Die vorliegende Bachelorarbeit befass sich mit der Bedeutung von Archivarbeit für die (Selbst-)Bildung. Neben einem allgemeinen Überblick über das Archiv als Bildungsort und verschiedenen Archivarten wird im ersten Abschnitt darauf eingegangen, welche Bildungsprozesse in Archiven aktiviert werden und welche Ansätze in der archivpädagogischen Arbeit verfolgt werden können. Weiterhin wird anhand eines konkreten Besipiels, eines Archivs für Schulwandbilder, untersucht, welche Bildungspotentiale hier entfaltet werden können.
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung
2 Das Archiv als Bildungsort
2.1 Bedeutung der Archivarbeit
2.1.1 Begriffserklärung
2.1.2 Archivarten
2.1.3 Archivarbeit
2.2 Bildungspotentiale
2.2.1 Zum Stellenwert der Dinge
2.2.2 Kulturelle Bildungsprozesse im Archiv
2.3 Ansätze einer archivpädagogischer Arbeit
2.3.1 Arbeit mit Kindern und Jugendlichen
2.3.2 Arbeit mit Erwachsenen
3 Die Forschungsstelle Historische Bildmedien der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
3.1 Relevanz der Bildquellen
3.2 Das Bilderarchiv als Bildungsort
3.3 Ansätze der Erschließung
4 Schlussbetrachtung
5 Literaturverzeichnis
1 Einführung
„[D]ie Erfahrungen ganzer Generationen zu vernichten, diese Verschwendung können wir uns nicht leisten. Wir müssen uns bücken und aufheben, was nicht vergessen werden darf: Es ist unsere Geschichte, die da verhandelt wird.“
(Kemposwskio.A., S. 7)
Denkt man an kulturelle Bildung, an Bildungsorte außerhalb öffentlicher Lehranstalten, so fallen einem doch meistens folgende Orte ein: Museen, Kunstgalerien, Theater, vielleicht auch Bibliotheken. Archive werden die meisten Menschen im ersten Augenblick wohl eher weniger in Betracht ziehen. Was ist das überhaupt, ein Archiv? Nicht selten assoziieren Menschen diesen Begriff mitRäumen, vollgepackt mit angestaubten Dokumenten, oder mit einemkauzigen, weißhaarigen Archivaren, der den ganzen Tag in seinem dunklen Archiv sitzt und alte Papiere durchforstet.Ein Anderer verbindet den Begriff Archiv eher mit Rechercheorten für Spezialisierte, etwa für Wissenschaftler oder Journalisten.
Doch ein Archiv als Ort der Bildung?
Ebenso wie ein Museum oder eine Bibliothek zum Wissens- und Erfahrungserwerb geeignet ist, kannein Archiv Ort der kulturellen Selbstbildung sein, auch für den „Normalbürger“.
In folgender Arbeit soll erörtert werden, was ein Archiv als Ort der Bildung von anderen kulturellen Institutionen wie Museen oder Bibliotheken abhebt und worin die Besonderheiten der Bildungschancen an solch einem Ort bestehen können. Besonderer Zuwendung gilt der Frage, welchen Stellenwert die Dinge an sich, im Speziellen die historischen Quellen einer archivalischen Sammlung, für die individuelle Bildung eines Menschen einnehmen können.Vornehmlich ist der Verfasserin dieser Arbeit daran gelegen, den besonderen, außergwöhnlichen Charakter der Dinge des Archivs herauszustellen sowie zu analysieren, welchen Reiz diese Objekte auf die Bildung eines Menschen ausüben können.
