Lebensraum Schule: Abschlussbericht über das Fachpraktikum Deutsch


Praktikumsbericht / -arbeit, 2004

103 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Inhaltsübersicht

1. EINLEITUNG
1.1 ERWARTUNGEN VOR DEM PRAKTIKUM

2. BEMERKUNGEN ZUR SCHULE
2.1 DIE KOOPERATIVE GESAMTSCHULE RASTEDE
2.2 EIN SCHULKONZEPT IM UMBRUCH?

3. HOSPITATIONEN MIT AUSWERTUNG
3.1 POLITIK, KLASSE 9 - GESETZGEBUNGSVERFAHREN IN DER EU
3.1.1 AUSWERTUNG UND BEOBACHTUNGSSCHWERPUNKT
3.2 DEUTSCH, KLASSE 9 - GOETHES „NÄHE DES GELIEBTEN“
3.2.1 AUSWERTUNG UND BEOBACHTUNGSSCHWERPUNKT
3.3 KUNST, KLASSE 8 - SIMULTANANSICHT
3.3.1 AUSWERTUNG UND BEOBACHTUNGSSCHWERPUNKT
3.4 DEUTSCH, KLASSE 12 - BÜCHNERS „WOYZECK“
3.4.1 AUSWERTUNG UND BEOBACHTUNGSSCHWERPUNKT

4. EIGENER UNTERRICHT - AUSFÜHRLICHE STUNDENBETRACHTUNGEN
4.1 DEUTSCH, KLASSE 11 - DIE VERANTWORTUNG DES WISSENSCHAFTLERS
4.1.1 BEMERKUNGEN ZUR LERNGRUPPE
4.1.2 DIDAKTISCHE ÜBERLEGUNGEN
4.1.3 METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN
4.1.4 LERNZIELE DER STUNDE
4.1.5 VERLAUFSÜBERSICHT UND ARBEITSMATERIAL
4.1.6 STUNDENREFLEXION
4.2 DEUTSCH, KLASSE 11 - SZENISCHE INTERPRETATION
4.2.1 DIDAKTISCHE ÜBERLEGUNGEN
4.2.2 METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN
4.2.3 LERNZIELE DER STUNDE
4.2.4 VERLAUFSÜBERSICHT UND ERGEBNISSE DER GRUPPENARBEIT
4.2.5 STUNDENREFLEXION
4.3 DEUTSCH, KLASSE 11 - SACHTEXTANALYSE
4.3.1 DIDAKTISCHE ÜBERLEGUNGEN
4.3.2 METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN
4.3.3 LERNZIELE DER STUNDE
4.3.4 VERLAUFSÜBERSICHT UND ARBEITSMATERIAL
4.3.5 STUNDENREFLEXION

5. EIGENER UNTERRICHT - WEITERE STUNDEN IN KURZFORM
5.1 DIE PHYSIKER - HINFÜHRUNG AN DIE GANZSCHRIFT
5.1.1 VERLAUFSÜBERSICHT
5.1.2 STUNDENREFLEXION
5.2 HANDLUNGS- UND PRODUKTIONSORIENTIERTE METHODEN IM VERGLEICH
5.2.1 VERLAUFSÜBERSICHT UND ARBEITSMATERIAL
5.2.2 STUNDENREFLEXION
5.3 GATTUNGSFELD DRAMA
5.3.1 VERLAUFSÜBERSICHT UND ARBEITSMATERIAL
5.3.2 STUNDENREFLEXION
5.4 METHODENEXPERIMENT UND SZENENANALYSEN
5.4.1 VERLAUFSÜBERSICHT UND ARBEITSMATERIAL
5.4.2 STUNDENREFLEXION
5.5 ENTSTEHUNGSKONTEXT UND FIGURENDARSTELLUNG
5.5.1 VERLAUFSÜBERSICHT UND ARBEITSMATERIAL
5.5.2 STUNDENREFLEXION
5.6 DIE PHYSIKER - WISSENSCHAFTSPUBLIZISTISCHE EINFLÜSSE
5.6.1 VERLAUFSÜBERSICHT UND ARBEITSMATERIAL
5.6.2 STUNDENREFLEXION

6. EIGENER UNTERRICHT - DIE ABSCHLUSSKLAUSUR

7. REFLEXION ZUM FACHPRAKTIKUM
7.1 ALLGEMEINE ÜBERLEGUNGEN
7.2 STELLENWERT DES PRAKTIKUMS INNERHALB DES LEHRAMTSSTUDIUMS
7.3 BETRACHTUNGEN ZU UNTERRICHT UND BETREUUNGSSITUATION
7. BIBLIOGRAPHIE
7.1 HAUPTÜBERSICHT DER VERWENDETEN LITERATUR
7.1 PRIMÄRTEXTE IN DEN UNTERRICHTSEINHEITEN UND HOSPITATIONEN

8. ANHANG / BILDTEIL

1. Einleitung

In den Lehramtsstudiengängen der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg stellt das so genannte Fachpraktikum einen verpflichtenden Bestandteil des zweiten Studienabschnittes dar. Dieses Praktikum konzentriert sich neben dem Allgemeinen Schulpraktikum, welches im Grundstudium allgemeine Einblicke in die Schulwirklichkeit vermittelt, schwerpunktmäßig auf den Fachunterricht eines der studierten Langfächer.

Als Studierender der Fächer Germanistik und Kunst für das gymnasiale Lehramt entscheide ich mich im Wintersemester 2003 / 2004 dieses Praktikum im Fach Deutsch zu absolvieren. Fester Bestandteil des Praktikums ist im Vorfeld der Besuch eines Vorbereitungsseminars an der Hochschule, welche sich über ein Semester erstreckt.

Die Zuteilung einer Praktikumsschule erfolgt durch das didaktische Zentrum der Universität Oldenburg. Zusammen mit einem Kommilitonen im gleichen Fach teilt man mich der Kooperativen Gesamtschule Rastede zu. Diese Schule befindet sich in einer ländlichen Anrainergemeinde der Stadt Oldenburg.

Bereits mehrere Monate vor dem Praktikumsbeginn werden erste Kontakte mit dem betreuenden Lehrer an der Schule geknüpft. Diese Vorabgespräche mit dem Mentor dienen überwiegend dem ersten Kennen lernen sowie dem Austausch allgemeiner Informationen, beispielsweise zur Praktikumsschule, dem Lernumfeld oder den unterrichteten Klassen. Mein Mentor unterrichtet an der KGS Rastede die Fächer Deutsch, Politik und darstellendes Spiel. Zum Praktikumszeitpunkt konzentriert sich sein unterrichtliches Handeln meistenteils auf Lerngruppen in der Oberstufe. Neben dem Fachunterricht nimmt er in einer 11. Klasse die Aufgabe des Klassenlehrers wahr, daneben in einem Deutschleistungskurs der 12. Jahrgangsstufe die des Tutors.

