Die Erzählung Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik erschien zunächst Ende 1810 in der Zeitschrift Berliner Abendblätter, bereits Anfang 1811 veröffentlichte Kleist jedoch eine erheblich veränderte Neufassung. Gerade dem Umstand, dass Kleist beiden Erzählungen den selben Titel gegeben hat – und damit eine inhaltliche Übereinstimmung der Variationen als Lesererwartung zumindest in Kauf nahm - verdankt sich die jahrzehntewährende Fehlinterpretation des Textes. Die Deutung als tatsächliche Legende, als Sieg der orthodoxen Lehre über vormals Ungläubige blieb bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorherrschend. Denn Kleists erste Fassung tendiert tatsächlich in diese Richtung, die Geschichte wird hier noch „[…] linear erzählt und dabei der Triumph der Religion zunächst besonders hervorgehoben […]“, wie Christine Lubkoll zusammenfasst. Aus heutiger Sicht erscheint diese Interpretation wie ein klares hermeneutisches Versagen, doch nicht wenige Exegeten behaupteten, Kleist vollziehe – auch mit der zweiten Fassung der heiligen Cäcilie - „[…] selbst eine späte Hinwendung zum katholischen Glauben.“ Zusätzlich dazu beigetragen hat sicherlich auch der literarische Kontext des Cäcilienstoffes, denn zu Beginn des 19. Jahrhundert wurde die Wirkkraft der Musik –als deren Patronin Cäcilie in der Kirche verehrt wird- von etlichen Schriftstellern aufgegriffen. Diese „[…] romantische[n] Faszinationen, so diejenigen durch die Musik und die katholische Religion […]“ haben zu zahlreichen Bearbeitungen des Topos geführt. Auch Kleists Schrift wurde als Beitrag zu diesem zeitgenössischen Trend gewertet.
Nach Lubkoll fand erst in den 1970er Jahren eine interpretatorische Akzentverschiebung statt, besonders die Eigenständigkeit der zweiten Fassung wurde jetzt stärker hervorgehoben; der Titel der Erzählung wurde „[…] nun disjunktiv aufgefasst, als Alternative zwischen einer religiösen oder einer natürlichen Erklärung des Geschehens.“ Der Bereich des Natürlichen wurde dabei mit der Musikgewalt in Deckung gebracht, folglich favorisierte die Kleist- Forschung nun als Thema der Erzählung die Kunstästhetik. Da die Kürze der ersten Fassung diesen Themenkomplex nicht ausreichend erhellen konnte, blieb als maßgebliches Analyseobjekt nur die Neufassung von 1811. In gegenwärtigen germanistischen Facharbeiten fristet die Ursprungserzählung lediglich ein Dasein als bloßer Vergleichstext, der höchstens als Teil der Cäcilien-Genese gleichberechtigt behandelt wird.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Stimmen- und Perspektivgewirr
- Die Inszenierung des Bildersturms
- Die Verlässlichkeit Veit Gotthelfs als Zeuge
- Konversion der Mutter als Scheitern der Intention
- Überwältigung durch die Musik- Überwältigung des Lesers
- Die Hermeneutik des Verdachts
- Kunst und Religion als Täuschmanöver
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert Heinrich von Kleists Erzählung „Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik“ mit dem Schwerpunkt auf der Interpretation der verschiedenen Fassungen und der Entwicklung der Forschungsliteratur.
- Die Entwicklung der Interpretationen der Erzählung
- Die Rolle der Musik und ihrer Wirkung
- Die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Zeugen und der Entstehung von Legenden
- Die Beziehung zwischen Kunst, Religion und Täuschung
- Die Bedeutung des Perspektivwechsels in der Erzählung
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Einleitung bietet einen Überblick über die Entstehung der Erzählung, ihre verschiedenen Fassungen und die Entwicklung der Forschungsliteratur.
- Das Kapitel „Stimmen- und Perspektivgewirr“ analysiert die Rolle der verschiedenen Figuren und Perspektiven in der Erzählung und wie diese die Interpretation beeinflussen.
- Das Kapitel „Die Inszenierung des Bildersturms“ untersucht die Darstellung des Bildersturms und seine Bedeutung im Kontext der Erzählung.
- Das Kapitel „Die Verlässlichkeit Veit Gotthelfs als Zeuge“ analysiert die Rolle des zentralen Zeugen Veit Gotthelf und seine Aussagekraft.
- Das Kapitel „Konversion der Mutter als Scheitern der Intention“ beleuchtet die Konversion der Mutter und ihre Bedeutung im Kontext der Erzählung.
- Das Kapitel „Überwältigung durch die Musik- Überwältigung des Lesers“ analysiert die Rolle der Musik und ihre Wirkung auf die Figuren und den Leser.
- Das Kapitel „Die Hermeneutik des Verdachts“ untersucht die Bedeutung der „Hermeneutik des Verdachts“ für die Interpretation der Erzählung.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter der Arbeit sind: Heinrich von Kleist, „Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik“, Interpretation, Musik, Religion, Legende, Perspektive, Hermeneutik des Verdachts, Bildersturm, Täuschung, Konversion.
- Arbeit zitieren
- Max Rössner (Autor:in), 2013, Die Erzählung "Die heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik" von Heinrich von Kleist in der Analyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/266679