Zur Entwicklung der französischen Sprache in Kanada


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

20 Seiten, Note: gut


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

2. DIE PROVINZ QUÉBEC. LAND UND LEUTE
2.1 SPRACHVERTEILUNG

3. GESCHICHTLICHER ABRIß
3.1 GRUNDLEGUNG DER FRANZÖSISCHEN SPRACHE IN KANADA
3.2. SPRACHPFLEGE UND -POLITIK IM 20. JAHRHUNDERT

4. BESONDERHEITEN DES FRANÇAIS CANADIEN
A) AUSSPRACHE
B) MORPHOLOGIE
C) SYNTAX
D)WORTSCHATZ
E) ÜBERNAHMEN AUS DEN INDIANER UND ESKIMOSPRACHEN
F) ANGLIZISMEN

6. TENDENZEN

7. LITERATURVERZEICHNIS

1. Einleitung

Toronto, im März 1996. Am Flughafen sind zweisprachige Hinweisschilder zu sehen - auf englisch und französisch. Die anglophone Vormachtstellung scheint eingeschränkt, Zweisprachigkeit durchgesetzt. Der Immigration Officer läßt sich allerdings nicht auf ein Gespräch in Französisch ein.

Im Hostel das erste Zusammentreffen mit einem Kanadier aus Québec. Doch der Kommunikationsversuch mit ihm scheitert kläglich. Er versteht mein Französisch nicht, ich kann mit seinem nichts anfangen - sollten die Vorurteile über das kanadische Französisch - vor der Reise hatte ich davon gelesen - also stimmen? Im Reiseführer wurde es als Schock beschrieben, was Frankokanadier ereilt, wenn sie, nach einer langen Reise, zum ersten Mal in Paris sind und versuchen mit den Franzosen zu sprechen - endlich im Ursprungsland ihrer Muttersprache und doch müssen sie erleben, daß sie genauso wenig verstanden werden wie zum Beispiel in Ontario.

Gespannt warte ich auf die Fahrt nach Montréal.

Dort hört man Ungewohntes. Le char statt la voiture und zum Dank, nicht zur Begrüßung, ein bienvenue - offensichtlich anglophon beeinflußt durch „ you are welcome “ - und es lassen sich erste Regeln der „Andersartigkeit“ erkennen.

Die Provinz Québec steht nicht unter dem Bann(er) des Ahornblattes wie die übrigen kanadischen Provinzen, sondern unter dem der Lilie - dem alten Symbol der Macht der französischen Könige. Von den anderen Provinzen unterscheidet sie nicht nur die Sprache, sondern auch das Erinnern an vergangene Zeiten. So steht auf den Kennzeichen der in Québec zugelassenen Autos: „Je me souviens.“ Eine Erinnerung an Früher offensichtlich.

Ist nun, wie die Lilie aus der französischen Fahne, die aktuelle Entwicklung aus dem Französischen im frankophonen Teil Kanadas verschwunden? Die geschichtliche Entwicklung und die Besonderheiten des Französischen in Québec sollen Thema der hier vorgelegten Arbeit sein.1

2. Die Provinz Québec. Land und Leute

Die Provinz Québec ist heute die größte der kanadischen Provinzen. Sie umfaßt mit einer Fläche von 1.540.680 Quadratkilometern 15,5% der Gesamtfläche Kanadas. In ostwestlicher Richtung erstreckt sich die Provinz über 1.610 Kilometer, in nordsüdlicher über 1.930 Kilometer. Das Mutterland Frankreich nimmt sich dagegen klein aus. Dessen Festland dehnt sich über 551.695 Quadratkilometer aus, der „Durchmesser“ des Hexagons beträgt rund 1.000 Kilometer (Michaud, 8).

Der Name der Provinz Québec ist die Ableitung eines Begriffes aus der AlgonkinSprache der Ureinwohner und meint: Der Ort, wo der Fluß fließt. Angespielt wird mit dieser Bezeichnung auf den mächtigen Sankt-Lorenz-Strom in der Nähe der heutigen Provinzhauptstadt, die den selben Namen trägt wie die gesamte Provinz.

In der Provinz Québec leben 6.895.963 Menschen (Volkszählung 1991), in Frankreich auf wesentlich weniger Fläche verteilt 58 Millionen. In den Weiten der kanadischen Provinz verlieren sich die Bewohner gewissermaßen, so daß die Bevölkerungsdichte bei etwa vier Personen pro Quadratkilometer liegt. 78 Prozent der Bevölkerung leben allerdings konzentriert in den Städten.

