Die Christdemokratie in Italien

Ist die Forza Italia eine christdemokratische Partei?


Examensarbeit, 2014

69 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Forschungsstand
1.2 Ziele und Aufbau der Arbeit

2.Die Christdemokratie in Westeuropa
2.1 Entstehungsgeschichte
2.2 Ideologie
2.3 Programmatik
2.3.1 Familienpolitik
2.3.2 Wirtschaftspolitik
2.3.3 Sozialpolitik
2.4 Organisationsstruktur und Wählerspektrum
2.5 Zwischenfazit

3. Die Christdemokratie in Italien
3.1 Die erste christdemokratische Partei PPI
3.2 Die Entstehung der Democrazia Cristiana (DC)
3.3 Struktur und Programmatik der DC
3.4 Auflösung

4. Die Forza Italia
4.1 Die Entstehung der Forza Italia
4.2 Ideologie
4.3 Programmatik
4.3.1 Familienpolitik
4.3.2 Wirtschaftspolitik
4.3.3 Sozialpolitik
4.4 Organisationsstruktur und Wählerspektrum

5.Konklusion

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.Einleitung

Die Christdemokratie hat in den westeuropäischen Parteiensystemen eine lange Erfolgsgeschichte aufzuweisen. Aus dem ursprünglichen Konflikt zwischen Kirche und Staat um die religiösen Freiheiten entstand zunächst der politische Katholizismus, welcher als klassen- und schichtübergreifende Bewegung die Grundlage für die Etablierung der christdemokratischen Parteien nach dem zweiten Weltkrieg bildete. Als erste schriftliche Quelle der christdemokratischen Ideologie gilt die Enzyklika „Rerum Novarum“ von Papst Leo dem XIII aus dem Jahr 1891, welche bereits das Prinzip der Subsidiarität enthält. Die Unterstützung durch den Staat im Falle eines Versagens seiner Individuen oder gesellschaftlichen Gruppen ist ein wesentliches Merkmal, das die meisten christdemokratischen Parteien miteinander teilen. (vgl. Liedhegener/Oppelland 2012 : 101f)

Als klassen- schicht- und teilweise auch konfessionsübergreifende Parteien haben die christdemokratischen Vertreter in den Parlamenten Europas insgesamt eine starke Stellung, wobei hier nach Regionen unterschieden werden muss, wie beispielsweise im Norden Europas, wo konservative Parteien stärker sind als christdemokratische. Die christdemokratischen Parteien in Europa zeichnen sich dabei durch die Wahl ihres Namens aus, durch eine vergleichbare Programmatik, sowie durch ihre internationale Kooperation, welche sich in der Gründung der gemeinsamen Europäischen Volkspartei (EVP) im europäischen Parlament niederschlägt. (vgl. Frey 2009 : 22f).

Die Anfänge der christdemokratischen Politik in Italien lassen sich nicht erst mit der Gründung der Democrazia Christiana(DC) im Jahr 1943 feststellen. Die DC nutzte eher die Strukturen und die Wählerbasis ihrer Vorläuferpartei der Partito Popolare Italiano (PPI), um sich als klassen- und schichtübergreifende Partei erfolgreich in der Parteienlandschaft Italiens zu etablieren. Der Gründung der PPI im Jahre 1919 waren Jahrzehnte des Konflikts zwischen der katholischen Kirche und dem geeinten italienischen Staat vorausgegangen. Die DC konnte im italienischen Parteiensystem eine Schlüsselrolle einnehmen, die im Vergleich mit anderen westeuropäischen Parteiensystemen einzigartig war.

Neben der 40 Jahre andauernden Regierungsbeteiligung konnte die Partei alle wichtigen Schaltstellen des Staates besetzen und ihren Einfluss auch aufgrund der Besetzung des Mediensektors durchsetzen. Während ihres Bestehens konnte sie stets mit einem großen Stammwählerpotential rechnen, und sich somit ihre Koalitionspartner aussuchen. Diverse Faktoren hatten die Entwicklung zu einer allumfassenden Volkspartei ermöglicht, wie beispielsweise der Ausschluss der kommunistischen Partei Partito Comunista d’Italia(PCI) von jeglicher Regierungsverantwortung. Erst Mitte der 1970er Jahre verzeichnete die Partei erste Stimmeneinbußen, welche sie zu einer Koalition mit den Sozialisten zwang, sowie zur Ernennung des ersten sozialistischen Ministerpräsidenten Bettino Craxi. Die Ermittlungen gegen die politische Elite Italiens, initiiert von Mailänder Staatsanwälten Anfang der 1990er Jahre, kann als der Anfang vom Ende der DC angesehen werden. Durch die ,mani pulite (weiße Hände) genannten, juristischen Untersuchungen, wurden zahlreiche Politiker der DC verhaftet und aufgrund von Korruptionsvorwürfen, Amtsmissbrauch und illegaler Parteienfinanzierung zu hohen Haftstrafen verurteilt. Nach der Umbenennung zum alten Namen PPI zersplitterte die Partei 1994 in diverse kleinere Ableger, die es allesamt nicht geschafft haben, sich das enorme Wählerpotenzial der DC anzueignen. Dies konnte zumindest in einem gewissen Umfang die Forza Italia, welche von Medienmogul Silvio Berlusconi gegründet worden war. Mit Hilfe seines Unternehmens Fininvest schaffte es Berlusconi, auch aufgrund einer ausgeklügelten Marketingstrategie, die Forza Italia innerhalb eines halben Jahres zum Gewinner der Parlamentswahlen 1994 zu machen. (vgl. Ulrich 2009 : 669f; vgl. Köppl 2007 71ff)

