Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Herkunft des s-Plurals
1.1 Altsächsische Ursprungstheorie
1.2 Französische Ursprungstheorie
1.3 Mittelniederländische Ursprungstheorie
1.4 Ansatz Neubildung des Deutschen
2 Die Pluralbildung mit –s
2.1 Substantive, die genusunabhängig ihren Plural mit –s bilden
2.1.1 Eigennamen
2.1.2 Kurzwörter und Akronyme
2.1.3 Onomatopoetika und Substantivierungen
2.2 Non-Feminina vs. Feminina
3 Defaultplural
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Der s-Plural war und ist ein kontrovers diskutiertes Thema in der deutschen Philologie. Schon früh gab es mehrere unterschiedliche Theorien von Linguisten, wie Matthias (1906), Behaghel (1916), Paul (1917), Hirt (1919) und Öhmann (1924), die über den Ursprung des s-Plurals berichteten. Jeder der oben genannten Linguisten äußerte sich dazu und stütze somit einen anderen Linguisten und dessen Theorie oder stellte seine eigene Hypothese zum Thema „Ursprung des s-Plural im Deutschen“ auf. Auch in den letzten 20 Jahren finden sich Linguisten, wie Köpcke (1993) und Nübling (2011), die sich zu diesem Thema äußerten. Insgesamt gibt es vier gute Ansätze der Linguisten, doch da es nur eine Theorie geben kann, die auch zufriedenstellend ist, werde ich mich im ersten Teil meiner Hausarbeit, mit folgender Frage beschäftigen: „Woher kommt der s-Plural im Deutschen?“
Außerdem wurde in den letzten beiden Jahrhunderten viel über die Systematik des s-Plurals gesprochen und geschrieben, also wann und wieso die Pluralbildung mit –s erfolgt und ob es dazu systematische Regeln gibt. Unter anderen haben sich die Linguisten Bornschein und Butt (1987), Wurzel (1994), Wiese (1996), Thieroff (2000), Fakhry (2008) und Eisenberg (2012) mit der Systematik des s-Plurals im Deutschen beschäftigt. Dem Nutzer des s-Plurals fällt zu Anfang auf, dass der s-Plural in allen drei Genera vorkommt (wie Uhu – Uhus, Auto – Autos, Bar – Bars). Des Weiteren stechen Fremdwörter (wie Lady – Ladys, Handy – Handys, Job – Jobs) heraus, die ihren Plural ebenfalls mit –s bilden. Doch da auch native Wörter (wie Opa – Opas, Uhu – Uhus, Auto – Autos) den Plural mit –s bilden, muss es systematische Regeln geben, die die Pluralbildung mit –s ankündigen. Somit fixiere ich mich im zweiten Teil der Hausarbeit auf die Systematik des s-Plurals und versuche zur folgender Frage Auskunft zu geben: „Wie ist die Pluralbildung mit –s im Deutschen systematisch aufgebaut?“
Einige Linguisten (u.a. Wiese 1996 und Bartke 1999) nennen den s-Plural auch „Defaultplural“, weswegen ich kurz, bevor ich meine Hausarbeit abschließe, Bezug zum Begriff „Defaultplural“ nehme.
1 Herkunft des s-Plurals
Es gibt Theorien über den Ursprung des s-Plurals im Deutschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Insgesamt lassen sich vier Theorien hervorheben, die vom altsächsischen Ursprung bis hin zur Neubildung des Deutschen reichen. Um einen Überblick zu bekommen, werden die Ansätze kurz erläutert und evtl. kritisch hinterfragt.
1.1 Altsächsische Ursprungstheorie
Die Theorie, dass der s-Plural direkt aus den Altsächsischen hervorgeht, wird besonders von Hirt gestützt. Ihm fiel auf, dass der s-Plural „das einzige neuhochdeutsche Pluralsuffix ist, das auf das Indogermanische zurückgeht und das mit dem gotischen Plural auf –os identisch ist“ (vgl. Hirt 1919, zitiert nach Öhmann 1924, S. 8). Die indogermanischen o-Stämme des Nominativ Plural hatten das Suffix –os, das aus (-o + -es) entstanden ist. Dies lässt sich auf die gotische Nominativform auf –õs und die altnordische auf –ar begründen. Bei den westgermanischen Sprachen weisen das Altsächsische, Angelsächsische und Altfriesische eine gemeinsame Entwicklung auf. Die Gemeinsamkeit ist die auf –s ausgehende Endung im Nominativ Plural. Im Altsächsischen ist dies –as bzw. -os und im Angelsächsischen ist dies –as (vgl. Öhmann 1924, S. 8f.). Anzuzeigen sind Wörter, die aus dem Lateinischen entlehnt worden sind und sich der altsächsischen Deklination angepasst haben, da dort mehrere Maskulina im Nominativ und im Akkusativ das Pluralsuffix –os oder –as aufweisen: fillulos, kiesas, prestros (vgl. ebd., S. 11).
