Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definitorische Annäherungen an den Begriff der Schwarzen Pädagogik
2.1. Definitorische Annäherung nach Katharina Rutschky
2.2. Definitorische Annährung nach Alice Miller
2.3. Weitere definitorische Annäherungen
2.4. Eigene Definition
3. Historische Entwicklung der Schwarzen Pädagogik
3.1. Entwicklung
3.2. Vertreter der Schwarzen Pädagogik
3.2.1. Dr. Daniel Gottlob Moritz Schreber
3.2.2. Johanna Haarer
3.3. Grundlagen der Schwarzen Pädagogik
4. Menschenbild
4.1. Das Bild vom Erwachsenen
4.2. Das Bild vom Kind
4.3. Das Bild vom Erzieher
4.4. Zusammenfassung und Fazit
5. Ziele der Schwarzen Pädagogik
5.1. Die Unterordnung unter den Erwachsenen
5.2. Die Erziehung zu bürgerlichen Tugenden
5.2.1. Ordnung
5.2.2. Dankbarkeit
5.2.3. Ehrlichkeit
5.2.4. Gehorsam
5.2.5. Fleiß
5.2.6. Bescheidenheit
5.2.7. Keuschheit
5.3. Die Konditionierung zum Nicht-merken der Kinder
5.4. Zusammenfassung und Fazit
6. Methoden in der Schwarzen Pädagogik
6.1. Körperliche Gewalt
6.2. Abschreckung und Ängstigung
6.3. Lügen
6.4. Strafe und Belohnung
6.5. Verweigerung von Grundbedürfnissen und Abhärtung
6.6. Liebesentzug
6.7. Manipulation
6.8. Kontrolle und Machtausübung
6.9. Demütigung
6.10. Zusammenfassung und Fazit
7. Folgen der Schwarzen Pädagogik
8. Alternativen zur Schwarzen Pädagogik
8.1. „Weiße Pädagogik“
8.2. Antipädagogik
8.3. Reformpädagogik
9. Fazit und Ausblick
9.1. Zusammenfassung der Arbeit
9.2. Schwarze Pädagogik aus Sicht der Gegenwart
9.3. Fazit
9.4. Ausblick
10. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht“.
„Wer nicht hören will, muss fühlen.“
Jedes Kind in unserer westlichen Gesellschaft ist mit solchen, oder ähnlichen Weisheiten aufgewachsen. Sie vermitteln ein Misstrauen gegenüber dem Kind und die Tatsache, dass jede Handlung auch Konsequenzen haben muss. Den meisten wird nicht bewusst sein, dass solche Aussagen starke Auswirkungen auf die emotionale Sicherheit des Kindes haben können und die Wurzeln der Sprüche in der Schwarzen Pädagogik liegen.
In dieser Arbeit wird die sogenannte Schwarze Pädagogik aus einer historischen Perspektive thematisiert. Dabei liegt der Fokus besonders auf den Zielen der Schwarzen Pädagogik und den Methoden, die verwendet wurden, um diese Ziele zu erreichen. Das erkenntnisleitende Interesse beinhaltet ebenfalls die Frage nach dem Begriff der Schwarzen Pädagogik. Inwiefern ist er angemessen und aktuell? Kann der Begriff verwendet werden, wenn über historische Begebenheiten und Erziehungsideale gesprochen wird? Dem erkenntnisleitenden Interesse wird nachgegangen durch die intensive Diskussion der Quellentexte und der Frage nach Aktualität des Themas.
Die Betrachtung der Thematik ist dabei auf das 16./17. Jahrhundert bis circa 1950 in Deutschland begrenzt. Der Fokus liegt auf dem 18. und 19. Jahrhundert und dabei vor allem auf der Zeit der Aufklärung. Aus diesem Grund wurden auch vorrangig Quellentexte aus dieser Zeit bearbeitet. Die Themen Heimerziehung und Missbrauch von Kindern wurden hingegen außen vor gelassen, da sie über die Thematik hinausgehen.
Die Arbeit beginnt mit einer definitorischen Annäherung aus verschiedenen Perspektiven, da das Begriffsverständnis eine wichtige Voraussetzung für das weitere Verstehen der Arbeit ist. Danach wird die historische Entwicklung ausschnittsweise beschrieben und zwei Pädagogen werden vorgestellt, welche als Vertreter der Schwarzen Pädagogik gelten. Des Weiteren werden Grundlagen vorgestellt, auf die sich in der Schwarzen Pädagogik berufen wurde. Im Anschluss wird das Menschenbild vorgestellt, welches in der Schwarzen Pädagogik vorherrschte. Den Hauptteil der Arbeit nimmt die Herausarbeitung der Ziele ein, welche die Schwarze Pädagogik verfolgt, und die Methoden, mit denen die Ziele umgesetzt werden sollten. Zum Schluss werden mögliche Folgen beschrieben, Alternativen zur Schwarzen Pädagogik benannt und die Aktualität der Thematik betrachtet. Im Ausblick soll kritisch diskutiert werden, inwiefern der Begriff der Schwarzen Pädagogik verwendet werden kann.
