Experimentelle Wirtschaftsethik

Was ist Experimentelle Wirtschaftsethik, braucht es sie und welchen Beitrag kann sie leisten?


Bachelorarbeit, 2012

44 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Überblick über die Wirtschaftsethik
2.1 Definitionen
2.2 Ethische Grundkonzepte
2.3 Angestrebter Wirtschaftsethos
2.3.1 Grundlage der Forderungen
2.3.2 Forderungen des Globalen Wirtschaftsethos
2.4 Betrachtungsebenen der Wirtschaftsethik
2.4.1 Individualethik
2.4.2 Institutionenethik
2.4.3 Ordnungsethik

3 Sozialwissenschaftiche Forschung
3.1 Grundlagen sozialwissenschaftlicher Forschung
3.1.1 Der Forschungsprozess
3.1.2 Empirische Daten
3.1.3 Das Experiment
3.2 Experimente in den Sozialwissenschaften
3.2.1 Experimentelle Psychologie
3.2.2 Experimentelle Ökonomie
3.2.3 Experimentelle Philosophie

4 Experimentelle Wirtschaftsethik
4.1 Daseinsberechtigung
4.2 Ausgestaltung
4.2.1 Methodik
4.2.2 Herausforderungen
4.2.3 Fragestellungen
4.2.4 Konkretes Design
4.3 Beitrag zum Fortschritt

5 Literatur

1 Einleitung

Viele der in den Medien und damit in der öffentlichen Wahrnehmung dominierenden Themen der letzten Jahre haben eine erhebliche wirtschaftsethische Komponente. Oft wird das Verhalten von Wirtschaftsakteuren als legitim aber unethisch eingestuft. Prominente Ereignisse, als deren Ursache derartiges Verhalten gilt, sind Katastrophen wie die Finanzkrise oder Fukushima. Aber auch weniger apokalyptisches, wie die immer noch hinkende Gleichberechtigung von Frauen in Unternehmen, sind ethische Probleme. Die Häufung derartiger wirtschaftsethischer Krisen in der jüngeren Geschichte hat in der Gesellschaft eine tiefgreifende Entwicklung in Gang gesetzt. Energiewende, Finanzmarktreform und Frauenquote sind nur die bekanntesten Forderungen.

Studien haben gezeigt, dass Berufseinsteiger vermehrt größeren Wert auf die Nachhaltigkeit und Sinnhaftigkeit potentieller Arbeitgeber sowie auf die ethischen Qualitäten des Topmanagements legen. Damit haben diese Faktoren indirekt Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen, indem sie deren Attraktivität für hochqualifizierte Bewerber beeinflussen (Welpe, Tumasjan et al. 2010). Konzepte wie Corporate Social Responsibility begegnen diesen Erwartungen, aber auch neue Phänomene wie social innovation oder social entrepreneurship demonstrieren das Momentum dieser Entwicklung.

Auch an den Universitäten ist der Trend erkennbar. Die Vergabe der Fördermittel im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes an die TU München ist eng mit wirtschaftsethischen Themen verknüpft. Das neu eingerichtete Munich Center for Technology in Society forscht unter anderem auch an Themen aus den Bereichen der Unternehmens- und Wirtschaftsethik. Im Rahmen einer Diskussion über das grundsätzliche Selbstverständnis der Ethik als Wissenschaft ist vor wenigen Jahren eine Diskussion darüber entfacht ob es Sinn macht, dass Wirtschaftsethiker eigene Labore einrichten und Experimente mit sozialwissenschaftlicher Methode durchführen. Die Forderung nach einem stärkeren Einbezug empirischer Befunde in die „Lehnstuhl- Theorien“ der (Wirtschafts-) Ethik ist schon älter. In ihrem Artikel „Business Ethics: A Synthesis of Normative Philosophy and Empirical Social Science" formulierten B. Victor und C. U. Stephens bereits 1994 folgende Erkenntnis: „To ignore the descriptive aspects of moral behavior is to risk unreal philosophy; and to ignore the normative aspects of moral behavior is to risk amoral social science.“1 (Victor and Stephens 1994). Bereits vier Jahre zuvor stellten D. M. Randall und A. M. Gibson in ihrem Artikel „Methodology in Business Ethics Research - A Review and Critical Assessment" ausserdem fest, dass es der ohnehin spärlichen empirischen Forschung in der Wirtschaftsethik bis dato erheblich an Qualität mangelte (Randall and Gibson 1990).

