Segregative und integrative Versorgungskonzepte für Menschen mit Demenz

Herausforderungen für Pflegende in der stationären Altenhilfe


Masterarbeit, 2013

116 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Demenzielle Erkrankungen in der stationären Altenhilfe

3 Forschungsbefunde zu den Herausforderungen und Ressourcen von Pflegenden in der stationären Altenhilfe
3.1 Effekte des Versorgungskonzeptes auf die BewohnerInnen
3.2 Herausforderungen für Pflegende in der stationären Altenhilfe
3.2.1 Herausforderungen bei der Pflege von Menschen mit Demenz
3.2.2 Weitere Herausforderungen aus der Arbeitsaufgabe
3.2.3 Physische Herausforderungen
3.2.4 Herausforderungen durch die zeitliche Gestaltung
3.2.5 Organisationsbedingte Herausforderungen
3.2.6 Weitere Herausforderungen
3.2.7 Vergleich der Herausforderungen im integrativen und segregativen Setting
3.3 Ressourcen der Pflegenden in der stationären Altenhilfe
3.3.1 Ressourcen allgemein
3.3.2 Vergleich der Ressourcen im segregativen und integrativen Setting

4 Theoretischer Begründungsrahmen
4.1 Das Anforderungs-Kontroll-Modell
4.2 Das transaktionale Stressmodell
4.3 Das Modell der beruflichen Gratifikationskrisen

5 Darstellung des methodischen Vorgehens

6 Ergebnisdarstellung: Herausforderungen durch BewohnerInnen und das erweiterte soziale System
6.1 Herausforderungen durch die BewohnerInnen
6.2 Herausforderungen aus dem erweiterten sozialen System
6.3 Herausforderungen durch den Personalmangel
6.4 Positive Aspekte

7 Diskussion der Erkenntnisse

8 Fazit

Literaturverzeichnis

Anhang

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Anforderungs-Kontroll-Modell; eigene Darstellung

Abbildung 2: Transaktionales Stressmodell nach Lazarus;

Abbildung 3: Modell der beruflichen Gratifikationskrisen;

Abbildung 4: Wirkungsmechanismen zwischen Herausforderungen und Belastungen;

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Deutschsprachige Suchbegriffe

Tabelle 2: Englischsprachige Suchbegriffe

Tabelle 3: Themenkomplexe des eingesetzten Interviewleitfadens

Tabelle 4: Identifizierte Kategorien

1 Einleitung

Pflegende in der stationären Altenhilfe sind mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert, welche häufig auch physisch und psychisch belastend wirken. Dies spiegelt sich unter anderen in einem überdurchschnittlich hohen Krankenstand sowie einer stark verkürzten Verweildauer im Pflegeberuf wieder. Bedingt durch den demografischen Wandel ist in Zukunft nicht mit einer Verbesserung dieser Situation zu rechnen. Aufgrund der fortschreitenden Überalterung der Gesellschaft ist zudem von einer Veränderung des Krankheitspanoramas auszugehen. Die Zunahme von demenziellen Erkrankungen stellt hierbei eine der zentralen Herausforderungen dar (Brüggemann et al. 2009: 148; Bartholomeyczik/Holle 2012: 945), insbesondere wenn diese mit herausfordernden Verhaltensweisen einhergehen. Bei der Konzeption von Altenhilfeeinrichtungen wurde dieser Umstand in den vergangenen Jahren bereits berücksichtigt. Dies zeigt sich unter anderem in der Implementierung verschiedener, insbesondere segregativer und integrativer, Versorgungskonzepte für demenziell erkrankte Menschen. Die Wirkung dieser Versorgungskonzepte auf die Verhaltensauffälligkeiten der BewohnerInnen bleibt jedoch umstritten (Lai et al. 2012: 11-13).

Da die Arbeitszufriedenheit der Pflegenden die Versorgungsqualität der BewohnerInnen maßgeblich beeinflussen kann (Zimmermann et al. 2005: 96; Oppikofer et al. 2009: 3; Kreutzner 2011: 38), soll im Rahmen dieser Ausarbeitung die Situation der Pflegenden in den Vordergrund gestellt werden. Das Ziel ist es, die Herausforderungen der Pflegenden in Abhängigkeit vom jeweiligen Versorgungskonzept zu untersuchen und darüber hinaus die positiven Aspekte, die die Pflegenden im Rahmen ihrer Arbeit erfahren, zu erheben. Hierfür wurden jeweils fünf Experteninterviews mit Pflegenden aus dem segregativen bzw. integrativen Setting durchgeführt (siehe hierzu auch Kapitel 5). Die hierdurch gewonnenen Erkenntnisse werden in Kapitel 6 vorgestellt und interpretiert und in Kapitel 7 vor dem Hintergrund bereits bestehender Forschungsergebnisse diskutiert. Letztlich finden sich in Kapitel 8 unter anderem Implikationen für einen weiteren wissenschaftlichen Untersuchungsbedarf sowie Handlungsempfehlungen für die Praxis.

2 Demenzielle Erkrankungen in der stationären Altenhilfe

Pflegende in der stationären Altenhilfe zählen bereits heute zu den Berufsgruppen, die einer überdurchschnittlich hohen physischen und psychischen Belastung ausgesetzt sind (Simon et al. 2005: 15-20; Kleina et al. 2012: 13; Lohmann-Haislah 2012: 90-91). Die Ursachen hierfür sind vielfältig (siehe Kapitel 3) und können unter anderem in dem Aufgabenfeld gesehen werden, welches sich in den letzten Jahren stark verändert hat. Frühe Entlassungen aus dem Krankenhaus, vermehrtes Auftreten von Multimorbidität und chronischen Erkrankungen führen zu gestiegenen Qualifikationsanforderungen (BGW 2007: 10). Darüber hinaus entstehen Herausforderungen in Zusammenhang mit der Arbeitsumgebung sowie der zeitlichen Gestaltung und der Arbeitsorganisation. Auch im Umgang mit den Bewohnerinnen und Bewohnern können Herausforderungen entstehen, insbesondere bei Vorliegen einer demenziellen Erkrankung (Zimber 1999: 171-172; Zimber et al. 2000: 65-70; Jennings 2008: 2-3). Fehlen die entsprechenden Bewältigungsressourcen, können diese Herausforderungen die physische und psychische Gesundheit der Pflegenden belasten (siehe hierzu auch Kapitel 4)

Bei den Pflegenden ist seit Längerem eine besorgniserregende Entwicklung des Krankenstandes zu verzeichnen. Beispielsweise meldeten sich mit knapp 60 % aller in der Altenpflege tätigen AOK-Versicherten überdurchschnittlich viele Personen mindestens ein Mal im Jahr krank. Auch die durchschnittlichen Ausfallzeiten lagen mit 21,3 Tagen deutlich über dem Durchschnitt von 17,7 Tagen (Küsgens 2005: 207). Bei den Versicherten der DAK, die im Gesundheitswesen tätig sind, ist ebenfalls eine überdurchschnittliche Erkrankungshäufigkeit sowie ein erhöhter Krankenstand festzustellen (DAK-Gesundheit 2012: 131). Allgemein kann ein schlechter psychischer Gesundheitszustand, das vermehrte Auftreten psychosomatischer Erkrankungen (BMFSFJ 2006: 86) sowie ein hoher Krankenstand, bedingt durch häufige und lange Krankschreibungen (Westermayer/Brand 2012: 73), konstatiert werden. Infolgedessen besteht häufig auch der Wunsch den Beruf frühzeitig zu verlassen, wodurch die durchschnittliche Verweildauer im Pflegeberuf stark verkürzt ist. So scheidet die Hälfte der AltenpflegerInnen, die im Alter von 20 bis 24 Jahren in den Beruf eintreten, bereits 3,5 Jahre nach Beginn ihrer Erstbeschäftigung wieder aus dem erlernten Beruf aus. Die Wahrscheinlichkeit den Beruf zu verlassen ist in dieser Gruppe dabei fast drei Mal so hoch wie bei Beschäftigten in der Krankenpflege (Behrens et al. 2008: 29-31).

Hieraus wird deutlich, dass die aktuellen Gegebenheiten dazu beitragen, den bestehenden Fachkräftemangel in der Pflege weiter zu verstärken. Aktuell sind über 14.000 Stellen unbesetzt. Dabei kommen in den Jobcentern auf 100 offene Stellen lediglich 37 BewerberInnen (BMG 2013: 1). Die zukünftige Entwicklung kann ebenfalls als bedenklich angesehen werden. Die größten personellen Engpässe sind in den stationären Einrichtungen beim nicht-ärztlichen Personal, das heißt, unter anderem bei Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und -pflegern sowie Altenpflegerinnen und -pflegern zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass im Jahr 2030 bereits über 350.000 Vollzeitkräfte fehlen werden (Ostwald et al. 2010: 50-51). Durch den Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen, in Kombination mit einem Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials[1] ist sogar von einem Mangel an Fachkräften im Umfang von bis zu 492.000 Vollzeitäquivalenten auszugehen (Rothgang et al. 2012: 54). Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass sich diese Situation in Zukunft weiter verschärfen wird und die Herausforderungen für die Pflegenden zunehmen werden. Demgegenüber ist zu befürchten, dass sich die Ressourcen, wie beispielsweise die soziale Unterstützung aus dem Arbeitsumfeld, rückläufig entwickeln. Neben dem quantitativen Arbeitsanstieg ist besonders der demografische Wandel von Bedeutung, der als einer der zentralen Einflussfaktoren auf den Fachkräftemangel sowie auf die künftigen Herausforderungen für die Pflegenden betrachtet werden kann.