Die verwendeten Hauptwerke für die Arbeit waren „Schwarze Pädagogik – Quellen zur Naturgeschichte der bürgerlichen Erziehung“ von Katharina Rutschky und „Am Anfang war Erziehung“ von Alice Miller. Durch die intensive Bearbeitung der Texte wurden die Ziele und Methoden herausgearbeitet und zusammengefasst.
2. Definitorische Annäherungen an den Begriff der Schwarzen Pädagogik
Die definitorische Annäherung an einen Begriff ist eine wichtige Grundlage für das Verstehen einer Thematik. Zunächst soll der Begriff nach Katharina Rutschky erläutert werden, da sie den Begriff einführte und prägte. Im Anschluss wird die definitorische Annäherung nach Alice Miller beschrieben. In einem weiteren Kapitel werden andere Annäherungen vorgestellt. Der Begriff wurde aus verschiedenen Quellen abgeleitet, welche in der Arbeit inhaltlich diskutiert werden. Am Ende des Kapitels steht eine Definition des Begriffes der Schwarzen Pädagogik.
2.1. Definitorische Annäherung nach Katharina Rutschky
Katharina Rutschky[1] war eine deutsche Publizistin, welche den Begriff der Schwarzen Pädagogik durch ihr Buch „Schwarze Pädagogik – Quellen der Naturgeschichte der bürgerlichen Erziehung“ im Jahr 1977 entwickelte, in den Sprachgebrauch von Pädagogen und Erziehungswissenschaftlern einführte und nachhaltig prägte. „Als Schwarze Pädagogik bezeichnet sie alles das, was in der pädagogischen Theorie und Praxis dem humanen Sinn der Erziehung – nämlich der Führung des Kindes zur Mündigkeit – widerstreitet; was zwar den Namen der Erziehung beansprucht, aber, genauer besehen, nicht für Leben und Freiheit der Kinder, sondern vielmehr für ihre Bändigung und Kränkung, für die Zerstörung ihrer Lebensfreude sorgt“ (Flitner, 1994, S. 15, Hervorhebung im Original).
Rutschky selber definierte in ihrem Werk den Begriff nicht, sondern stellte Quellentexte zusammen, welche den Charakter und die Methoden der Schwarzen Pädagogik präsentieren sollten. Sie wählte dabei viele Texte aus der Aufklärung und von den Philanthropen. Ihre Quellenzusammenstellung bezeichnet sie selber als einen „tendenziöse[n] Versuch“ (Rutschky, 2001, S. XV) und sie gibt zu, dass sie „rücksichtslos gegen die expliziten Absichten der Autoren“ (ebd.) verfährt. Ihre Sammlung stellt also einen Versuch dar, die Erziehung des 18. und 19. Jahrhunderts zu beschreiben, aber nicht aus der üblichen Perspektive, dass diese Zeit viele Neuerungen und Erweiterungen innerhalb der Pädagogik brachte, sondern als „deprimierende Anhäufung von Ratschlägen und Hinweisen, wie die Macht gegenüber Kindern hergestellt werden kann, wie Kinder in Gehorsam und Respekt gehalten, gelenkt und überwacht werden können“ (Flitner, 1994, S. 17, Hervorhebung im Original).
Rutschky ging aber dennoch auf die Bedeutung und Entwicklung von Erziehung ein. Erziehung ist ihrer Meinung nach ein Phänomen der Neuzeit und entstand erst im Laufe des 19. Jahrhunderts (vgl. Rutschky, 2001, S. XL). Der Erzieher nahm eine wichtige Rolle in dem Erziehungsprozess ein, da er für die moralische Entwicklung des Kindes zuständig war. „Ihm fällt also gegenüber den Heranwachsenden die Rolle des Über-Ichs zu, das ja im Seelenhaushalt der vergesellschafteten Individuen der Sitz der Moral ist“ (Rutschky, 2001, S. 148). Rutschky griff mit dieser Aussage eine psychoanalytische Theorie von Sigmund Freud auf, welcher die Psyche des Menschen in ‚Es‘, ‚Ich‘ und ‚Über-Ich‘ einteilt. Das ‚Es‘ enthält unsere Bedürfnisse und Triebe, welche wir von Geburt an haben. Das ‚Ich‘ vermittelt zwischen dem ‚Es‘ und der Außenwelt oder auch dem ‚Über-Ich‘ (vgl. Freud, 1965, S. 11). Das ‚Über-Ich‘ ist für die Entwicklung einer Moral zuständig. Das ‚Es‘ enthält die Triebe und Bedürfnisse eines Menschen. Das ‚Über-Ich‘ hingegen repräsentiert die Wertevorstellungen. Tabus und Verhaltensnormen der Gesellschaft. Das ‚Ich‘ muss in Situationen, in denen es einen Konflikt zwischen den eigenen Bedürfnissen und den Normen und Werten einer Gesellschaft gibt, abwägen und zwischen dem ‚Es‘ und ‚Über-Ich‘ vermitteln. „Eine Handlung des Ichs ist dann korrekt, wenn sie gleichzeitig den Anforderungen des Es, des Über-Ichs und der Realität genügt, also deren Ansprüche miteinander zu versöhnen weiß“ (ebd., S. 10). Nach Freud war die Entwicklung des ‚Über-Ich‘ erst ab dem 6. Lebensjahr weitgehend abgeschlossen, so dass bis dahin die Eltern oder Erzieher für die Moral zuständig waren (vgl. ebd., S. 59).
