Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hintergründe und Entstehungsgeschichte
3. Betrachtung inhaltlicher Aspekte im Violinkonzert in e-Mott op. 64
3.1 Formale Gestalt
3.2 Die Architektur des Kopfsatzes unter besonderer Berücksichtigung des Einsatzes der Solovioline
4. Schlussbetrachtung
5. Literaturverzeichnis
5.1 Musikalien
5.2. Schrifttum
1. Einleitung
„Erbarme Du Dich doch und schreibe ein Violinconcert, Du hast ja den Clavierspielern, Orchestern, Chören, Clarinetten und Bassethörnern schon so manches Liebe erzeigt. Thu' auch einmal etwas für uns, besonders für mich, Du bist der rechte Mann dazu, Dich kostet es 14 Tage und Du erntest eine ewige Dankbarkeit, ...ul
Mit diesen Worten wendet sich im Juli 1839 der Violinist Ferdinand David an den befreundeten Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy, der diesem schon einige Zeit zuvor die Komposition eines Violinkonzerts versprochen hatte.1 2 Bedenkt man die hohe Wertschätzung für Mendelssohns Konzert in e-Mollfür Violine und Orchester op. 64, die sich insbesondere darin widerspiegelt, dass das Werk weltweit im Repertoire großer Violinvirtuosen anzutreffen war und ist, so dürfte sich allein darin Davids Prophezeiung der „ewigen Dankbarkeit“ erfüllt haben. Ohne Zweifel gehört das Konzert in e-Moll zum Kanon der großen Violinkonzerte des 19. Jahrhunderts und „nimmt in der Ruhmeshalle der im 19. Jahrhundert für dieses Instrument geschriebenen Konzerte eine privilegierte Stellung ein.“3
In der vorliegenden Hausarbeit liegt der Schwerpunkt bei der analytischen Betrachtung auf dem Kopfsatz des Konzerts. Besondere Berücksichtigung soll hierbei der Einsatz der Solovioline finden, mit dem Mendelssohn zum Teil neue Gestaltungsmöglichkeiten erschlossen hat. Einführend erscheint es erforderlich, einen kurzen Überblick über die Entstehungsgeschichte des Konzerts zu geben, sowie eine grobe Gesamtbetrachtung vorzunehmen. In Anbetracht der Bedeutung für die Hintergründe wird auch auf das frühe Violinkonzert in d-Moll aus den Jugendwerken Mendelssohns eingegangen, da bei der eigentlichen Betrachtung des späten Violinkonzerts an ausgewählten Stellen Bezüge hergestellt, aber auch Entwicklungen veranschaulicht werden können.
Die Schlussbetrachtung dient einer Zusammenfassung und abschließenden Bewertung der herausgearbeiteten Fakten.
2. Hintergründe und Entstehungsgeschichte
Bedenkt man, dass Mendelssohn bereits 1847 im Alter von nur 38 Jahren verstorben ist, kann in Bezug auf das zwischen 1838 und 1844 entstandene Konzert in e-Moll für Violine und Orchester op. 64 durchaus von einem Werk der späten Schaffensperiode gesprochen werden. Für die Hintergründe der Entstehung des op. 64 ist es von Bedeutung, dass es sich nicht um die erste kompositorische Auseinandersetzung des Komponisten mit diesem Genre handelte. So findet sich in den Jugendwerken Mendelssohns ein Konzert für Violine und Streichorchester in d-Moll, das dieser 1822 im Alter von 13 Jahren komponiert hat.
Das frühe Konzert soll an dieser Stelle in wesentlichen Zügen umrissen werden, um bei der Betrachtung des op. 64 hierauf zurückgreifen zu können. Da auch bei der Betrachtung des op. 64 der Kopfsatz im Fokus steht, soll auch der Kopfsatzes des frühen Violinkonzertes in der gebotenen Kürze dargestellt werden.