Darüber hinaus begleitet der Mentor verschiedene zusätzliche Ämter innerhalb der Schule. Unter anderem ist er als Fachbereichsleiter Deutsch sowie im Personaltrat tätig. Diese Aufgabenvielfalt überrascht mich und meinen Kommilitonen zu Anfang ein wenig, da sie einen nicht unerheblichen Zeitaufwand neben dem Unterricht mit sich bringt.

Während der Gespräche mit dem Mentor kristallisieren sich rasch diejenigen Lerngruppen und Klassen heraus, in denen Unterrichtsversuche möglich erscheinen. Mehrere Wochen vor dem Durchführungszeitraum fällt die Entscheidung für die 11. Klasse, in welcher der Mentor auch als Klassenlehrer tätig ist, sowie den Deutschleistungskurs der 12. Jahrgangsstufe. In Absprache mit meinem Kommilitonen entscheide ich mich für die 11. Klasse. Die weitere Grobplanung sieht anschließend vor, diese Lerngruppen in der ersten Praktikumswoche umfassend zu besichtigen. Dadurch ist gewährleistet, dass bereits im Vorfeld eine Beziehung zur jeweiligen Lerngruppe aufgebaut werden kann. Ab der zweiten Woche beginnen schließlich die in sich geschlossenen Unterrichtseinheiten.

Die Themenschwerpunkte indes ergeben sich bezüglich beider Lerngruppe erst wenige Wochen vorher. In beiden Fällen steht die Behandlung einer Ganzschrift an. Für die 11. Klasse ist Dürrenmatts Komödie „Die Physiker“ vorgesehen, im Leistungskurs Fontanes Roman „Effi Briest“.

Aufgrund zahlreicher universitärer Verpflichtungen zum Semesterende sowie einer fachpraktischen Prüfung in meinem Zweitfach fehlt die Zeit für eine umfassende und vertiefte inhaltliche Einarbeitung. Dies geschieht schließlich schwerpunktmäßig parallel zu den Hospitationen der ersten Praktikumswoche.

Im Vorbereitungsseminar werden unterdessen verschiedene methodische und didaktische Ansätze und Aspekte des Deutschunterrichts behandelt und erprobt. Zahlreiche Beispiele und Simulationen wirken sich auch wegbereitend auf den eigenen Unterricht aus. Schnell bereichern auch die Themenvorschläge anderer Studierender das Seminar und münden teilweise in die Konstruktion fertiger Einzelstunden und Reihen. Exemplarisch werden einige Ideen in wenn auch kurze Unterrichtssimulationen umgesetzt. Der knapp bemessene Zeitrahmen des Seminars von nur einem Semester beschränkt die Arbeit massiv. Dennoch zeichnet sich die Vorbereitung durch eine enorme Materialfülle und methodisch - didaktische Vielfalt aus.

In einer Blockveranstaltung unmittelbar vor Praktikumsbeginn berichten darüber hinaus Studierende des vorjährigen Durchganges von ihren Erfahrungen und stehen für Fragen zur Verfügung. Das Praktikum beginnt schließlich nach der letzten Vorlesungswoche des Wintersemesters und ermöglicht für sechs Wochen Einblick in die Berufsrealität eines Deutschlehrers.

1.1 Erwartungen vor dem Praktikum

Die Erwartungen bezüglich des Fachpraktikums gestalten sich in meinem Fall vorerst ambivalent. Im Vorfeld dominiert sowohl die Neugier darauf, für wenige Wochen in die Rolle des angestrebten Berufes zu schlüpfen und als Fachlehrer den Unterricht einer Klasse zu gestalten.

Doch auch vermischte Gefühle stellen sich ein. Beispielsweise Unsicherheiten bezüglicher der Frage, ob die im Studium und den vorangegangenen Praktika erworbenen unterrichtspraktischen Fähigkeiten ausreichen, um dieser Aufgabe gewachsen zu sein. Nicht zuletzt auch Bedenken gegen die Freiheit und Herausforderung, eine in sich geschlossene Unterrichtsreihe selbständig zu gestalten. Schließlich sehen die Vorgaben des didaktischen Zentrums zwar Unterrichtsversuche im genannten Umfang vor, doch sicherlich ist eine vollständige Unterrichtsreihe als erhöhte Anforderung anzusehen.

Die bisherigen Erfahrungen in der Lehrerrolle sind dünn gesät. In nur wenigen Seminaren geschieht eine Verknüpfung der Inhalte mit dem Berufsfeld Schule. Nur selten bieten sich Möglichkeiten zu Hospitationen oder gar eigenem Unterricht. Hinzu kommt die stark fachwissenschaftliche Orientierung des Studiums für das Lehramt an Gymnasien. Meine überwiegend positiven Erfahrungen in der Lehrerrolle sowie im Umgang mit Schülern resultieren zum einen aus Praktika und Einzelunterricht an der IGS Wilhelmshaven und der KGS Wiesmoor, zum anderen aber auch aus der Betreuung zahlreiche Sprachreisen und Klassenfahrten mit Oberstufenschülerinnen und Oberstufenschülern1. Sie sorgen für einen hohen Grad an Motivation und verdrängen bzw. überlagern vorhandene Bedenken. Nicht zuletzt zeichnet sich das Fachpraktikum durch eine besondere Relevanz aus, da es als überwiegend alleinige Überprüfungsinstanz innerhalb des Studiums eine zumindest vorläufige Einschätzung über die spätere erfolgreiche Tätigkeit als Lehrerin bzw. Lehrer bietet. Mentor, Schule und Hochschullehrende bescheinigen zum Ende des Praktikums, ob die gezeigten unterrichtspraktischen Fähigkeiten eine spätere erfolgreiche Tätigkeit im Schuldienst erwarten lassen. Vor diesem Hintergrund ergibt sich auch erstmalig im Lehramtsstudium eine verlässliche Aussage über die getroffene Berufsentscheidung.

2. Bemerkungen zur Schule

2.1 Die Kooperative Gesamtschule Rastede

Die KGS Rastede ist eine der großen kooperativen Gesamtschulen in Niedersachsen. Zu Beginn des Schuljahres 1974 / 75 haben erstmals Schülerinnen und Schüler die dortige Orientierungsstufe besucht. Dieser Jahrgang wurde zwei Jahre später als erster in die Klasse 7 der neu gegründeten KGS aufgenommen. Zuvor gab es in der Gemeinde Rastede kein vollständiges Schulangebot. Lediglich eine Real- und eine Grundschule waren vorhanden. Insbesondere zum Besuch weiterführender Schulen mussten die Kinder und Jugendlichen mit zum Teil nicht unerheblichen Fahrtaufwendungen auf die umliegenden Städte und Gemeinden, beispielsweise Oldenburg, ausweichen.