Demografisch betrachtet ist die Bevölkerung in Deutschland eine der ältesten weltweit. Seit der demografischen Wende zu Beginn des 21. Jahrhunderts leben in Deutschland mehr Menschen über 60 Jahre als unter 20 Jahre. Insgesamt ist die Bevölkerungsstruktur von einer dreifachen Alterung geprägt: Durch die steigende Lebenserwartung nimmt die absolute Zahl der über 60-Jährigen zu. Zudem führt der anhaltende Geburtenrückgang dazu, dass der Bevölkerungsanteil der über 60-Jährigen den der unter 20-Jährigen im Laufe der demografischen Wende übersteigt. Außerdem nimmt der Anteil der Hochaltrigen (80 Jahre und älter) in der Gruppe der über 60-Jährigen stark zu (Hoffmann et al. 2009: 21-27; Kuhlmey/Blüher 2011: 185-186; Sütterlin et al. 2011: 14-15).

Das Altern bzw. das Alter muss zwar nicht zwingend mit Krankheit einhergehen, dennoch ist festzustellen, dass mit steigendem Lebensalter die Krankheitsprävalenz ansteigt (Saß et al. 2009: 32; Kuhlmey/Blüher 2011: 189). Dieser Umstand sowie das vermehrte Auftreten von Multimorbidität (Saß et al. 2009: 55-56; Kuhlmey/Blüher 2011: 189-190), worunter das zeitgleiche Bestehen von mehreren Krankheiten zu verstehen ist, führen mit steigendem Lebensalter zu einem Anstieg des Pflegerisikos (Kuhlmey/Blüher 2011: 190). In Deutschland sind insgesamt etwa 2,5 Millionen Menschen pflegebedürftig. 83 % dieser Personen sind 65 Jahre oder älter und 36 % sind mindestens 85 Jahre. Der Großteil hiervon wird in der häuslichen Umgebung versorgt, dennoch steigt die Zahl der Pflegebedürftigen, die auf eine vollstationäre Pflege im Heim angewiesen sind, kontinuierlich an. Dies trifft insbesondere auf die wachsende Gruppe der über 85-Jährigen zu, die aktuell über 50 % der HeimbewohnerInnen bilden (Pfaff 2013: 5-8). Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die Pflegenden, deren Situation ohnehin schon durch hohe Belastungen und einen Mangel an Fachkräften gekennzeichnet ist, hierdurch vor weitere Herausforderungen gestellt werden.

Eine der zentralen Herausforderungen stellt in diesem Zusammenhang die Zunahme von demenziellen Erkrankungen dar (Brüggemann et al. 2009: 148; Bartholomeyczik/Holle 2012: 945). Im höheren Lebensalter gehören Erkrankungen aus dem Formenkreis der Demenz zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen, deren Prävalenz mit zunehmendem Lebensalter deutlich steigt. Liegt diese bei den 65 bis 69-Jährigen noch bei etwa 1,5 %, steigt sie bei den über 90-Jährigen auf über 30 % an. Ausgehend von einer Gesamtprävalenz von ungefähr 7 % (Weyerer 2005: 11) ist zu erwarten, dass aktuell etwa 1,3 Millionen Menschen in Deutschland an einer Demenz erkrankt sind (Weyerer et al. 2001: 9; Weyerer 2005: 11; Sütterlin et al. 2011: 14). Auf Grundlage von Meta-Analysen konnte eine jährliche Inzidenzrate zwischen 1,4 % und 3,2 % ermittelt werden, wodurch zu vermuten ist, dass jährlich über 200.000 Neuerkrankungen auftreten (Weyerer 2005: 14-15). Unter Beachtung der Sterberate ist eine jährliche Steigerung von etwa 20.000 Neuerkrankungen zu erwarten (Brüggemann et al. 2009: 28). In Verbindung mit der gestiegenen Lebenserwartung lassen diese Daten den Schluss zu, dass sich diese Situation in Zukunft zunehmend verschärfen wird. Gleichzeitig nimmt das familiäre Pflegepotenzial, gleichfalls bedingt durch den demografischen Wandel, weiter ab. In der Folge kann der institutionalisierten Versorgung von Menschen mit Demenz eine steigende Bedeutung beigemessen werden (Weyerer et al. 2001: 9; Sütterlin et al. 2011: 32), wodurch Pflegende häufiger mit der Versorgung dieser Personengruppe konfrontiert werden.

Demenzielle Erkrankungen gelten jedoch auch heute schon als wichtigster Grund für einen Heimeinzug. Etwa zwei Drittel aller HeimbewohnerInnen sind an einer Demenz erkrankt (Weyerer 2005: 21; Schäufele et al. 2007: 169; Kuhlmey 2011a: 47) und viele von ihnen weisen neuropsychiatrische Symptome auf (Kuhlmey 2011a: 47). Ein wesentliches Merkmal dieser Erkrankung besteht in dem sogenannten dissoziativen Zustand, das heißt der fehlenden Kontrolle über die eigenen Handlungen. Dieser Zustand führt zu völlig anderen Pflegesituationen als bei Krankheiten geistig rüstiger BewohnerInnen, da diese ihre Symptome und Bedürfnisse noch adäquat äußern und reflektieren können (Lima et al. 2013: 16-17). Demnach stellen demenzielle Erkrankungen im Allgemeinen und die mit den neuropsychiatrischen Symptomen einhergehenden Verhaltensauffälligkeiten im Besonderen, welche unter dem Begriff der „herausfordernden Verhaltensweisen“ bzw. im englischsprachigen Raum als „behavioral and psychological symptoms of dementia“ (BPSD) diskutiert werden, eine große Herausforderung für Pflegende dar (Bartholomeyczik et al. 2006: 8; Weyerer et al. 2006: 14; Garms-Homolová 2011: 408-409; Buchmann/Held 2013: 81-82). Zu diesen Verhaltensweisen zählen sowohl aktive Handlungen, wie beispielsweise Agitation, vokale Störungen oder Umherwandern, als auch passives Verhalten wie Apathie oder Rückzug[2] (Bartholomeyczik et al. 2006: 13-17; Brüggemann et al. 2009: 79-80).

Unter Agitation sind laut Halek und Bartholomeyczik (2006: 31-33) unangemessene Aktivitäten zu verstehen, die sowohl motorisch als auch verbal oder vokal auftreten können. Dieses Verhalten wird dann als Agitation gewertet, wenn die Ursache hierfür für Außenstehende nicht sofort ersichtlich ist. Vokale Störungen gehören bei demenziell erkrankten Bewohnerinnen und Bewohnern von Pflegeheimen zu den am häufigsten auftretenden herausfordernden Verhaltensweisen. Neben der körperlichen Aggressivität wird diese Verhaltensform zu den größten Herausforderungen für Pflegende gezählt. Sie umfassen sehr laute und/oder sehr häufige verbale Äußerungen wie Schreien oder lautes Rufen (Halek/Bartholomeyczik 2006: 39-40). Umherwandern oder Herumgehen stellen ebenfalls eine große Herausforderung dar, die bei Vorliegen einer Hinlauftendenz nochmals verstärkt wird. Eine eindeutige Definition dieses Verhaltens liegt nicht vor, es kann jedoch als scheinbar ziellose Bewegung definiert werden, die bei demenziell erkrankten Menschen ohne Bewegungseinschränkungen auftritt (Halek/Bartholomeyczik 2006: 33-34). Passivität in Form von Apathie oder Rückzugsverhalten ist ebenfalls nicht ein-heitlich definiert. Sie ist jedoch unter anderem verbunden mit einer Abnahme der kognitiven Fähigkeiten, der psychomotorischen Aktivität sowie der Interaktion mit Menschen, dem Umfeld oder der Umgebung (Halek/Bartholomeyczik 2006: 42-43). Diese Verhaltensweisen stellen eine Herausforderung für die Pflegenden dar, da sie sich hierdurch einerseits angegriffen fühlen und das Verhalten nicht verstehen können. Andererseits sind hohe fachliche und kommunikative Kompetenzen erforderlich, um einen menschengerechten Umgang mit diesen Bewohnerinnen und Bewohnern zu gewährleisten. Die Tatsache, dass diese Verhaltensweisen häufig unvorhergesehen auftreten und dass sie in Intensität, Dauer und Häufigkeit stark wechseln, belastet die Situation zusätzlich und macht einen flexiblen und kreativen Umgang mit den Betroffenen erforderlich (Bartholomeyczik et al. 2006: 5-8). Für die Umgebung können diese Verhaltensweisen jedoch auch „so zerstörerisch sein, dass die körperliche und seelische Integrität der Angehörigen oder des Personals gefährdet sein kann“ (Buchmann/Held 2013: 82). Aus diesem Grund stellt sich die Frage wie ein professioneller und bedarfsgerechter Umgang mit diesen Personen gewährleistet werden kann, ohne hierbei die Situation der Pflegenden aus dem Blick zu verlieren.