2.1 Sprachverteilung

Die Einteilung der Einwohner Québecs nach ihren Muttersprachen ergibt heute folgendes Bild:

80 Prozent der Einwohner haben Französisch als Muttersprache, neun Prozent Englisch. Die anglophonen Sprecher der Provinz Québec leben insbesondere in Montréal. Ethnische Minderheiten, zumeist nicht in Kanada geboren, sprechen überwiegend Englisch. Dazu gehören beispielsweise Italiener, Libanesen und Griechen. Außerdem sei erwähnt, daß in Québec noch mehr als 75.000 Indianer und 11.400 Mestizen (m é tis) - Mischlinge europäisch-indianischer Abstammung - leben.

3. Geschichtlicher Abriß

Das Gebiet des heutigen Québec war ursprünglich von den Algonkin, Huronen und IrokesenStämmen besiedelt. Für den Beginn dieser Untersuchung entscheidend ist das Jahr 1534. Der französische Forschungsreisende Jacques Cartier landet in diesem Jahr auf der Halbinsel Gaspé und nimmt das Land für Frankreich in Besitz.

Die systematische Kolonisierung des neu gewonnenen Fleckens Erde beginnt allerdings erst später, da die aufkommenden Religionskriege Frankreich in innere Unruhe versetzten. 16082 gründete der Franzose Samuel de Champlain dann eine Niederlassung mit Siedlern aus Europa, die heutige Stadt Québec. Noch zwanzig Jahre später lebten erst 76 Personen dort. Ansiedlung und Kolonisierung erfolgten relativ langsam, denn die Franzosen waren offenbar mehr daran interessiert, mit den Indianern (Pelz-)Handel zu treiben, als Siedlungen zu gründen und den Boden landwirtschaftlich nutzbar zu machen.

Im Mutterland war es Kardinal Richelieu vorbehalten, das Interesse an den neuen Territorien bei einer breiteren Öffentlichkeit zu wecken. 1627 gründete er eine Monopolgesellschaft (die Compagnie des Cent-Associ é s) und stattete sie mit dem Recht aus, seigneuries auf dem anderen Kontinent zu vergeben und zwar an Personen (seigneurs genannt), die sich in der Lage sahen, Landsleute zu finden, die geeignet und geneigt waren, die Gebiete der Nouvelle-France zu besiedeln. Erst sieben Jahre später wurde die Gesellschaft konkret tätig und mit der Gründung von Trois Rivières und dann von Montréal3 nahm die Besiedlung peuàpeu zu.

In der Anfangszeit der Kolonisierung lassen sich zwei Faktoren ausmachen, die für die Entwicklung der französischen Sprache in dieser Region bedeutend werden sollten. Zum einen waren von Anfang an katholische Ordensleute4 unter den Kolonisten, die unter diesen nicht nur auf hohe moralische Maßstäbe achteten, sondern auch für die Schulbildung sorgten. Zum andern lebte und litt die Kolonie unter den verfeindeten Indianerstämmen. Die Irokesen hatten sich auf die Seite der Briten geschlagen, die Huronen hingegen auf die der Franzosen. Hier deutet sich schon die Opposition zwischen den Sprachlagern an. Die französische und die englische Regierung hatten unter den Ureinwohnern also jeweils ihren eigenen Stamm, der die jeweilige Sprache der Kolonisten zu lernen hatte.

Das Gebiet, das durch die Siedler erschlossen wurde, lag in den heutigen Provinzen Québec und Ontario. Den Namen für diese Gegend haben die habitants 5 aus dem Irokesischen abgeleitet: kanata „Dorf“.

Einen offiziellen Anstrich bekam die Kolonie unter Ludwig XIV. Sein Minister Jean Baptiste Colbert wandelte sie 1663 in eine Kronkolonie um. Nunmehr wurden Truppen - 1.200 Mann stark (LRL, 741) - zu ihrem Schutz entsandt, Besiedlung und Industrialisierung vorangetrieben. 1683 lag die Bevölkerungszahl bei knapp 10.000 Personen. Aus Angst vor einer zu starken Abwanderung der einheimischen Bevölkerung stellte Frankreich die Unterstützung der Kolonisierung ein. Daß die Zahl der Bevölkerung in Québec nichtsdestotrotz weiter zunahm kann auf die hohe Geburtenrate zurückgeführt werden. Trotzdem war die Zahl der französischen Einwohner mit knapp 15.000 weitaus geringer als die rund 200.000 englischen (ibid.).

