Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Das Bilderbuch – Eine Kategorisierung
1.1. Funktionen des Bilderbuches
1.2. Tod in der Kinderliteratur
1.3. Können Bilderbücher dem trauernden Kind helfen?
2. Analyse des Bilderbuches „Abschied von Rune“ von Wenche Øyen und Marit Kaldhol
2.1. Informationen zur Autorin und Illustratorin
2.2. Inhaltliche Analyse
2.2.1. Inhaltsangabe
2.2.2. Realitäts- und Problemgehalt
2.3. Stilanalyse
2.3.1. Äußere Aufmachung
2.3.2. Bildanalyse
2.3.3. Sprache
2.3.4. Adressatenbezug
2.4. Didaktisch-methodische Fragestellung
2.5. Fazit
3. Didaktische Überlegungen
3.1. Fächerübergreifende Möglichkeiten des Themas
3.1.1. Eine Projektarbeit zum Thema „Tod und Sterben“
3.2. Durchführung eines Elternabends
4. Schlusswort
Literaturverzeichnis und weiterführende Literatur
Einleitung
Das Thema „Tod und Trauer“ beinhaltet Grundfragen der menschlichen Existenz, die im Laufe der Geschichte an Aktualität und Brisanz nicht verloren haben.
Seit einigen Jahren scheint die öffentliche Auseinandersetzung mit diesem Thema sogar noch bedeutsamer geworden zu sein. Fernsehsendungen, Bücher, Ausstellungen, die Hospiz- und Lebenshausbewegung und zahlreiche andere Beispiele zeugen davon.
Und dennoch lässt sich in der Gesellschaft im Umgang mit dem Thema „Tod und Trauer“ oft eine allgemeine Sprachlosigkeit feststellen.
Diese Sprachlosigkeit verstärkt sich, wenn es darum geht, mit Kindern über dieses Thema zu sprechen.
Noch immer denken viele Erwachsene, dass „Tod und Sterben“ Kinder nicht interessieren, „dass sie noch zu klein oder vielleicht auch zu >unschuldig< sind und dass sie von solchen schweren Themen verschont bleiben sollen – frei nach dem Motto: „Das Leben ist später noch hart genug“ [1]
Die oft geäußerte Meinung Erwachsener, Kinder seien noch zu jung, um sich mit solch einer Thematik zu befassen und möglichst in einer heilen Welt aufwachsen, die von Tod und Sterben weitgehend unberührt bleibt, zeugt nicht nur von einer falschen Einschätzung der Kinder, sondern verkennt auch die Realität.
Schon kleine Kinder werden heute mit dem Thema Tod in den Medien, in der Familie und in der Gesellschaft konfrontiert. Sie trauern nach einem Todesfall genau wie Erwachsene.[2]
Doch wie können Erwachsene auf Fragen der Kinder, bezüglich Sterben und Tod, angemessen reagieren? Was können sie den Kindern antworten, teilweise verbunden mit eigener Ratlosigkeit und Unsicherheit? Sollten Kinder ein Mindestalter erreicht haben, um über das Thema sprechen zu können?
Welche Vorerfahrungen haben die Kinder mit dem Thema schon gemacht?
Welche Vorstellung hat ein Kind vom Tod?
Wie können Erwachsenen die Kinder in einer Trauersituation begleiten?
Weiterhin stellt sich die Frage, welche Medien zum Einsatz kommen sollten bei einer Behandlung des Themas: „Tod und Trauer“ in der Schule.
Daher beschäftigt sich der Hauptteil der Arbeit mit dem Medium „Bilderbuch“ und veranschaulicht seine Funktionen und seinen Nutzwert. Des Weiteren enthält dieses Kapitel Erläuterungen zur realistischen und problemorientierten Kinderliteratur.
Das folgende Kapitel bildet den Schwerpunkt der Arbeit und beinhaltet die Analyse des Bilderbuches „Abschied von Rune“ von Wenche Øyen und Marit Kaldhol, die sich an dem Buch „ich werd¢s trotzdem weitersagen!“ von H. Koch und M. Kruck veröffentlichten Kriterien orientiert.