Einen Einflussfaktor auf das herausfordernde Verhalten demenziell erkrankter Personen stellt in stationären Altenhilfeeinrichtungen das gewählte Versorgungskonzept dar. Dieses kann den Krankheitsverlauf der erkrankten Personen maßgeblich beeinflussen und soll zusätzlich auf kognitive sowie nicht-kognitive Störungen wirken (Reggetin/Dettbarn-Reggetin 2006: 31; Lai et al. 2012: 2). Hierauf aufbauend könnten letztlich durch eine Anpassung der Versorgungskonzepte der stationären Einrichtungen auch die Herausforderungen für die Pflegenden reduziert werden.

Die Konzeption der stationären Altenhilfeeinrichtungen hat sich in den vergangenen Jahren bereits stark verändert. Früher spielten Altenheime, in denen die Menschen relativ selbstständig ihren Lebensabend organisieren können und keine Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten, quantitativ die größte Rolle. Demgegenüber stehen heute Pflegeheime, die durch die Notwendigkeit einer andauernden pflegerischen Versorgung der BewohnerInnen gekennzeichnet sind, im Vordergrund (Weyerer et al. 2006: 19; Pfaff 2013: 16). So standen am Ende des Jahres 2011 etwa 95 % der 876.000 Plätze in den rund 12.400 deutschen Pflegeheimen für die vollstationäre Dauerversorgung zur Verfügung. Nur etwa ein Fünftel (19 %) dieser Einrichtungen bietet neben der vollstationären Pflege auch ein Altenheim oder einen betreutes Wohnen an (Pfaff 2013: 16-19). Die wachsende Anzahl der BewohnerInnen mit demenziellen Erkrankungen traf diese Einrichtungen zwar nicht überraschend, dennoch sehen sie sich mit der Herausforderung konfrontiert, ihre Konzepte und Angebote an die Bedürfnisse der BewohnerInnen anzupassen und ein geeignetes Wohn- und Lebensumfeld zu schaffen (BMFSFJ 2006: 146; Reggetin/Dettbarn-Reggetin 2006: 11-12; Brüggemann et al. 2009: 148). Vor diesem Hintergrund wurden in den letzten Jahren vermehrt neue Versorgungskonzepte entwickelt und erprobt, um eine bedarfsgerechte Versorgung der demenziell erkrankten BewohnerInnen zu gewährleisten. Die in diesem Kontext häufig diskutierte Frage ist, ob die stationäre Versorgung der Menschen mit Demenz gemeinsam mit oder getrennt von den anderen Bewohnerinnen und Bewohnern erfolgen soll (BMFSFJ 2006: 146). Allgemein lassen sich in der Versorgungslandschaft drei wesentliche Basiskonzepte für die Versorgung von Menschen mit Demenz unterscheiden: das integrative Versorgungskonzept, das teilintegrative Konzept und das segregative Versorgungskonzept (Weyerer et al. 2004: 5; Brüggemann et al. 2006: 151; Reggetin/Dettbarn-Reggetin 2006: 35; Wahl/Schneekloth 2007: 45).

Die integrativen Konzepte überwiegen bislang noch in den stationären Altenhilfeeinrichtungen. Hierbei werden BewohnerInnen mit Demenz und geistig rüstige BewohnerInnen gemeinsam betreut und gepflegt (Radzey/Heeg 2001: 19; BMFSFJ 2006: 147; Reggetin/Dettbarn-Reggetin 2006: 34; Brüggemann et al. 2009: 151). Da der Anteil der Menschen mit Demenz in den Einrichtungen der stationären Altenhilfe immer weiter ansteigt, ist jedoch zu hinterfragen wer überhaupt integriert werden soll (Brüggemann et al. 2009: 151). Diese Entwicklung führt auch dazu, dass die Einrichtungen und die Pflegenden häufig mit den Grenzen der integrativen Versorgungskonzepte konfrontiert werden. Durch die Umkehr der Bewohnerstruktur fühlen sich rüstige BewohnerInnen teilweise durch BewohnerInnen mit herausfordernden Verhaltensweisen, insbesondere Schreien oder Aggressivität, gestört und werden in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt (Radzey/Heeg 2001: 19-20; Brüggemann et al. 2009: 151). Dennoch sei in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass integrative Versorgungskonzepte im Kern nicht als „das üblich gemischte Heimwohnen von demenziell Erkrankten und nicht demenziell Erkrankten“ (Reggetin/Dettbarn-Reggetin 2006: 35) zu verstehen sind. Vielmehr soll in diesem Rahmen ein Konzept umgesetzt werden, welches das gemeinschaftliche Zusammenleben aller BewohnerInnen fördert. Die geistig rüstigen BewohnerInnen spielen demnach eine ebenso bedeutende Rolle wie die demenziell erkrankten und sollten in gleichem Maße Angebote erhalten, die auf ihre Ressourcen und Bedürfnisse zugeschnitten sind. In der Folge steigen hierdurch die Anforderungen, die an die Pflegenden gestellt werden (Reggetin/Dettbarn-Reggetin 2006: 34-35). Insgesamt betrachtet besteht bei integrativen Versorgungskonzepten die Herausforderung für die Pflegenden im Management der kumulierten Problemlagen. Die Bewohnerstruktur ist gekennzeichnet durch schwerwiegende körperliche Defizite (unter anderem bedingt durch Multimorbidität und chronische Erkrankungen) sowie psychische und psychiatrische Problemlagen sowie Verhaltensauffälligkeiten. In diesem Spannungsfeld müssen Pflegende, unter Berücksichtigung der schlechten Ausgangssituation (beispielsweise der bestehende Fachkräftemangel sowie die zu erwartenden Folgen des demografischen Wandels), eine fachgerechte Unterstützung der BewohnerInnen gewährleisten (Schaeffer/Wingenfeld 2008: 298-299) und darüber hinaus zwischen den demenziell erkrankten und den geistig rüstigen Bewohnerinnen und Bewohnern vermitteln, um Verständnis werben und Konflikte schlichten (Blass et al. 2008: 48).

Teilintegrative Konzepte (die auch als teilsegregative Konzepte bezeichnet werden) stellen eine Unterstützung für Einrichtungen mit einem integrativen Versorgungskonzept dar. Die BewohnerInnen mit einer demenziellen Erkrankung leben grundsätzlich in der gleichen Umgebung wie die geistig rüstigen BewohnerInnen, erhalten jedoch tagsüber ein spezielles Betreuungsangebot in einem gesonderten Bereich (Weyerer et al. 2004: 6; Brüggemann et al. 2009: 151; Reggetin/Dettbarn-Reggetin 2006: 36). Der Umfang dieser speziellen Tagesbetreuung ist von den personellen Möglichkeiten abhängig und kann von wenigen Stunden in der Woche bis zu einer ganztägigen Betreuung an sieben Tagen in der Woche reichen. Ziel dieses Versorgungskonzeptes ist es, den Bewohnerinnen und Bewohnern in einer homogenen Gruppe spezielle Beschäftigungs- oder Bewegungsangebote zukommen zu lassen und gezielt individuelle therapeutische Maßnahmen anzuwenden. Für die Pflegenden sehen Reggetin und Dettbarn-Reggetin (2006: 36) einen Vorteil darin, dass sie schrittweise gerontopsychiatrische Pflegekonzepte erlernen und anwenden können. Auch wenn diese schrittweise Weiterqualifikation der Pflegenden als deutlicher Nutzen zu werten ist, bleiben die zentralen Herausforderungen der integrativen Versorgungskonzepte auch bei den teilintegrativen Konzepten bestehen.

Bei segregativen Versorgungskonzepten werden BewohnerInnen mit demenziellen Erkrankungen dauerhaft räumlich getrennt von anderen Pflegebedürftigen versorgt. Auf diese Weise sollen störende Reizeinflüsse vermieden, herausfordernde Verhaltensauffälligkeiten reduziert und die Ressourcen der BewohnerInnen gefördert werden. Diese Konzepte orientieren sich somit an den besonderen Bedürfnissen der demenziell erkrankten BewohnerInnen und versuchen einen „normalen“ Alltag zu ermöglichen sowie durch Spezialisierung und Individualisierung ein differenziertes Leistungsangebot zu ermöglichen. Erreicht werden soll dies unter anderem durch eine häusliche Einrichtung, private Rückzugsmöglichkeiten sowie Gemeinschaftsräume mit Küche und Wohnzimmer (Reggetin/Dettbarn-Reggetin 2006: 37; Brüggemann et al. 2009: 151; Oppikofer et al. 2009: 4).