Diese Theorie griff Rutschky auf und bezog sie auf die Schwarze Pädagogik. Der Erzieher und die Gesellschaft hatten die Aufgabe für die moralische Entwicklung der Kinder zu sorgen, so dass das Kind die Werte und Normen einer Gesellschaft verinnerlichte und als Teil seiner eigenen Identität ansah. Des Weiteren sollten die eigenen Triebe und Wünsche des Kindes gelenkt werden.
Dabei wurden als Methode unter anderem die Pädagogische Initiation (vgl. Rutschky, 2001, S. 3-23), physische und psychische Gewalt (vgl. ebd., S. 158ff.), Kontrolle und Überwachung (vgl. ebd., S. 184 ff.), Abhärtung (vgl. ebd., S. 250-298), Unterdrückung und Bestrafung verwendet. Rutschky machte außerdem deutlich, dass die Polarisierung zwischen den Erwachsenen und Kindern eine wichtige Grundlage in der Schwarzen Pädagogik war (vgl. ebd., S. 102). Das Kind musste sich den Eltern unterwerfen, da diese mehr Macht hatten. Nur durch das Vorhandensein eines ungleichen Machtverhältnisses war die Schwarze Pädagogik möglich.
2.2. Definitorische Annährung nach Alice Miller
Alice Miller[2] war eine schweizerische Kindheitsforscherin und Autorin zahlreicher Bücher. Nach ihrem Studium absolvierte sie eine Ausbildung zur Psychoanalytikerin und arbeite über zwanzig Jahre in diesem Beruf. In den 1980er Jahren entfernte sie sich aber von den Prinzipien der Psychoanalyse und lehnte diese ab.[3] Miller hatte eine antipädagogische Haltung und hielt Erziehung für schädlich. Ihrer Meinung nach sollte eine Begleitung der Kinder anstelle einer Erziehung stattfinden (vgl. Miller, 1983, S. 122).
Alice Miller griff in ihren zahlreichen Werken den von Katharina Rutschky entwickelten Begriff der Schwarzen Pädagogik auf, befasste sich intensiv mit der Thematik und verortete ihn tiefenpsychologisch. Ihre Erfahrungen und ihr Wissen aus der Psychoanalyse verwendete sie, um unter anderem die Folgen der Schwarzen Pädagogik zu verdeutlichen und die Gründe für die Ausübung dieser Form der Pädagogik zu erklären.
Miller verstand unter dem Begriff der Schwarzen Pädagogik eine „Erziehung, die darauf ausgerichtet ist, den Willen des Kindes zu brechen, es mit Hilfe der offenen oder verborgenen Machtausübung, Manipulation und Erpressung zum gehorsamen Untertan zu machen“ (Miller, 2004, S. 7). Außerdem bezeichnete sie es als die „Erziehungsmethoden, mit denen unsere Eltern und Großeltern aufgewachsen sind“ (Miller, 1983, S. 11). Ihrer Meinung nach war die Erziehung zum Gehorsam und zur sinnlosen Härte dabei besonders wichtig. Die Kinder sollten sich den Erwachsenen völlig unterwerfen (vgl. ebd., S. 89). Das Kindliche und Schwache sollte so schnell wie möglich abgelegt werden, um erwachsen zu werden und damit auch Achtung zu verdienen (vgl. ebd., S. 77).
In Erweiterung zu Rutschky sah sie die Konditionierung zum Nicht-Merken als ein Hauptziel der Schwarzen Pädagogik (vgl. ebd., S. 24). Die Kinder sollten die Misshandlungen und das Leid nicht bemerken. Durch diese Verdrängung wurde die Kindheit häufig in späteren Jahren idealisiert[4]. Als Grund für die Schwarze Pädagogik sah Miller, dass es Eltern häufig schwer fällt, bestimmte Seiten ihres Kindes zu akzeptieren (vgl. ebd., S. 17). Meist wurden sie als Kind ebenfalls geschlagen und arbeiteten durch die Misshandlung ihrer Kinder ihre eigene Kindheit auf. Durch die Idealisierung der Kindheit konnte dieser Teufelskreis nicht unterbrochen werden (vgl. ebd., S. 127).
2.3. Weitere definitorische Annäherungen
Armin Bernhard griff die Aussagen von Katharina Rutschky und Alice Miller auf und bezeichnet die Schwarze Pädagogik als „die massive Verleugnung und Unterdrückung kindlicher Entwicklungsbedürfnisse“ (Bernhard, 2008, S. 71) und „die verdunkelte Seite der pädagogischen Bemühungen“ (ebd., S. 72). Seiner Meinung nach ist die Thematik der Schwarzen Pädagogik sehr aktuell, da sie in der Gegenwart immer noch auftritt, aber in einer totalitäreren Form, als bisher diskutiert wurde (vgl. ebd., S. 87). Aus diesem Grund hält er eine „Revision des pädagogischen Alltagsverständnisses von Schwarzer Pädagogik“ (ebd., S. 86) für notwendig, um sie besser erkennbar zu machen. Schwarze Pädagogik wird meistens auf Erziehung in einem historischen Kontext bezogen. Dennoch taucht Schwarze Pädagogik auch in der Gegenwart noch auf und muss aus diesem Grund auf das heutige Erziehungsverständnis übertragen werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, sich der bestehenden Aktualität bewusst zu sein, und die Schwarze Pädagogik zu bekämpfen.