Nach allgemeinen Informationen über die Autorin und Illustratorin konzentriert sich die Analyse vor allem auf die inhaltliche Analyse, die Stilanalyse und abschließend auf die didaktisch-methodische Fragestellung.
Das letzte Kapitel „Didaktische Überlegungen“ beinhaltet die Fragestellung, wie und in welchem Zusammenhang das Thema: „Tod und Trauer“ in der Schule eingeführt werden kann. Ist fächerübergreifender Unterricht zu dem Thema sinnvoll oder überhaupt möglich?
Abschließend werden Lernziele und -chancen aufgezeigt, die mit der Einführung des Themas erreicht und umgesetzt werden sollen.
Die Schlussbetrachtung beinhaltet eine Reflexion und Bewertung des Erarbeiteten.
1. Das Bilderbuch – Eine Kategorisierung
„Bilderbuch - kurz nach der Erfindung des Buchdrucks geprägte Bezeichnung für ein mit Bildern ausgestattetes Buch. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts findet der Begriff fast nur noch in Bezug auf – meist großformatige – illustrierte Kinderbücher Anwendung, in denen die Bilder gegenüber dem Text vorherrschen. Bilderbücher wenden sich an Kinder ab etwa zwei Lebensjahren und sind abhängig von der angesprochenen Alterstufe, unterschiedlich ausgestattet, was das Material, die Art und die Anzahl der Illustrationen sowie den Umfang des Textes anbelangt.“[3]
Bilderbücher weisen unzählige Merkmale auf, an denen Kategorisierungen vorgenommen werden können. Zwei dieser möglichen Einteilungen werden im Folgenden näher erörtert. Zunächst erfolgt eine Erläuterung der Kategorisierung des Bilderbuches in textfreie Bilderbücher und Bilderbücher mit Texteingabe.
Im textfreien Bilderbuch ist das Bild der einzige Mitteilungsfaktor. Der Inhalt des Buches wird ohne Text erschlossen, was dem noch leseunfähigen Kleinkind sehr entgegen kommt.[4] „Die Aussagekraft des Bildes beruht auf seiner Anschaulichkeit, mit der es eine abgegrenzte und klar überschaubare Wirklichkeit darstellt.“[5] Einzelobjekte oder in sich abgeschlossene Szenarien sind der primäre Inhalt.
Im Bilderbuch mit Texteingabe behält das Bild seine dominierende Position bei. Das Wort dient als Unterstützung des Bildes und übernimmt die Funktion, das Bild durch Prosa oder Verse[6] zu benennen, zu verdeutlichen oder inhaltlich zu ergänzen. Eine dem Kind angemessene Sprache bezieht es in das Geschehen mit ein und ermöglicht eine enge Verbindung zwischen dem lesenden Kind und dem Bild. Neben diesen Bilderbüchern, in denen das Bild durch das Wort lediglich eine untergeordnete Unterstützung erfährt, gibt es auch Bilderbücher, in denen Bild und Text gleichbedeutend nebeneinander stehen. Ihr Zusammenwirken erzeugt die Originalität des Werkes.[7]
Bild und Text ergänzen einander und können nicht aufeinander verzichten. Zum Verständnis des Textes benötigt das Kind eine Begleitung, die ihm vorliest und Erläuterungen geben kann.
1.1. Funktionen des Bilderbuches
Das Bilderbuch verfügt über unzählige Funktionen, die an dieser Stelle jedoch nicht einzeln Beachtung finden sollen, da dies den Rahmen dieser Arbeit bei weitem übersteigen würde. Es folgt lediglich eine kurze Übersicht.
Das Bilderbuch ist eine der ersten ästhetischen Erfahrungen, die Kinder in ihrem Leben machen. Es gehört den ersten bildnerisch-literarischen Gegenständen an, mit denen ein Kind in Kontakt kommt.[8] Das Bilderbuch prägt die Einstellung des Kindes zur Literatur und ermöglicht so literarische Ersterlebnisse.
