Die verschiedenen Deutungen des Titelkupfers von Grimmelshausens "Simplicissimus Teutsch"


Hausarbeit, 2012

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die verschiedenen Deutungen des Titelkupfers
2.1. Der Satyr
2.2. Der Einfluss von Horaz
2.3. Die scheußliche Seele

3. Fazit

4. Literatur- und Quellenverzeichnis

5. Appendix

1. Einleitung

„Hans Jacob Christoffel Grimmelshausen erscheint uns heute als der bedeutendste der deutschsprachigen Prosa-Autoren des 17. Jahrhunderts.“[1] Die Aufmerksamkeit des Lesers seines Werkes Simplicissimus Teutsch wird zunächst durch eine graphische Arbeit (Abbildung 1), bestehend aus einer Überschrift, einer Darstellung eines hybriden Wesens und einem Achtzeiler[2], geweckt. Dieses Frontispiz mit einer eigenartigen Mischgestalt sorgt für offene Fragen und Verwunderung.

Ein Titelkupfer kann z.B. als Inhaltsangabe fungieren, im Dienste der Selbstpräsentation in Erscheinung treten, oder Multifunktionalität aufzeigen.[3] Für ein barockes Buch ist so eine Art von Frontispiz nicht ungewöhnlich, da solche Kupferstiche, „besonders wenn ihre Gestaltung vom Autor mitbestimmt war, zur Aufschlüsselung, d. h. der im Sinne des Verfassers ‚richtigen‘ Interpretation des Textes mitgegeben“[4] worden. Bei der vorliegenden graphischen Darstellung wird zunächst jedoch nicht deutlich, welche Funktion das Bild erfüllen soll. Des Weiteren „fehlen die in der damaligen Zeit üblichen Widmungen an reale oder fingierte Persönlichkeiten und ‚Vorreden‘ an Leser.“[5] Die Aussagen des Achtzeilers „Ich flog durch die Lüffte“, „Ich wandert durchs Wasser“ oder „Ich raißt über Landt“ (ST, S. 10) den einzelnen Merkmalen Flügel, Fischschwanz und Hufe zuzuordnen, könnte ein erster Interpretationsschritt des Betrachters sein, doch ohne Kommentierungen und Erläuterungen des Autors und eine darauffolgende intensive Auseinandersetzung mit dem Buch wären unfundierte Aussagen das Ergebnis. Es verwundert also nicht, dass es bis heute sehr viele unterschiedliche Deutungen des rätselhaften Frontispizes gab.

In dieser Hausarbeit sollen die Deutungen des Titelkupfers von Grimmelshausens Simplicissimus Teutsch im 20. Jahrhundert von den wichtigsten Autoren vorgestellt, verglichen und mit Hilfe neuerer Forschungsliteratur (z.B. Bässler (2006), Borgstedt (2007)) kommentiert werden. Mit Walter Ernst Schäfers Arbeiten (1972) entstanden die ersten bis heute akzeptierten Interpretationen, welche zu Beginn analysiert werden. Im Anschluss werden die Deutungen von Hubert Gersch (1973) und Karl-Heinz Habersetzer (1974) thematisiert. Das abschließende Kapitel des Haupttextes wird die Arbeit von Rolf Tarot (1980) fokussieren.

2. Die verschiedenen Deutungen des Titelkupfers

„Nach den Deutungsversuchen von Scholte, Halfter und Rosenfeld in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, gewann die Forschung in den 70er Jahren an Breite und Dynamik.“[6]