Zusätzlichen Auftrieb bekam die Idee von Experimenten in der (Wirtschafts-) Ethik durch das Buch „Ethische Exprimente“ von Kwame Anthony Appiah, in dem er unter anderem die Frage aufwirft: „Welchen Sinn hätten Normen, denen die Menschen aus psychologischen Gründen gar nicht zu folgen vermöchten?“2 (Appiah 2009). Die von Karl Homann entwickelte Anreizethik folgt demselben Gedankengang und überträgt diesen in die moderne, von ökonomischen Anreizen getriebene Wettbewerbsgesellschaft. Homann stellt folgende These auf: „Die normative Gültigkeit von moralischen Regeln hängt von der anreizkompatiblen Implementierbarkeit ab: Die Implementierbarkeit schlägt auf die Geltung durch.“3 (Homann 2002). Dieser Ansatz unterscheidet sich stark von dem Ansatz, den beispielsweise Hans Küng, Klaus M. Leisinger und Josef Wieland bei ihrer Suche nach einem global gültigen Wirtschaftsethos verfolgen.

Das Ziel dieser Bachelorarbeit ist es herauszuarbeiten, welchen Beitrag Experimente in der Wirtschaftsethik zum wissenschaftlichen Fortschritt in dieser Disziplin leisten können.

Zu diesem Zweck werde ich zunächst im ersten Kapitel einen kurze Überblick über die Grundlagen der Wirtschaftsethik geben und auf aktuelle Theorien, Probleme und Entwicklungen eingehen. Im zweiten Kapitel werfe ich zunächst einen Blick auf die generelle Forschung in den Sozialwissenschaften und den besonderen Stellenwert, den Experimente in diesen Disziplinen einnehmen. Danach beschreibe ich die experimentelle Forschung in der Wirtschaftsethik benachbarten Wissenschaften, die schon seit längerem auf diese Methode zurückgreifen. Abschließend werde ich im letzten Kapitel darstellen, wie sich Experimente in der Wirtschaftsethik von denen anderer Disziplinen abgrenzen, welchen zusätzlichen Nutzen sie haben und welche Erkenntnisse mit dieser Methode zu erzielen sein könnten. Darüber hinaus werde ich verschiedene Methoden für eine experimentelle Wirtschaftsethik erörtern, Herausforderungen aufzeigen sowie ein mögliches konkretes Experiment beschreiben.

2 Überblick über die Wirtschaftsethik

In diesem Kapitel werde ich zunächst die wichtigen Begrifflichkeiten der Wirtschaftsethik klären und die grundlegenden Typen von Ethik erläutern. Als nächstes werde ich aufzeigen, welche Bedeutung der Wirtschaftsethik in der globalisierten Weltwirtschaft beigemessen wird, was ihre Forderungen sind und wie sie in Kombination mit der Marktwirtschaft zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen kann. Ich werde die Konsequenzen darstellen und erläutern, die sich für Individuen, Unternehmen und die Gesellschaft aus einem Bekenntnis zu ethischem Wirtschaften ergeben.

Ich werde die unterschiedlichen Betrachtungsebenen der Wirtschaftsethik aufzeigen sowie einzelne Theorien nennen und kurz erläutern, die den Status Quo erklären, und zu verschiedenen Schlüssen und Empfehlungen kommen.

2.1 Definitionen

Zu Beginn dieses einleitenden Überblicks möchte ich den Begriff der Wirtschaftsethik klar definieren. Ethik ist die Theorie der Moral als Gegenstand, das heisst sie untersucht den Komplex von Regeln und Normen, die das Handeln der Menschen bestimmen oder bestimmen. Ethik befasst sich also mit den Prinzipien der Moral, dem Zusammenhang der einzelnen Normen sowie deren Entstehung, Begründung, Funktion und Konsistenz. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Ethik ist das Aufzeigen von Lösungen für den Fall, dass es zu moralischen Konflikten, also zu unterschiedlichen Handlungsempfehlungen durch verschiedene Normen kommt. (Homann and Lütge 2005)