Der Erziehungswissenschaftler Friedrich Koch bezeichnete die Schwarze Pädagogik in seinen Aufzeichnungen als die „systematische Abrichtung des Menschen auf die Forderungen des bürgerlichen Tugendkatalogs, auf die Gebote von Ordnung und Reinheit, Dankbarkeit, Ehrlichkeit, Gehorsam, Fleiß, Bescheidenheit und Keuschheit“ (Koch, 1995, S. 23). Des Weiteren kennzeichnete der Begriff für ihn die Ziele und Methoden, welche seit dem 18. Jahrhundert an Kindern und Jugendlichen praktiziert wurden, damit sie sich gesellschaftsfähig verhielten (vgl. ebd.). Nach Koch war die Schwarze Pädagogik eine Folge der gesellschaftlichen Anforderungen an einen Menschen und der Druck, diese angestrebte Vollkommenheit zu erreichen. Er bezeichnete die Schwarze Pädagogik als „eine sich selbst erfüllende Prophetie“ (vgl. ebd., S. 61). Damit ist gemeint, dass etwas prophezeit wird und versucht wird zu verhindern, aber dennoch eintritt und sich damit als eine selbsterfüllende Prophezeiung bestätigt. Die Verhaltensmuster, die verhindert werden sollten, treten ein. „Die Schwarze Pädagogik treibt den Zögling zu jedem Verhalten, das sie mit ihren Methoden so emsig verhindern möchte“ (ebd.). Als Beispiel benannte er den Fall Kaspar Hauser[5], welcher zu einem Lehrer kam, der als Vertreter der Schwarzen Pädagogik gesehen wurde. Die Grundprinzipien des Lehrers „waren Argwohn und Mißtrauen [sic]. Stets vermutete er bei seinem Zögling Unaufrichtigkeit, Lüge, List und Verderbtheit“ (ebd., S. 59). Nach einiger Zeit trafen die Vermutungen des Lehrers auf Kaspar Hauser zu, welcher vorher als ein tadelloser, bescheidener und fleißiger Mensch beschrieben wurde. Diesen negativ verlaufenden Erziehungsvorgang bezeichnete er als Kaspar-Hauser-Effekt (vgl. ebd., S. 71f.). Der Effekt beschreibt eine selbsterfüllende Prophezeiung in der Erziehung. Die Erwartungen des Erziehers an den Zögling werden wahr.
2.4. Eigene Definition
Im Folgenden soll eine Definition erstellt werden, welches die vorhergehenden definitorischen Annäherungen einschließt und als Grundlage für diese Arbeit dient: Die Erziehungsform der Schwarze Pädagogik ist kein pädagogisches Konzept, sondern eine Form der Erziehung, welche im Laufe der Geschichte immer wieder angewendet wurde und auch in der Gegenwart noch auftreten kann. Unter Schwarzer Pädagogik wird die systematische Anwendung verschiedener Methoden verstanden, um den Willen des Kindes zu brechen und den Charakter des Kindes nach Vorstellungen des Erziehers und der Gesellschaft zu formen. Das Kind soll nach den Regeln und Wertevorstellungen der jeweiligen Gesellschaft erzogen werden.
Wichtige Prinzipien in der Schwarzen Pädagogik sind Disziplin, die Wahrung der Autorität des Erziehers, starre Regeln, Kontrolle, die Charakterformung des Kindes durch den Erzieher und die Macht des Erziehers über das Kind.
3. Historische Entwicklung der Schwarzen Pädagogik
In diesem Kapitel soll zunächst ein Überblick über die historische Entwicklung der Schwarzen Pädagogik und der Geschichte der Kindheit gegeben werden. Im Anschluss werden zwei Pädagogen vorgestellt, welche als Vertreter der Schwarzen Pädagogik gelten. Am Ende werden die Grundlagen erläutert, auf die sich in der Schwarzen Pädagogik berufen wurde.
3.1. Entwicklung
Die Geschichte der Schwarzen Pädagogik ist eng verknüpft mit der Geschichte der Kindheit. Erziehung setzt voraus, dass es eine Unterscheidung zwischen Erzieher und Zögling gibt, in diesem Falle also eine Unterscheidung zwischen Kind und Erwachsenen. Das Verständnis von Kindheit aus historischer Sicht unterscheidet sich von dem Verständnis in der Gegenwart. Zur Entwicklung des Verständnisses von Kindheit gibt es verschiedene Ansichten. In diesem Kapitel werden vorrangig die Theorien von Philippe Aries und Lloyd deMause betrachtet, da sie die ersten Forscher waren, welche sich mit der Geschichte der Kindheit ausführlich beschäftigten. Ihre Theorien wurden teilweise von Konrad und Schultheis kritisch diskutiert, aus diesem Grund fließen ebenfalls ihre Ansichten in die Arbeit ein. Natürlich gibt es noch weitere Historiker, die sich mit dem Thema der Kindheitsgeschichte befasst haben[6], jedoch wurde in dieser Arbeit wurde lediglich eine Auswahl getroffen.