In den USA standen die Möglichkeiten zur bedarfsgerechten, stationären Dauerversorgung von Menschen mit Demenz bereits in den 1960er Jahren im Zentrum des öffentlichen Interesses. In der Folge wurden deshalb bis zur Mitte der 1980er Jahre zahlreiche segregative Konzepte zur Versorgung von Menschen mit Demenz erprobt und umgesetzt, um hierdurch auf die herausfordernden Verhaltensweisen einzuwirken und die Versorgung für die Pflegenden zu erleichtern. Hierzu zählten unter anderem besondere Wohnbereiche in Pflegeheimen, die sogenannten „Special Care Units“ (SCUs), sowie spezielle Einrichtungen für demenziell erkrankte BewohnerInnen (U.S. Congress 1992: 15-16; Lai et al. 2012: 2-3). Auch wenn in zahlreichen europäischen Ländern zunächst nur vereinzelte Einrichtungen innovative, segregative Versorgungskonzepte realisiert haben (Weyerer et al. 2004: 5; Oppikofer et al. 2009: 4), lassen sich in Deutschland zwischenzeitlich zwei wesentliche Trends für die segregative Versorgung von Menschen mit Demenz identifizieren. Einerseits werden Wohngruppen oder Hausgemeinschaften[3] realisiert, anderseits werden in Pflegeheimen spezialisierte Wohnbereiche nach dem Vorbild der SCUs eingerichtet (Radzey/Heeg 2001: 20).

Hausgemeinschaften verfolgen ein Normalitätsprinzip, das heißt, sie orientieren sich an einer alltagsnahen und vertrauten Versorgung sowie dem Prinzip einer nicht-institutionalisierten alltagsbezogenen Betreuung (Radzey/Heeg 2001: 20; Reggentin/Dettbarn-Reggentin 2006: 37; Weyerer et al. 2006: 23; Brüggemann et al. 2009: 153-154). Darüber hinaus sind Hausgemeinschaften dadurch gekennzeichnet, dass sie in „Größe, Struktur und Kultur an einer häuslichen Versorgungsform orientiert“ sind (Reggentin/Dettbarn-Reggentin 2006: 37). Sechs bis acht Personen mit Pflegebedarf leben in familienähnlichen Strukturen zusammen. Die Menschen mit Demenz werden an hauswirtschaftlichen Verrichtungen beteiligt und werden dabei durch fachlich qualifizierte Bezugspersonen unterstützt (Reggentin/Dettbarn-Reggentin 2006: 37; Brüggemann et al. 2009: 154). Stationäre Altenhilfeeinrichtungen können vollständig als Hausgemeinschaft organisiert sein, ebenso ist die Umsetzung einzelner Bereiche als Hausgemeinschaft möglich (Brüggemann et al. 2009: 154). Inzwischen liegen zahlreiche Modelle zur spezifischen Ausgestaltung von Hausgemeinschaften vor, beispielsweise die Domus Units in Großbritannien, das Cantou-Modell aus Frankreich, der Anton Piek-Hofje in den Niederlanden oder die gruppboende in Schweden[4] (Radzey/Heeg 2001: 24-25).

Im Vergleich zu den Hausgemeinschaften liegt der Schwerpunkt der speziellen Pflegebereiche (SCUs) nicht auf den häuslichen, familienähnlichen Strukturen, sondern auf einem qualifizierten Umgang mit den demenziell erkrankten Bewohnerinnen und Bewohnern. Den individuellen Bedürfnissen von Menschen mit Demenz wird hierbei eine höhere Priorität eingeräumt als der Normalität und Alltagsnähe (Radzey/Heeg 2001: 20; Weyerer et al. 2004: 6; BMFSFJ 2006: 147). Der Ursprung dieser Ausrichtung ist durch den milieutherapeutischen Ansatz begründet, der davon ausgeht, dass „Demenzkranke besonders auf eine beschützende materielle Umwelt angewiesen sind“ (Weyerer et al. 2006: 24). Hierfür wird idealerweise speziell geschultes Personal in einem multi-professionellen Team eingesetzt und die pflegerischen und therapeutischen Aktivitäten werden auf die demenziell erkrankten BewohnerInnen ausgerichtet, unter anderem, um eine Strukturierung des Tages zu ermöglichen. Zudem sollte ein günstigerer Personalschlüssel Berücksichtigung finden. Baulich sind die SCUs klar von anderen Pflegebereichen abgegrenzt, wodurch auch architektonisch eine Anpassung an die spezifischen Bedürfnisse der BewohnerInnen erfolgen kann. Dies umfasst beispielsweise die Gestaltung von Licht, Farben und Bewegungsmöglichkeiten (U.S. Congress 1992: 91-96; Radzey/Heeg 2001: 20; Grande 2003: 42-43; Weyerer et al. 2004: 6; BMFSFJ 2006: 147). Ungeachtet der konkreten Ausgestaltung des segregativen Versorgungskonzeptes besteht die zentrale Herausforderung für die Pflegenden hierbei im ständigen Umgang mit den herausfordernden Verhaltensweisen der BewohnerInnen.

Wie bereits beschrieben, sollen die Versorgungskonzepte die herausfordernden Verhaltensweisen der BewohnerInnen reduzieren. In diesem Zusammenhang lässt sich zwar feststellen, dass jedes Versorgungskonzept mit Vorteilen verbunden sein kann, diesen stehen jedoch auch gewichtige Nachtteile gegenüber (die Effekte der Versorgungskonzepte auf die BewohnerInnen werden ausführlich in Kapitel 3.1 thematisiert). Ein eindeutiger Nachweis, dass das Versorgungskonzept die herausfordernden Verhaltensweisen von demenziell erkrankten Bewohnern beeinflussen kann, liegt somit nicht vor (Lai et al. 2012: 11-13). Es wird jedoch auch deutlich, dass jedes Versorgungskonzept mit spezifischen Herausforderungen für die Pflegenden verbunden ist. Während die Effekte auf die BewohnerInnen aber lange Zeit eingehend untersucht wurden, ist die Studienlage zu den Zusammenhängen zwischen dem Versorgungskonzept und den erlebten Herausforderungen der Pflegenden hingegen sehr gering (siehe hierzu Kapitel 3.2.7). Dies ist jedoch umso bedenklicher, wenn berücksichtigt wird, dass der Kontext in dem die Pflege durchgeführt wird, die Arbeitsbelastung sowie die psychischen Belastungsfaktoren der Pflegenden beeinflussen kann (Weyerer et al. 2006: 126). Aus diesem Grund und unter Berücksichtigung des bereits erläuterten Fachkräftemangels sowie der zu erwartenden Folgen des demografischen Wandels erscheint es unbedingt erforderlich, die Situation der Pflegenden stärker in den Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung zu rücken und die Herausforderungen im Zusammenhang mit dem jeweiligen Versorgungskonzept zu untersuchen. Einerseits kann die Arbeitszufriedenheit der Pflegenden die Qualität der Versorgung maßgeblich beeinflussen (Zimmermann et al. 2005: 96; Oppikofer et al. 2009: 3; Kreutzner 2011: 38), andererseits kann mit einer Reduktion der herausfordernden Faktoren der Krankenstand reduziert, die Verweildauer im Beruf ggf. erhöht und der Fachkräftemangel reduziert werden. Letztlich können alle Faktoren auch zu einer Verbesserung der Pflegequalität beitragen und mit einer bedarfsgerechten Versorgung der BewohnerInnen verbunden sein.

3 Forschungsbefunde zu den Herausforderungen und Ressourcen von Pflegenden in der stationären Altenhilfe

Pflegende werden im Rahmen ihrer täglichen Arbeit mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert, welche belastend wirken und die Gesundheit negativ beeinflussen können. Die Bandbreite der möglichen Herausforderungen wird im folgenden Kapitel ausführlich betrachtet. Wie bereits in Kapitel 2 beschrieben, sollen die herausfordernden Verhaltensweisen der BewohnerInnen durch das angewendete Versorgungskonzept reduziert werden. Aus diesem Grund erfolgt zunächst eine Darstellung der bei den Bewohnerinnen und Bewohnern nachgewiesenen Effekte. Daraufhin werden die Herausforderungen für die Pflegenden in Zusammenhang mit der Pflege von Menschen mit Demenz sowie weitere Herausforderungen vorgestellt, die aus der Tätigkeit in der stationären Altenhilfe resultieren können. Abschließend erfolgt dann eine Darstellung der Befunde zu den Bewältigungsressourcen sowie eine Betrachtung der theoretischen Zusammenhänge.