Die erste Regierung unter Berlusconi zerbrach allerdings bereits nach einem Jahr. Erst 2001 konnte sie mit einer neuen Struktur und einer teilweise neuen Programmatik erneut die Parlamentswahlen gewinnen und bis 2006 die Regierung stellen. (vgl. Köppl 2007 : 90f) 2009 ging die Forza Italia, gemeinsam mit der Alleanza Nazionale (AN) im Pollo della Liberta (PDL) auf. Dieses Wahlbündnis konnte 2008 bereits die Parlamentswahlen gewinnen. Aufgrund von internen Streitigkeiten, in welchen auch die Ermittlungen gegen Berlusconi eine Rolle spielten, spalteten sich mehrere Gruppierungen vom PDL ab, welche ab 2013 von Berlusconi wieder zur Forza Italia umbenannt wurde. (vgl. Feldbauer 2014)

1.1 Forschungsstand

Die Christdemokratie ist im Gegensatz zur Sozialdemokratie oder anderen politischen Ideologien, in der Forschung verhältnismäßig selten zum Betrachtungsgegenstand geworden. Vermehrte Veröffentlichungen von Forschungsliteratur mit der Christdemokratie zum Inhalt, lassen sich erst Mitte der 1990er Jahre feststellen. Davor gab es nur vereinzelte Versuche sich dieses Themengebiet tiefergreifend zu erschließen.

Michael Fogartys Studie „Christian Democracy in Western Europe, 1820 – 1953“ aus dem Jahr 1957 gilt als erstes bedeutendes Standardwerk über die Christdemokratie, löste aber keine neue Forschungswelle aus. 1979 veröffentlichte Ronald Irving mit „The Christian Democratic Parties of Western Europe“ die erste vergleichende politikwissenschaftliche Studie, in welcher er die Christdemokraten der westeuropäischen Parteiensysteme betrachtete. Weitere vergleichende Studien und Sammelbänder finden sich bei Hanley (1994), Kalyvas (1996), van Kersbergen (1995), Van Hecke und Gerard (2004). (vgl. Frey 2008 : 20) Ein weiteres Werk mit dem Titel „Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert“ von Kaiser, Gehler und Wohnout (2001) behandelt neben den Grundlagen christdemokratischer Politik im 20. Jahrhundert, ausgewählte Themenkomplexe zu den einzelnen Entwicklungen der Christdemokratie und deren Parteien in ganz Europa. Zu den grundlegenden Betrachtungen existieren des Weiteren Werke, die sich entweder mit einer christdemokratischen Partei beschäftigen, wie „Die CDU“ von Udo Zolleis (2008), oder einen Überblick über christdemokratische Parteien in Europa geben, wie die Werke „Christlich-demokratische und konservative Parteien in Westeuropa“ von Hans-Joachim Veen (1991) und „Konservative und christdemokratische Parteien in Europa“ von Franz Horner (1981).

Aktuelle Literatur zum Thema Christdemokratie existiert u.a. in Bezug auf ihren vermeintlichen Niedergang. Hans Zehetmairs Sammelband „Politik aus christlicher Verantwortung“ (2007) betrachtet den Wandel der Christdemokratie und wirft einen Blick auf eine mögliche Zukunft der christdemokratischen Politik. Eine aktuelle Betrachtung über die christdemokratische Parteienfamilie, und die Beantwortung auf die Frage, ob es sich überhaupt um eine eigene Parteifamilie handelt, findet sich in Uwe Juns und Benjamin Höhnes Sammelband „Parteifamilien“ (2012). Das umfassendste Werk über die Christdemokratie stammt von Timotheos Frey. Neben einem Vergleich von christdemokratischen Parteien im Wahlkampf bündelt Frey in seinem Werk die wichtigsten Elemente und Strukturen ihrer Politik und benennt die Erfolgs-, sowie die Misserfolgsfaktoren der christdemokratischen Parteien in verschiedenen Parlamenten Europas.

Speziell zur italienischen Politik existieren zahlreiche Werke, die sich mit den vielfältigsten Fragestellungen befassen. Einen Überblick über die italienische Politik seit dem zweiten Weltkrieg geben Nevell und Bull mit ihrem Werk „Italian Politics“ (2005). Niedermayer/Stöss/Haas (2006), Köppl(2007) und Ismayr (2009) können für das politische System Italiens konsultiert werden, da sie bzw. die Beitragsautoren umfassende Einblicke gewähren.

Für die Betrachtung der italienischen Democrazia Christiana kann das Werk „Faktionen in westeuropäischen Parteiensystemen“ von Matthias Trefs (2007) herangezogen werden, in welchem sich der Autor explizit mit der Fragmentierung der italienischen Parteien beschäftigt.

Auch Trautmann, Ferraris und Ulrich(1995) befassen sich in ihrem Sammelband „Italien auf dem Weg in die zweite Republik?“ mit den Christdemokraten, insbesondere mit ihrem Niedergang am Anfang der 1990er Jahre.

Der rasante Aufstieg der Forza Italia hat in den Politikwissenschaften zu einer erhöhten Produktion von Literatur zur näheren Untersuchung geführt. Die Person Silvio Berlusconis, sein Aufstieg, seine Ansichten und seine politische Karriere sind schon des Öfteren Teil der Fachliteratur geworden, wie bspw. bei Renner (1994) oder Grasmück (2005). Sein Interessenskonflikt und den Einfluss, den er auf dem italienischen Fernsehmarkt hat, waren ebenfalls Gegenstand zahlreicher Publikationen. Seine politische Kreation, die Forza Italia, wird in der Forschung des Öfteren behandelt, wenn es um das Erstarken von rechtspopulistischen Parteien in Europa geht, wie bei Urbats Werk „Rechtspopulisten an der Macht“ (2007). Der Bezug der Forza zur italienischen Christdemokratie wurde bisher allerdings nicht explizit betrachtet. Zwar wurden die Organisation, die Struktur und das Programm der Partei bereits zwecks einer Einordnung in das politische Rechts-Links Schema analysiert, allerdings ohne dabei näher auf etwaige Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zur DC einzugehen, welche bei einer Analyse der Partei sicherlich hilfreich sein können.