Der Historiker Philippe Aries[7] entwickelte anhand der Betrachtung von Gemälden und Bilden die These, dass die Kindheit erst ab einem bestimmten Zeitpunkt wahrgenommen wurde. Die Kinder auf den Bildern der zeitgenössischen Kunst wurden nicht als Kinder dargestellt, sondern als kleine Erwachsene. Aries zieht daraus folgenden Schluss: „Bis zum 17. Jahrhundert kannte die mittelalterliche Kunst die Kindheit entweder nicht oder unternahm doch jedenfalls keinen Versuch, sie darzustellen“ (Aries, 2011, S. 92). Im Mittelalter wurden Kinder, seiner Meinung nach, noch nicht als Kinder wahrgenommen. Erst im Laufe des 16. bis 18. Jahrhunderts bekamen die dargestellten Kinder kindlichere Züge und waren als solche erkennbar. Dies ist nach Aries auch die Zeit, in der Eltern angefangen haben ihre Kinder als Kinder wahrzunehmen und als diese zu lieben (vgl. Konrad, 2008, S. 13). Aries spricht dabei von einer Entdeckung der Kindheit. Das „moderne Konzept der Kindheit möge zwar tatsächlich erst zu Beginn der Moderne, zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert seinen Durchbruch erlebt haben“ (ebd., S. 14), aber das Wahrnehmen der Kindheit war ein Prozess, der im Mittelalter seinen Ursprung hatte.
Der Historiker Lloyd deMause[8] fasst diesen Prozess noch weiter und beschreibt den „Wandel der Eltern-Kind-Beziehung von einem eher kühl-distanzierten Verhältnis in der Antike bis hin zu einem emotional-liebevollen in der Moderne“ (deMause, 1980, S. 16). Des Weiteren beschreibt er die Geschichte der Kindheit als „ein[en] Alptraum, aus dem wir gerade erst aufwachen“ (ebd., S. 12). Seiner Meinung nach entwickelt sich erst jetzt ein Bewusstsein über die Grausamkeit, in welcher die Kinder in den letzten Jahrhunderten aufwachsen mussten, und welche Auswirkungen dies auf ihre Entwicklung hatte. Die Lebensbedingungen der Kinder wurden lange Zeit als normal und unvermeidlich betrachtet.
Ab dem 16. Jahrhundert entwickelte sich das Bewusstsein, dass Kinder der Bildung und Erziehung bedürfen (vgl. Konrad, 2008, S. 18). Damit ist vor allem die außerschulische Erziehung innerhalb der Familie gemeint, da es Bildung und Erziehung im Kontext der Schule schon seit der Antike gab (vgl. ebd.). Das 18. Jahrhundert, in dem die Zeit der Aufklärung stattfand, wird auch als das „Pädagogische Jahrhundert“ bezeichnet, da mit einer besonderen Intensität sich mit Fragen der Bildung und Erziehung beschäftigt wurde und die Pädagogik eine besondere Bedeutung erhielt. Im Zeitalter der Aufklärung gab es verschiedene Pädagogen, darunter Jean-Jacques Rousseau und John Locke, welche mit ihren Erziehungsschriften[9] ein neuen Blickwinkel auf die Bedeutung der Erziehung ermöglichten (vgl. Jonach, 1997, S. 7ff.). Dadurch wurde die Phase der Kindheit nicht mehr als ein unumgänglicher Lebensabschnitt gesehen, sondern als eigenständige Zeit im Leben eines Menschen. Die Erziehungsbedürftigkeit des Menschen gewann an Bedeutung. Die Pädagogik wurde aus diesem Grund stärker institutionalisiert und löste sich von der Bevormundung durch die Kirche (vgl. Gudjons, 2008, S. 82f.).
Wichtige Vertreter in der Pädagogik im 18. Jahrhundert waren die Philanthropen. Die Philanthropen „waren eine Gruppe von Pädagogen die zwischen 1750 und 1800 großen Einfluss auf die Entwicklung der pädagogischen Theorie und des Schulwesens hatten“ (ebd., S. 86). Der Begriff Philanthropie leitet sich aus dem griechischen ab und bedeutet Menschenfreundlichkeit. Die Philanthropen wurden stark von den Gedanken der Aufklärung, insbesondere von Rousseau, beeinflusst. Ein wichtiger Punkt in der Pädagogik der Philanthropen war die Erziehung zu den bürgerlichen Tugenden im Zuge der zunehmenden Bedeutung des Bürgertums und eine Ausrichtung der Erziehung auf einen gesellschaftlichen Nutzen. Die Förderung der Selbsttätigkeit und Individualität der Kinder waren ebenfalls sehr wichtig (vgl. Burkard/Weiß, 2008, S. 71). Durch die Vermittlung praktischer Fähigkeiten sollten die Zöglinge auf ihr Leben in der Gesellschaft vorbereitet werden. Dabei wurde die Bedeutung der Kindheit von den Philanthropen immer wieder betont: „Erst müssen die Kinder wieder Kinder werden, wenn die Menschen wieder Menschen werden sollen“ (Basedow/Campe, 1777, S. 62). Wichtige Vertreter, welche ebenfalls häufiger in dieser Arbeit zitiert werden, waren unter anderem Johann Bernhard Basedow, Joachim Heinrich Campe, Christian Gotthilf Salzmann, Friedrich Eberhard von Rochow.