Zudem dient es als Überleitung zu weiteren Gattungen. Das Bilderbuch motiviert das Kind zum Lesenlernen. Es animiert den kleinen Leser zu geistiger Aktivität, indem es aus der Bilderschließung heraus unter anderem, logische Folgerungen zieht, sachliche Erläuterungen abgibt, Vergleiche anstellt oder kritische Anmerkungen gibt. Eine spielerische Steigerung der eigenen Denkleistung entsteht durch das Bildbetrachten. Das Kind lernt Bild und Text zu erkennen, zu deuten und zu interpretieren je weiter es in seiner Entwicklung fortschreitet.
Der erzieherische Aspekt des Bilderbuches liegt darin begründet, das Kind in seinem Denken, Urteilen und Verhalten positiv zu unterstützen und zu beeinflussen. Dies wird dann erreicht, wenn das Kind sich mit den im Bilderbuch auftretenden Figuren identifizieren kann, sich mit ihnen auseinandersetzt und sich anschließend eine eigene Meinung bildet.
Bilderbücher tragen wesentlich dazu bei, ihre Leser in die Realität der Gesellschaft einzuführen. Über die Bilderbuchinhalte erhält das Kind Einblicke in die gesellschaftlichen Normen und Rituale.
1.2. Tod in der Kinderliteratur
In früheren Jahrhunderten und Jahrzehnten bestand die Darstellung von Sterben und Tod in der Kinderliteratur ausschließlich aus verfälschter Todeswirklichkeit. Der Tod wurde in Warngeschichten wiedergegeben, um den Kindern Angst zu machen und gleichzeitig einer Art erzieherischen Auftrag zu erfüllen. Sterben und Tod wurde als Folge von schlechtem, ungezogenem Verhalten dargestellt. Mit einer Tendenz zur Romantisierung unterschied man später zwischen einem Heiligentod und einem Heldentod. Der Heiligentod beinhaltete ein sanftes Einschlafen nach langer Krankheit, während der Heldentod den Verstorbenen als aktives Opfer darstellte und wesentlich von Vaterlandsschwärmereien geprägt war.
Das Sterben und der Tod fanden lange Zeit keinen realen Einzug in die Kinderliteratur.[9] In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts kam es zu einer Wende. 1977 wurde von Elfie Donnely erstmalig das Thema Tod und Sterben realistisch und kindernah in ihrem Buch „Servus Opa, sagte ich leise“ aufgegriffen.[10] In den 80er Jahren fand die Thematik verstärkt Einhalt in das Bilderbuch. 1987[11] erschien erstmalig ein deutschsprachiges Bilderbuch, das die Thematik von „Tod und Trauer“ eindrucksvoll aufgriff. Wenche Øyen und Marit Kaldhol thematisieren Sterben, Tod und Trauer eindrucksvoll in ihrem Bilderbuch „Abschied von Rune“.[12]
Bis heute hat keine andere Thematik ein derartiges kinderliterarisches Interesse hervorgerufen wie die Thematik „Tod und Sterben“. Es ist anzumerken, dass kleine Kinder beim Betrachten eines Bilderbuches zu dem Thema Tod zunächst ausschließlich das vordergründige Geschehene wahrnehmen. Die tieferen Zusammenhänge, die sich hinter der Oberfläche verbergen, erschließen sich ihnen erst nach Gesprächen mit dem begleitenden Erwachsenen, der aber auch aufgrund der Brisanz der Thematik dringend notwendig ist.
1.3. Können Bilderbücher dem trauernden Kind helfen?
Entspricht das Bilderbuch den kognitiven Fähigkeiten und den Voraussetzungen des Kindes und erfährt es beim Lesen eine ihm angemessene Begleitung durch einen Erwachsenen, sind bereits zwei wesentliche Voraussetzungen erfüllt, die notwendig sind, damit ein Bilderbuch das Fortschreiten des kindlichen Trauerprozess positiv beeinflussen kann. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann das Bilderbuch eine Vielzahl an Funktionen innerhalb des Trauerprozesses übernehmen.