1.2 Ziele und Aufbau der Arbeit

Diese Arbeit hat sich die folgenden Ziele gesetzt. Sie untersucht einen möglichen Bezug der Forza Italia zur Parteienfamilie der Christdemokratie, um die Frage beantwortet zu können, ob Silvio Berlusconis politisches Gebilde als christdemokratische Partei im traditionellen Sinne angesehen werden kann.

Ein weiteres Ziel besteht im Aufzeigen der wesentlichsten Faktoren der Christdemokratie, sodass ein kompaktes Gesamtbild über sie gewonnen werden kann. Die Forza Italia ist in dieser Arbeit im Fokus der Betrachtung; daher muss es ebenfalls das Ziel sein, über die Hintergründe und Gegebenheiten der Christdemokratie in Italien zu informieren.

Um dies zu gewährleisten, werden nach dieser Einleitung zunächst die zentralen Elemente der Christdemokratie untersucht. Dies beinhaltet eine genauere Betrachtung der Frage, was die Christdemokratie in ihrem Kern ausmacht. Drei wichtige Bereiche müssen dafür untersucht werden, nämlich die Ideologie von christdemokratischen Parteien, ihre Programmatik und ihre Strukturen, sowie ihr vertretenes Wählerspektrum. Nachdem die Christdemokratie in ihrem Kern beschrieben worden ist, erfolgt zur besseren Einordnung in den Kontext eine Betrachtung der italienischen Christdemokraten, die hier mit dem PPI beginnt und mit der Auflösung der DC endet. Dies ist nötig, um sich zu erschließen, in welchem Rahmen sich die Christdemokratie in Italien bewegt und um ebenfalls auf dieser Grundlage erkennen zu können, mit welchen politischen Anforderungen, Widrigkeiten und Besonderheiten es eine Partei in Italien zu tun hat. Im vierten Kapitel wird das Analysemuster aus dem Kapitel der Christdemokratie auf die Forza Italia angewendet, nachdem die Anfänge der Partei, sowie die Person Silvio Berlusconis kurz betrachtet worden sind. Den Schlussteil dieser Arbeit bildet die Konklusion, in welcher die Forschungsfrage erneut aufgegriffen und beantwortet wird.

2.Die Christdemokratie in Westeuropa.

Nachdem in der Einleitung bereits einige wesentliche Elemente der Christdemokratie genannt wurden, folgt nun im zweiten Teil eine genauere Untersuchung der wichtigsten und grundlegendsten Faktoren christdemokratischer Politik. Hierfür ist zunächst auf ihre Entstehungsgeschichte einzugehen, da viele ihrer Grundprinzipien schon über die Phase der Parteigründungen hinausgehen, wie beispielsweise das Prinzip der Subsidiarität. Der Blick auf den geschichtlichen Kontext dient also dazu, die Programmatik und Ideologie von christdemokratischen Parteien besser nachvollziehen zu können. Auf die historische Übersicht folgt eine Betrachtung über die wichtigsten Elemente der christdemokratischen Ideologie, gefolgt von der Programmatik von christdemokratischen Parteien. Die Betrachtung ihrer Strukturen, sowie ihres Wählerspektrums bilden zusammen mit dem Zwischenfazit den Schluss dieses Kapitels.

2.1 Entstehungsgeschichte

Die Nachkriegszeit in Europa gilt als der wohl maßgeblichste Zeitraum für die Anfänge der Christdemokratie, obwohl sich der Entstehungsprozess bis zu den Anfängen der französischen Revolution zurückverfolgen lässt, in welcher die Kirche zum ersten Mal an Bedeutung und politischem Einfluss verlor (vgl. Frey 2009 : 27). „Der Begriff „democratie chretienne“ taucht erstmals vereinzelt in der Französischen Revolution auf und bezeichnete die angeblich demokratische Urfassung der Kirche“. (Becker 2002 : 9).

Die sozialen Missstände, welche durch die industrielle Revolution ausgelöst wurden und säkurale Zeitströmungen sorgten dafür, dass die Religion als Orientierungswert in der Demokratie betont wurde. Als erste schriftliche Quelle der christdemokratischen Ideologie gilt die Enzyklika „Rerum Novarum“ von Papst Leo XIII aus dem Jahr 1891. (ebd)

Dem Konflikt zwischen Liberalismus und Sozialismus wurde mit dieser Schrift ein neues Weltbild, beziehungsweise die Konstruktion einer neuen gesellschaftlichen Ordnung entgegengesetzt. Sie begründete des Weiteren die katholische Soziallehre, welche bereits viele Elemente aufwies, die bei der späteren Gründung von christdemokratischen Parteien eine konstituierende Rolle spielen sollten, wie das Subsidiaritätsprinzip, also die Unterstützung durch den Staat im Falle des Versagens einer seiner Gruppen oder einzelnen Bürger. Barmherzigkeit und Nächstenliebe wurden mit dieser Schrift als gesellschaftliche Tugenden definiert, deren Vertretung zu den Aufgaben des Staates gehören sollte. (vgl. Frey 2009 : 28).