Mit Einrichtung der KGS Rastede wurde diese Angebotslücke geschlossen. Um einen rentablen Betrieb des vollständigen Schulangebotes in der Flächengemeinde zu gewährleisten, ordnete man auch Nachbargemeinden, beispielsweise Wiefelstede, dem Angebot der KGS zu. Dies betrifft überwiegend den gymnasialen Zweig.

In den nunmehr 25 Jahren ihres Bestehens ist die KGS Rastede kontinuierlich gewachsen und einer ständigen Veränderung unterlegen. Heute besuchen mehr 1500 Schülerinnen und Schüler diese Schule. Als Angebotsschule erreicht die KGS mehr 90 % der vor Ort ansässigen Kinder und Jugendlichen.

Am Standort Feldbreite ist die noch existierende Orientierungsstufe mit den Jahrgängen 5 und 6 untergebracht, in der Wilhelmstrasse, dem ursprünglichen Standort, die Jahrgänge 7 bis 13. Das Kollegium der Schule umfasst ca. 110 Lehrerinnen und Lehrern, mehrere Sekretärinnen, je zwei Schulassistenten, Hausmeister und Gärtner. Der Hauptstandort Wilhelmstrasse besteht aus einer Kumulation mehrerer Bauabschnitte um den alten Kern der Realschule. Diese spiegeln verschiedene Architekturtrends wider. Als neuester Bauteil präsentiert sich die in den 90er Jahren errichtete Cafeteria, ein lichtdurchfluteter Großraumbereich.

Die Cafeteria ist gleichzeitig Bestandteil eines hochaktiven Schullebens, an dessen Gestaltung auch mehrere Institutionen aus der Gemeinde beteiligt sind. Ein Großbäcker beliefert die Cafeteria mit Backwaren zum Selbstkostenpreis. Mehr als 50 Eltern sorgen an 5 Tagen pro Woche im Schichtbetrieb vormittags für das leibliche Wohl von SchülerInnen und Lehrerkollegium. Außerdem pflegt die Schule zahlreiche Kontakte mit regionalen Betrieben, Institutionen und Vereinen und unterhält mehre Bands und Theatergruppen.

2.2 Ein Schulkonzept im Umbruch?

Die KGS Rastede ist eine Gesamtschule, in der gemeinsames Lernen aller Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Schulzweige auf einem Campus praktiziert wird. Verschiedene schulzweigunabhängige Kurse fördern die gegenseitige Anerkennung und Achtung untereinander. Dieser gemeinsame Unterricht findet im Bereich der musisch - kulturellen Bildung statt, außerdem in Sport sowie verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. Die gemeinsame Lernerfahrung ist der kooperativen Gesamtschule ein besonderes Anliegen.

Zwecks Intensivierung schulzweigübergreifender Kontakte bilden je eine Hauptschul-, eine Realschul- sowie eine Gymnasialklasse ein gemeinsames Haus. Diese organisatorische Einheit spiegelt sich sowohl hinsichtlich der Klassenlage im Gebäude als auch der Überlegungen zum Lehrereinsatz wieder.

Die KGS gleicht dem traditionellen Schulwesen damit insofern, als die Schulzweige Hauptschule, Realschule und Gymnasium nebeneinander in einem Gebäude bestehen und die gleichen Rahmenrichtlinien, Anforderungen an die Schüler, gleiche Versetzungsordnungen und gleiche Abschlüsse wie bei herkömmlichen Schulen zugrunde liegen. Im Gegensatz zur bloßen räumlichen Nebeneinandergruppierung dreier Schulformen existiert jedoch nur lediglich eine Schulordnung, ein Kollegium für alle Schulzweige, ebenso nur eine Schulleitung. Es finden gemeinsame Gesamt- und Fachkonferenzen statt, schulzweigübergreifende Eltern- und Schülervertretung sowie gemeinsame Klassenfahrten und Stundentafeln sind Bestandteil integrativer Bestrebungen.

Wichtiger Aspekt ist die Durchlässigkeit der Schullaufbahnen. Bis zur 9. Jahrgangsstufe können Schülerinnen und Schüler die Schulzweige problemlos wechseln, da die Schulzweigcurricula aufeinander abgestimmt sind. Dies beinhaltet die Chance, Fehler bei der Wahl der Schulform problemlos korrigieren zu können. Ein Schulformwechsel bringt keine Veränderung der gewohnten Schulumgebung mit sich, die bestehenden sozialen Kontakte bleiben erhalten.

Zurzeit besuchen ca. 30 % aller Schüler den Hauptschulzweig, ebenso ca. 30 % den Gymnasialzweig. Damit ist die Realschule insgesamt zahlenmäßig am stärksten vertreten. Die Verteilung an der KGS weicht damit deutlich von der Verteilung im eher urbanen Oldenburger Raum ab, wo deutlich weniger Schülerinnen und Schüler die Haupt- und Realschule anwählen.

Die Kooperation der Schulzweige auf einem Campus erscheint indes nicht nur aus pädagogischer Sicht sinnvoll. Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten ist der Schulform KGS eine weitgehend positive Erscheinung zu attestieren. So liegen beispielsweise die Kosten pro Kopf für die Schüler in allen Zweigen deutlich niedriger, als bei vergleichbaren autonomen Schulformen. Gleiches gilt für die Effizienz in der Verteilung von Lehrdeputaten. Nicht zuletzt schneidet die Schulform KGS in der Raumökonomie und den Nebenkosten durchaus günstig ab. Ein Gebäudekomplex inklusive Hauspersonal für 1500 Schüler ist kostengünstiger, als drei Einzelkomplexe für jeweils 500.

Auch bei den Lehr- und Lernmitteln profitieren die Schulzweige voneinander. Als Beispiel sind hier insbesondere Anschaffungen des Gymnasialzweiges in den Naturwissenschaften zu nennen, von denen dann auch der Biologie-, Physik- und Chemieunterricht in den anderen Zweigen nutznießt. In autonomen Real- und Hauptschulen stünden solche Lernmittel in aller Regel nicht zur Verfügung.

Die positive Bilanz der kooperativen Gesamtschule stützt sich jedoch offensichtlich in naher Zukunft überwiegend nur noch auf die zuletzt genannten Aspekte.

Die anstehende Schulstrukturreform sowie massive Streichungen im Bildungswesen sind Hauptthema zahlreicher Gespräche und Konferenzen während meines Praktikumszeitraumes. Sollten die die geplanten Einsparungen in letzter Konsequenz umgesetzt werden, muss die Schule einen nicht unerheblichen Teil ihrer integrativen Bestrebungen aufgeben. Ebenso leidet die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen. Förderstunden, Projektarbeit oder Hausaufgabenbetreuung sind nur einige Punkte, die infolge der aktuellen Debatte gefährdet erscheinen.