Die Ökonomik, deren moralische Konflikte in der Wirtschaftsethik thematisiert werden, befasst sich mit der „Erklärung und Gestaltung der Bedingungen und Folgen von Interaktionen auf der Grundlage individueller Vorteils-/Nachteils-Kalkulationen“4. (Homann and Lütge 2005)

Aufgabe der Wirtschaftsethik ist es also als informeller Steuerungsmechanismus zu wirken sowie konkrete Regeln zu finden und zu etablieren. Damit kann sie helfen, die schöpferische Kraft der (Markt-) Wirtschaft so zu lenken, dass sie moralischen Prinzipien genügt und zu einem „...allgemeinen und nachhaltigen Wohlstand und Vorteil aller Völker und ihrer Volkswirtschaften...“5 führt. (Küng, Leisinger et al. 2010)

Im folgenden Abschnitt stelle ich kurz die Grundtypen der Ethik dar, auf denen weiterführende wirtschaftsethische Theorien basieren.

2.2 Ethische Grundkonzepte

Es wird zwischen zwei Ethik-Typen unterschieden. Bei der deontologischen Ethik zeichnet der oder die Handelnde nur für die isoliert betrachtete Handlung verantwortlich. Diese wird als moralisch gut oder moralisch verwerflich eingestuft, ohne die tatsächlichen und möglichen, guten oder schlechten, Konsequenzen eines Tuns oder Unterlassens zu berücksichtigen. Entscheidend ist lediglich, ob die Handlung einer gültigen Norm entspricht und aus der Verpflichtung dazu begangen wird. Dieser Kategorie kann der von Immanuel Kant aus der Pflicht abgeleitete und mit der Vernunft begründete kategorische Imperativ zugerechnet werden. Ein weiterer Ansatz, der der Logik der deontologischen Ethik folgt, ist die Gesinnungsethik. Hierbei wird eine Handlung anhand der ihr zugrunde liegenden Motive bewertet. Nach Max Weber genügt in diesem Ansatz allein der Eigenwert des ethischen Handelns zu seiner Rechtfertigung. (Weber 1917) Die wohl radikalste Form einer deontologischen Ethik entspringt einer Auffassung des Naturrechts als angestammtes Recht der besseren Leistung, über das sich Ideologien wie die des Faschismus rechtfertigen. (Homann and Lütge 2005)

Demgegenüber bewertet der Ansatz der teleologischen Ethik Handlungen aufgrund der durch sie herbeigeführten Zustände als moralisch gut oder moralisch verwerflich. Für Handlungsentscheidungen werden jeweils die vor- und nachteiligen Konsequenzen gegeneinander abgewogen. Dies beinhaltet das Verhältnis zwischen Zweck und Mitteln sowie die zu erwartenden unerwünschten Nebeneffekte. Das Paradebeispiel für eine solche Ethik ist der Utilitarismus. Dieser besagt, dass jene Handlung gut bzw. die Richtige ist, die ein Maximum an Nutzen für die Gesamtheit der Betroffenen herbeiführt. Dabei wird der Gesamtnutzen als Summe der Einzelnutzen auf einen „Pro-Kopf- Nutzen“ umgerechnet, was dazu führt, dass einzelne Individuen einem „Gemeinwohl“ geopfert werden können. (Homann and Lütge 2005)

Die konkreten moralischen Prinzipien, die in der Wirtschaftsethik gefordert werden und an denen sich Handlungen messen lassen müssen, sowie deren Ursprung und Bedeutung sind im folgenden Abschnitt dargestellt.

2.3 Angestrebter Wirtschaftsethos

Lokale Unterschiede in dem Verständnis der Prinzipien von Wirtschaftsethik in einer globalisierten Wirtschaft führen auf lange Sicht zu Wettbewerbsverzerrungen. Moralische Vorleistungen von Einzelnen können von weniger moralischen Akteuren ausgenutzt werden. Dies führt dazu, dass sich moralisch handelnde Unternehmen schwieriger am Markt behaupten können und ultimativ vom Markt verschwinden. Diese logische Schlussfolgerung hat dazu geführt, dass die UN sich gemeinsam mit Unternehmen auf globale Normen für ethisches Wirtschaften geeinigt hat. Deren Ursprung und Inhalte möchte ich im Folgenden kurz erläutern.

2.3.1 Grundlage der Forderungen

Ich möchte kurz auf den historischen Ursprung der Inhalte und Werte eingehen, die von der modernen Wirtschaftsethik gefordert werden.

Seit sich die Wirtschaftswissenschaften im 19. Jahrhundert aus der Philosophie entwickelt haben, existiert die Disziplin der Wirtschaftsethik als ein eigenständiges Teilgebiet der Ethik. Entsprechend verwunderlich scheint es, dass es bis zum Jahr 2009 gedauert hat, bis ein Wirtschaftsethos definiert wurde, der von der UN getragen wird und globale Gültigkeit beansprucht.

Die inhaltlichen Wurzeln des Globalen Wirtschaftsethos liegen in den 1948 festgelegten und von der UN verabschiedeten Menschenrechten, die seither von fast allen Staaten der Welt anerkannt wurden.

Im Jahr 1993 trafen sich in Chicago Vertreter vieler unterschiedlicher Religionen, um sich im Rahmen des „Projekt Weltethos“ auf für alle Menschen gültige Normen zu verständigen und diese in einer „Erklärung zum Weltethos“ auszuformulieren. Diese Erklärung begründet die Menschenrechte von 1948 ethisch und stützt sich dabei auf folgende Grundforderung: „Jeder Mensch muss menschlich behandelt werden! Ferner gilt als Gemeinsamkeit die Goldene Regel.“6 Die Goldene Regel besagt einfach gesprochen: „Was du nicht willst, dass man dir tu', das füg' auch keinem anderen zu!“ Im Kern verpflichten sich alle, die diesen Weltethos anerkennen dazu, folgende Werte in ihrer Kultur zu verankern, diese zu pflegen und durch entsprechendes Handeln mit Leben zu erfüllen: Gewaltlosigkeit und Ehrfurcht vor allem Leben, Solidarität und eine gerechte Wirtschaftsordnung, Toleranz und ein Leben in Wahrhaftigkeit sowie Gleichberechtigung und die Partnerschaft von Mann und Frau. (Weltethos 1993)

Diese Erklärungen zu einem Weltethos auf Basis des weiterentwickelten Prinzips der Humanität nahmen die Autoren einer Arbeitsgruppe der „Stiftung Weltethos“ in ihrem „Manifest Globales Wirtschaftsethos“ als Ausgangspunkt für die Formulierung von ethischen Normen für eine globalisierte Wirtschaft. Das Manifest umfasst 13 Artikel und wurde im Jahr 2009 gemeinsam mit dem UN Global Compact, einem weltweiten Pakt zwischen UNO und Unternehmen, der für eine soziale und ökologische Globalisierung eintritt, in New York vorgestellt.

2.3.2 Forderungen des Globalen Wirtschaftsethos

In den 13 Artikeln des „Manifest Globales Wirtschaftsethos“ werden die vier oben genannten abstrakten Grundwerte der Humanität von den Autoren weiterentwickelt, spezifiziert (Artikel 1 bis 4) und für das praktische Wirtschaftsgeschehen auf Entscheidungen, Handlungen und Verhalten anwendbar gemacht. (Küng, Leisinger et al. 2010)

Gewaltlosigkeit und Achtung vor dem Leben: Alle Menschen haben die Pflicht, das Recht auf Leben und auf seine Entfaltung zu achten. Jede Form von Gewalt als Mittel zum wirtschaftlichen Zweck ist abzulehnen. Alle Wirtschaftsakteure müssen jede Verletzung international anerkannter Normen des Arbeitsrechts (Sklavenarbeit, Kinderarbeit, Zwangsarbeit, körperliche Züchtigung, etc.) zurückdrängen und abschaffen.

Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, dass zu Menschenrechtsverletzungen von Geschäftspartnern nicht beigetragen oder gar davon profitiert wird. Ausserdem sind die Arbeitssicherheit, Produktsicherheit und Unschädlichkeit der Produkte für die Gesundheit zu gewährleisten (Artikel 5). Die Verschwendung von Ressourcen und die Verschmutzung der Umwelt ist durch den Einsatz entsprechender Verfahren und Technologien zu minimieren. Der Zugang zu zukunftsfähiger Energie, sauberem Wasser und unverschmutzter Luft sind Elementarbedingungen des Lebens, zu denen jeder Mensch Zugang haben muss (Artikel 6).

Gerechtigkeit und Solidarität: Wirtschaftliche und politische Macht darf nicht zum rücksichtslosen Kampf um Herrschaft missbraucht werden. Eigeninteresse und Wettbewerb dienen der Entwicklung der Leistungsfähigkeit und der Wohlfahrt aller Beteiligten. Die Einhaltung des geltenden nationalen und internationalen Rechts ist eine Pflicht für alle Wirtschaftsakteure. Defizite in der Qualität oder der Erzwingung der Rechtsnormen sind durch Selbstverpflichtung und Selbstkontrolle auszugleichen; keinesfalls dürfen sie zu Gewinnzwecken ausgenutzt werden (Artikel 7). Alle Handelnden in der Wirtschaft haben die Pflicht, sich präventiv für die Zurückdrängung und Abschaffung aller korrupten Praktiken (Bestechung, Kartellabsprachen, Patentverletzungen, Industriespionage, etc.) zu engagieren (Artikel 8). Grundlegendes Ziel einer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, die auf Verteilungsgerechtigkeit, Chancengleichheit und Solidarität zielt, ist eine menschliche Entwicklung, die auf Förderung derjenigen Kompetenzen und Ressourcen hinarbeitet, mit denen Menschen befähigt werden, ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben zu führen (Artikel 9).

Wahrhaftigkeit und Toleranz: Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit sind die Voraussetzungen für die Bildung von Vertrauen im zwischenmenschlichen Miteinander sowie im ökonomischen Wettbewerb. Zudem gilt es, das Recht auf Privatsphäre sowie persönliche oder berufliche Vertraulichkeit zu schützen (Artikel 10). Die individuelle Vielfalt der Wirtschaftsakteure ist eine mögliche Quelle der globalen Wohlfahrt. Die Diskriminierung von Menschen wegen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, ihrer Nationalität oder ihres Glaubens ist unvereinbar mit den Prinzipien eines globalen Wirtschaftsethos. Menschenverachtendes und menschenverletzendes Handeln ist nicht zu tolerieren (Artikel 11).

Gegenseitige Achtung und Partnerschaft: Alle Menschen haben nicht nur eine unverletzliche Würde und unveräußerliche Rechte, sondern auch eine unabweisbare Verantwortung für das, was sie tun und nicht tun. Wirtschaftliche Kooperation basiert auf Respekt, Fairness und Aufrichtigkeit gegenüber dem Anderen. Achtung und Partnerschaft sind die unverzichtbare Basis, um auch die negativen Konsequenzen wirtschaftlichen Handelns gemeinsam anzugehen und aufzulösen (Artikel 12). Das Recht sich zusammenzuschließen und kollektiv sein Interessen verantwortungsbewusst wahrzunehmen ist als Mindeststandard anzuerkennen (Artikel 13).

Im nächsten Abschnitt gehe ich auf die unterschiedlichen Betrachtungsebenen der Wirtschaftsethik ein und stelle jeweils einige verbreiteten Konzepte dar, die Ansätze liefern, wie die oben dargestellten idealen Prinzipien erreicht werden könnten und welche Konsequenzen sich daraus für das Handeln der Wirtschaftsakteure ergeben.

2.4 Betrachtungsebenen der Wirtschaftsethik

Die Mehrzahl der Theorien in der Wirtschaftsethik verfolgen dieselben oben genannten Prinzipien, unterscheiden sich jedoch in ihrer Betrachtungsebene sowie in den zugrunde liegenden ethischen und ökonomischen Theorien. Dementsprechend kommen sie zu unterschiedlichen Interpretationen der Ursachen von Missständen sowie Erklärungsansätzen und den daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen. Es gestaltet sich überaus schwierig, einzelne Ebenen isoliert zu betrachten, weshalb viele Theorien wie zum Beispiel die Integrative Wirtschaftsethik nach Peter Ulrich alle Betrachtungsebenen umfassen. Das gemeinsame Erkenntnisinteresse aller wirtschaftsethischen Forschung kann auf die Form gebracht werden: „Was kann man realistischerweise tun, um die ethische Qualität zumindest im Sinne der sozialen und ökologischen Verträglichkeit, in Bezug auf die Respektierung der Menschenrechte und die Maximierung positiver und Minimierung negativer externer Effekte unternehmerischen Handelns zu verbessern?“7 (Küng, Leisinger et al. 2010)

2.4.1 Individualethik

Auf dieser Betrachtungsebene liegt der Fokus auf dem Individuum, sei es nun in der Rolle eines Managers, Lieferanten, Kunden oder eines sonstigen Mitglieds der Gesellschaft. In der jüngsten Vergangenheit dominiert in den Medien das Bild von den „gierigen Bankern“ und „skrupellosen Hedgefonds-Managern“. Dies hat dazu geführt, dass dieser ethischen Betrachtungsebene, auf der die Verantwortung für ethisches Wirtschaften klar einer Person zugeordnet werden kann, erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt wird. Es wird vielfach die fehlende Tugendhaftigkeit von Führungspersonen bemängelt. Dabei ist Tugend als Charaktermerkmal zu sehen und damit abhängig von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Individuums und geprägt durch soziale Konditionierung und Gewöhnung. Diese Entwicklung ist ein großes Problem, da die Grundlage für erfolgreiches Wirtschaften, wie weiter oben erläutert, auch im Vertrauen der Wirtschaftsakteure zueinander liegt. Schwindet nun dieses Vertrauen aufgrund des Fehlverhaltens Einzelner, reduziert dies die Effizienz des gesamten Wirtschaftssystems, da mangelndes Vertrauen durch formelle Kontrollmechanismen ersetzt werden muss.

Eine kurzfristige Behebung dieses Vertrauensdefizits ist schwierig. Es muss bereits in der Ausbildung von Nachwuchs-Führungskräften auf eine Ausrichtung auf Nachhaltigkeit geachtet werden. In einem Artikel aus dem Jahr des Beginns der aktuellen Krise 2007 kritisieren Sumantra Ghoshal und Rakesh Khurna die unkritischen, auf kurze Renditesteigerung ausgerichteten Ausbildungsmuster an amerikanischen Business Schools. Eine Ausnahme und Vorbild ist die Harvard Business School, an der Absolventen eine Art hippokratischen Eid ablegen müssen, der folgende Passage enthält: „Ich werde stets mit der grösstmöglichen Integrität handeln und meiner Arbeit in einer ethischen Weise nachgehen.“(Ghoshal and Khurna 2007) Eine weitere Möglichkeit, die Sensibilität für ethisches Verhalten und Handeln von Individuen in Unternehmen zu erhöhen, bieten Ethikseminare.

Da sich Individuen meist innerhalb von institutionellen Rahmenbedingungen bewegen, auf die der Einzelne kaum Einfluss hat, innerhalb derer aber moralische Vorleistungen möglicherweise mit negativen Konsequenzen wie Ausbeutung oder verminderten Karriereaussichten verbunden sind, müssen die moralischen Prinzipien des Wirtschaftsethos auch auf der Organisationsebene verankert sein.

2.4.2 Institutionenethik

Die Institutionenethik befasst sich mit der Frage, wie beispielsweise Unternehmen ethische Normen in ihrer Organisation und Strategie verankern können und wie diese mit den Gesetzen des Wettbewerbs vereinbar sind oder vereinbart werden können. Unternehmen kombinieren in ihrer Organisation die Fähigkeiten, Kompetenzen und das Wissen aller Mitarbeiter sowie andere Ressourcen und sind dadurch in der Lage eine Vielzahl komplexer Handlungen gleichzeitig ausführen zu können. Diese Fähigkeit verpflichtet Unternehmen mindestens genauso wie die einzelnen Individuen dazu, neben ihrer operativen Tätigkeit auch ethische Verantwortung wahrzunehmen sowie deren Entwicklung und Verbreitung voranzutreiben. Eine besondere Verantwortung kommt jedoch in jedem Falle den Führungseliten einer Institution zu, da diese großen Einfluss auf die gelebten Werte und die Ethikkultur im Unternehmen haben. Letztlich sind es immer Menschen, die, innerhalb welcher institutionellen Rahmenbedingungen auch " immer, moralische oder unmoralische Entscheidungen treffen und dafür die Verantwortung tragen. Jedoch sind diese Entscheidungen in erheblichem Maße durch das Umfeld beeinflussbar. (Leisinger 1997)

Je geringer die individuelle Handlungsfreiheit innerhalb einer Organisation wird, desto wichtiger werden klar formulierte und eindeutig definierte Governance-Strukturen wie beispielsweise Richtlinien, Codes of Conduct sowie Organisations- und Führungsstrukturen. Leistungsbeurteilungs- und Anreizsysteme müssen ethische Prinzipien fordern und fördern. Es muss „Whistleblower“-Strukturen geben, die es ermöglichen, moralisches Fehlverhalten zu melden, ohne Angst vor persönlichen Konsequenzen haben zu müssen. Hierzu ist die von Josef Wieland entwickelte Governance-Ethik wegweisend, die sich auf die Anwendung von Ethik auf Managementprozesse in lokalen Problemkonstellationen konzentriert. Erreicht wird dies durch die geordnete, stufenweise Einführung von Ethik-Management-Systemen, die einen klaren Prozess vorgeben, mit dessen Hilfe ethische Werte und entsprechendes Verhalten in allen Bereichen eines Unternehmens etabliert werden können. Wieland vertritt die These, dass in der globalisierten Wirtschaft international agierenden Unternehmen eine wesentliche gesellschaftliche Steuerungsaufgabe zufällt. Mit der Globalisierung findet auch eine Internationalisierung der Zivilgesellschaft statt. Diese verlangt in Gestalt von Nichtregierungsorganisationen ein verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln. Dies zeigt sich in Konzepten wie der Corporate Social Responsibility, Corporate Citizenship oder dem UN Global Compact (siehe Globaler Wirtschaftsethos). Essenziell ist, dass die in solchen Instrumenten der freiwilligen Selbstverpflichtung proklamierten Werte nicht nur bloße Lippenbekenntnisse sind, sondern im Unternehmen gelebt werden und Einfluss auf Beförderung und damit das Einkommen der Mitglieder der Organisation haben. Das moralisch gebotene Handeln muss sich auch unter egoistischen Gesichtspunkten lohnen (Leisinger 1997).

Die Erkenntnis, dass sich ein Handeln nach moralischen Prinzipien innerhalb einer fixen Rahmenordnung für jeden lohnen muss, um tragfähig implementierbar zu sein, lässt sich im nächsten Schritt aus dem Unternehmen auf übergeordnete Ebenen der Ordnung übertragen.

[...]


1 Victor, B. and C. U. Stephens (1994). "Business Ethics: A Synthesis of Normative Philosophy and Empirical Social Sciencc." Scitc 145

2 Appiah, K. A. (2009). „Ethischc ExperimcntC" Scitc 30

3 Homann, K. (2002). „Vortcilc und Anrdzc" Scitc 257

4 Homann, K. and C. Ltlüc (2005). „Einfllhmng in die Wirtschaftscthik" Scitc 18

5 Küng, H., K. M. Leisinger, et al. (2010). „Manifest Globales Wirtschaftsethos - Konsequenzen und Herausforderungen für die Weltwirtschaft“ Seite 23

6 http://www.weltethos.orR/d3t3-Re/c-10-stiftunR/103-definition.php

7 Kllng, H., K. M. Lcisingcr, ct al. (2010). ..Manifest Globalcs Wirtschaftscthos - Konscqucn7.cn und Hcrausfordcnmgcn ftir die Wcltwirtschaft" Scitc 52

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Experimentelle Wirtschaftsethik
Untertitel
Was ist Experimentelle Wirtschaftsethik, braucht es sie und welchen Beitrag kann sie leisten?
Hochschule
Technische Universität München
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
44
Katalognummer
V273973
ISBN (eBook)
9783656659549
ISBN (Buch)
9783656659532
Dateigröße
614 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
experimentelle, wirtschaftsethik, beitrag
Arbeit zitieren
Frederic Geiger (Autor:in), 2012, Experimentelle Wirtschaftsethik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273973

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