Mit der Enzyklika Rerum Novarum bekam die katholische Bewegung, die bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Vereine gebildet hatte, nun eine politische Färbung, welche u.a. in dem Aufruf nach einer Versöhnung mit der Republik in Frankreich und der Akzeptanz von möglichen Interventionen des modernen Staates gipfelten. (vgl. Maier 1965 : 264f)

Ende des 19.Jahrhunderts gründen sich die ersten Parteien, die dem politischen und sozialem Katholizismus zuzuordnen waren, wie beispielsweise die Katholische Volkspartei der Schweiz im Jahr 1894, die Römisch-Katholische Staatspartei in den Niederlanden 1897, die katholische Volkspartei in Ungarn 1895 und die katholische Partei in Belgien 1884.(vgl. Becker 2002 : 10ff) Dabei gibt es drei Entwicklungswege, die katholische Parteien eingeschlagen haben. Frey unterscheidet hier zwischen den konfessionellen Verteidigern, den eben erwähnten Volksparteien und den ländlichen Konservativen. Wichtig zu erwähnen ist hierbei, dass protestantische Parteien erst nach den katholischen Parteien gegründet worden sind, die Niederlande gilt hier als Ausnahme(vgl. Frey 2009 : 39). In der Geschichte der Parteiengründung im christdemokratischen Spektrum existieren schon Hinweise auf die Ablehnung der Einordnung in das Rechts-Links Schema, was die spätere Christdemokratie auszeichnen wird. Beispielsweise verpflichtet sich die deutsche Zentrumspartei bei ihrer Gründung 1870 auf eine Politik der Mitte und auf ihre Verfassungskonformität. (ebd)

Im Jahr 1931, unter Bezugnahme auf die Enzyklika Rerum Novarum, verfasst Papst Pius XI die Enzyklika Quadragesimo, die mehrere wichtige Konzepte für die moderne Christdemokratie enthielt. Das Prinzip der Subsidiarität wird wieder aufgenommen und erweitert, Klassentrennung, Individualismus, freie Marktwirtschaft, Kommunismus und Sozialismus werden abgelehnt. Stattdessen lassen sich viele Schlagwörter wiederfinden, die auch heute noch die Grundlage der christdemokratischen Parteien bilden, nämlich Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit. Das Prinzip der Subsidiarität, welches der Papst wieder aufgreift, wird in den Nachkriegsjahren des zweiten Weltkriegs zur modernen Regierungstheorie entwickelt. Ebenfalls spielt Versöhnung eine wichtige Rolle, sowie die Überzeugung, dass Interessenskonflikte politisch gelöst werden können. (vgl. Frey 2009 : 28f).

Die Verbrechen der Nationalsozialisten in Deutschland und der Faschisten in Italien sorgten im Nachkriegseuropa für den Wunsch nach einer stabilen Demokratie auf einer parlamentarischen Grundlage. Totalitäre Bewegungen hatten Europa ins Chaos gestürzt, was sich für die ideologiekritischen Christdemokraten als Vorteil erwies. In Deutschland, Frankreich und Italien entstanden neue Parteien, die sich mit ihrer klassen- und schichtübergreifenden, auf einem sozialen Ausgleich beruhenden Politik, über Jahrzehnte hinweg etablieren konnten, Frankreich ausgenommen. (Becker 2002 : 18)

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der erhöhten Globalisierung versuchen christdemokratische Parteien das „C“ in ihren Parteinamen an die veränderten Bedingungen der Moderne anzupassen. Um dies zu erreichen, wird, in alter Tradition eines pragmatischen Politikverständnisses, über ihr Selbstverständnis diskutiert. Dem Wähler in einer Umbruchzeit, beziehungsweise in einer sich ständig wechselnden und mit Informationen überfluteten Gesellschaft, einen Anlaufpunkt zu bieten, der sich im Kern immer noch an universalistischen Werten und einem christlichem Politikverständnis orientiert, ist das Ziel von modernen christdemokratischen Parteien.(Becker 2002 : 20f ; Glück 2007 : 304)

Der historische Hintergrund der Christdemokratie verdeutlicht bereits fundamentale Werte für die christdemokratische Ideologie, auf die sich heutige moderne christdemokratische Parteien beziehen.

Die Betrachtung der Kernelemente dieser Ideologie ist u.a. Bestandteil des nächsten Abschnittes dieser Arbeit.

2.2 Ideologie

Als Ideologie im politischen Sinne bezeichnet man die zur Begründung und Rechtfertigung des politischen Handelns entwickelten Ideen und Vorstellungen, die sich aus bestimmten Weltanschauungen, Interessen und Absichten entwickeln. (Bundeszentrale für poltische Bildung : 2011)

Wenn man die Definition des Begriffs Ideologie betrachtet, ist es sinnvoll von einer Ideologie der Christdemokraten zu sprechen, denn auch sie begründen und rechtfertigen ihr politisches Handeln durch eine bestimmte Weltanschauung, die sich in einem klar umrissenen Menschenbild manifestiert. Frey charakterisiert die christdemokratischen Parteien als Parteien mit einer unverwechselbaren ideologischen Basis und nennt drei wesentliche Elemente: das Subsidiaritätsprinzip, das Solidaritätsprinzip und die konsequente Ablehnung totalitärer Strukturen. (vgl.Frey 2009 : 159).