Im Laufe der Geschichte war das Schlagen und Misshandeln von Kindern keine Seltenheit. Bis ins 17. und 18. Jahrhundert wurden Kinder, darunter auch Säuglinge und Neugeborene, häufig ausgepeitscht (vgl. deMause, 1980, S. 17) und bis ins 20. Jahrhundert war es üblich, auch kleine Kinder über mehrere Stunden alleine zu lassen (vgl. ebd., S. 24). Der sexuelle Missbrauch von Kindern zieht sich bis in die Gegenwart. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts war der Glaube verbreitet, dass der Geschlechtsverkehr mit Kindern Geschlechtskrankheiten heilen könnte (vgl. ebd., S. 80). Parallel dazu wurde die Masturbation von Kindern schwer bestraft. Die Kinder wurden festgebunden oder auch in Apparaturen gesteckt, die sie davon abhalten sollten, sich selbst zu berühren. In einigen Fällen wurden die Geschlechtsorgane verstümmelt (vgl. ebd., S. 79).
Nach Alice Miller ziehen sich die Lehren der Schwarzen Pädagogik durch die gesamte Pädagogik (vgl. Miller, 1983, S. 117). Den Höhepunkt erreichte sie um die Jahrhundertwende zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert (vgl. ebd., S. 78). Pädagogik konnte aber erst entstehen, als das Bewusstsein für das Kind und die Entwicklung seiner Bedürfnisse entstand. Katharina Rutschky schränkt den zeitlichen Raum in ihrem Werk ein, und bezeichnet die Schwarze Pädagogik als etwas, dem „Heranwachsende seit dem 18. Jahrhundert ausgesetzt sind“ (Rutschky, 2001, S. XV).
3.2. Vertreter der Schwarzen Pädagogik
In diesem Kapitel wurden exemplarisch zwei Pädagogen gewählt, welche als Vertreter der Schwarzen Pädagogik gelten. Die Auswahl erfolgte, da beide häufig in Quellentexten erwähnt wurden. Die beiden decken sowohl die verschiedenen Geschlechter als auch verschiedene Zeiten ab, da sie in unterschiedlichen Jahrhunderten wirkten.
3.2.1. Dr. Daniel Gottlob Moritz Schreber
Dr. Daniel Gottlob Moritz Schreber[10] war ein deutscher Mediziner, Orthopäde und Pädagoge und gilt laut Katharina Rutschky als einer der Vertreter der Schwarzen Pädagogik. Schreber studierte in Leipzig Medizin und arbeitete nach seiner Promotion als Arzt. Im Jahr 1844 übernahm er die Leitung einer orthopädischen Heilanstalt (vgl. Rethschulte, 1995, S. 16ff.). Aufgrund einer Kopfverletzung im Jahr 1859 konnte er seine Tätigkeit in der Anstalt nicht mehr ausüben und konzentrierte sich auf die Veröffentlichung zunächst medizinischer, aber auch pädagogischer Schriften (vgl. ebd., S. 23), in denen er sich vorrangig an Lehrer und Erzieher wandte und Empfehlungen für das Erziehungs- und Bildungswesen gab (vgl. ebd., S. 41). In einem Erziehungsratgeber richtete er sich ebenfalls an Eltern, die „sich keine besondere pädagogische Bildung aneignen können“ (Schreber zit. nach Rethschulte, 1995, S. 42). Seine Erziehungsratgeber waren in Deutschland sehr populär und wurden teilweise in mehrere Sprachen übersetzt (vgl. Miller, 1983. S. 18).
Schreber begründet seine Erziehungslehre durch die physischen und psychischen Defizite seiner Mitmenschen. Diese Unvollkommenheit macht eine Erziehung notwendig. Die Erziehung ist dabei Aufgabe der Eltern, während Lehrer vorrangig für die Wissensvermittlung zuständig sind. Unter Erziehung versteht er dabei „die gesammte [sic] den Menschen mögliche planmässige [sic] heraufbildende Einwirkung auf das Kind“ (Schreber zit. nach Rethschulte, 1995, S. 61). Schreber geht von der Notwendigkeit der Einwirkung des Erziehers auf den Zögling aus, da dieser sich nicht alleine bilden und erziehen konnte.
Zu Schrebers Erziehungsgrundsätzen gehört unter anderem die Individualisierung. Damit sind die physischen und psychischen Besonderheiten eines jeden Kindes gemeint, welche in der Erziehung beachtet werden müssen (vgl. ebd., S. 65). Ein weiterer Grundsatz ist das „Gesetz der Gewöhnung“, das heißt, dass die Eltern ihrem Kind schlechte Angewohnheiten abgewöhnen sollen und gute Eigenschaften fördern sollen (vgl. ebd.). Schreber legt in seinen Ratgebern auch großen Wert auf die körperliche Erziehung und gibt den Eltern konkrete Anweisungen über Ernährung, Hygiene und Bewegung.
Schreber „war ein überzeugter Anhänger der totalen Kontrolle über Geist und Handlungen eines Kindes“ (Robertson, 1980, S. 576). Diese Kontrolle sollte aber nicht durch Schlagen erlangt werden, sondern durch das kontinuierliche Beobachten der Kinder, welche den Wünschen und Vorstellungen der Eltern entsprechen wollen, und sich deswegen auch nicht schlecht benehmen (vgl. ebd.).