Die Grundlage hierfür bildete eine umfangreiche Literaturrecherche im Bibliothekskatalog der Universität Bielefeld sowie über die Suchmaschine BASE der Universitätsbibliothek Bielefeld und in der Aufsatzdatenbank JADE. Des Weiteren wurden die Meta-Datenbank PubMed sowie die folgenden Fachportale einbezogen:

Carelit

Cochrane Library

GeroLit

Social Sciences Citation Index und

SSOAR (Social Science Open Access Repository).

Zudem wurde über die Internetsuchmaschine Google eine allgemeine Literaturrecherche im Internet bzw. über die Suchmaschine Google Scholar eine spezielle Suche nach wissenschaftlicher Literatur durchgeführt. Die Basis hierfür stellten die in den Tabelle 1 und 2 dargestellten Suchbegriffe dar, die in verschiedenen Kombinationen angewendet wurden. Die Trunkierungen (mit einem „*“ gekennzeichnet) und Verknüpfungen (AND/OR) wurden entsprechend der Funktionalität der jeweiligen Datenbanken berücksichtigt und angepasst.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Deutschsprachige Suchbegriffe

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Englischsprachige Suchbegriffe

Insgesamt wurde bei der Recherche deutlich, dass die Herausforderungen für Pflegende im englischsprachigen Raum kaum diskutiert werden. Hier konnten vielmehr Suchtreffer aus dem Bereich der Stressforschung verzeichnet werden. Diese Ergebnisse wurden – so weit es thematisch passend erschien – ebenfalls berücksichtigt.

3.1 Effekte des Versorgungskonzeptes auf die BewohnerInnen

Zur Beurteilung der Effekte verschiedener Versorgungskonzepte für Menschen mit Demenz liegen Ergebnisse aus qualitativen sowie aus quantitativen Studien vor. So konnte im Rahmen der Begleitforschung zur Umsetzung von Hausgemeinschaften festgestellt werden, dass sich sowohl das körperliche Befinden als auch die kognitiven Fähigkeiten, die sozialen Beziehungen sowie die Stimmung, das Wohlbefinden und Verhalten bei den Bewohnerinnen und Bewohnern der Hausgemeinschaften positiver darstellte (Reggentin/Dettbarn-Reggentin 2006: 66-76). Auch bei einem Vergleich von Hausgemeinschaften mit traditionellen Versorgungskonzepten in den Niederlanden und Belgien konnten positive Auswirkungen auf die Lebensqualität der BewohnerInnen von Hausgemeinschaften festgestellt werden. Allerdings traten in der herkömmlichen Versorgung seltener Unruhezustände auf und die BewohnerInnen fühlten sich häufiger zuhause als die BewohnerInnen der Hausgemeinschaften (de Rooij et al. 2007: 936-938). Des Weiteren musste erkannt werden, dass die BewohnerInnen von Hausgemeinschaften nicht immer wie geplant in das Tagesgeschehen einbezogen werden und an Aktivitäten teilnehmen konnten. Vielmehr sitzen einige der demenziell erkrankten BewohnerInnen teilnahmslos in den Gemeinschaftsräumen, während die Pflegenden die Mahlzeiten selbst zubereiteten, da eine Beteiligung der BewohnerInnen nicht möglich ist. In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass die Wohnküche, welche häufig als Mittelpunkt der Hausgemeinschaften betrachtet wird, nicht von allen Bewohnerinnen und Bewohnern eigener Mittelpunkt empfunden wird, da dies beispielsweise auch der Garten oder die Werkstatt sein kann (Brüggemann et al. 2009: 156-157). Bei weiteren Untersuchungen zu Hausgemeinschaften konnte festgestellt werden, dass die BewohnerInnen, im Vergleich zu denen von SCUs, eine höhere Selbstständigkeit und Mobilität sowie eine geringere Aggressivität aufwiesen (Radzey/Heeg 2001: 25).

Hieran anknüpfend ist jedoch festzuhalten, dass auch SCUs positive Effekte bewirken können. Die BewohnerInnen können beispielsweise mobiler bleiben und länger am Gemeinschaftsleben teilnehmen (BMFSFJ 2006: 147). SCUs scheinen im Vergleich zu integrativen Versorgungskonzepten mit einer Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit, der positiven Affekte sowie einer höheren sozialen Aktivität und reduzierten negativen Affekten verbunden zu sein (Wahl/Schneekloth 2007: 45-46). Des Weiteren konnte in Studien gezeigt werden, dass der Abbau der Alltagskompetenzen im Bereich der Aktivitäten des täglichen Lebens (ADLs) bei Bewohnerinnen und Bewohner einer SCU, im Vergleich zu denen eines integrativen Pflegebereiches, insgesamt geringer waren. Auch das Interaktionsniveau zwischen Pflegenden und den Menschen mit Demenz konnte in dieser SCU positiver bewertet werden (U.S. Congress 1992: 117-121). Diese Befunde konnten in einer Langzeitstudie bestätigt werden. Hierbei wurde jedoch auch deutlich, dass die Lebensqualität der BewohnerInnen bei einer segregativen bzw. integrativen Versorgung insgesamt gleich zu bewerten ist (Reimer et al. 2004: 1088). In einer Studie aus der Schweiz, in der drei segregative Konzepte und ein integratives Konzept miteinander verglichen wurden, konnte in den Bereichen Ruhe/Unruhe, gute/schlechte Stimmung, Wachheit/Müdigkeit ebenfalls keine relevanten Unterschiede festgestellt werden. Die BewohnerInnen der Einrichtungen mit segregativen Versorgungskonzepten wiesen jedoch eine höhere Selbstständigkeit im Bereich der ADL auf als die BewohnerInnen der integrativen Einrichtung (Oppikofer et al. 2009: 25-27). Auch in einer deutschen Untersuchung konnten keine eindeutigen Ergebnisse ermittelt werden. Während beim integrativen Versorgungskonzept die Aktivitätenrate sowie die Besuchshäufigkeit von Angehörigen höher war, zeigten die demenziell erkrankten BewohnerInnen in der segregativen Betreuung mehr positive Gefühle und waren häufiger in Kompetenz fördernde Aktivitäten eingebunden. Dennoch konnte bei den Bewohnerinnen und Bewohnern in der integrativen Versorgung die bedeutsamere Verbesserung der Verhaltensauffälligkeiten nachweisen (Weyerer et al. 2004: 32-33/92). In Bezug auf die geistige Gesundheit und das Verhalten konnten auch negative Effekte festgestellt werden. So zeigten die BewohnerInnen einer SCU beispielsweise deutlich häufiger Depressionen und Anzeichen schlechter Stimmung sowie herausfordernde Verhaltensweisen als demenziell erkrankte BewohnerInnen in integrativen Versorgungskonzepten (Buchanan et al. 2005: 257-258).

Insgesamt ist somit festzuhalten, dass anhand der aktuellen Datenlage zu den bewohnerbezogenen Effekten eine eindeutige Empfehlung eines dieser Versorgungskonzepte nicht möglich erscheint. Demzufolge kann eine bedarfsgerechte Pflege der demenziell erkrankten BewohnerInnen nicht alleine auf Grundlage des Versorgungskonzeptes gewährleistet werden. Aus diesem Grund werden im Folgenden die Herausforderungen dargestellt, die für Pflegende bei der Versorgung dieser Personengruppen auftreten und die, bei fehlenden Bewältigungsressourcen, die Pflegequalität beeinflussen können.

3.2 Herausforderungen für Pflegende in der stationären Altenhilfe

Der folgende Abschnitt befasst sich ausführlich mit den Herausforderungen die Pflegende im Rahmen ihrer Tätigkeit in der stationären Altenhilfe bewältigen müssen. Hierbei sind zwei wesentliche Aspekte zu beachten: Das Forschungsinteresse war bislang fast ausschließlich auf mögliche Belastungen Pflegender ausgerichtet. Belastungen können, wenn entsprechende (Bewältigungs-)Ressourcen vorliegen, als Herausforderungen betrachtet werden (siehe hierzu auch Kapitel 4), weshalb diese Studien ebenfalls zur theoretischen Fundierung herangezogen werden. Des Weiteren ist zu beachten, dass die Herausforderungen im Allgemeinen sowie in Bezug auf den Umgang mit Menschen mit Demenz zwar ausführlich erhoben wurden, jedoch fehlt weitestgehend eine Differenzierung anhand des umgesetzten Versorgungskonzeptes (Oppikofer et al. 2009: 3). Die bekannten Untersuchungen verfolgten zudem alle einen quantitativen Ansatz. Es ist somit fraglich, ob sie geeignet sind das subjektive Erleben der Pflegenden in Abhängigkeit vom Versorgungskonzept voll umfassend zu erheben. Aus diesem Grund erfolgt zunächst eine Darstellung der Befunde zu den Herausforderungen im Umgang mit demenziell erkrankten BewohnerInnen sowie zu den allgemeinen Herausforderungen in der stationären Altenhilfe (in Anlehnung an die Klassifikation nach Zimber et al. 2000). Abschließend werden die wesentlichen Erkenntnisse der Studien vorgestellt, die die Situation der Pflegenden in integrativen und segregativen Settings miteinander verglichen haben.