Das Prinzip der Subsidiarität wird übereinstimmend von mehreren Autoren als zentrales Kennungsmerkmal der christdemokratischen Ideologie genannt, u.a. von Glück (2007), Horner (1981) und Liedhegener/Oppelland (2012). Wie bereits im Verlauf der Arbeit erwähnt, greifen beim Subsidiaritätsprinzip die staatlichen Institutionen nur ein, wenn der Einzelne oder eine Gruppe von Individuen, wie die Familie, ihre Aufgaben zur Daseinsgestaltung nicht mehr erfüllen können. Dieses Prinzip rückt die Eigenverantwortlichkeit der Individuen und Gruppen in den Vordergrund, außerdem setzt es auf die Selbstbestimmung, die Selbstverantwortung und die Entfaltung individueller Fähigkeiten. Die Subsidiarität ist des Weiteren auch ein ordnungspolitisches Konzept, welches u.a. in der sozialen Marktwirtschaft und im politischen Gebilde der Europäischen Union zum Einsatz kommt. Um dieses Prinzip anzuwenden, bedarf es einer Überprüfung, ob das Handeln einer übergeordneten, staatlichen Instanz überhaupt erforderlich ist. (vgl. Becker 2002 : 664f ; vgl. Riescher 2008 : 563f)

Der Anregung der Eigentätigkeit der kleineren Gemeinschaften durch die Subsidiarität liegt ein klar erkennbares Menschenbild der Christdemokratie zu Grunde. Der Begriff des christlichen Menschenbildes ist eine Bezeichnung für die religiös-christliche Fundierung des Beitrags der Christen im politischen Gemeinwesen. (vgl. Uertz 2007 : 102) Die Betrachtung dieses Menschenbildes ist für die Analyse der Christdemokratie wichtig, denn es ist die Grundlage ihres politischen Handelns.

Die Grundlage des christlichen Menschenbildes ist der Bezug zu Gott. Der Mensch ist nicht ein zufällig existierendes Wesen, sondern ist von Gott als Person geschaffen. Die Vernunft des Menschen, die ihm durch Gott gegeben wurde, befähigt ihn zur Freiheit und verpflichtet ihn zur Verantwortung im Umgang mit seinesgleichen. Er hat den Auftrag die Schöpfung zu bewahren und im gesellschaftlichen Miteinander auszugestalten. Aus diesen grundlegenden Positionen lassen sich vier Elemente des christdemokratischen Menschenbildes ableiten: die Unveräußerliche Würde des Menschen, die Gleichwertigkeit, Verschiedenartigkeit und die Unvollkommenheit. Aus diesen Punkten lassen sich wiederrum die Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit ableiten. Die Freiheit befähigt das Individuum am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und verleiht ihm unveräußerliche Rechte. Im Freiheitsbegriff der Christdemokraten lässt sich der hohe Wert des Personalismus innerhalb der christlichen Ideologie wiederfinden. (vgl. Koecke/Sieben 2010 : 9 – 13; vgl. Baumgartner 2002 : 478f)

„Das Prinzip der Personalität nimmt den Menschen umfassend in den Blick. Es begreift den Menschen einerseits als Individuum mit unveräußerlichem Eigenwert und unaustauschbarer Einmaligkeit und andererseits als soziales Wesen in Beziehung zur Gemeinschaft und als religiöses Wesen in seiner Beziehung auf Gott. Der Freiheit des Individuums steht das Recht der anderen auf Freiheit gegenüber. Freiheit korrespondiert daher von Anfang an mit der Verantwortung für das eigene Handeln und seinen Auswirkungen auf die Gesellschaft, d.h. Freiheit ist notwendig verbunden mit dem Streben nach Gerechtigkeit”. (Grabow 2012: 18)

Dies sind natürlich alles Elemente, die sich auch in anderen Ideologien oder Parteifamilien wiederfinden lassen, allerdings entstehen aus der eben erwähnten Konzeption des christlichen Menschenbildes konkrete politische Positionen und Grundsatzentscheidungen.

Dazu gehört u.a. die Mediationspolitik, die schon seit dem zweiten Weltkrieg ein wesentliches Merkmal von christdemokratischen Parteien ist. Diese Art der Politik ist auf den Kompromiss zwischen den einzelnen Konfliktparteien ausgerichtet und hat zum Ziel politische Interessenskonflikte beizulegen. Typische Merkmale der Mediationspolitik, veraltet auch Versöhnungspolitik genannt, sind laut Frey eine große Koalitionsbereitschaft, eine generelle Kompromissbereitschaft und die konsequente Suche nach der Regierungsbeteiligung (vgl. Frey 2008 : 33). Durch die große Koalitionsbereitschaft und dem Engagement zur Lösung von politischen Konflikten konnten die christdemokratischen Parteien in den 1950er und 60er Jahren sich als unangefochtene Regierungsparteien etablieren, wie bspw. die Christlich Demokratische Union (CDU) in Deutschland von 1949 bis 1969 oder die Democrazia Christiana in Italien von 1945 bis 1981. Im gewissen Sinne zählt zu dieser Politik auch die Annäherung zwischen den Konfessionen innerhalb von christdemokratischen Parteien nach dem Zweiten Weltkrieg. Katholiken und Protestanten beriefen sich hierbei auf die gemeinsamen Aspekte ihres christlichen Glaubens, wie ihrer Auffassung des Naturrechts. (vgl. Uertz 2007 : 102).

Ein zentraler Punkt, der sich aus dem christlichen Menschenbild für die Politik der Christdemokraten ableiten lässt, ist die unveräußerliche Würde des Menschen. Durch sie konkretisiert sich das Selbstbestimmungsrecht des Menschen gegenüber dem Staat; aus ihr lässt sich die Verantwortung für den Menschen ableiten und sie zeigt sich auch im Prinzip der Solidarität, also im Eintreten für Arme und Schwache. (vgl. Uertz 2007 : 107f)

Die Verschiedenartigkeit der Menschen, die in der christdemokratischen Ideologie propagiert wird, hat ebenfalls konkrete politische Auswirkungen. Die Christdemokratie steht für eine offene pluralistische Gesellschaft, in der viele verschiedene Menschen zusammen die gesellschaftlichen und politischen Konflikte lösen sollen. Der Staat hat hierbei die Aufgabe diese vielfältige Gesellschaft zu ermöglichen. Die Verschiedenartigkeit zu erhalten, ist ein Ziel der Christdemokraten, welches sie von totalitären Ideologien unterscheidet, die die Verschiedenartigkeit der Menschen beseitigen wollen. (vgl. Koecke/Sieben 2010 : 10f)

Die pluralistische Gesellschaft ist des Weiteren auch die Grundlage für den Wohlfahrtsstaat, dessen Konzeption ebenfalls auf dem christlichen Menschenbild beruht. In diesem werden die Pflichten der einzelnen Mitglieder stärker betont als die Rechte, die jedes Mitglied der Gesellschaft besitzt. Dadurch soll die Eigentätigkeit des Individuums angeregt werden. Der Staat wird hier durch das Prinzip der Subsidiarität stärker reguliert, als beispielsweise in der Sozialdemokratie. (vgl. Frey 2009 : 35).

Es bleibt also zunächst festzuhalten, dass sich aus dem christlichen Menschenbild klare politische Grundüberzeugungen ableiten lassen. Wie zu Beginn dieses Abschnittes bereits erwähnt, teilt Frey die Grundarchitektur der christdemokratischen Ideologie in drei Elemente ein. Er nennt das Subsidiaritätsprinzip, das Solidaritätsprinzip und die konsequente Ablehnung totalitärer Strömungen. Die christliche Ideologie, die die Grundlage der meisten christdemokratischen Parteien nach dem Zweiten Weltkrieg darstellte, sorgte dafür, dass die Parteien in den einzelnen westeuropäischen Parlamenten so erfolgreich sein konnten. Sie war universal und sprach Katholiken, ebenso wie Protestanten an. Ihre auf Kompromissbereitschaft basierende und auf einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Schichten abzielende Politik hatte großen Erfolg in allen Bevölkerungsschichten und Klassen. Durch die Betonung der Freiheit des Individuums vor staatlichen Eingriffen und den Bezug auf Gott, der den Menschen als vernunftbegabtes Wesen erschuf, hat die Christdemokratie die Grundlage für eine maßvolle Politik der Mitte geschaffen.

2.3 Programmatik

Nachdem im vorigen Abschnitt die Kernelemente der christlichen Ideologie beschrieben wurden, gilt es nun herauszufinden, welche programmatischen Standpunkte der christdemokratischen Parteienfamilien eigen sind, beziehungsweise welche Haltung die Christdemokraten zu den einzelnen Politikbereichen besitzen. Es kann hier allerdings nicht das Ziel sein, einen kompletten Vergleich zwischen den Programmatiken der christdemokratischen Parteien oder einen Überblick über sie zu erstellen. Dies haben u.a. Frey, Wagner oder Horner bereits vorgenommen. Besonders Frey ist in der Fachliteratur hervorzuheben, seine Ausführungen zu den christdemokratischen Parteien in Deutschland, der Schweiz, Österreich und den Niederlanden auf der Basis der Auswertung von Grundsatz- und Wahlprogrammen sind stichhaltig und ein wichtiger Beitrag für die Forschung zur Christdemokratie.

Die Betrachtung der Programmatiken der Christdemokraten von Nord bis Süd und von West bis Osteuropa kann hier also nicht vorgenommen werden. Vielmehr wird in diesem Abschnitt ein kompakter Überblick über drei wichtige Politikbereiche entworfen, die sich für die Analyse der christdemokratischen Programmatik anbieten, auch aufgrund ihrer Fundierung durch die christliche Ideologie. Zu diesen Bereichen gehört die Familien-, die Wirtschafts, und die Sozialpolitik. Diese Felder im Hinblick auf die Christdemokratie zu untersuchen, ist auch deshalb sinnvoll, da zu ihnen Positionen existieren, die die christdemokratischen Parteien von anderen Parteifamilien unterscheiden.

Natürlich existieren zwischen der Familien und Sozialpolitik große Schnittmengen, dennoch ist es sinnvoll die Familienpolitik von christdemokratischen Parteien gesondert zu betrachten.

2.3.1 Familienpolitik

Die Familienpolitik von christdemokratischen Parteien ist in Zeiten von neuen alternativen Lebensmodellen, wie der sogenannten „Patchworkfamilie“ oder eingetragenen homosexuellen Partnerschaften, ein Themenfeld der christdemokratischen Politik, in welchem ein großes Spektrum an verschiedenen Meinungen innerhalb der Parteien existiert. Wie bereits im Abschnitt der Ideologie erwähnt, stellt die Familie die wichtigste Grundlage einer natürlichen Gesellschaftsordnung dar. Das Leitbild von Ehe und Familie ist die Basis für Entscheidungen in diesem Bereich der Politik. Ihre Schutzwürdigkeit wird von christdemokratischen Parteien gerade im Hinblick auf die Diskussion um gleichgeschlechtliche Partnerschaften und deren Eheschließung betont.

Zu diesem politischen und gesellschaftlichen Thema sind die Positionen der christdemokratischen Parteien in Europa unterschiedlich. In der Schweiz haben homosexuelle Paare derzeit kein Recht auf eine Eheschließung .In den Niederlanden wurde das Gesetz zur Eheschließung von Homosexuellen bereits 2001 gegen den Widerstand der christdemokratischen Partei Christen Democratisch Appèl (CDA) erlassen.

Nach den Niederlanden, als erstem Land der Welt in dem sich homosexuelle Ehepaare trauen durften, führte Belgien 2003 ebenfalls die Eheschließung zwischen homosexuellen Paaren ein. Im Zivilgesetz Belgiens existiert seit 1998 eine Klausel zum gesellschaftlichen Zusammenwohnen von homosexuellen Paaren. Die christdemokratische Partei Centre Dèmocrate Humaniste (CDH) ist allerdings bestrebt, diese Form des Zusammenlebens von der klassischen Ehe abzugrenzen. In Deutschland ist eine Eheschließung von gleichgeschlechtlichen Partnern nicht möglich, sondern es existiert nur eine Regelung für eine eingetragene Lebenspartnerschaft, obwohl das Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen bestätigt hat, dass die gleichgeschlechtliche Ehe weder eine Gefahr für die klassische Ehe darstellt, noch dass eine Ungleichbehandlung zwischen der Ehe und den eingetragenen Lebenspartnerschaften verfassungsmäßig zulässig ist. (vgl. Frey 2009 : 108f).

Die gleichgeschlechtliche Partnerschaft ist natürlich nur ein kleiner Teil der Familienpolitik, aber durchaus ein aktuelles Thema, zu welchem sich die Christdemokraten äußern müssen. Die christliche Grundorientierung, die in der Betonung der klassischen Ehe zwischen Mann und Frau in der Familienpolitik zum Vorschein führt in der tagespolitischen Praxis zu Diskussionen, bspw. Um das Adoptionsrecht für Homosexuelle.

Ein einheitliches Bild für die christdemokratischen Parteien in Europa im Bereich der Familienpolitik herzustellen, ist nicht möglich. Dazu divergieren die einzelnen eben zuvor genannten Bereiche zu stark voneinander. Bspw. setzen die belgischen Christdemokraten auf ein Nebeneinander von Familie und Beruf, während in Deutschland die Mutter, vereinzelt auch der Vater, ihren Beruf unterbricht, um sich um die Erziehung der Kinder zu kümmern. Des Weiteren hat die frühkindliche Erziehung in Einrichtungen in Belgien Tradition, während die Christdemokraten in Deutschland diesem Modell eher kritisch gegenüberstehen, welches sich an der Initiative zur Einführung des Betreuungsgeldes von Seiten der Christlich-Sozialen Union in Bayern (CSU) ableiten lässt.(vgl. Andreß 2004)

Bei der Ausgestaltung des gemeinsamen Nenners der Familie treten allerdings Unterschiede zwischen den Parteien auf, sei es bei der Vereinbarkeit von Kind und Beruf, der Ausgestaltung von Kinderbetreuungseinrichtungen oder der grundlegenden Diskussion um gleichgeschlechtliche Partnerschaften.

2.3.2 Wirtschaftspolitik

Die Wirtschaftspolitik von christdemokratischen Parteien auf Gemeinsamkeiten zu untersuchen ist schwierig. Dazu sind die strukturellen Unterschiede und die Voraussetzungen der einzelnen Staaten zu unterschiedlich. Des Weiteren ist auch eine Unterscheidung in der Wirtschaftspolitik zwischen bspw. sozialdemokratischen und christdemokratischen Parteien schwieriger geworden. Es gibt aber durchaus einen groben Referenzrahmen, bzw. existieren einige Punkte, in denen sich die meisten christdemokratischen Parteien überschneiden.

Die Wirtschaftspolitik von christdemokratischen Parteien ist, insbesondere aufgrund der Einführung der sozialen Marktwirtschaft nach Müller-Armack, ein Grund für deren Etablierung als Regierungsverantwortliche in den westeuropäischen Parteiensystemen. In ihr lassen sich viele Aspekte der christdemokratischen Ideologie wiederfinden, wie die Mediation von gesellschaftlichen Konflikten und unterschiedlichen politischen Ansätzen, ebenso wie das Subsidiaritätsprinzip. Des Weiteren stellt das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft den Menschen in den Mittelpunkt, der sich anhand seiner individuellen Fähigkeiten in diesem System entfalten soll. (vgl. Koecke/Sieben 2010 : 18f) Die Soziale Marktwirtschaft beinhaltet eine ausgeglichene Mischung aus sozialen und liberalen Elementen, die Schwerpunkte können in diesem System unterschiedlich gesetzt werden (vgl. Löffler 2007 :112).

Christdemokratische Parteien sind aufgrund dieser ausgeglichenen Wirtschaftsordnung in ihrer Wirtschaftspolitik flexibler als andere Parteifamilien. Die Grundlagen dieser Politik beziehen sich auf ein positives Menschenbild, auf die Anerkennung des Privateigentums als Frucht von Tüchtigkeit und rationalem Handeln und einer Gestaltung von Rahmenbedingungen für die Privatwirtschaft. Der Staat wird zwar durch das Subsidiaritätsprinzip stärker reguliert als in anderen wirtschaftlichen Konzeptionen, behält sich aber das Recht zur Intervention vor, wenn die natürliche Gesellschaftordnung durch die Auswüchse des Marktes bedroht ist. Bei der Privatisierung von staatlichen Betrieben sind christdemokratische Parteien zurückhaltender als liberale Parteien, denn durch eine Übernahme könnte die Stabilität des Arbeitsmarktes gefährdet sein. (vgl. Frey 2008 : 66 f u. 125)

Aktuell müssen christdemokratische Parteien in Europa Lösungen bezüglich ihrer meist verschuldeten Haushalte finden, ebenso werden sie mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der Globalisierung konfrontiert. Bei wirtschaftspolitischen Fragen wird ihnen dennoch mehr Kompetenz zugetraut als anderen Parteien (vgl. Zohlnhöfer 2012 : 343).