Vertreter der Theorie der Schwarzen Pädagogik, wie Katharina Rutschky und Alice Miller, haben Schreber und seiner Erziehungslehre eine große Bedeutung für die Geschichte der Pädagogik zugestanden. Sie bezeichneten ihn als einen Vertreter der Schwarzen Pädagogik und benannten in ihren Veröffentlichungen verschiedene seiner Texte als Beispiele für diese These, in denen er Strafen als unentbehrlich bezeichnet (vgl. Schreber, 1858, S. 51) oder rät, das Schreien von Kindern zu ignorieren, wenn sie nicht krank sind (vgl. Miller, 1983, S. 19).
Han Israels[11] hingegen vertritt hingegen die These, dass Schreber keine große Bedeutung für die Geschichte der Pädagogik hat (vgl. Israels, 1989, S. 200). Die große Popularität Schrebers ist vor allem auf den Umstand zurückzuführen, dass sein Sohn[12] als Fall von Sigmund Freud untersucht wurde und durch ihn stark publiziert wurde.
Letztendlich ist die Darstellung Schrebers immer von der Auswahl seiner Texte abhängig und muss von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet werden. Zum einen hat er vor allem auch in medizinischer und orthopädischer Sicht viele Erkenntnisse in dieser Zeit erlangt. Dennoch ist die Tatsache, dass sein einer Sohn stark psychisch erkrankte und ein anderer Sohn Suizid beging, nicht außer Acht zu lassen, da dies Zeichen für Folgen der Schwarzen Pädagogik sein können. Bei einer Betrachtung eines Pädagogen ist vor allem die Einbeziehung der gesellschaftlichen und zeitlichen Umstände zu beachten. Dabei ist anzunehmen, dass die Ansichten Schrebers in seiner Zeit kein Einzelfall waren.
3.2.2. Johanna Haarer
Johanna Haarer[13], geborene Barsch, war eine deutsche Ärztin, Autorin verschiedener Erziehungsratgeber und Mitglied der NSDAP. Ihre Bücher „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“, „Unsere kleinen Kinder“ und „Mutter, erzähl von Adolf Hitler!“ galten in der Ausbildung zum Erzieher im dritten Reich als Pflichtlektüre. Die Bücher erreichten eine sehr hohe Auflage und wurden auch nach Ende des Nationalsozialismus noch publiziert. Ihre Erziehungsvorstellungen in ihren Büchern waren stark an Hitlers „Mein Kampf“ und seine Erziehungsvorstellungen angelehnt. Die Bücher sollten „auf das nationalsozialistische System hin erziehen“ (Chamberlain, 1997, S. 8). Ziel war die politische Indoktrination der Kinder (vgl. ebd.). In den Büchern sind genaue Anweisungen zu finden, wie die Mütter mit den Kindern umgehen sollten und welche Voraussetzungen sie für die richtige Erziehung schaffen sollten. Der Wahl des Partners wurde dabei eine große Bedeutung zugemessen, da dies darüber entscheide, inwiefern der Nachwuchs erbkrank sein könnte oder nicht[14]. „Im Augenblick der Befruchtung seien nämlich schon alle körperlichen und charakterlichen Eigenschaften des Kindes festgelegt“ (Chamberlain, 1997, S. 16).
Zu den Grundsätzen der Erziehungsratgeber gehörte ebenfalls die Erziehung zur Härte. Die Mütter wurden angehalten, von Anfang an zu erziehen und hart zu ihrem Kind zu sein. Dazu gehörte unter anderem die Aufforderung, in den ersten 24 Stunden nach der Geburt das Kind alleine zu lassen und es erst dann zu Stillen (vgl. ebd., S. 23). Das Kind sollte auch in der weiteren Entwicklung viel alleine gelassen werden. „Von vorneherein machen sich die ganze Familie zum Grundsatz, sich nie ohne Anlaß [sic] mit dem Kinde abzugeben“ (Haarer zit. nach Chamberlain, 1997, S. 25). Die Mutter sollte vor allem beim Weinen des Kindes hart bleiben und es ignorieren. Dies wird damit begründet, dass das Kind schnell verwöhnt wird. „Das Kind gewöhnt sich an die ständige Nähe und Fürsorge eines Erwachsenen und gibt bald keine Ruhe mehr, wenn es nicht Gesellschaft hat und beachtet wird“ (Haarer zit. nach Chamberlain, 1997, S. 32). Aus diesem Grund sollte das Kind auch nur wenig getragen werden und beim Stillen nicht angeschaut werden. Jegliche Abweichungen oder Fehler des Kindes sollten bestraft werden. Dies geschah oft durch Demütigung (vgl. ebd., S. 36).
Johanna Haarer beschreibt in ihren Büchern viele Methoden und Grundsätze[15], die typisch für die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse, aber auch für die Schwarze Pädagogik sind. Dazu gehören unter anderem das Bestrafen, die Demütigung und die klaren Herrschaftsverteilungen innerhalb der Familie.