Von der äußeren Form folgt das frühe Violinkonzert dem typischen Erscheinungsbild des Solokonzerts: schnelle Ecksätze und ein kantabler Mittelsatz. Es handelt sich bei dieser dreisätzigen Anlage um einen festen Gattungstypus, der im Wesentlichen auf die zu Beginn des 18. Jahrhunderts entstandenen Solokonzerte von Antonio Vivaldi zurückzuführen ist.4 Bemerkenswert ist im ersten Satz die auffällige Folge von Tutti- und Solopassagen, die auf die in der Barockmusik verbreitete Ritornellform hinweist.5 Ein kontrastierendes Thema erscheint erst im ersten Solo der Violine, während es im eröffnenden Tutti fehlt.6 Alles in allem imponiert der Kopfsatz als „Synthese aus Sonatensatzform und barockem Ritornellprinzip“7. Diese Bezugnahme auf ältere Konventionen ist geradezu typisch für Mendelssohn, vor dem Hintergrund dessen lebenslanger Beschäftigung mit dem Werk alter Meister, insbesondere seiner tiefen Verbundenheit zu Johann Sebastian Bach, dem er sich „als Komponist und Interpret zeitlebens aufs höchste verpflichtet gefühlt und dennoch zu seinem ganz eigenen Ausdruck gefunden hat“.8
Auch die Instrumentation verdeutlicht die Anlehnung an zu damaliger Zeit bereits überholte Konventionen.9 So beschränkt sich diese zum einen auf ein reines Streichorchester. Zum anderen weist auch die Art und Weise der Instrumentation auf die Musik vergangener Zeit zurück. Beispielhaft erinnert das prägnante Unisono im eröffnenden Tutti (Bsp. 1), welches in den Ritornellen, zum Teil auch verkürzt, wiederkehrt, an stilistische Merkmale aus der Orchestermusik der Vorklassik. Auch die sehr zurückhaltende Verwendung von Vortragsbezeichnungen weist auf diese Zeit zurück.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bsp. 1: Der Beginn des ersten Satzes des frühen Violinkonzerts mit dem prägnaten Unisono.
Eigene Abschrift nach: Peters 1952.
Das Konzert in e-Moll op. 64 entstand in einem Abstand von fast zwei Jahrzehnten in einem mehrjährigen Schaffensprozess. Eine erste Erwähnung von Mendelssohns Plan zur Komposition eines Violinkonzertes findet sich in einem Brief Mendelssohns an David aus dem Sommer 1838.10 Die Werkentstehung war für Mendelssohn „mit ungeheurer Anstrengung verbunden und beanspruchte etwa sieben Jahre - 1838 - 1845 - von den ersten Anfängen bis zur Fertigstellung, Aufführung und Veröffentlichung“.11 Gekennzeichnet war dieser Prozess von zahllosen Überarbeitungen, die von erheblichen Selbstzweifeln begleitet wurden.12 Das Konzert ist während seiner Entstehung „häufiger Gesprächsgegenstand zwischen Mendelssohn und David [dem Solisten der Uraufführung] gewesen.“13 Die in diesem Zusammenhang erhaltenen Briefdokumente und Skizzen geben wertvolle Indizien zur Rekonstruktion des Entstehungsprozesses, was durch Reinhard Gerlach eindrucksvoll herausgearbeitet wurde.14
Ein detailliertes Eingehen auf diese Skizzen und die damit verbundenen Überarbeitungen würde jedoch den Rahmen der vorliegenden Hausarbeit sprengen. Für die Werkanalyse im folgenden Kapitel wird aus diesem Grund ausschließlich die letztgültige Fassung des op. 64 zugrunde gelegt.
3. Betrachtung inhaltlicher Aspekte im Violinkonzert in e-Moll op. 64
3.1. Formale Gestalt
Das Konzert in e-Moll op. 64 folgt ebenfalls der dreisätzigen Anlage der Solokonzertform. Gegenüber dem frühen Violinkonzert befindet sich Mendelssohn hier auf der Höhe seiner Zeit, was am deutlichsten anhand des Kopfsatzes, der - mit Besonderheiten, auf die im weiteren Verlauf der Arbeit noch eingegangen wird - der Sonatensatzform folgt, erkennbar ist. Diesem folgt ein kantabler zweiter Satz, während der dritte Satz, nach einer mäßig raschen Introduktion in e-Moll, wieder in einem raschen Tempo steht und ein Rondo bildet.15 Durch den Wechsel zu E-Dur nimmt das Rondo-Finale eine überaus heitere Grundstimmung an, in der das Konzert zu Ende geführt wird. Somit ergibt sich die folgende dreisätzige Gestalt:
1. Allegro molto appassionato
2. Andante
3. Allegretto non troppo - Allegro molto vivace
[...]
1 Brief Davids an Mendelssohn vom 16. Juli 1839, mitgeteilt bei Eckhardt, Julius: Ferdinand David und die Familie Mendelssohn-Bartholdy. Leipzig: Duncker & Humblot 1888, S. 114, zit. nach: Todd 2005, S. VII.
2 Vgl. Todd 2005, S. VI - VII.
3 Ebd., S. VI.
4 Vgl. Drees 2004, S. 360.
5 Vgl. Todd 2008, S. 123.
6 Vgl. ebd.
7 Vgl. ebd.
8 Geck 2009, S. 45.
9 Vgl. Todd 2008, S. 123.
10 Vgl. Gerlach 1971, S. 119.
11 Todd 2005, S. VI.
12 Vgl. ebd.
13 Gerlach 1971, S. 119.
14 Vgl. ebd., S. 119 - 133.
15 Vgl. schematischer Überblick in: Todd 2008, S. 529.