Diese schriftliche Abhandlungbefasst sich im ersten Teil mit dem Archiv im Allgemeinen als Bildungsort. Hierbei wird die Bedeutung der Archivarbeit kurz zusammengefasst und die verschiedenen Arten von Archiven werden vorgestellt. Weiterhin sollen die Bildungspotentiale herausgestellt und analysiert werden, die im Rahmen archivpädagogischer Arbeit möglich sind. An dieser Stelle soll zunächst dargelegt werden, inwiefern die Dinge beziehungsweise die Gegenstände des Archivs von großer Bedeutung für die kulturelle Selbstbildung sind, diese überhaupt erst in Gang setzt. Im zweiten Abschnitt wird die Forschungsstelle Historische Bildmedien der Julius-Maximilians-Universität Würzburg vorgestellt. Nach einer knappen Vorstellung der Forschungsstelle sollauf die forschungswissenschaftliche und archivpädagogische Bedeutsamkeit von bildlichen Quellen wie Schulwandbildern eingegangen werden. Es wird erläutert, warum Bildquellen wie die des Hochschularchivs in Würzburg von solch besonderer Geltung für die eigene Bildung sein können und wie vorhandene Bildungschancen im Bilderarchiv der Universität genutzt werden können. Es werden Beispiele für archivpädagogische Ansätze angesprochen, die sich für die Durchführung in der Forschungsstelle der Universität möglicherweise eigneten. Abschließend wird zusammenfassend ein Ausblick auf die Möglichkeiten der zukünftigen archivpädagogischen Arbeit im Bilderarchivherausgearbeitet .
2 Das Archiv als Bildungsort
Der Mensch ist ein Sammler: er sammelt Dinge, Objekte, Werke - von alten Familienfotos über Briefmarken und Bücherbis hin zu Gemälden und Antiquitäten.„Wir sind, was wir sammeln“ (Groys, 1997, S. 46). Doch weshalb ist uns das Sammeln so wichtig? Hierzu bemerkt Claude Lévi-Strauss passend:
„...die Menschen unterscheiden sich nur, ja existieren nur durch ihre Werke. ...allein sie (liefern) den Beweis, daß sich im Laufe der Zeiten unter den Menschen wirklich etwas ereignet hat.“ (Lévi-Strauss 1995, S.172).
Wir benötigen also Plätze für diese Werke und Objekte, über die wir uns definieren. Raum für all unsere Sammlungen schaffen wir in Museen, Bibliotheken und Archiven. Diese dienen der Dokumentation unserer gelebten Zeit, denn in der Sammlung bewahren wir Zeit, die für uns von Bedeutung ist, seien es Bilder, Erlebnisse oder Empfindungen jeglicher Art. Wir sind demnach Zeitensammler: wir tragen Erinnerungen und gelebte Zeit zusammen und musealisieren sounsere Lebenszeit (vgl. Dörpinghaus / Uphoff 2012, S.81). Institutionen wie Museenoder Archive verwahren all die Dinge, Objekte und Werke, die für uns,wie Friedrich Waidacher die zentrale Aufgabe des Museums treffend beschreibt, Erinnerung bewahren (vgl. Waidacher 1996, S.1).
Erinnerung bewahren, das bedeutet laut Waidacher
„ [...] von gestern und heute erzählen, von nah und fern, vom Vertrauten und vom Fremden; Orientierung geben, Menschen dabei helfen, sich in der Gegenwart besser zurechtzufinden, sich auf eine mögliche Zukunft vorzubereiten; [...] durch Begegnung mit konkretenGegenständen innere Bewegung ermöglichen, die zu verstehendem Erleben führen kann.“ (ebd. 1996, S. 1)
Darum soll es nun in diesem ersten Kapitel gehen: um das Sammeln, das Bewahren von Erinnerungen, insbesondere mittels Archiven, sowie um die Bildungspotentiale, die sich durch die Archivarbeit entfalten können. Zuletzt soll angeführt werden, welche Ansätzeund Quellen sich zur archivpädagogischen Arbeit eigneten.
2.1 Bedeutung der Archivarbeit
Was genaubezeichnet der Begriff Archiv eigentlich? Oftmals werden die Vokabeln Archiv, Bibliothek und Museum der gleichen Disziplin zugeordnet, ohne sie eindeutig voneinander abzugrenzen (vgl. Eckhart 72007, S.1). Sicherlich haben alle drei Institutionen Gemeinsamkeiten aufzuweisen, denn schließlich beschäftigen sie sich allesamt mit dem Sammeln, Bewahren und Ausstellen verschiedenster Gegenstände und ihre Arbeit ist häufig miteinander verknüpft. Dennoch soll nun kurz hervorgehoben werden, was ein Archiv von anderen Dokumentationsinstituten (vgl. ebd., S.2) unterscheidet.
2.1.1 Begriffserklärung
Im Dudenfindet sich folgende Definition des Begriffes Archiv:
„Archiv, das […]
1.Einrichtung zur systematischen Erfassung, Erhaltung und Betreuung von Schriftstücken, Dokumenten, Urkunden, Akten, insbesondere soweit sie historisch, rechtlich oder politisch von Belang sind
2. geordnete Sammlung von [historisch, rechtlich, politisch belangvollen] Schriftstücken, Dokumenten, Urkunden, Akten
3. Raum, Gebäude für ein Archiv“(Bibliographisches Institut 2013)
Der Begriff Archiv lässt sich aus dem Griechischen herleiten: er geht auf die Vokabel archeion zurück, die wiederum von dem Stammwort arché = die Behörde, die Amtsstelle herrührt. Die daraus abgeleitete entsprechende lateinische Bezeichnung lautet archivum. So wird also erkenntlich: die originäre Aufgabe eines Archivs war die Aufbewahrung von Behörden- und Verwaltungsschriftgut, also allen Schriftguts, das aufgrund rechtlicher oder administrativer Zwecke für längere Zeit bewahrt werden sollte (vgl. ebd., S.1). Heute umfassen archivische Bestände sämtliches aufgrund seines Quellenwertes „archivwürdiges“ Schrift-, Bild- und Tongut, das staatlichen und nichtstaatlichen Dienststellen und Einrichtungen, Verbänden, Betrieben oder auch Einzelpersonen zur dokumentarischen Fixierung diente (vgl. ebd., S.2). So wie Bibliotheken und Museen sind auch Archive der „ ‚Sammlung, Ordnung und Verbreitung von Dokumenten aller Art für alle Bereiche menschlicher Tätigkeit‘“ (ebd., S. 2) verschrieben. Archive allerdings, und das ist ein bedeutender Unterschied zu den anderen Einrichtungen, bieten ein Assortiment von funktional zusammenhängendem, organisch erwachsenem Archivgut, das zu verwaltungsmäßigen, rechtlichen oder geschäftlichen Zwecken enstanden ist und erst im Nachhinein „zum Quellenreservoir der Historiker, zum wichtigsten Datenspeicher der Vergangenheit“ (ebd., S.1) wurde. (vgl. ebd., S.2)Zunächst waren die meisten Archive, wie etwa die Staatsarchive der jeweiligen Staatsregierung, weitestgehend geheim. Im Laufe des 19. Jahrhunderts jedoch wurden die Archive immer weiter für immer mehr Nutzer geöffnet. Nun war es Historikern und anderen interessierten Forschern möglich, archivalische Quellen für wissenschaftliche Recherchen, Bücher, Essays etc.zu verwenden. (vgl. Schenk 2013, S. 100 ).
2.1.2 Archivarten
Für die Suche und Auswahl relevanter Archivquellen zur Nutzung für eine wissenschaftliche Arbeit muss zunächst beachtet werden, dass eine Vielzahl verschiedener Arten von Archiven existiert, die unterschiedliche historische Dokumente verwahren. Zum einen gibt es Staatsarchive (auch Zentralarchive oder Nationalarchive), die vornehmlich das gesamte Schriftgut der jeweiligen Staatsregierung, ihrer Behörden und eventuell deren Vorläufer bis ins Mittelalter zurückreichendarchivieren; diesen untergeordnet sind Provinzial- und Regionalarchive, welche für die Bewahrung der historischen Überlieferung der Region verantwortlich sind (vgl. Franz 72007, S. 16). Die Bundesrepublik Deutschland verfügt über das 1952 in Koblenz gegründete Bundesarchiv, das unter anderem Archivgut der Reichsregierung und der NSDAP beheimatet, sowie über Hauptstaatsarchive der Bundesländer, die zumeist auch das Regionalarchivgut der umliegenden Bezirke verwalten (vgl. ebd., S. 18f.). Inhaltlich zumeist eng verbunden mit den Staatsarchiven sind die privaten Archive des hohen und niederen Adels, die häufig die gesamte ältere Dokumentation für den einstigen Herrschaftsbereich von Grafen- und Fürstenhäusern beinhalten, wie etwa Nachlässe politisch oder militärisch involvierter Familienangehöriger (vgl. ebd., S. 23).
Eine bedeutende Kategorie neben den staatlichen Archiven bilden die Stadt- und Kreisarchive beziehungsweise Kommunalarchive: diese bieten eine beachtliche Dichte der Überlieferung wirtschaftlicher und politischer Außenbeziehungen sowie wirtschafts- und sozialhistorischer Themenbereiche, nicht zuletzt aufgrund der anwachsenden Delegierung staatlicher Verwaltungsaufgaben an die kommunalen Verwaltungen (vgl. ebd., S. 21f.).
Für den Bereich der kulturwissenschaftlichen Archivarbeit werden in Archiven für Literatur, Kunst und Wissenschaft unter anderem schriftliche Nachlässe von Künstlern, Schriftstellern und Wissenschaftlern organisiert. So wurden in etwa seit Beginn des 20. Jahrhunderts erste autarke Literaturarchivewie das Goethe- und Schiller- Archiv in Weimar geschaffen. Wichtige Anlaufstellen für Sammlungen von Nachlässen, wirtschaftlichem, technischem und künstlerisch-kulturellem Archivgut sind außerdem die Hochschularchive (vgl. ebd., S. 33f.). Des Weiteren sind Presse-, Rundfunk- und Filmarchive für die Sicherung historischer Zeitungs-, Bild- und Filmmaterialbestände zuständig, wobei die Archive der Zeitungen und Presseagenturen generell weniger die dauernde Aufbewahrung der schriftlichen Bestände, sondern vielmehr die zentrale Aufgabe der Aufbereitung und Bereitstellung von Informationsmaterial für laufende Recherchearbeit innehaben (vgl. ebd., S. 36). Zur Recherche zu wirtschaftlichen oder politischenThemengebietenbieten Wirtschaftsarchive von gewerblichen Betrieben und Konzernensowie Parlaments-, Partei- und Verbandsarchive entsprechendes Quellenmaterial.
2.1.3 Archivarbeit
Es existieren also thematisch vielfältige unterschiedliche Kategorien von öffentlichen Archiven. Nun stellt sich die Frage nach der Bedeutung der Arbeit mit archivalischen Quellen. Wozu geht ein Mensch ins Archiv? Vom Stellenwert sammlerischer Tätigkeit in Einrichtungen wie Museen und Archiven berichtet Friedrich Waidacher 1996 in einer niedergeschriebenen Rede, die er im Rahmen eines Workshops zum Sammlungsmanagment hielt. Hiernach beherbergen Museen Objekte, Naturafakte (natürliche, nicht von Menschenhand gemachte Materialien) sowie Artefakte. Diese Dinge bestätigen uns Fakten, sie liefern Beweise für bestimmte Ereignisse und Zusammenhänge. Solche Gegenstände haben gemeinhin einen einmaligen, unersetzbaren und authentischen Charakter inne. Auch Institutionen wie Bibliotheken oder Archive sammeln Objekte. In diesem Fall jedoch sind die darin enthaltenen Informationen nicht originär, sondern sekundär. Hier werden hauptsächlich Mentefakte aufbewahrt. In ihnen befindet sich die Bedeutung nicht in der Materialität des Gegenstandes, sonden in den dargebotenen Informationen. So ist beispielsweise auch die tausendste Druckauflage eines Schaubilds noch ebenso aussagekräftig wie die Originalausgabe. Dennoch bedeutet dies nicht, dass die Grenzen zwischen Artefakt und Mentefakt klar abgesteckt sind: ein Objekt, wie etwa ein besonders seltenes Schulwandbild aus dem 19. Jahrhundert, kann beides zugleich sein; doch auch das hundertausendste Exemplar einer Mathematik-Schautafel kann in einem Archiv eine wichtige Rolle spielen (vgl. Waidacher 1996, S. 2ff). Denn Archivquellen verfügen über eine außerordentliche Glaubwürdigkeit, da der Zweck, für den eine Archivalie in ihrem Ursprung geschaffen wurde, ein ganz anderer ist als der, für den sie heute als Quelle genutzt wird. Mit einer schriftlichen Fixierung sollte beispielsweise nur ein Immobilienkauf festgehalten werden, ein schulisches Schaubild über den Aufbau der inneren Organe des Menschen diente ursprünglich der Visualisierung im Biologieunterricht. Dies waren die „Primärzwecke“ dieser Objekte. Diese Eigenschaft des Primärzwecks macht eine Archivalie zum unmittelbaren, historisch-wissenschaftlichen Beweisstück für die Anwendung im Rahmen des „Sekundärzweckes“. Archivquellen sind demnach echt, original und authentisch. (vgl. Burkhardt 2006, S. 59f.)Gegenstände,Dinge oder Werke, die potentiell einer bestimmten Bedeutungsqualität zugewiesen werden können, vereinigt man unter dem Begriff der Musealität (vgl. Waidacher 1996, S. 2).Diese Bezeichnung beschreibt die Geisteshaltung, bestimmten Objekten einen so hohen Stellenwert einzuräumen, dass sie möglichst unbeschadet erhalten werden, um deren Bedeutung den Mitmenschen ebenso wie der Nachwelt vermitteln zu können. Waidacher beschreibt diesen Vorgang als Mittel der Erinnerungsfixierung (vgl. ebd., S. 2).[1] Es ist also evident, dass historische Sammlungsobjekte von hoher Wichtigkeit und Unersetzbarkeit sind. Infolgedessen ist auch die wissenschaftlich korrekte Dokumentation des Archivguts eine zentrale Aufgabe der Archivmitarbeiter.
Friedrich Waidacher benennt im Titel des zuvor genannten Vortrags den „redlichen Umgang mit den Dingen“ - er beantwortet darin die Frage, wie der angemessene Umgang mit Objekten von historischem Wert aussehen kann und muss. Maßgeblich ist eine „außerordentliche Gewissenhaftigkeit“, die den Objekten aufgrund ihrers hohen historischen Wertes stets entgegengebracht werden sollte. Die Aufgaben eines Museums und auch eines Archivs können unter der Trias Sammeln – Bewahren – Vermitteln zusammengeschlossen werden. Das ordnungsgemäße Bewahren der Dinge, oftmals auch Konservierung genannt, soll dafür sorgen, dass die Sammlungsgegenstände möglichst unbegrenzt lange erhalten und ihre materielle Integrität und damit ihr Beweischarakter beibehalten werden. Nur so ist der langfristige Zugriff auf historisch und wissenschaftlich relevante Quellen zur Recherche gewährleistet. Kurzum: der redliche, behutsame Umgang mit den Dingen des Archivs gewährt die Erhaltung dieser historisch-kulturell bedeutsamen Dokumente. (vgl. für den gesamten Abschnitt Waidacher 1996, S. 1-8)
Man hat es im Archiv demzufolge mit besonderen Dingen zu tun, mit Dokumenten, die aufgrund ihrer Historie und ihrer Authentizität auch heute noch von hohem Wert sind. Es ist also unerlässlich, mittels der Archivarbeit an der Erhaltung dieser Originale mitzuwirken und somit potentiellen Nutzern bzw. Besuchern des Archivs die Möglichkeit zu geben, mit solch authentischen geschichtlichen Dokumenten in Berührung kommen zu können.
2.2 Bildungspotentiale
Wir sammeln unzählige Gegenstände, wir eröffnen und erhalten tausende Museen und Archive, um einen Aufbewahrungsort für all diese Dinge zu haben
...doch weshalb? Wieso empfinden wir Dinge als „Beinahe-Kameraden“ (Merleau-Ponty 1986, S. 234; vgl. auch Meyer-Drawe 2003, S. 16), obwohl sie nicht einmal als Gesprächspartner taugen? (vgl. Meyer-Drawe 2003, S. 16)
Vor allem, weil sie unsere Erinnerungen bewahren. In unserem heutigen modernen Verhältnis zur Zeit spielen das Konservieren von Erinnerungen sowie eine „zunehmende Intensität unserer Zuwendung zur Vergangenheit“ (Lübbe 1990, S. 40) eine bedeutende Rolle.