Die Auseinandersetzungen zwischen Briten und Franzosen in der neuen Welt spitzten sich in der Mitte des 18. Jahrhunderts so sehr zu, daß es zum Krieg (1754 - 1763) kam. Die beiden Mächte stritten um die Vorherrschaft in Nordamerika, Neufrankreich wurde zum Kriegsschauplatz und im Jahre 1759 fiel die Stadt Québec in die Hände der Briten6. Im Frieden von Paris muß Frankreich 1763 die Kolonie Nouvelle-France bzw. Québec an die britische Krone abtreten. Damit wird der Sprachkontakt der französischsprachigen Einwohner zum Mutter(-sprachen)land unterbrochen. Dies ist das entscheidende Ereignis für die besondere Sprachentwicklung im frankophonen Teil des heutigen Kanadas.

Elf Jahre später, 1774 sah sich das britische Parlament zu Zugeständnissen an die französischen Siedler gezwungen. Im Qu é bec-Act erhielten diese das Recht, auch fürderhin die französische Sprache zu gebrauchen, außerdem sollte neben dem englischen Strafrecht weiterhin das französische Zivilrecht gelten.

Der Constitutional Act bringt 1791 eine Teilung der nunmehr britischen Besitztümer entlang des Ottawa River in die mehrheitlich anglophone Provinz Oberkanada (Upper Canada - heute Ontario) und die mehrheitlich frankophone Provinz Unterkanada (Lower Canada - heute Québec). Diese bekam ein zwar Kolonialparlament, die Exekutive blieb jedoch in den Händen des britischen Generalgouverneurs.

1837 und im Jahr darauf kam es zu Aufständen der Bewohner Unterkanadas, woraufhin das britische Parlament 1841 im Act of Union die Vereinigung der beiden Provinzen verfügte. Dadurch wurde nahezu jegliche politische Einigung blockiert, denn das anglophone Oberkanada und das frankophone Unterkanada lähmten sich nunmehr gegenseitig.

Um dieser Zwickmühle zu entgehen, sollten Ober- und Unterkanada mit den übrigen britischen Kolonien in Nordamerika vereinigt werden. Dies gelang schließlich mit dem British North America Act, der 1867 das Dominium of Canada begründete. Dieser Föderation gehört Québec nunmehr als Provinz an.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich die Bevölkerungsstruktur verändert, es kamen viele Einwanderer aus Süd- und Osteuropa ins Land, viele Frankokanadier hingegen wanderten auf der Suche nach besseren Arbeitsmöglichkeiten in andere Provinzen ihres Landes oder gar in die Vereinigten Staaten von Amerika aus.

So mußten die verbliebenen Frankokanadier immer mehr um den Erhalt ihrer Sprache und Kultur fürchten.

Im Rahmen der sogenannten r é volution tranquille 1967 strukturierte die Provinzregierung die konfessionsgebundenen Schulen um und versuchte durch Reformen, das industrielle Wachstum zu ermuntern; trotzdem verschafften sich immer stärker diejenigen Gehör, die einen von Kanada unabhängigen Staat Québec forderten. Spektakulär schaffte sich der Front de lib é ration du Qu é bec (FLQ) mit Bombenanschlägen Gehör.

[...]


1 Zu Kapitel 2f vgl. Microsoft Encarta „Quebec“.

2 Im Jahr nach der ersten Siedlung der Engländer in Jamestown, Virginia. 4

3 1642 als Ville-Marie gegründet.

4 In erster Linie Jesuiten, die schon 1635 das Coll è ge de Qu é bec gründeten.

5 So nannten sich die Siedler in der neuen Welt im Unterschied zu den agriculteurs in Frankreich.

6 Die französische Bevölkerung der Akadie ist bereits seit 1713 unter britischer Herrschaft. Ihre Nachkommen leben heute noch als Cajuns ( Acadiens) in Louisiana, USA.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Zur Entwicklung der französischen Sprache in Kanada
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Romanistik)
Veranstaltung
Varietäten des Französischen
Note
gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
20
Katalognummer
V27925
ISBN (eBook)
9783638298414
Dateigröße
607 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Zunächst wird die Geschichte und aktuelle Situation der Provinz Québec beleuchtet. Nach den Wurzeln der französischen Sprache in Kanada wird Sprachpflege und- politik im 20. Jahrhundert untersucht. Es folgen Ausführungen zu Besonderheiten des kanadischen Französisch in den Bereichen von Aussprache, Morphologie, Syntax, Wortschatz und Übernahmen aus Indianer- und Eskimosprachen sowie dem Englischen.
Schlagworte
Entwicklung, Sprache, Kanada, Varietäten, Französischen
Arbeit zitieren
Ralf Strauss (Autor:in), 2001, Zur Entwicklung der französischen Sprache in Kanada, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27925

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Zur Entwicklung der französischen Sprache in Kanada



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden