Auch wenn man es Politikern zugesteht, ihre Ansichten im Laufe ihres Lebens mehrfach zu verändern, wird man die politische Entwicklung von George Valois seltsam finden: Er wurde 1878 in eine Arbeiterfamilie geboren und betätigte sich schon mit achtzehn Jahren in einer anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft. Zunächst wurde er Schüler des Anarchisten Ferdinand Pelloutier, des Anführers der Bourse-du-Travail-Bewegung. 1906 wechselte er dann zur rechtsextremen Action française und versuchte vergeblich, deren Anhängern den Syndikalismus nahezubringen. 1925 gründete er die erste faschistische Gruppierung in Frankreich, nur um sich 1927 mit der Gründung der Parti républicain socialiste wieder der Linken anzunähern.
Erstaunlicherweise ist Valois kein Einzelfall. So nahm zum Beispiel auch Hubert Lagardelles politische Karriere einige extreme Wendungen: Vom Theoretiker des Syndikalismus, der mit der CGT erfolglos versuchte, die Republik zu beseitigen, zum Arbeitsminister in der Vichy-Regierung, der dem Vorbild der nationalsozialistischen ”Deutschen Arbeiterfront” nacheiferte.
An diesen Beispielen wird deutlich: Die Grenzen zwischen der Rechten und Linken scheinen um die Jahrhundertwende in Frankreich eigenartig durchlässig gewesen zu sein. Dies wird auch in der Fachliteratur bemerkt: So spricht Udo Stark für die Zeit zwischen 1890 und 1900 von einer ”Auflösung und Erneuerung des Rechts-Links-Schemas in Frankreich”.
Eine in Bezug auf die Arbeiterbewegung besonders interessante Erscheinung stellen die ”gelben Gewerkschaften” (”syndicats jaunes”, ”syndicats professionnels” oder häufig auch nur ”les jaunes”) dar, mit denen sich diese Hausarbeit beschäftigt. Sie entstanden ab 1899 in einzelnen Betrieben und wandten sich gegen den dominierenden Anarcho-Syndikalismus. Der Vorstellung vom Klassenkampf setzten sie die eher von der Rechten vertretene Idee einer organischen Verbindung von Arbeit und Kapital entgegen. In dieser Arbeit soll die Frage geklärt werden, inwiefern die gelben Gewerkschaften ein Beleg für die Existenz einer "rechten Arbeiterbewegung" im Frankreich der Jahrhundertwende sind.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Gelbe Gewerkschaften in verschiedenen Regionen Frankreichs
- Die Entwicklung gelber Gewerkschaften
- Forderungen und Ziele der gelben Gewerkschaften
- Das Verhältnis zwischen Unternehmer und gelber Gewerkschaft
- Die politische Organisation der gelben Gewerkschaften
- Entstehung und Aufstieg der politischen Bewegung
- Die Mitgliederzahl der \"jaunes\"
- Das Scheitern der \"jaunes\"
- Die Weltanschauung der „jaunes“ im historischen Kontext
- Die Affaire Boulanger
- Der \"socialisme nationaliste\"
- Antisozialismus und Antisemitismus
- Die gelben Gewerkschaften und die Mentalität der französischen Arbeiter
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit befasst sich mit den "gelben Gewerkschaften" in Frankreich zwischen 1899 und 1909 und untersucht, inwiefern sie als Beleg für eine rechte Arbeiterbewegung ("droite proletarienne") dienen. Die Arbeit analysiert die Entstehung, Entwicklung und politische Organisation dieser Gewerkschaften, wobei besonderes Augenmerk auf ihre Ideologie und ihren Einfluss auf die Mentalität der französischen Arbeiter gelegt wird.
- Entstehung und Entwicklung gelber Gewerkschaften in verschiedenen Regionen Frankreichs
- Politische Organisation der gelben Gewerkschaften, einschließlich ihrer Mitgliederzahl und ihres Scheiterns
- Ideologie der "jaunes" im Kontext des "socialisme nationaliste" und der Antisemitismus-Debatte
- Beziehung zwischen den gelben Gewerkschaften und der Mentalität der französischen Arbeiter um 1900
- Relevanz der "jaunes" als Indikator für die Existenz einer rechten Arbeiterbewegung in Frankreich
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung, die den historischen Kontext der "jaunes" beleuchtet und die Relevanz des Themas im Kontext der Arbeiterbewegung und der politischen Landschaft um die Jahrhundertwende in Frankreich herausstellt. Anschließend wird die Entwicklung der "jaunes" in verschiedenen Regionen Frankreichs, wie beispielsweise Creusot und Montceau-les-Mines, detailliert dargestellt.
Im nächsten Kapitel werden die politische Organisation der "jaunes", ihre Mitgliederzahl und ihr Scheitern analysiert. Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der Ideologie der "jaunes" im historischen Kontext, wobei die Affaire Boulanger, der "socialisme nationaliste" und die Antisemitismus-Debatte diskutiert werden.
Schließlich wird die Beziehung zwischen den "jaunes" und der Mentalität der französischen Arbeiter um 1900 beleuchtet, um ein umfassendes Bild der "jaunes" und ihres Einflusses auf die Arbeiterbewegung zu zeichnen.
Schlüsselwörter
Die zentralen Themen der Arbeit sind die "gelben Gewerkschaften" ("syndicats jaunes"), der "socialisme nationaliste", der Antisemitismus, die Arbeiterbewegung, die französische Politik um die Jahrhundertwende, der Klassenkampf, die "droite proletarienne", die Syndikalistische Bewegung, der Dreyfus-Affäre, die CGT, die Mentalität der französischen Arbeiter.
- Arbeit zitieren
- Moritz Deutschmann (Autor:in), 2004, Die "gelben Gewerkschaften" in Frankreich 1899-1909, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27480