Aus heutiger Sicht sind ihre Praktiken abzulehnen, da sie unter anderem den Erkenntnissen in der Entwicklungspsychologie wiedersprechen. Die Bindungstheorie von Bowlby besagt, dass ein Kontakt zwischen Mutter und Kind sehr wichtig für die weitere Entwicklung des Kindes ist. Die Erziehung im Nationalsozialismus hat starke Auswirkungen auf die physische und psychische Entwicklung der Kinder gehabt. Die Erziehungsprinzipien wirkten auch noch nach Ende des Nationalsozialismus weiter.
3.3. Grundlagen der Schwarzen Pädagogik
Alle Erziehungsideale haben ihren Ursprung. Die Methoden und Ziele der Schwarzen Pädagogik lassen sich größtenteils durch die damalige Auslegung der Bibel und die Werte der katholischen Kirche begründen[16]. In der Bibel steht im Buch Sirach[17]: „Wer seinen Sohn liebhat, der hält für ihn die Rute bereit, damit er später Freude an ihm erlebe“ (Bibel, Sirach 30, 1). Wenige Absätze später heißt es: „Verhätschelst du dein Kind, so mußt [sic] du dich vor ihm fürchten; spielst du mit ihm, so wird es dich betrüben“ (Bibel, Sirach 30, 9). Die Bibel schrieb eine Erziehung zur Härte vor und warnte vor möglichen Konsequenzen bei der Nichteinhaltung. In den 10 Geboten heißt es: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“ (Bibel, 2. Mose 20, 12). Durch die Auslegung des Gebotes[18] wurden die Herrschaftsverhältnisse zwischen Kindern und Eltern festgelegt. Die Eltern konnten sich auf dieses Gebot berufen und nutzten diese Macht aus, um mit ihren Kindern zu tun, was immer sie wollten.
Auch die politischen Verhältnisse legten diese fest. Die Wurzeln des elterlichen Züchtigungsgesetzes lassen sich bis in die Anfänge der römischen Rechtsentwicklung zurückverfolgen (vgl. Brinkmann, 1912, S. 3). Im deutschen Kaiserreich wurde im Jahr 1896 der §1631 Absatz 2 im Bürgerlichen Gesetzbuch erlassen, welches dem Vater das Recht gab sein Kind zu züchtigen: „Der Vater kann kraft [sic] des Erziehungsrechtes angemessene Zuchtmittel gegen das Kind anwenden“ (ebd.). Nur das Erziehungsrecht, welches lediglich den Eltern zugesprochen wurde, berechtigte zu dem Züchtigungsrecht. Jemand, der nicht das Erziehungsrecht besaß, war also auch nicht berechtigt ein Kind zu züchtigen. Das Züchtigungsrecht[19] galt also meist nur für die Eltern. Die Kinder durften nur begründet gezüchtigt werden. Besonders wichtige Züchtigungsgründe waren „Ungehorsam, Achtungsverletzung gegen Eltern, Vorgesetzte, Verwandte und ältere […], Trägheit und ähnliche Handlungen“ (ebd.).
[...]
[1] *1942 - †2010
[2] *1923 - †2010
[3] Ihrer Meinung nach verschleiert die Psychoanalyse die Folgen von Kindesmisshandlungen (vgl. Miller, 1990, S. III).
[4] Dieses Problem wird in einem späteren Kapitel ausführlicher behandelt.
[5] Kaspar Hause war ein Junge, welcher 1828 im Alter von etwa 16 Jahren in Nürnberg gefunden wurde und sein Leben scheinbar zuvor in absoluter Isolation verbrachte (vgl. Koch, 1995, S. 11ff.)
[6] Dazu gehört unter anderem Jan Hendrik van den Berg.
[7] *1914 - †1984
[8] *1931
[9] Dazu gehört „Emile oder über die Erziehung“ (1762) von Jean-Jacques Rousseau und „Gedanken über die Erziehung“ (1693) von John Locke (vgl. Jonach, 1997, S. 7).
[10] *1808 - †1861
[11] Han Israels ist Soziologie beschäftigte sich mit Schreber, seinem Wirken und dem Verhältnis zu seinen Kindern.
[12] Paul Schreber wurde als „geisteskrank“ (Israels, 1989, S. 200) und „paranoid“ (Miller, 1983, S. 18) beschrieben.
[13] *1900 - †1988
[14] In diesen Aufforderungen greift sie die Rassentheorie von Adolf Hitler auf und beurteilt die Menschen aufgrund ihrer Herkunft. Die Paarung einer deutschen Frau mit einem Juden könnte unter anderem zu einem erbranken Kind führen und dies ist zu vermeiden (vgl. Chamberlain, 1997, S. 16).
[15] Diese werden in einem späteren Kapitel beschrieben.
[16] Dabei sind vorrangig die traditionelle Bibelauslegung und konservative Ansichten gemeint. In dieser Arbeit soll weder das Christentum beleidigt, noch soll ihm die Schuld zugeschoben werden. Es geht hier lediglich um eine historische Betrachtung.
[17] Jesus Sirach gehörte zu den Spätschriften des Alten Testamentes (Apokryphen).
[18] Das Gebot hat im ursprünglichen den Sinn, dass die Kinder ihre Eltern im Alter versorgen und sie auch noch im Alter ehren sollten.
[19] Die Prügelstrafe, die vor allem in der Schule durchgeführt wurde, zählte dabei nicht zwingend in das Züchtigungsrecht rein.