3. Hospitationen mit Auswertung

Die Hospitationen als wichtiger Bestandteil des Fachpraktikums erfolgen über den gesamten Praktikumszeitraum verteilt, an vielen Schultagen auch parallel zu den eigenen Unterrichtsversuchen. Ein Schwerpunkt liegt dabei in der ersten Woche, in der noch kein eigener Fachunterricht stattfindet. Vor allem diejenigen Lerngruppen, die anschließend von mir und meinem Kommilitonen unterrichtete werden sollen, werden einer vertieften Beobachtung unterzogen. Trotz des Praktikumsschwerpunkts im Fach Deutsch bemühe ich mich auch um die Besichtigung einer Reihe von Stunden in meinem Zweitfach Kunsterziehung.

Bei den besichtigten Stunden handelt es sich um Klassen und Lerngruppen der Sekundarstufe I und II, in der Oberstufe auch um verschiedene Kursformen wie Grund, Prüfungs- und Leistungskurse. Darüber hinaus nehme ich ebenso regelmäßig am weiteren Fachunterricht meines Mentors teil.

Neben allgemeinen Aspekten der Unterrichtsbeobachtung lege ich für die meisten Besichtigungen einen Beobachtungsschwerpunkt fest, welcher auch in der Stundendarstellung und Auswertung festgehalten ist. Viele Fachlehrer stehen vor oder nach dem Unterricht für Besprechungen zur Verfügung und gewähren dabei auch Einblick in ihre Planungen. Von besonderem Interesse ist oftmals die Differenz zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung. Daneben experimentiere ich mit Formen von Beobachtungsrastern, wie sich auch bei der Planung eigenen Unterrichts zum Einsatz kommen.

Manche Fachlehrerinnen und Fachlehrer empfinden einen Unterrichtsbesuch zu meinem und unserem Bedauern als eher unangenehm. So erhalten wir auf verschiedene Anfragen dauernden Aufschub oder verschiedene ausweichende Absagen. Manche KollegInnen reagieren gar überhaupt nicht auf entsprechende Anfragen. Offensichtlich wird eine Stundenbesichtigung mitunter als Störung der intimen Unterrichtsatmosphäre erlebt. Dennoch sind die Reaktionen des Kollegiums auf uns als Praktikanten insgesamt sehr positiv.

Eine Auswahl von vier exemplarischen Stunden soll im Folgenden präsentiert werden.

3.1 Politik, Klasse 9 - Gesetzgebungsverfahren in der EU

Hospitation im Fach Politik

Klasse 11 C, 21 Schülerinnen und Schüler. 6 Jungen, 15 Mädchen.

Thema der Stunde: Gesetzgebungsverfahren in Deutschland und der EU Thema der Reihe: Die EU und ihre Institutionen

Stundenziel: Schüler sollen Gesetzgebungsverfahren in Deutschland reproduzieren und vertiefen, um anschließend einen Transfer auf die europäische Ebene zu leisten. Voraussetzungen: Leistungs- und Wissensstand im Fach noch eher niedrig. Kurz vor der anstehenden Klausur müssen noch wichtige Aspekte zum Thema nachgeholt werden.

Verlaufsübersicht:

Einstiegsphase:

- Auswertung der gestellten ersten Hausaufgabe. Ca. 1/3 der Lerngruppe hat die Hausaufgaben nicht ausgeführt, Lehrer notiert
- Schüler referiert das Gesetzgebungsverfahren in Deutschland, verschiedene andere SchülerInnen ergänzen.
- Kleiner Exkurs in Aufbau des Bundesrates in Vortragsform. Lehrer stellt Frage, wie sich der BR zusammensetzt. Anschließend kommt es zu Begriffsklärungen bezüglich Mehrheiten bei Grundgesetzänderungen, Ältestenrat , Fraktionen, Lesungen im BT

Erarbeitungsphase:

- Aufbau eines Tafelbildes zur Gesetzgebung von der Gesetzesinitiative bis zum Inkrafttreten. Unterrichtsgespräch und Lehrervortrag wechseln sich dabei ab
- Lehrer gibt weitere Impulse: Was ist ein Entscheidungsgesetz? Wo liegen die Stärken und Schwächen dieses Systems? Wo liegen die Vorteile des Föderalismus? Schüler referieren: Schwächen (Dauer von Gesetzgebungsverfahren) und Stärken (zahlreiche Kontrollinstanzen, Schutz vor Populismus durch Zeitversetzte Wahlen Bund / Länder)
- Anschließend Möglichkeit, das Tafelbild abzuschreiben
- Unterrichtsgespräch, angestoßen durch weitere Impulse: Was ist Föderalismus? Wo liegen die Vorteile des Föderalismus? Heftige Unterbrechung des Gespräches durch Zeugensuche eines Belästigungsfalls per Lautsprecher sowie einen Schüler, der schwere Rucksäcke gegen die Tür des Klassenraumes wirft. L. greift disziplinarisch ein.

Vertiefung / Transfer:

- L. fragt nach dem zweiten Teil der Hausaufgabe. Schüler referieren
- Impulse: Welche Rolle spielt das Europaparlament? Welche Rangfolge der Politikfelder sehr ihr? Schüler erhalten Zeit, ihre Beiträge zu formulieren
- Vergleich der EU mit Bundesinstanzen: Erörterung der Verhältnisse von Volksnähe, Demokratie,
- Thematisierung der Problematik der möglichen Bevorzugung kleinerer Staaten durch den Ministerrat. Verfolgung übernationaler und volksnaher Interessen durch das Europaparlament
- Ausblick: Verortung des IST Zustandes im Verhältnis zu bisherigen Entwicklungen in Europa: Gründung der Bundesrepublik, Aufnahme der BRD in die EWG, Einführung des Euro. Evaluation des europäischen Einigungsprozesses

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.1.1 Auswertung und Beobachtungsschwerpunkt

Die Doppelstunde Politik findet an einem Donnerstagmorgen in den ersten beiden Unterrichtstunden statt und ist Bestandteil des Fachunterrichts meines Mentors. Insgesamt sind die beiden Stunden von der Methode des Unterrichtsgespräches dominiert. Lehrervortrag und Moderation wechseln einander ab, die Ergebnisse werden an der Tafel fixiert, um die spätere Reproduzierbarkeit insbesondere im Hinblick auf die anstehende Klausur zu gewährleisten. Es ergeben sich hochinteressante, vertieft - verdichtete Gesprächsansätze, teilweise mit dem Charakter eines Exkurses, die der Lehrer aus didaktischen Gründen trotz Zeitknappheit ermöglicht und durch entsprechende Impulse forciert.

