

[41] Vgl. Schäfers, Bernhard: Soziologie des Jugendalters, Opladen 1994. S.

[42] Henkel, Olivia; Wolff, Karsten: Berlin Underground. Techno und Hip Hop zwischen Mythos und

Ausverkauf, Berlin 1996. S.

[43] Blask, Falko; Fuchs-Gamböck, Michael, aaO, S.

[44] Vgl. Halbscheffel, Bernward; Kneif, Tibor: Sachlexikon Rockmusik, Reinbek bei Hamburg 1992, S.

[45] Halbscheffel, Bernward; Kneif, Tibor, aaO, S.

[46] Vgl. Spatschek, Christian; Nachtigall, Markus; Lehenherr, Robert; Grüßinger, Wilfried: happy nation?!?. Jugendmusikkulturen und Jugendarbeit in den 90er Jahren, Münster 1997. S. 127 f.

[47] Vgl. Baacke, Dieter: Jugend und Jugendkulturen, Weinheim 1987. S.

Ende der Leseprobe aus 88 Seiten

Details

Titel
Die Beschäftigung mit Musik in der Jugendarbeit unter sozialpädagogischen Aspekten
Hochschule
Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen
Note
2,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
88
Katalognummer
V265397
ISBN (eBook)
9783656549253
ISBN (Buch)
9783656549000
Dateigröße
2786 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
beschäftigung, musik, jugendarbeit, aspekten
Arbeit zitieren
Bernd Palmen (Autor:in), 2004, Die Beschäftigung mit Musik in der Jugendarbeit unter sozialpädagogischen Aspekten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/265397

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