2.2.1 Zum Stellenwert der Dinge
Das Sammeln ist ein Urtrieb des Menschen, ein Grundimpuls, der uns zur Materialsicherung antreibt, wie seit jeher das Anschaffen und Aufbewahren von Nahrungsmitteln (vgl. Assmann 2008, S. 345). Das Sammeln ist das menschliche Verlangen nach Vergangenheitsfixierung; die Dinge werden in der Sammlung aus ihrer Alltagsbedeutung enthoben und in einen neuen Kontext gebracht: „Sammeln ist ein Veto gegen den Zahn der Zeit und die Naturgewalt des Vergessens.“ (ebd., S. 345)
Um einige der Dinge vor dem Vergessen zu bewahren, wenn diese aus dem ersten Kontext entfallen sind, können wir sie in einen zweiten, einen neuen Bezugsrahmen aufnehmen: in die Sammlung (vgl. ebd., S. 347). Die ehemalige funktionale, emotionale oder materielle Qualität eines Gebrauchsgegenstandes wird abgelegt und in einer neuen Komposition, zusammen mit weiteren Dingen, einer neuen Bedeutung zugeschrieben, wie etwa der eines historischen Relikts (vgl. ebd., S. 347). Archivalien als Überreste vergangener Geschehnisse befinden sich nun sozusagen in einer Zeitkapsel (vgl. Schenk 2013, S. 213f.). Wenn diese Sammlung nicht privat, sondern institutionell stattfindet, zum Beispiel in einem Archiv, so haben diese „materiellen Überreste“ (ebd., S. 348) die Gelegenheit, der Zerstörung und dem Vergessen zu entgehen; an solch einem „Ort des kulturellen Speichergedächtnisses“ (Assmann 2008, S. 348) kann eine außerordentliche Lebensverlängerung dieser Dinge stattfinden (vgl. ebd. S. 347f.). Die Bedeutung der Dinge ist also auch immer von ihrem Kontext abhängig, von den „situativen Umständen“ (Parmentier 2001, S. 42), in die sie gebracht werden. Die Dinge können laut Parmentier auch als Semiophoren bezeichnet werden, also als Symbolträger, die auch immer auf das Andere verweisen (vgl. ebd., S. 40). Sie erhalten ihre Bedeutung und ihren Kontext durch die Referenz auf etwas anderes, sowie in der wechselseitigen Gegenüberstellung der Dinge, denn: „Jedes Ding ist nur das, was es ist, durch all das, was es nicht ist.“ (ebd., S. 42)
Durch diese Eingliederung in neue Zusammenhänge entsteht ein Ordnungssystem. In diesem System spiegelt sich der besondere Blick wider, den der Sammler auf seine Sammlung hat: es ist eine spezifische Art der Aufmerksamkeit, die der Sammler seinen Dingen widmet (vgl. ebd., S. 346). Durch das Zusammensuchen, Ordnen und Aussortieren gelangt er zu einem strukturierten, übersichtlichen Aufbau nur der Dinge, die für ihn wirklich interessant und relevant sind, die seiner Aufmerksamkeit wert sind (vgl. ebd., S. 346).
Solchen Gegenständen, die aus einem Bedeutungskontext in einen neuen überführt wurden, kann man in einem Archiv gegenübertreten. Hier werden Dokumente bewahrt, die in ihrem zuvor schon genannten Primärzweck als funktionale, rein nützliche Alltagsgegenstände fungierten und nun, durch ihren neu gewonnenen Sekundärzweck, im Archiv mit erneuerter Konnotation, neuem Symbolgehalt weiter existieren können. Wir begegnen Dokumentationen von politischen Wahlkämpfen, Nachlassregelungen oder Gerichtsbeschlüssen, alten Schulbüchern und Zeitungsartikeln über längst Vergangenes, die uns heute als „Dokument einer vergangenen Kultur“ (ebd., S. 43) dienen. Sie erzählen uns von ihren früheren Kontexten. Was jedoch die Begegnung mit diesen Dingen im Archiv besonders macht, ist die Tatsache, dass ihre Bedeutung nicht einfach offenbart vor uns liegt (vgl. ebd., S. 44). Vielmehr verlangt sie unsere intensive Aufmerksamkeit, um die Bedeutung zu entziffern. Die Zeichen müssen unter semiologischer Anstrengung enträtselt werden (vgl. ebd., S. 44).Ist nun der Reiz des zu entziffernden Objekts eminent genug, um die ungeteilte Beachtung des Betrachtenden auf sich zu ziehen, kann in diesem Moment der wechselseitigen Beziehung von Ding und Mensch Raum für eine Bildungsbewegung entstehen.
[...]
[1] vgl. hierzu auch S. 6 dieser Arbeit.
- Arbeit zitieren
- Christiane Müller (Autor:in), 2014, Der Stellenwert der Dinge. Zur Bedeutung des Archivs als Ort der Bildung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/282366
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