Beobachtungsschwerpunkt ist in dieser Stunde Anzahl und Verteilung der Schüleräußerungen. Es handelt sich dabei um eine quantitative Erhebung.2

In beiden Stunden beteiligen sich insgesamt ungefähr die Hälfte alle Schülerinnen und Schüler mit mindestens einer Wortmeldung. Interessanterweise ist dabei eine signifikante Verschiebung der Beiträge in der zweiten Stunde zu beobachten. Während in der ersten Stunde die Gesamtzahl der 25 Meldungen auf ein breiteres Spektrum verteilt ist, konzentriert sich ein Großteil der 42 Wortbeiträge in der zweiten Stunde auf weniger Schüler. Deutlich ist, dass mündlich schwächere Lerner ihre Äußerungen eher in der ersten Stunde tätigen. Dieser Eindruck bestätigt sich auch im Nachgespräch mit dem Mentor.

Mögliche Erklärungsansätze liegen hier einerseits in der Disposition der Stunden im Schulvormittag. Die erste Stunde als morgendlicher Unterrichtseinstieg zieht hier eine deutlich schlechtere Bilanz. Andererseits tragen möglicherweise unterrichtsstrukturelle Gründe zu diesen Differenzen bei. So dominieren in den Unterrichtsgesprächen in Stunde eins eher die Anforderungsbereiche I und II, während der Schwerpunkt von Stunde zwei überwiegend im Anforderungsbereich II und III liegt.

Diese Schlussfolgerungen dürfen sich jedoch nicht auf monokausale Erklärungsmuster stützen. Zahlreiche weitere Einflussfaktoren wie beispielsweise Tagesform und Lernatmosphäre oder auch eine mögliche Beeinträchtigung der Lerner durch die Hospitation selbst bleiben bei der Besichtigung nur einer Stunde weitgehend verborgen.

3.2 Deutsch, Klasse 9 - Goethes „Nähe des Geliebten“

Klasse 9 A3, 20 Schülerinnen und Schüler. 8 Jungen, 12 Mädchen. Thema der Stunde: Lyrikanalyse und -Interpretation

Voraussetzungen: Extrem lebhafte Lerngruppe; besondere Disziplinprobleme mit verschiedenen Jungen

Verlaufsübersicht:

Einstiegsphase:

- Bekanntgabe der Klausurauswertung, Anschreiben des Zensurenspiegels sowie der Fehlerwertung; Schüler übernehmen Tafelbild
- Anschließend nochmals Klärung von Fragen zur Klassenarbeit
- Überleitung zur Erarbeitungsphase

Textgrundlage:

Nähe des Geliebten

Johann Wolfgang von Goethe

Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer Vom Meere strahlt;

Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer In Quellen malt.

Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege Der Staub sich hebt;

In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege Der Wandrer bebt.

Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen Die Welle steigt.

Im stillen Hain da geh ich oft zu lauschen, Wenn alles schweigt.

Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne. Du bist mir nah!

Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne. O wärst du da!

Erarbeitungsphase

- Aufgriff des Gedichtes von Goethe „Nähe des Geliebten“ sowie der produktionsorientierten Hausaufgabe, eine Strophe hinzuzudichten
- Schüler bilden einen Stuhlkreis um die Pinwand, an welcher die handschriftlichen Ergebnisse angebracht sind; die jeweiligen Urheber tragen ihre Version vor; Lehrperson kommentiert teilweise mit Worten wie „gut“, „schön“, „wunderbar“ und ermuntert weitere Schülerinnen und Schüler zum Vortragen
- Lehrerfrage: „Welches Gedicht gefällt Euch am meisten und warum?“ Forcierung von Kriterienbildung, beispielsweise Silben, Melodie, Reimform (…)
- Lehrerfrage II: „Welche Strophen der selbst verfassten Gedichte fügen sich besonders harmonisch in das Gedicht von Goethe ein?“; Begründung; weitere Verfestigung von Kriterien: Reimschema, Inhalt, Abstraktionsgrad, Vergleiche, Metaphern, Form (…); anschließend Versuch einer Systematisierung der Nebensätze im Gedicht: Nennung von Temporal-, Konditional-, Kausalsätze (…)
- Wechsel der Sozialform in Tafelrichtung: Einführung und Erläuterung des Begriffs „Lyrisches Ich“; anschließende Lehrerfrage: „Wen mag das lyrische Ich ansprechen?“ „Welche der produktiven Ergebnisse passen zum lyrischen Ich?“; Resümee durch Lehrperson: Vergleiche bieten die Möglichkeit, Gestaltungsmerkmale herauszuarbeiten

Vertiefung / Transfer:

- Untersuchung des Gedichtaufbaus (Strophen, Verse, Reim, Silbenzahl (…)); Erarbeitung durch Schülerbeiträge, Fixierung als Tafelbild
- Lehrervortrag über die Entstehungsvoraussetzungen von Lyrik bei Goethe, anschließend Frage: „Was glaubt ihr, warum Goethe ein sehr regelmäßiges Gedicht (Assoziation Ruhe) verfasst hat?“ Problematisierung der Konstruktion, anschließend offene Fragen mit Unterrichtsgespräch: „An wen könnte das Gedicht gerichtet sein? Ist das lyrische Ich traurig oder eher fröhlich?“; Problematisierung des Sehnsuchtsbegriff, Positiv - Negativ
- Lehrperson spricht Ersatzproben an: „Was vermag die Sonne?“ Scheinen, Strahlen = neutral / Glitzern = Positiv / brennen, knallen = Negativ
- Problematisierung von Klangfarben: Lehrerfrage: „Welche Vokale sind hell, welche dunkel?“, Schülerbeiträge, mündliche Systematisierung
- Lehrerfrage: Warum wird ein Geliebter (männlich) angesprochen? Feststellung: Lyrisches Ich ist ungleich Autor
- Ansprechen der Problematik der Autorintention im offenen Unterrichtgespräch; Bewusstes oder unbewusstes Verdecken, Verstecken von Aussagen, Wortumstellung aus Reimgründen; Lehrervortrag: Gedicht als Kommunikationsschritt, Visualisierung an der Tafel: Goethe - Text - Leser; Text, Leser und Autor sind demnach Teile einer Kommunikation, insofern ist weniger wichtig, was gemeint wurde sondern eher, was daraus verstanden wird
- Abschlussresümee: Überprüfung des Vorverständnisses anhand des Textes, Aneignung von Werkzeugen und Analyseschlüssel im DU

Anschnitt neues Thema:

- Erich Fried: „Es ist was es ist“ (Deutschbuch), Rezitieren, Vortrag
- Sammeln der Leseeindrücke
- Kurzes Unterrichtsgespräch über inhaltliche Aspekte, z.B. personifizierte Instinkte, philosophische Fragen („Ist Vernunft gegeben?“)
- Wechsel der Sozialform zur Gruppenarbeit; Aufgabenstellung: „Beschreibt den inhaltlichen und formalen Aufbau des Gedichtes!“
- Nach zehnminütiger Arbeitsphase erteilt Lehrer d. Anweisung, den verbleibenden Rest der Aufgabe als Hausaufgabe zu lösen
- Kurzfristige Besprechung der anstehenden Englischklausur

3.2.1 Auswertung und Beobachtungsschwerpunkt

Die Hospitation erfolgt an einem Freitagvormittag in der dritten und vierten Stunde. Zu diesem Zeitpunkt verhält sich die Lerngruppe sehr lebhaft. Die besichtigte Deutschstunde liegt unmittelbar nach einer Klassenarbeit. Bei zahlreichen Schülerinnen und Schülern besteht noch Klärungsbedarf zum Umgang mit Fehlern und der geforderten Berichtigung. Als weiterer Ablenkungsgrund ist zu nennen, dass während der Stunde eine öffentliche Schuldurchsage wegen sexueller Belästigung einer Schülerin im Forum sowie Zeugensuche erfolgt.