1.2 Französische Ursprungstheorie
Einen ganz andere Annahme verfolgt Matthias, der den Standpunkt vertritt, dass der s-Plural ursprünglich in der Schriftsprache des 17. und 18. Jahrhunderts aus dem Französischen entlehnt worden sei bzw. durch die Eindeutschung viele französische Wörter, wie z.B. Bataillons und Mademoisellers, mit entlehnt worden sei (vgl. Matthias 1906, 48). Olt (1991, S. 14) nennt die wirtschaftliche Lage Deutschlands nach dem dreißigjähringen Krieg und die Zuwanderung franzsösicher Bürger in den deutschen Sprachraum als wegweisende Gründe für die Entlehung französischer Wörter. Das 17. und 18. Jh. wurde dominiert von der französischen Sprache. Fakhry (2008, S. 14) belegt dies unter anderem mit Audrücke, wie Rendezvous, Republik, Regime, Kotelett, Frisur, Kompliment, Konfitüre und dem Suffix –ieren.
Die Entlehung französischer Wörter ins Deutsche ist mehr als deutlich, doch der Urspung des s-Plurals ist ein anders Thema, weshalb auch einige Linguisten, wie z.B. Köpcke (1993) nicht daran glauben, und auch vehement gegen die Theorie argumentieren, dass die Pluralbildung mit –s aus dem Franzsösischen entstanden sei. Zum einen ist die Pluralbildung mit –s im Französischen die häufigste Form und zum anderen ist die Artikelflexion obligatorisch (vgl. Köpcke 1993, S. 152).
Ein Vergleich zwischen Singular und Plural soll dies einmal verdeutlichen:
Definit Artikel: Im Singular heißt es le/la (wie le livre, la femme) und im Plural heißt es les (wie les livres, les femmes).
Indefinit Artikel: Im Singular heißt es un/une (wie un citron, une pommes) und im Plural heißt es des (wie des citrons, des pommes).
Mit anderen Worten, Substantive im Französischen sind immer am Artikel markiert, z.B. la femme – les femmes. Dadurch lässt sich in der Sprache schnell klären, ob ein Substantiv im Singular oder Plural steht.
Wenn nun angenommen werden würde, dass der s-Plural aus dem Französischen entlehnt worden ist, dann sollten eigentlich erwartet werden, dass schon sehr früh, vor allem im westdeutschen Bereich, dieser stark verbreitet gewesen wäre, doch bis mindestens 1919 war die Pluralbildung mit –s, bei französische Lehnwörter, im badischen Bereich und in Elsass-Lothringen, nicht wirklich bekannt, obwohl die enge Bindung zu Frankreich bestand und somit auch viele französische Wörter, die entlehnt worden waren, in diesen Bereichen genutzt wurden.[1]
1.3 Mittelniederländische Ursprungstheorie
Bei dieser Theorie gibt es Uneinigkeit. Einig seien sich die Forscher, die diese Theorie stützen (u.a. Franck 1882), dass der s-Plural über das Mittelniederdeutsche auf das Mittelniederländische zurückgehe. Uneinig hingegen seien sie sich, woher der s-Plural im Mittelniederdeutschen seine Wurzeln habe (vgl. Öhmann 1924, S. 25). Öhmann (1924) selbst nimmt kritisch dazu Stellung und argumentiert so: „[…] auffällig [ist jedoch], dass bes. das ripuar., aber auch das moselfränk. bis zum niederalemann., welche mundarten doch alle in höherem oder geringerem grade mndl. lehngut zeigen – bes. das ripuar., das den königsweg des frz.-mndl. einflusses darstellte – den s-plural nicht kennen […].“ (ebd., S. 126). Die kritische Stellung Öhmanns und vor allem die Begründung, dass der s-Plural nicht aus dem Französischen entlehnt worden sei, sind ausreichende Gründe dafür, um diesen Ansatz beiseite zu schieben, weshalb ich auch nicht näher auf diese Theorie eingehen werde.[2]
[...]
[1] Zu den Flexionsverhältnissen im badischen Bereich siehe Ochs 1923.
[2] Falls doch noch mehr auf den Ansatz eingegangen werden möchte, empfehle ich Öhmann 1924, S. 25-54.