Das Bilderbuch kann primär als Informationsvermittler dienen, da Kinder sich von Natur aus viele Gedanken machen und Fragen stellen. Es stellt dem Kind Antworten auf seine Fragen zur Verfügung. Es kann Kinder darüber informieren, wie jemand gestorben ist, wie die Verwandten auf den Verlust reagieren und wie der Tod verstanden werden kann. Das Bilderbuch kann als Gesprächsanlass dienen, da Erwachsene oft Schwierigkeiten haben über das Thema zu sprechen. Es kann ihnen helfen ihre Redehemmung zu überwinden, indem es ein Gerüst vorgibt, das bereits wesentliche Antworten auf Kinderfragen bereithält. Erwachsenen wie auch Kindern fällt es schwer, über eigene Gefühle und Gedanken zu sprechen. Das Bilderbuch ermöglicht Kindern, sich ihrer eigenen Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen anzunähern, indem über die auftretenden Figuren und Charaktere im Bilderbuch gesprochen wird.
Neben dem Bilderbuch „Leb wohl, lieber Dachs“ von Susan Varley gibt es zahlreiche Bilderbücher, die das Thema Tod mit Hilfe vermenschlichter Tiere behandeln. Einerseits kann das Kind so einen gewissen Abstand zwischen sich und dem Geschehen im Bilderbuch einhalten, andererseits kann es sich in die Gedanken der Tiere hineinversetzen, ohne sich selbst direkt mit einzubeziehen. Mit Hilfe von Bilderbüchern erleben Kinder ihre eigenen Gefühle in fremden Gestalten.[13] Die tragischen Erlebnisse des Kindes finden durch den Protagonisten der Geschichte[14] „zu einer Vertiefung, da persönliche Erfahrungen aus anderer Perspektive betrachtet, erweitert und ergänzt werden.[15] Häufig fühlen sich Kinder nach einem Verlust allein und hilflos.
In dem Bilderbuch „Abschied von Rune“ von W. Øyen und M. Kaldhol beispielsweise können die kleinen Leser sich mit der Protagonistin der Geschichte vergleichen. Mit dieser kann es nun trauern, hoffen, Ängste bestehen, sich wehren, weinen, verzweifeln und getröstet werden. Indem das Kind am Geschehen der Protagonistin teilnimmt, wird es sich seiner eigenen Gefühle bewusst und beginnt, diese zu verstehen. Anhand der Bilderbuchfigur erfährt es möglicherweise von Lösungen, die es selbst vielleicht nie entdeckt hätte. Dem Kind wird die Möglichkeit gegeben, mit der Protagonistin seinem traurigen Alltag zu entfliehen, um Kräfte für die Alltagsbewältigung zu sammeln. Bilderbücher ermöglichen dem Kind, eine Sprache für seine Gefühle zu finden. Es werden Zusammenhänge in Worte gefasst, die das Kind eventuell erahnen kann, jedoch noch nicht fähig war, diese vollständig zu verstehen.[16] „Das Unbenennbare wird benannt, das vage Gefühl konkretisiert. Was ausgesprochen werden kann, macht weniger Angst.[17] Das Bilderbuch kann auch eingesetzt werden, wenn der Tod eines geliebten Menschen bevorsteht. Bilderbücher, die belastende Situationen darstellen, können von Kindern, die mit ebensolchen noch keine Erfahrung haben, aus einer gewissen Distanz betrachten und sich auf mögliche belastende Situationen einstellen. Stellt sich so eine Belastung für das Kind ein, wird es von dieser nicht völlig überrumpelt, da es darauf vorbereitet wurde.
Bilderbücher geben auch Erwachsenen die Möglichkeit, sich auf eine solche Situation vorzubereiten. Sie können viel über Kinder erfahren und sich auf bevorstehende Fragen vorbereiten.[18]
Diese angeführten Hilfestellungen, die ein Bilderbuch im besten Falle erfüllen kann, gelten natürlich auch für jede andere Art von Kinder- und Jugendbüchern.