Als Beobachtungsschwerpunkt wähle ich kurzfristig die Disziplinproblematik mehrer männlicher Schüler, sowie ihre Auswirkungen auf das Unterrichtsgeschehen und den Rest der Lerngruppe. Weitere wichtige Aspekte der Stundenbesichtigung sind die sehr gleichmäßige und breit verteilte mündliche Beteiligung der Schülerinnen und die Verknüpfung produktionsorientierter und analytischer Zugangsweisen zur Lyrikinterpretation sowie die außerordentliche Ruhe und Präsenz, welche der betreffende Lehrer ausstrahlt.

Innerhalb der Klasse existiert eine Gruppe von sieben Jungen, die, wie auf dem Sitzplan3 zu erkennen ist, auf der Türseite des Klassenraumes sitzen. Einige dieser Jungen scheinen ausländischer Herkunft zu sein; es zeigen sich Defizite in der mündlichen Sprachbeherrschung. Bereits zu Beginn der Stunde strahlt diese Kleingruppe sehr viel Unruhe aus. Durch Zwischenrufe, lautes Lachen und offensichtliche, desinteressierte Nebengespräche stören diese Jungen den Unterricht nahezu permanent. Auch vermehrte, zum Teil vehemente Aufforderungen des Lehrers, diese Störungen zu unterlassen, halten sie zumindest nicht davon ab, weitere lautstarke Nebengespräche zu führen.

Innerhalb der Doppelstunde erfolgen verschiedene Störungsphasen unterschiedlicher Intensität, an deren Höhepunkt es meist zu einem Eingriff durch den Lehrer kommt. Insgesamt vollzieht sich eine Steigerung der Unruhe.

Während der Auswertung der selbst verfassten Strophen verhalten sich die Jungen noch verhältnismäßig ruhig und fallen im Stuhlkreis kaum auf. Keiner der Jungen hat die Hausaufgabe gemacht. Die Lehrperson versucht durch gezieltes Drannehmen, spontane Äußerungen zu den vorhandenen Strophen zu generieren.

Nach der Rückkehr in die normale Sitzordnung beeinträchtigt die Gruppe massiv die Unterrichtsgespräche. Der Störungsgrad ist hierbei dermaßen hoch, dass sogar Mitschülerinnen versuchen, dem durch Querrufe Einhalt zu gebieten. Dies zeigt sich deutlich wirksamer als die Lehrerintervention.

Während der Unterrichtsgespräche versucht die Lehrperson durch gezieltes Auffordern einiger Jungen deren Aufmerksamkeit auf das Unterrichtsgeschehen zu lenken. Da sie spontan nicht zu einer Äußerung in der Lage sind, gewährt er ihnen zur Formulierung von Wortmeldungen einige Minuten Zeit.

Die darauf folgenden Beiträge weisen erwartungsgemäß deutliche inhaltliche Schwächen sowie Wissensdefizite auf. Bei zwei der sieben Jungen verfügen sie allerdings über eine außerordentliche destruktive Qualität. Auch in den mündlichen Beiträgen versuchen diese Jungen fortwährend, die Klasse durch Wortwitz auf sich aufmerksam zu machen. Sie gestalten ihre Äußerung auch als indirekten Angriff auf den Lehrer. Die eher stilleren, als mitverantwortliche Störer auftretenden Schüler sind auch nach mehrfacher Aufforderung kaum zu einer Aussage in der Lage.

Den Höhepunkt der disziplinarischen Ereignisse bildet die Arbeitsverweigerung während der Gruppenarbeitsphase. Nun greift der Lehrer massiv ein und droht den sieben Jungen bei weiterer Störung mit sofortigem Unterrichtsausschluss sowie einer schlechten Note. Diese Intervention hat schließlich Erfolg für den Rest der Stunde.

Aus den getätigten Beobachtungen lassen sich unterschiedliche Schlüsse ziehen. Eine Annahme ist, dass höchstens zwei bis drei Jungen innerhalb der Kleingruppe eine Leitfunktion übernehmen. Bei ihnen liegt ein Großteil des Störungspotenzials. Sie fordern die stilleren Jungen gezielt zu auffälligem Verhalten auf respektive beziehen sie in Störungen mit ein. Innerhalb der Gruppe entsteht darüber hinaus eine Form von Wettstreit über die effizienteste Störform. Die so angestachelten Jungen führten vermutlich kaum eine Unterrichtsstörung in Eigenregie durch.

Interessanterweise erscheinen diejenigen Schüler als die aktivsten Störer, deren Wortmeldungen sich durch destruktiven Charakter auszeichnen. Möglicherweise ist hier von einer Unterforderung der betreffenden Jungen auszugehen. Ihr abgelenktes Verhalten wirkt sich auf die restlichen Jungen der Kleingruppe aus und lässt hier eine größere Zone von Unruhe entstehen.

Für eine verlässliche Aussage bzw. die Untermauerung dieser oder anderer Ansätze systemischer Sichtweisen ist jedoch eine gezielte und ausgedehnte Beobachtung notwendig. Der Zeitraum von nur einer Doppelstunde erscheint für eine differenzierte Betrachtung kaum ausreichend.

3.3 Kunst, Klasse 8 - Simultanansicht Hospitation im Fach Kunst

Zusammengesetzter Kurs der 10. Klassen, bestehend aus Real- und Hauptschülern Ca. 20 Mädchen, 1 Junge

Thema der Stunde: Simultanansicht.

Stundenziel: Schüler sollen selbständig den Weg von der Darstellung des konkreten Gegenstandes hin zum Abstraktum beschreiten.

Reihenziel: Einstellung zu moderner Kunst verändern, Bewusstsein für einen Prozesscharakter entwickeln, verwerfen der Vorstellung, das könne ich / mein Kind auch. Voraussetzungen: Crashkurs durch die Kunstgeschichte anhand des Stilllebens. Erkennen, was hat sich in den Epochen verändert. Der Gegenstand und seine Reduktion.