Scholte sah 1912 „in der Pictura ein fantastisches Zwitterwesen mit Teufelskopf“[7] und bezeichnete die Subscriptio als eine der „geistlosen Reimereien“[8] des Herausgebers. Viele Thesen aus dem beginnenden 20. Jahrhundert wurden widerlegt und die Ergebnisse dieser Forschungsliteratur galten schon in den 1970er Jahren als überholt. 1972 beschäftigte sich Walter Ernst Schäfer, dessen Arbeit im folgenden Kapitel als Erstes fokussiert wird, vor allem mit dem Satyrkopf des Simplicissimus -Frontispizes und der Gebärde. „Er konnte überzeugend darlegen, daß Satyrn auf zeitgenössischen Titelblättern ein Signal für die satirische Textsorte waren.“[9] Als Hubert Gersch danach „eine aufschlußreiche Parallele zu den ersten Versen von Horaz‘ Ars Poetica entdeckte, schien das Rätsel gelöst“[10], da auch Karl-Heinz Habersetzer zu ähnlichen Ergebnissen kam. Tarot, der ebenfalls einen allegorischen Deutungsversuch vorlegte, fand jedoch – genau wie weitere Autoren – Schwachstellen in den Interpretationen der Horaz-Vertreter und präsentierte neue Ansätze, welche später allerdings ebenfalls nicht alle akzeptiert wurden.

2.1. Der Satyr

Schäfer sah – im Gegensatz zu Autoren wie Scholte am Anfang des 20. Jahrhunderts – keinen Teufelskopf in dem abgebildeten Wesen, sondern einen Satyr, womit das Frontispiz des Simplicissimus Teutsch den Roman für den Leser als Satire zu erkennen gibt.[11] In seinem Aufsatz verglich er dazu Werke von Johann Michael Moscherosch und konnte dadurch „viele Einzelheiten des Kupfers erläutern und in einen Zusammenhang mit der Poetik satirischen Schreibens bringen.“[12] Da gibt es z.B. die Zeigegeste der Hand auf das Buch, die er in seiner Arbeit „als satyrische Spottgeste des ‚Eselstechens‘ auf vergleichbaren anderen Kupfern und in volkskundlichen Kontexten nachweisen konnte.“[13] Durch weitere Merkmale, die er mit der Satyrtradition in Zusammenhang brachte, wie z.B. der Maske und dem Bocksfuß- und hörnern[14], stützte er seine Grundeinstellung, dass es sich bei dem Wesen auf dem Titelkupfer des Simplicissimus Teutsch um einen Satyr handele. Ein Satyr wurde als Mischwesen mit menschlichen und animalischen Zügen bezeichnet[15] und der Betrachter des Frontispizes kann diese Merkmale beim ersten Analysieren des Bildes definitiv erkennen. Auch Noehles (1976) erkannte die Attribute eines Satyrs und stützte seine Feststellungen, indem sie u.a. als eindeutig anerkannte, dass „[d]as Wesen […] auf einem Flossenfuß und dem zweiten eines Huftieres (Satyrmerkmal!) [steht].“[16]

Schon vor dem Bekanntwerden von Walter Ernst Schäfers Deutungen wurde der Kopf der Gestalt von Halfter[17] und Rosenfeld[18] als der eines Satyrs erkannt, doch Schäfer interpretierte dieses Merkmal auch als Signal für die Thematisierung der Satire.[19] Seine Thesen diesbezüglich blieben unbestritten, doch in der neueren Forschung kritisierte Borgstedt (2007) die „sehr allgemeine[n], letztlich unbefriedigte[n] Hinweise“[20] für die Mischgestalt des Objekts und Bässler (2006) die nicht ausreichenden Satyr-Deutungen, da „die Gestalt auf dem Simplicissimus-Frontispiz […] eben kein reiner Satyr […] [ist].“[21]

[...]


[1] Stadler, Ulrich: Satire und Romanform. Zur immanenten Poetik des Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, in: Daphnis 9, 1980, S. 89-108, hier: S. 89.

[2] Vgl. Grimmelshausen, Hans Jacob Christoffel von: Simplicissimus Teutsch. Werke in drei Bänden, Bd. I/1, hg. von Dieter Breuer, Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 2005, S. 10. Im Folgenden zitiert als ST.

[3] Vgl. Peil, Dietmar: Titelkupfer/Titelblatt – ein Programm? Beobachtungen zur Funktion von Titelkupfer und Titelblatt in ausgewählten Beispielen aus dem 17. Jahrhundert, in: Ammon, Frieder von/Vögel, Herfried (Hg.): Die Pluralisierung des Paratextes in der Frühen Neuzeit, Berlin: LIT Verlag 2008, S. 301-336.

[4] Noehles, Gisela: Das Titelkupfer zum Simplicissimus Teutsch, in: Berghaus, Peter/Weydt, Günther (Hg.): Simplicius Simplicissimus. Grimmelshausen und seine Zeit, Münster: Selbstverlag 1976, S. 109-116, hier: S. 109.

[5] Noehles, Das Titelkupfer zum Simplicissimus Teutsch (Anm. 4), S. 109.

[6] Bässler, Andreas: Eselsohren in der Grimmelshausen-Philologie. Die Kontroverse um das Titelkupfer des Simplicissimus – vom horazischen zum lukianesken monstrum in litteris, in: Simpliciana 28, 2006, S. 215-241, hier: S. 215.

[7] Busch, Walter: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen. Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch. Grundlagen und Gedanken zum Verständnis einzelner Literatur, Frankfurt am Main: Verlag Moritz Diesterweg 1988, S. 69.

[8] Scholte, Jan Hendrik: Probleme der Grimmelshausenforschung, Bd. 1, Groningen: Wolters 1912, S. 9.

[9] Michel, Paul: Eine bisher unbekannte Vorlage für das Titelkupfer des Simplicissimus: der abenteür hauptman, in: Simpliciana 8, 1986, S. 97-109, hier: S. 97.

[10] Bässler, Eselsohren in der Grimmelshausen-Philologie (Anm. 6), S. 215f.

[11] Vgl. Schäfer, Walter Ernst: „Der Satyr und die Satire. Zu Titelkupfern Grimmelshausens und Moscheroschs“, in: Rezeption und Produktion zwischen 1570 und 1730. Festschrift für Günther Weydt, 1972, S. 183-232.

[12] Borgstedt, Thomas: Emblem der Autorschaft. Das Titelkupfer des „Abendtheurlichen Simplicissimus“ im Kontext von Impresentheorie und Wunderzeichenliteratur, in: Simpliciana 29, 2007, S. 329-358, hier: S. 333.

[13] Borgstedt, Emblem der Autorschaft (Anm. 12), S. 333.

[14] Vgl. Bässler, Eselsohren in der Grimmelshausen-Philologie, S. 215.

[15] Vgl. Riedel, Wolfgang: "Homo Natura": Literarische Anthropologie um 1900, Berlin: Walter de Gruyter & Co. 1996, S. 189f.

[16] Noehles, Das Titelkupfer zum Simplicissimus Teutsch, S. 111.

[17] Vgl. Halfter, Fritz: Bildsymbol und Bildungsidee in Grimmelshausen Simplicius Simplicissimus, in: Euphorion Ergänzungsheft 17, 1924, S. 30-49, hier: S. 35.

[18] Vgl. Rosenfeld, Hellmut: Das deutsche Bildgedicht. Seine antiken Vorbilder und seine Entwicklung bis zur Gegenwart. Aus dem Grenzgebiet zwischen bildender Kunst und Dichtung, Leipzig: Mayer und Müller 1935, S. 66.

[19] Gersch, Hubert: Dreizehn Thesen zum Titelkupfer des Simplicissimus, in: Dokumente des Internationalen Arbeitskreises für Deutsche Barockliteratur 1, 1973, S.76-81, hier: S. 77.

[20] Borgstedt, Emblem der Autorschaft, S. 333.

[21] Bässler, Eselsohren in der Grimmelshausen-Philologie, S. 215.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Die verschiedenen Deutungen des Titelkupfers von Grimmelshausens "Simplicissimus Teutsch"
Hochschule
Universität Rostock
Note
1,0
Autor
Jahr
2012
Seiten
16
Katalognummer
V279071
ISBN (eBook)
9783656817772
ISBN (Buch)
9783656817789
Dateigröße
1195 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
deutungen, titelkupfers, grimmelshausens, simplicissimus, teutsch
Arbeit zitieren
MA Daniel Schroeder (Autor:in), 2012, Die verschiedenen Deutungen des Titelkupfers von Grimmelshausens "Simplicissimus Teutsch", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279071

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