2.Analyse des Bilderbuches „Abschied von Rune“ von Wenche Øyen und Marit Kaldhol
2.1. Informationen zur Autorin und Illustratorin
Marit Kaldhol wurde 1955 in Molde, Norwegen, geboren Nachdem sie zunächst einige Jahre als Lehrerin tätig war, begann sie ihre[19] „künstlerischkreative Tätigkeit als Schriftstellerin.“[20] Im Jahre 1986 erschien ihr erstes Kinderbuch mit dem Titel „Farvel Rune“ das bislang in zehn Ländern verlegt wird und bereits mehrfach prämiert wurde. Die deutsche Ausgabe „Abschied von Rune“ erschien erstmals im Jahre 1987.[21] Marit Kaldhol ist verheiratet und Mutter zweier Kinder.[22]
Wenche Øyen wurde 1946 in Oslo, Norwegen, geboren. Sie studierte an mehreren Kunstakademien und hatte bereits zahlreiche Ausstellungen. Seit 1973 arbeitet Wenche Øyen für ein Kindermagazin und illustriert Kinder- und Jugendbücher. Heute lebt sie in Nesodden bei Oslo, ist verheiratet und ebenfalls Mutter zweier Kinder.[23]
1988 erhielten Marit Kaldhol und Wenche Øyen für „Abschied von Rune“ den deutschen Jugendliteraturpreis.[24] Weitere Auszeichnungen und Preise folgten.
2.2. Inhaltliche Analyse
2.2.1. Inhaltsangabe
Die etwa fünf- bis sechsjährige Sara muss Abschied von ihrem besten Freund Rune nehmen, der beim gemeinsamen Spielen an einem See ertrunken ist. Das Mädchen durchlebt eine tiefe Trauer, in der sie von ihren Eltern und Großeltern, insbesondere aber von ihrer Mutter, liebevoll begleitet wird. Diese beantwortet all ihre Fragen geduldig und sehr einfühlsam. Sie ist bemüht, Sara den Tod behutsam und ehrlich zu erklären und verhilft ihr dazu, glücklich an Rune zu denken. Sara erlebt, wie Erinnerungen und die Geborgenheit der Familie die Trauer mildern und Trost spenden können.[25]
2.2.2. Realitäts- und Problemgehalt
Der Tod tritt ganz plötzlich und unerwartet in das Leben von Sara. Saras bester Freund, Rune, ertrinkt beim gemeinsamen Spielen am See. Der Vorgang des Ertrinkens wird hier nicht geschildert, da dies Kinder dieser Alterstufe erheblich überfordern würde. Da Sara zum Zeitpunkt des Ertrinkens nicht anwesend ist, wird sie nicht Zeugin dieses Ereignisses. Sie ist nach Hause gelaufen um sich neue Handschuhe zu holen. Als sie zum See zurückkehrt, entdeckt sie Rune „zwischen den großen Steinen […]. Rune liegt ganz still – mit dem Gesicht im Wasser.“[26] Diese Beschreibung, wie auch das zugehörige Bild auf Seite 9, das eben diese Schilderung bildlich darstellt, veranschaulichen das Geschehen realistisch und kindgerecht. Die Ursache (ausschließlich auf Runes Tod bezogen), die Tatsache, die Bedeutung des Todes und dessen Folgen für den menschlichen Körper werden an unterschiedlichen Textstellen, kindgerecht und ohne Beschönigungen dargestellt.
Saras Mutter versucht Sara die möglichen Umstände von Runes Tod zu veranschaulichen und zu erklären. „Er ist im See ertrunken. Vielleicht ist sein Boot abgetrieben worden, und er hat versucht, es zu erreichen. Dabei ist er vielleicht ausgerutscht und ins Wasser gefallen. Und dann hat er es nicht mehr geschafft, wieder an Land zu kommen.“[27] Für Sara verständlich und im Rahmen ihrer psychischen Möglichkeiten versucht die Mutter ihr den Tod von Rune klar und ehrlich zu erklären.