Einstiegsphase:

- Disziplinierung, L. wiederholt Thema der letzten Stunde. „Was ist eine Simultanansicht?“ Schülerbeiträge
- Im ersten Schritt skizzieren die Schüler die Gegenstände Flasche und Gewicht. Die Arbeitsaufträge lauten nacheinander: „Löst den Gegenstand in seine geometrischen Formen auf.“ „Überlegt Euch eine Komposition zu den Formen.“ „Lasst Euch dabei von bekannten Malereien inspirieren!“
- Lernarrangement: Gegenstände auf dem Lehrertisch; In den 15 Minuten Zeichenphase werden die Flasche und das Gewicht alle zwei Minuten in ihrer Lage zu den Schülern verändert. Die Schüler skizzieren in Einzelarbeit auf ihren Zeichenblöcken. L. klärt auftauchende Fragen, gibt Hinweise

Erarbeitungsphase:

- In einer Zwischenauswertung versammeln sich die Schüler im Stehkreis. Arbeitsauftrag: „Zeigt Euch gegenseitig die Ergebnisse. Formuliert, was Euch auffällt? Wo ist der Unterschied zum Zeichnen nur einer Ansicht? Wie verändert sich der Gegenstand?“ „Worin besteht der Unterricht zum normalen Abzeichnen?“ Zahlreiche Schülerbeiträge. Zwischenergebnis: Die Simultanansicht unterstützt das bessere Erfassen von Formen.
- L. fragt, ob S. die Übung wiederholen möchten, ob andere Techniken zum Einsatz kommen sollen. Die S. entscheiden sich für die Wiederholung der Übung, jedoch soll die Perspektive der Gegenstände schneller verändert werden
- Während der Zeichenphase präsentiert L. zusätzliche Gegenstände: Becher mit Pinseln, Emailbecher, Kleisterbürste.
- Schülerfrage: Wieso darf sich so etwas was Kunst nennen? Spontane Lehrerantwort: Kunst kann auch Experiment sein!
- L. gibt Anregungen zum Zeichnen: „Zieht Linien nicht in einem Stück durch, sondern versucht Euch an sie heranzutasten, durch zahlreiche Striche und Skribbeln4 !“ „Übernehmt vorhandene Linien einer Ansicht und versucht, sie mit der neuen Ansicht zu verbinden!“ „Versucht in Eurem Perspektivwirrwarr einen Schwerpunkt herauszuarbeiten, indem ihr Schatten setzt!“; Klärung des Begriffs
- Einige Schülerinnen nutzen zusätzliche Techniken und Materialien wie Kreide und Kohle

Vertiefung / Transfer:

- Hausaufgabe zur aktuellen Stunde: Etiketten von Weinflaschen sammeln und mitbringen. Diese sollen jetzt in Form einer Collage in das vorhandene Bild eingefügt werden. Formen sollen dabei stilisiert, abstrahiert und reduziert werden
- L. demonstriert eine Möglichkeit der Verfremdung und Collage und klärt Schülerfragen. S. arbeiten die vorhanden Etiketten unter Anwendung zum Teil eigener Ideen in die bestehenden Bilder ein
- L. weist darauf hin, nicht am Gegenstand zu kleben, sondern zu abstrahieren. Im Verlauf der zweiten Stunde vollenden die Schüler ihre Arbeiten. Die Auswertungsphase entfällt zu Gunsten des Aufräumens

3.3.1 Auswertung und Beobachtungsschwerpunkt

Die besichtigten Kunststunden in der KGS Rastede tragen für mich im Hinblick auf mein Zweitfach in zweierlei Hinsicht eine besondere Bedeutung. Von Interesse sind in den Hospitationen sowohl Aspekte des Fachunterrichts, als auch die integrativen Bestrebungen im kooperativen Gesamtkonzept der Schule.

Obwohl ich das Fachpraktikum im Fach Deutsch absolviere, versuche ich während des Praktikumszeitraumes möglichst breit gefächert auch in Kunst zu hospitieren. Zwar ist es mir möglich, Kunstunterricht im Rahmen des Praktikums zu planen, die Durchführung einer Stunde bleibt mir indes verwehrt.

Als Bestandteil des musisch - kulturellen Bereichs vollzieht sich der Kunstunterricht in der KGS Rastede in integrativer Form. Dabei werden die Klassen eines „Hauses“ je nach gewähltem Fach in schulzweigübergreifenden Kunstkursen zusammengefasst. Unter Berücksichtigung der Fachwahl und Kursgröße können auch mehrere „Häuser“ beteiligt sein. In der Regel setzen sich die integrativen Kurse in Kunst aus Haupt- und RealschülerInnen zusammen. In manchen Jahrgängen sind sogar alle drei Zweige in einem Kurs vertreten.

Die Zusammenarbeit von Haupt-, Real- und Gymnasialzweig in einem Kurs gehört jedoch eher zu den Ausnahmen. In Gesprächen mit verschiedenen Fachlehrerinnen und Fachlehrern stellt sich heraus, dass hier überwiegend fachliche Erwägungen ausschlaggebend sind. So sprechen beispielsweise vermehrt theoretische oder kunstgeschichtliche Anforderungen des Gymnasialzweigs eher gegen gemeinsamen Unterricht. Dies könnte sich unter Umständen nachteilig für SchülerInnen auswirken, welche dieses Fach in der Oberstufe vertieft weiterführen möchten.

Vor dem Fachunterricht steht die betreffende Kollegin im Gespräch zur Verfügung und unterbreitet uns spezifische Informationen zum Kurs. Daraus resultierend entscheide ich mich, neben der Verlaufsform schwerpunktmäßig das fachspezifische Arbeitsverhalten der Schülerinnen und Schüler zu beobachten.

Bei den 21 SchülerInnen handelt es sich jeweils ungefähr zur Hälfte um Real- und zur Hälfte um Hauptschüler. Aus der Sitzordnung können kaum Anhaltspunkte über soziale Präferenzen der Schülerinnen untereinander gewonnen werden. Entsprechend den zweigspezifischen Informationen, welche mir vor und nach der Stunde zu den einzelnen Lernern zur Verfügung stehen, zeigt sich eine verhältnismäßig gleichmäßige Vermischung.

Insgesamt zeigt sich der Kurs sehr lebhaft. Infolge der Einstiegsphase und Zwischenauswertung lassen sich kaum Unterschiede in Quantität und Qualität der Schülerbeiträge feststellen. Die gestellte Praxisaufgabe wird von allen SchülerInnen hervorragend bewältigt.

Lediglich in der Herangehensweise treten erste Unterschiede zu Tage: So gehen die Hauptschülerinnen wesentlich spontaner an die erste Aufgabe heran. Von den Realschülerinnen kommen deutlich mehr Rückfragen an die Lehrperson. Dieser Eindruck wird in der Pause auch von der Fachlehrerin bestätigt.