3.2.1 Herausforderungen bei der Pflege von Menschen mit Demenz

Wie bereits in Kapitel 2 beschrieben ist in Einrichtungen der stationären Altenhilfe die Pflege von Menschen mit Demenz ein wesentlicher Bestandteil der Arbeitsaufgabe der Pflegenden. Allgemein wird der Umgang mit verwirrten Bewohnerinnen und Bewohnern von den Pflegenden als schwierig empfunden (Heinemann-Knoch et al. 1998: 216; Simon et al. 2005: 19), da sie sich hierbei teilweise unsicher und hilflos fühlen (Kruse et al. 1992: 135). Als problematisch werden insbesondere Situationen im Zusammenhang mit der Ernährung, Kommunikation und Körperpflege erlebt. Jedoch sind auch die Bereiche Orientierung, Aggressivität, Umherwandern und Abwehrverhalten problembehaftet (Rüsing et al. 2008: 310-311) und mit Herausforderungen verbunden. Brodaty et al. (2003) stellten fest, dass Pflegende demenziell erkrankte Bewohner häufig eher negativ als positiv wahrnehmen und den Umgang mit ihren Verhaltensweisen als herausfordernd betrachten. In ihrer Untersuchung gab teilweise deutlich mehr als die Hälfte der Pflegenden an, dass es eine Herausforderung ist, mit demenziell erkrankten Bewohnerinnen und Bewohnern umzugehen, da diese manipulativ (52,7 %) sind und ständig Aufmerksamkeit einfordern (53,7 %). Zudem reagieren sie häufig negativ auf die Pflegehandlungen (60,3 %), sind fordernd (61,9 %) und unberechenbar (64,8 %). Darüber hinaus wird das Verhalten dieser BewohnerInnen als herausfordernd empfunden, da sie absichtlich ‚schwierig‘ sind (65,5 %) und sich stur (65,8 %) bzw. aggressiv (77 %) verhalten (Brodaty et al. 2003: 586-588).

Trotz der vorgestellten Befunde muss betont werden, dass sich die Pflegenden in der Regel nicht durch die demenziell erkrankten BewohnerInnen an sich herausgefordert fühlen. Viel mehr sind es die schweren Verhaltensauffälligkeiten, die für die Pflegenden eine Herausforderung darstellen können. Zu diesem herausfordernden Verhalten zählt insbesondere die Aggressivität gegenüber den Pflegenden sowie gegenüber anderen Bewohnerinnen und Bewohnern. Darüber hinaus werden jedoch insbesondere ständiges Schreien und Rufen als große Herausforderung erlebt. Diesem Verhalten kann in Einrichtungen mit einem großen Anteil an Doppelzimmern eine besondere Bedeutung beigemessen werden. Zudem besteht die Herausforderung darin Außenstehenden, wie beispielsweise Angehörigen, immer wieder zu erklären, weshalb nicht umgehend auf die Rufe reagiert wird. Des Weiteren stellt die sogenannte Weglauf- bzw. Hinlauftendenz der BewohnerInnen die Pflegenden ebenso vor Herausforderungen wie sexuelle Übergriffe auf die Pflegenden oder andere BewohnerInnen. Aber auch das Ablehnen der ‚notwendigen‘ Hilfen kann zu Belastungen bei den Pflegenden führen (Blass et al. 2008: 50).

Der Umgang mit diesen Verhaltensweisen wird meist deshalb als herausfordernd erlebt, da insbesondere Aggressivität bei den Pflegenden selbst ebenfalls Ärger auslösen kann. Sie werden teilweise gebissen, getreten, geschlagen, angespuckt und beleidigt. Es erscheint nachvollziehbar, dass sich die Pflegenden durch diese Verhaltensweisen abgelehnt und gedemütigt fühlen. Gefühle wie Wut und Ohnmacht, aber auch Angst und ein reserviertes Verhalten können die Folge sein. Letztlich leidet die professionelle Beziehung zwischen den Pflegenden und den Bewohnerinnen und Bewohnern. Zudem führen diese Gefühle möglicherweise zu psychischer und physischer Müdigkeit und Schuldgefühlen gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern und zu der Ansicht, eine schlechte Arbeit gemacht zu haben (Rasmussen/Hellzen 2013: 4-5).

Abschließend ist festzuhalten, dass diese Herausforderungen bei Pflegehilfskräften häufiger belastend wirken als bei Pflegefachkräften, wodurch ein direkter Zusammenhang mit der Qualifikation der Pflegenden ersichtlich wird (Blass et al. 2008: 52). Darüber hinaus wird deutlich, dass die beschriebenen herausfordernden Verhaltensweisen die Beziehung zwischen den Pflegenden und den Bewohnerinnen und Bewohnern negativ beeinflussen können, die Pflege allgemein erschweren und zudem den Gesundheitszustand der Pflegenden negativ beeinflussen können. Aus diesem Grund ist diesen Verhaltensauffälligkeiten und den daraus resultierenden Herausforderungen eine besondere Bedeutung beizumessen.

3.2.2 Weitere Herausforderungen aus der Arbeitsaufgabe

Neben dem Umgang mit demenziell erkrankten Bewohnern gehen zahlreiche weitere Herausforderungen aus der Arbeitsaufgabe hervor. Etwa die Hälfte aller Pflegenden in der stationären Altenhilfe muss pflegefremde Tätigkeiten durchführen. Hierunter fallen insbesondere hauswirtschaftliche Tätigkeiten, aber auch administrative und bewohnerferne Tätigkeiten, wie zum Beispiel Bestellungen oder Hol- und Bringdienste (Heinemann-Knoch et al. 1998: 205; Simsa et al. 2004: 501; Simon et al. 2005: 41). Häufige Arbeitsunterbrechungen, sowohl wegen anderen Bewohnerinnen und Bewohnern als auch wegen Kolleginnen und Kollegen, treten bei etwa 31 %[5] (Kleina et al. 2012: 73) bis weit über 50 % der Pflegenden auf (Blass et al. 2008: 148; Lohmann-Haislah 2012: 46). Auch die gleichzeitige Betreuung verschiedener Arbeiten tritt in den Gesundheitsberufen überdurchschnittlich häufig auf (Lohmann-Haislah 2012:46). Des Weiteren stellen die Erwartungen der BewohnerInnen eine Herausforderung für die Pflegenden dar. Die Ansprüche der zu Pflegenden haben sich deutlich erhöht, Wünsche werden klar artikuliert und es ist zu erwarten, dass die gegebenen Rahmenbedingungen künftig seltener akzeptiert werden (Simsa et al. 2004: 502; Schaeffer/Horn 2011: 10-11). Die Pflegenden sehen sich damit konfrontiert, dass sie bereits im Vorfeld wissen, dass sie diesen Erwartungen nicht gerecht werden können. Aus diesem wahrgenommenen Missverhältnis zwischen den eigenen Möglichkeiten und den Ansprüchen können Angst, Erschöpfung und Gereiztheit resultieren (Kruse et al. 1992: 135). Neben den Erwartungen der BewohnerInnen stellt aber auch die veränderte Alters- und Pflegestruktur eine Herausforderung dar. Die BewohnerInnen wechseln immer später und mit hohen Pflegestufen in die Einrichtungen. Hieraus ergibt sich eine qualitative Erhöhung des Aufgabenvolumens (Horn/Schaeffer 2011: 12) und die fehlende Möglichkeit aktivierend und rehabilitativ zu arbeiten (Kruse et al. 1992: 137-138). Zudem werden die ohnehin knappen Zeitressourcen durch die gestiegenen Anforderungen an die Pflegedokumentation weiter belastet. Weniger als die Hälfte der Pflegenden ist der Ansicht, dass die gestellten Anforderungen in der Praxis tatsächlich geleistet werden können (Blass et al. 2008: 149; Horn/Schaeffer 2011: 13). Damit einhergehend stellen auch die ausbleibenden Erfolgserlebnisse (Kruse et al. 1992: 136) und die häufige Konfrontation mit Tod und Sterben (Kruse et al. 1992: 132) bedeutende Herausforderungen dar.