Die Tatsache der Leblosigkeit des Todes wird auf kindlichem Niveau veranschaulicht, indem dem Toten Fähigkeiten abgesprochen werden, die Lebenden zugesprochen werden. „Jetzt ist er tot. Er kann nichts mehr sehen und nichts mehr hören. Er kann nicht mehr gehen oder laufen oder spielen. Er wird Sara nie mehr anlächeln und sie nie mehr umarmen. Rune ist tot.“[28]
Die Folgen des Todes für den menschlichen Körper und was mit diesem nach dem Tod geschieht, versucht Saras Mutter behutsam und ehrlich zu erklären, indem sie schildert, dass dieser „zu Erde wird, damit Blumen wachsen können.“ [29] Saras Mutter ist bemüht, den Tod und die Trauer mit schönen Dingen zu verbinden. Deswegen verbindet sie den Tod mit dem Wachsen von neuem, mit dem Kreislauf aus Werden und Vergehen.
Der Tod und das Ausmaß des Todes werden hier mehrfach ehrlich und kindgerecht veranschaulicht. Die Todesdarstellung ist realistisch dargestellt, wenn auch in einer extremen Form – plötzlicher Tod durch Ertrinken – ausgewählt. In der Realität berichten Zeitungen und Nachrichten, gerade in den Sommermonaten, immer wieder von Schwimm- und Badeunfällen von Kindern mit tödlichem Ausgang.
Der Tod eines Kindes ruft bei ebendiesen viele Fragen hervor, was an späterer Stelle noch deutlich wird. Ihnen wird so die eigene Sterblichkeit bewusst. Sie beziehen den Tod auf ihre Person und Menschen aus ihrem Umfeld.[30] Dieser Aspekt findet in „Abschied von Rune“ keine Beachtung. Sara bezieht in keiner Phase ihrer Trauer den Tod auf sich oder Personen dir ihr nahe sind. Es ist anzumerken, dass es nicht der Regelfall ist, dass die ersten kindlichen Erfahrungen mit dem Thema Tod den Verlust eines gleichaltrigen Freundes beinhalten. Doch hält sich der Tod so gut wie nie an Regeln. Es kann jeden überall und immer treffen. Dies wird durch den unerwarteten und plötzlichen Tod von Rune deutlich.
Der Tod des sechsjährigen Rune entspricht nicht den regulären gesellschaftlichen, wie auch nicht den kindlichen Vorstellungen des Todes. Dass Kinder sterben, wird in unserer Gesellschaft gerne tabuisiert. Obwohl der Tod von Kindern, verursacht durch Unfälle, Krankheiten und Gewaltverbrechen, schon immer zum gesellschaftlichen Leben dazugehört hat, so handelt es sich um ein Thema, das gemieden werden möchte.
In „Abschied von Rune“ wird primär Saras Trauer dargestellt. Sie durchlebt in der Geschichte eine tiefe Trauer um ihren verstorbenen Freund Rune. Angst und Panik sind die ersten Gefühle, die Sara heimsuchen als diese Rune im Wasser liegen sieht und er auf ihr Rufen nicht reagiert. Die Gefühle werden auf dem Bild auf Seite 10 gezeigt, welches Saras Gesicht und dessen Ausdruck fokussiert und somit ihre derzeitige Lage hervorhebt. Dieser Schockzustand gehört aber noch nicht zu Saras Trauerprozess, da sie lediglich der Erkenntnis zuzuordnen ist, dass Sara versteht, dass etwas Schlimmes passiert ist. Saras konkrete Trauer um Rune äußert sich erstmalig in einer Art Nicht-Wahrhaben-Wollen und Ungläubigkeit. Sie kann die Tragweite der Situation noch nicht begreifen und realisiert den Tod noch nicht als Endgültigkeit. Es ist ihr unmöglich, zu begreifen, dass sie Rune nie wieder sehen wird. Dies äußert sich in ihrer Frage an die Mutter: „Sehe ich ihn wirklich nie, nie mehr wieder?“[31] Ihre Mutter begegnet Sara daraufhin mit einer klaren Antwort, die ihrer Tochter die Endgültigkeit des Todes bewusst macht. „Nein, nie wieder“[32], antwortet die Mutter auf diese Frage. Sie lässt keinen Zweifel offen, ob Rune irgendwann einmal zurückkommen wird.