Bezüglich der zeichnerischen Schwerpunktbildung scheinen wiederum eher Probleme auf Seiten der Hauptschülerinnen aufzutauchen. Hierzu bedarf es zunächst einer Begriffsklärung. Die Übertragung bzw. Umsetzung eines solchen Abstraktums in die eigene Zeichnung bedeutet ein deutlich höheres Anspruchsniveau.

In der Verwendung verschiedener Techniken und Materialien zeigt sich darüber hinaus bei den Hauptschülerinnen eine größere Vielfalt. Es kommen Kohlen, Kreiden, Graphit und Bleistifte zum Einsatz, mithin zeigen sie wenig Scheu in der Vermischung von Material und Technik. Besonders deutlich zeigt sich dies in der Vertiefungsphase.

Impulsives Schraffieren und Verwischen und spontanes, prozesshaftes Arbeiten beim Collagieren scheint eher den Hauptschülerinnen zu liegen. Der Beratungsaufwand, beispielsweise für Anlage und Bildkomposition seitens der Fachlehrerin erscheint bei den Realschülerinnen deutlich größer. Hierbei ergeben sich nicht nur im Kunstunterricht besondere Chancen bezüglich der Binnendifferenzierung, der Stärkung von Fähigkeiten sowie dem Ausgleich vorhandener Defizite.

Offensichtlich scheinen, zumindest bei Praxisaufgaben dieser Form, die Realschüler deutlich „verkopfter“ an die Aufgaben heranzugehen, während Lerner aus dem Hauptschulzweig das direkte praktische Arbeiten kaum Probleme bereitet. In der Konsequenz der Umsetzung und Fortführung einer Aufgabe, dem konzentrierten und vertieften Arbeiten sowie der Phase der Kontemplation, treten bei dieser Lerngruppe eher Defizite zu Tage.

Die getätigten Beobachtungen werden im Nachgespräch mit der Fachlehrerin weitestgehend bestätigt. Dennoch ist ihr Aussagewert schwerpunktmäßig auf die Doppelstunde begrenzt. Als Einzelbeobachtungen vermögen sie zwar einen ersten Eindruck vermitteln, für eine differenzierte Beurteilung schulzweigbedingten Arbeitsverhaltens bedarf es einer deutlich systematisierteren Untersuchung.

3.4 Deutsch, Klasse 12 - Büchners „Woyzeck“

Hospitation im Fach Deutsch

Leistungskurs der Jahrgangsstufe 12

18 Mädchen, 3 Jungen

Thema der Stunde: Aufstellen eines Soziogramms als Standbild

Stundenziel: Schüler sollen Chancen und Grenzen der Methode des Standbildes kennen lernen. Voraussetzungen: Behandlung und Abschluss des Woyzeck als Ganzschrift, vorletzte Stunde der Reihe

Verlaufsübersicht:

Einstieg:

- Klären organisatorischer Fragen
- Umräumen der Sitzordnung zum Stuhlkreis mit möglichst großer Innenfläche
- L. stellt Aufgabe: „Erstellt ein Soziogramm der Hauptfiguren des Woyzeck als

Standbild!“

- Positive Reaktion; S. wählen spontan aus der Großgruppe eine Standbildbauerin aus. Diese bestimmt auf Meldung die Figuren des Standbildes, ordnet sie entsprechend ihren Vorstellungen an, gestaltet ihre Haltung
- L. erläutert Aufgabe auf Nachfrage; vorerst sollen räumliche Zuordnungen und Abstände der Figuren untereinander dargestellt werden, Schülerin korrigiert
- Lehrerimpuls: „Seid ihr mit der Aufstellung einverstanden?“, „Wie könnte man das

Standbild verändern?“;

- Moderierte Diskussion ohne Handzeichen
- Lehrerimpuls: Nach welchen Kriterien baut man ein solches Soziogramm idealerweise auf? Kriterienvorschläge: Nach Stand, Beziehung …?; Schülerbeiträge

Erarbeitung:

- Lehrerimpuls: „Überlegt Euch einen Satz aus dem Text, den ihr die entsprechende Person durch Handauflegen sprechen lasst!“
- Schüler suchen passende Textstellen und treten spontan an die Figuren heran; Aufsprechen der Sätze, kurze mündliche Auswertung im Unterrichtsgespräch
- L.: Spezifische Körperhaltungen der Personen sollen modelliert werden; einige Schüler widmen sich je einer Figur, andere versuchen durch Zwischenrufe die Haltung zu beeinflussen
- Lehrerimpuls: „Was könnte die betreffende Person denken? Ich möchte von jedem mindestens einen Satz hören!“ L. fordert jeden Schüler per Handzeichen auf

Vertiefung / Abschluss:

- L. befragt die Personen im Soziogramm: „Wie beurteilst Du Deine eigene Aufstellung?“ S. kommentieren, schlagen Veränderungen vor
- Kurze Diskussionsrunde ohne Handzeichen
- Lehrervortrag: Hintergrundinformationen zur Waisenbiographie von Woyzeck
- Abschlussstandbild: L.: „Präsentiert Eure Vorstellung, wie das Stück ausgehen könnte!“; Schülerinnen bauen vorhandenes Bild teilweise um; anschließend Diskussionsrunde: Nimmt Woyzeck sie zurück?
- Stellen der Hausaufgabe, Einteilung des Kurses in drei Gruppen: In der Folgestunde soll eine Gerichtsverhandlung szenisch umgesetzt werden, in der über die mögliche Hinrichtung zu entscheiden ist; die Gruppen entsprechen jeweils der Verteidigung, Anklage und Entscheider (Richter); Grundlage ist die Anwendung aktueller Gesetze

[...]


1 Die Bezeichnung Schülerinnen oder Schüler sowie Lehrerinnen oder Lehrer erfolgt eingedenk der Tatsache, dass Universität und Schulen selbstverständlich von männlichen und weiblichen Personen besucht werden. Zur Übersichtlichkeit des Textbildes werden in diesem Bericht entweder nur die weibliche, nur die männliche oder beide Formen nacheinander verwendet. Die gewählte Form enthält somit keine geschlechtsdifferenzierende Aussage; anderenfalls wird an entsprechender Stelle gesondert darauf hingewiesen.

2 Siehe Diagramm.

3 Meine Beobachtungsposition entspricht dem Kreuz auf dem Sitzplan.

4 Skribbeln = Zeichnen, Kritzeln, skizzieren.

Ende der Leseprobe aus 103 Seiten

Details

Titel
Lebensraum Schule: Abschlussbericht über das Fachpraktikum Deutsch
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Institut für Germanistik)
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2004
Seiten
103
Katalognummer
V27547
ISBN (eBook)
9783638295772
Dateigröße
4945 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lebensraum, Schule, Abschlussbericht, Fachpraktikum, Deutsch
Arbeit zitieren
Frank Kretschmann (Autor:in), 2004, Lebensraum Schule: Abschlussbericht über das Fachpraktikum Deutsch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27547

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