3.2.3 Physische Herausforderungen

Die Tätigkeit in der stationären Altenhilfe ist unter anderem gekennzeichnet durch einen hohen Anteil an schwerer dynamischer Arbeit. Hierunter fallen beispielsweise Tätigkeiten wie die Mobilisation und der Transfer von Pflegebedürftigen sowie die Unterstützung bei der Körperpflege, beim Ankleiden oder bei Toilettengängen (Heinemann-Knoch et al. 1998: 214; Zimber et al. 2000: 65; Kleina et al. 2012: 80). Im Vergleich zu ambulanten Pflegediensten oder Krankenhäusern treten diese Herausforderungen in Einrichtungen der stationären Altenhilfe deutlich häufiger auf (Simon et al. 2005: 16-17). So muss beispielsweise etwa ein Viertel der Pflegenden die BewohnerInnen mehr als zehn Mal täglich umsetzen oder umlagern und fast 20 % der Pflegenden müssen täglich mehr als zehn Mal in einer unbequemen Körperhaltung arbeiten (Kleina et al. 2012: 80). Technische Hilfsmittel, die insbesondere im Bereich Heben und Tragen eine Unterstützung darstellen können, stehen Pflegenden in der stationären Altenhilfe nicht durchgängig zur Verfügung oder werden, unter anderem aus zeitlichen Gründen, nicht genutzt (Simon et al. 2005: 18; Blass et al. 2008: 86-87) und erhöhen so die physischen Herausforderungen (Gelsema et al. 2005: 48). Jedoch können auch bauliche Mängel, wie zum Beispiel zu enge Räumlichkeiten, dazu führen, dass Hilfsmittel nicht eingesetzt und die Pflegenden zu körperlich anstrengenden Improvisationen gezwungen werden (Heinemann-Knoch et al. 1998: 214; Blass et al. 2008: 87). Aus baulicher Sicht stellen auch fehlende Arbeitsräume und lange Wege auf den Wohnbereichen physische Herausforderungen dar (Heinemann-Knoch et al. 1998: 214). In der Folge berichten Pflegende häufig von Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen und Kreuzschmerzen sowie von einer Verschlechterung des subjektiven Gesundheitszustandes (Zimber et al. 1999: 195; Kleina et al. 2012: 81-82).

3.2.4 Herausforderungen durch die zeitliche Gestaltung

Bei den Herausforderungen durch die zeitliche Gestaltung sind vor allem die Nacht- und Schichtarbeit sowie Überstunden (Zimber et al. 2000: 68) und häufiges ‚Einspringen‘ zu nennen, da diese Unregelmäßigkeiten psychosozial wie auch körperlich eine Herausforderung darstellen (Simon et al. 2005: 34). Ganz allgemein kann der vorherrschende Zeitdruck, der regelmäßig von über der Hälfte der Pflegenden berichtet wird, als wesentliche Herausforderung genannt werden (Simsa et al. 2004: 504; Kleina et al. 2012: 72). Dieser Zeitdruck wirkt sich in der Folge auch auf das Verhältnis zu den Bewohnerinnen und Bewohnern aus, da zu wenig Zeit zur Verfügung steht, um auf die Probleme der BewohnerInnen einzugehen (Kleina et al. 2012: 75). Gerade dies wäre jedoch bei den vielfältigen Problemlagen der BewohnerInnen unbedingt erforderlich (Horn/Schaeffer 2011: 15). Neben dem Zeitdruck stellt die Nacht- und Schichtarbeit eine weitere bedeutsame Herausforderung dar. Etwa 60 % der Beschäftigten in den Gesundheitsberufen müssen an den Wochenenden sowie an Feiertagen arbeiten (Lohmann-Haislah 2012: 60) und ebenso viele arbeiten regelmäßig im Früh- und Spätdienst (Blass et al. 2008: 173). Trotz dieser unregelmäßigen Arbeitszeiten scheint eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf teilweise gegeben zu sein. Begünstigt wird dies durch den Umstand, dass viele Pflegende Arbeitszeitwünsche äußern können, die anschließend entsprechend berücksichtigt werden. Dennoch sind etwa 40 % (Kleina et al. 2012: 78) bis 55 % der mit der Herausforderung konfrontiert das Privatleben und die Arbeit miteinander in Einklang zu bringen zu müssen. Dies geht so weit, dass mehr als die Hälfte der Pflegenden Probleme hat, die Wochenenden oder den Urlaub zu planen, da sie häufig unvorhergesehen für erkrankte Kolleginnen und Kollegen ‚einspringen‘ müssen (Blass et al. 2008: 177). Zudem scheint es an ausreichend langen Erholungsphasen zu mangeln, da sich etwas mehr als 70 % der Pflegenden mehr freie Tage hintereinander wünschen (Blass et al. 2008: 176). Es wird deutlich, dass die Pflegenden in zeitlicher Hinsicht zahlreiche Herausforderungen bewältigen müssen, da diese ernst zu nehmende Erkrankungen begünstigen können (Boggild/Jeppsen 2001: 91-92), wenn eine Bewältigung nicht gelingt.

3.2.5 Organisationsbedingte Herausforderungen

Organisationsbedingte Herausforderungen entstehen unter anderem durch den wahrgenommenen Personalmangel, durch hohe Fluktuationsraten sowie in Zusammenhang mit einem autoritären Führungsstil oder bei ungenügender Kommunikation (Zimber et al. 2000: 69). Eine Folge der Kommunikationsdefizite können unter anderem fehlende oder verspätete Informationen sein. Zwar stellt dies nur für weniger als 10 % der Pflegenden ein dauerhaftes Problem dar (Lohmann-Haislah 2012: 47), dennoch sind 35 % der Beschäftigen in Einrichtungen der stationären Altenhilfe zumindest mehrmals pro Woche hiervon betroffen (Simon et al. 2005: 40). Auch widersprüchliche Arbeitsanweisungen sind einer ungenügenden Kommunikation zuzurechnen und stellen mehr als 20 % der Pflegenden vor Herausforderungen (Simon et al. 2005: 39). Ein autoritärer Führungsstil, der sich unter anderem in einer strengen Reglementierung ausdrückt, wird von Pflegenden ebenfalls als Herausforderung erlebt. Diese strengen Vorgaben verhindern eine individuelle Gestaltung des Arbeitsablaufs und werden insbesondere dann zum Problem, wenn hierdurch die Zeit für die BewohnerInnen eingeschränkt und eine ganzheitliche, aktivierende Pflege verhindert wird (Kruse et al. 1992: 134-135). Organisationsbedingte Herausforderungen können jedoch auch im Kontakt zu Personen außerhalb der Pflegeeinrichtung entstehen. Einerseits wird von den Pflegenden das Desinteresse der Angehörigen der BewohnerInnen als problematisch erlebt (Kruse et al. 1992: 138). Andererseits stellen das schlechte Image und die fehlende gesellschaftliche Anerkennung des Berufes eine Herausforderung dar. Der Umgang mit den Vorurteilen gegenüber stationären Altenhilfeeinrichtungen und die fehlende Wertschätzung der eigenen Leistungen erschweren die Arbeit der Pflegenden zusätzlich (Kruse et al. 1992: 137; Kruse/Schmitt 1999: 159). Letztlich stellt der Personalmangel eine der größten Herausforderung für die Pflegenden dar (Zimber et al. 1999: 191), da hieraus vielfältige Problemlagen resultieren können. Diese organisationsbedingten Herausforderungen können in der Folge negative körperliche wie auch emotionale Beschwerden verursachen (Gelsema et al. 2005: 47-48).

3.2.6 Weitere Herausforderungen

Die soziale Umgebung kann die Quelle wichtiger Ressourcen (siehe Kapitel 3.3), aber auch ernst zu nehmende Herausforderungen bedingen. Herausforderungen entstehen insbesondere in Zusammenhang mit dem Betriebsklima und durch soziale Konflikte im Team. Diese Herausforderungen sind geringer ausgeprägt als beispielsweise Herausforderungen aus der Arbeitsaufgabe (Zimber et al. 2000: 70) und kommen auch seltener vor als Herausforderungen im Umgang mit den Bewohnerinnen und Bewohnern (Zimber et al. 1999: 191). So berichten nur etwa 3 % der Pflegenden in der stationären Altenhilfe ein angespanntes Verhältnis zu den Kolleginnen und Kollegen (Simon et al. 2005: 24), dennoch sind diese Spannungen in einigen Einrichtungen ‚spürbar‘. Die Ursache hierfür ist einerseits häufig organisationsbedingt und unter anderem einer hohen Personalfluktuation geschuldet. Die fehlende Möglichkeit, neue Kolleginnen und Kollegen sorgfältig einzuarbeiten und in das Team einzugliedern, erschwert es, funktionierende Teamstrukturen aufzubauen (Heinemann-Knoch et al. 1998: 217). Andererseits sind die verschiedenen Vorstellungen über die angemessene Versorgung der BewohnerInnen nicht selten mit Herausforderungen verbunden. Aber auch die Notwendigkeit unfreiwilliger Überstunden, aufgrund häufiger Fehlzeiten oder überzogener Pausen, stellen die Pflegenden vor eine Herausforderung. Zudem kann eine qualitative Überforderung zu einer „erhöhten Gereiztheit und einer reduzierten Toleranz gegenüber dem Verhalten von Berufskollegen“ führen (Kruse/Schmitt 1999: 163).