Die Grundlage der christdemokratischen Wirtschaftspolitik ist ebenfalls durch ihre Ideologie beeinflusst. Der Mensch und seine individuellen Fähigkeiten stehen hier im Vordergrund. Die christliche Wirtschaftsordnung geht dabei einen dritten Weg „jenseits von klassenkämpferischem Sozialismus und ungezügeltem Kapitalismus (Gehler/Kaiser/Wohnout 2001 : 17).

2.3.3 Sozialpolitik

„Sozialpolitik umfasst die Gesamtheit aller Handlungen, Einrichtungen und Verfahren, mit denen eine Gesellschaft allgemeinverbindlich Verantwortung für das Wohlergehen ihrer Mitglieder übernimmt, indem sie diese gegen Wechselfälle des Lebens sichert, die die Leistungskraft des einzelnen übersteigen“. (Süß 2002 : 650ff)

Der soziale Kapitalismus, der einen dritten Weg zwischen Liberalismus und Sozialismus darstellt, bildet laut van Kersbergen den Kern der christdemokratischen Sozialpolitik. Zentrales Element dieses dritten Weges ist die Konzeption einer pluralistischen Gesellschaftsordnung, in der die Pflichten der Bürger stärker betont werden, als deren Rechte. Ebenfalls genießen Arbeitstätige im Vergleich zu Nicht-Arbeitenden wichtige wohlfahrtsstaatliche Privilegien, wie den Versicherungsschutz. Die Elemente der christdemokratischen Ideologie lassen sich in der Konzeption ihrer Sozialpolitik erneut wiederfinden. Das langfristige Ziel besteht in der Sicherung der gemeinschaftlichen Solidarität. Das Prinzip der Subsidiarität begrenzt den Sozialstaat bei den Transfergeldregelungen.

Bei der Ausgestaltung des Sozialstaates sind christdemokratische Parteien flexibel, da ihre ideologischen Grundlagen eine Expansion, ebenso wie eine Reduktion der staatlichen Intervention zulassen. (vgl. Frey 2009 : 35)

Da im christlichen Menschenbild das einzelne Individuum Herr seiner Handlungen ist, werden in der christdemokratischen Sozialstaatskonzeption Anreizsysteme bevorzugt, die eher auf die Eigenaktivität der Bürger abzielen, im Gegensatz zu sozialdemokratischen Systemen, welche auf staatlichen Interventionen beruhen. (Spieker 2002 : 653f). Damit das Prinzip der Subsidiarität in der Sozialpolitik realisiert werden kann, müssen verschiedene Akteure geschützt und gefördert werden, wie u.a. die Familie oder gemeinschaftliche bzw. zivilgesellschaftliche Organisationen(Seeleib-Kaiser 2001 : 17f).

Für die christdemokratische Sozialpolitik lässt sich erneut eine Balance von verschiedenen Strömungen feststellen, wie sie ebenfalls schon in der Wirtschaftspolitik verzeichnet wurde. Die christdemokratische Ideologie nimmt auch in der Sozialpolitik klare Konturen auf der Grundlage ihres Menschenbildes an, wie das folgende Zitat belegt.

„Christl.- demokratische Politik muß gestützt auf das christl. Menschenbild und das Subsidiaritätsprinzip[…] versuchen, einerserseits an der Notwendigkeit des Sozialstaats festzuhalten und andererseits seine Grenzen zu beachten“(Spieker 2002 :654)

2.4 Organisationsstruktur und Wählerspektrum

Dieser Abschnitt komplettiert das Kapitel über die wesentlichen Merkmale der Christdemokratie. Abschließend wird hier die Organisationsstruktur und das Wählerspektrum christdemokratischer Parteien betrachtet. Die Führung von christdemokratischen Parteien, die Beschaffenheit der internen Strukturen, sowie die Stammwählerschaft der christdemokratischen Parteien werden zu diesem Zweck näher betrachtet.

Die Führung von christdemokratischen Parteien unterscheidet sich von Staat zu Staat, da die politischen Voraussetzungen für jede Partei anders sind. In Österreich existieren beispielsweise unterschiedlich starke Machtzentren in Form von Bünden und Landesparteiorganisationen, welche durch ihr Profilierungsstreben die Position des Parteiobmanns des Öfteren untergraben. (vgl. Wagner 2014 : 143f). Wagner konstatiert, dass die Führung gerade für die Christdemokratie von Bedeutung ist, da ihre Vertreter auf inner-und überparteiliche Kompromisse ausgerichtet sind. Die Führungspersönlichkeiten der Parteien sind mit ihrer Beständigkeit und Verlässlichkeit Garanten für den Erfolg der christdemokratischen Parteien. Mitreißende Visionäre oder emotionale Utopisten werden in christdemokratischen Führungspositionen allerdings vermisst. Diese Feststellung Wagners deckt sich mit den Betrachtungen über die Ideologie und Programmatik von christdemokratischen Parteien, denn ihre auf Mediation beruhende Politik würde durch die Auswahl solcher Führungspersönlichkeiten erschwert werden. (vgl. Wagner 2014 : 410ff)

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Ende der Leseprobe aus 69 Seiten

Details

Titel
Die Christdemokratie in Italien
Untertitel
Ist die Forza Italia eine christdemokratische Partei?
Hochschule
Universität Siegen
Note
1,3
Autor
Jahr
2014
Seiten
69
Katalognummer
V286855
ISBN (eBook)
9783656871286
ISBN (Buch)
9783656871293
Dateigröße
676 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politik, Italien, Christdemokratie, Forza Italia, Berlusconi
Arbeit zitieren
Christian Siewert (Autor:in), 2014, Die Christdemokratie in Italien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/286855

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