[...]
[1] Hinderer, Petra/ Kroth, Martina: Kinder bei Tod und Trauer begleiten. Konkrete Hilfestellungen in Trauersituationen für Kindergarten, Grundschule und zu Hause. Reihe: Pädagogische Kompetenz, Band 3. Ökotopia Verlag, Münster 2005. S.5
[2] Vgl. Hinderer, P./ Kroth, M., 2005, S.5
[3] Microsoft Encarta Enzyklopädie 2003. 1993-2002 Microsoft Corporation.
[4] Vgl. Kinder- und Jugendliteratur – Ein Lexikon – Autoren Illustratoren Verlage Begriffe. Literarische Begriffe/ Werke/ Medien. Band 4, Teil 5. Corian 1996. S. 1.
[5] Kinder- und Jugendliteratur, 1996, S.1.
[6] Vgl. ebd.
[7] Vgl. Kinder- und Jugendliteratur, 1996, S.1f.
[8] Vgl. Thiele, Jens: Das Bilderbuch. In: Lange, Günter (Hrsg.): Taschenbuch der Kinder- und Jugendliteratur. Grundlagen Gattungen. Band 1. Schneider Verlag Hohengehren GmbH, Baltmannsweiser 2000. S. 238.
[9] Vgl. Plieth, Martina: Kind und Tod. Zum Umgang mit kindlichen Schreckensvorstellungen und Hoffnungs- Bildern. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn, 2002, S. 138ff.
[10] Vgl. M. Plieth, 2002, S. 141.
[11] Vgl. Øyen, Wenche/ Kadhol, Marit: Abschied von Rune. Verlag Heinrich Ellermann GmbH, Hamburg 1987.
[12] Vgl. Halbey, Hans Adolf: Bilderbuch: Literatur. Neun Kapitel über eine unterschätzte Literaturgattung. Beltz Athenäum Verlag, Weinheim 1997. S. 199f.
[13] Vgl. Finger, Gertraud: Mit Kindern trauern. Kreuz Verlag, Stuttgart-Zürich, 2001, S. 80.
[14] Vgl. M. Franz, 2004, S. 157.
[15] M. Franz, 2004, S. 157.
[16] Vgl. G. Finger, 2001, S. 80.
[17] Ebd.
[18] Vgl. M. Finger, 2001, S. 81.
[19] Vgl. www.ellermann.de/autoren.php3. (Link: H-K; Kaldhol, Marit). (10.10.2006).
[20] ellermann.de/autoren. (Link: H-K; Kaldhol, Marit).
[21] Vgl. W. Øyen/ M. Kaldhol, 1987, S.1.
[22] Vgl. ellermann.de/autoren. (Link: H-K; Kaldhol, Marit).
[23] Vgl. www.ellermann.de/autoren. (Link: Illustratoren; L-O; Oyen, Wencke). (10.10.2006)
[24] Vgl. www.ellermann.de/autoren/auszeichn.php3?ID=10049. (10.10.2006)
[25] Vgl. W. Øyen/ M. Kaldhol, 1987.
[26] Ebd., S. 9.
[27] Ebd. S. 13.
[28] Ebd.
[29] W. Øyen/ M. Kaldhol, 1987, S. 23.
[30] Vgl. M. Franz, 2004, S. 115.
[31] W. Øyen/ M. Kaldhol, 1987, S. 13.
[32] Ebd.
- Arbeit zitieren
- Marcel Stempel (Autor:in), 2006, Die Aufarbeitung der Themen Tod und Trauer für Kinder mithilfe von Bilderbüchern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/288357
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