Diese qualitative Überforderung ist jedoch nicht ausschließlich in Zusammenhang mit der sozialen Umgebung mit Herausforderungen verbunden. Auch im Person-System[6] können bei unzureichender persönlicher Eignung oder mangelnder Qualifikation sowie bei wirkungslosen Handlungsstilen (beispielsweise fehlende Lösungsstrategien im Umgang mit Stress) Herausforderungen entstehen (Zimber et al. 2000: 70). In den Einrichtungen der stationären Altenhilfe fühlen sich etwa 5 % bis 10 % der Pflegenden mehrmals täglich qualitativ überfordert (Simon et al. 2005: 40-41; Lohmann-Haislah 2012: 90; Kleina et al. 2012: 72-73). Das heißt, diese Pflegenden übernehmen täglich mehrmals Tätigkeiten, für die sie nicht entsprechend ausgebildet wurden. Die qualitative Überforderung spielt demnach ebenfalls eine untergeordnete Rolle. Dennoch stellt alleine das Wissen, eine verantwortungsvolle Aufgabe übernommen zu haben, eine Herausforderung für Pflegende dar. Insbesondere wenn diese Verantwortung nicht auf mehrere Personen verteilt werden kann, nimmt die Angst Fehler zu begehen deutlich zu. Dieser Zustand kann wiederum dazu führen, persönliche Krisen auszulösen (Kruse et al. 1992: 134).

3.2.7 Vergleich der Herausforderungen im integrativen und segregativen Setting

Wie bereits beschrieben, liegen nur wenige Studien vor, die die Herausforderungen der Pflegenden in Abhängigkeit vom Versorgungskonzept untersucht haben und diese Studien folgten ausnahmslos einem quantitativen Studiendesign. Unter anderem wurden in der Schweiz von Oppikofer et al. (2009) im Rahmen einer Evaluationsstudie verschiedene segregative Versorgungskonzepte untereinander und mit einem integrativen Konzept verglichen. Es liegen somit Ergebnisse aus einem Gruppenvergleich (integrativ vs. segregativ) sowie Einzelvergleiche aller Konzepte vor. Neben der Lebensqualität der BewohnerInnen verfolgte diese Studie auch das Ziel, die Arbeitszufriedenheit der Pflegenden in Abhängigkeit vom Versorgungskonzept zu erheben (Oppikofer et al. 2009: 3). Die Befragung erfolgte schriftlich unter Einsatz einer Kombination verschiedener valider Skalen und Fragebögen. Im Gruppenvergleich konnte bei den Herausforderungen durch die BewohnerInnen und Arbeitsbedingungen festgestellt werden, dass die Pflegenden im integrativen Setting diese wesentlich herausfordernder erleben als Pflegende im segregativen Setting. Speziell die Arbeit mit demenziell erkrankten Bewohnerinnen und Bewohnern wurde von den Pflegenden beim integrativen Versorgungskonzept herausfordernder beurteilt als beim segregativen Konzept. Der erlebte Stress wird unabhängig vom Versorgungskonzept eher gering eingeschätzt und fällt im integrativen Setting nur geringfügig höher aus. Die emotionale Herausforderung wird hingegen von den Pflegenden im segregativen Setting teilweise deutlich höher eingeschätzt. Insgesamt betrachtet wird die emotionale Herausforderung jedoch in beiden Settings eher gering eingeschätzt, wobei eine große Standardabweichung festgestellt werden konnte, womit eine erhebliche Streuung der individuellen Einzelwerte gegeben ist. Im Einzelvergleich wird darüber hinaus ersichtlich, dass die SCUs dem integrativen Konzept in allen genannten Bereichen deutlich überlegen sind und auch gegenüber den weiteren segregativen Versorgungskonzepten teilweise erhebliche Vorteile aufweisen (Oppikofer et al. 2009: 30-39).

Weitere Befunde liegen aus einer deutschen Evaluationsstudie von Weyerer et al. (2006) vor, bei der die ‚besondere Dementenbetreuung‘ in Hamburg[7] überprüft wurde. Ein Ziel dieser Untersuchung war es, die Arbeitsbelastung und die psychischen Beeinträchtigungen der Pflegenden zu erheben und diese mit den Ergebnissen aus anderen (segregativen) Pflegeeinrichtungen in Hamburg sowie aus integrativen Pflegeeinrichtungen in Mannheim zu vergleichen. Hierbei konnte festgestellt werden, dass die Pflegenden der ‚besonderen Dementenbetreuung‘ die Arbeitssituation deutlich günstiger beurteilten als die Pflegenden im integrativen Setting. So wurden beispielsweise belastende organisatorische Merkmale (unter anderem geringe Entscheidungsspielräume) seltener berichtet. Auffällig sind jedoch insbesondere die Unterschiede bei den bewohnerbezogenen Merkmalen. Hierzu zählen neben dem Umgang mit demenziell erkrankten, aggressiven oder depressiven Bewohnerinnen und Bewohnern auch der Umgang mit Tod und Sterben. Die Pflegenden der ‚besonderen Dementenbetreuung‘ erlebten diese Merkmale, im Vergleich zu den Pflegenden im integrativen Setting, als deutlich weniger herausfordernd. Dieser Befund ist umso bedeutsamer wenn berücksichtigt wird, dass die Pflegenden diesen Herausforderungen in der ‚besonderen Dementenbetreuung‘ wesentlich häufiger ausgesetzt sind. Deutliche Unterschiede lassen sich ebenfalls bei der psychischen Beanspruchung feststellen. Weyerer et al. (2006) postulieren hierbei einen Zusammenhang zwischen den angeführten Herausforderungen und den depressiven Symptomen die im integrativen Setting etwa bei jeder bzw. jedem fünften Pflegenden (21,9 %) auftraten. Im Vergleich hierzu berichteten lediglich 8,9 % der Pflegenden in der ‚besonderer Dementenbetreuung‘ entsprechende Symptome. Die Pflegenden der anderen segregativen Einrichtungen in Hamburg wiesen bei allen Komponenten geringere Belastungen auf als die Pflegenden im integrativen Setting. Auch depressive Symptome wurden deutlich seltener berichtet. Beide Werte lagen jedoch über denen der Pflegenden aus der ‚besonderen Dementenbetreuung‘ (Weyerer et al. 2006: 108-111).

[...]


[1] Hierunter ist der Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung, im Alter von 19 bis 64 Jahren, zu verstehen (Rothgang et al. 2012: 51).

[2] Zusammenfassende Informationen zur Prävalenz und Inzidenz dieser Symptome sowie zu weiteren herausfordernden Verhaltensweisen finden sich unter anderem bei: Halek/Bartholomeyczik 2006: 31-44 sowie Buchmann/Held 2013: 82-84.

[3] Die Begriffe „Wohngruppe“ und „Hausgemeinschaft“ sind als Synonyme zu verstehen. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden ausschließlich die Bezeichnung „Hausgemeinschaft“ verwendet.

[4] Für weiterführende Informationen zu diesen Modellen siehe auch: Reggentin/Dettbarn-Reggentin 2006: 39-43 und Brüggemann et al. 2009: 152-154.

[5] Die angegebenen Prozentwerte aus der Untersuchung von Kleina et al. (2012) beziehen sich in Zusammenhang mit den Herausforderungen immer auf kumulierten Werte der Antwortmöglichkeiten „oft“ bzw. „sehr oft“ auch wenn dies nicht ausdrücklich angegeben ist.

[6] Das ‚Person-System‘ umfasst nach Zimber et al. (2000: 70) sowohl die formale Qualifikation als auch die Kompetenzen und Handlungsstile der Pflegenden.

[7] Hierbei handelt es sich um ein spezielles Versorgungskonzept für Menschen im fortgeschrittenen Stadium einer Demenz, die nicht bettlägerig sind und schwere Verhaltensauffälligkeiten aufweisen. Das Versorgungskonzept lässt sich sowohl segregativ als auch teilintegrativ umsetzen (Weyerer et al. 2006: 29-32), die hier beschriebenen Ergebnisse beziehen sich auf die Umsetzung im segregativen Setting.

Ende der Leseprobe aus 116 Seiten

Details

Titel
Segregative und integrative Versorgungskonzepte für Menschen mit Demenz
Untertitel
Herausforderungen für Pflegende in der stationären Altenhilfe
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Gesundheitswissenschaften)
Veranstaltung
Versorgungsforschung und Pflegewissenschaft
Note
1,7
Autor
Jahr
2013
Seiten
116
Katalognummer
V286557
ISBN (eBook)
9783656868521
ISBN (Buch)
9783656868538
Dateigröße
1063 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Altenpflege, Altenhilfe, stationär, segregativ, integrativ, Segregation, Integration, Demenz, Verhaltensauffälligkeiten, Altenpfleger, Altenpflegerin, Pflegende, Pflegekraft, Pflegekräfte, Herausforderungen, Belastungen, Arbeitsbedingungen, Untersuchung, empirisch, Interview, Grounded Theory, demenzielle Erkrankung, Versorgungsform, Pflegeheim, Altenheim
Arbeit zitieren
M.Sc. in Public Health Pajam Rais Parsi (Autor:in), 2013, Segregative und integrative Versorgungskonzepte für Menschen mit Demenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/286557

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