Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Über die Betrachtung Gottes zur Erkenntnis der übrigen Dinge
3 Die Ursachen des Irrtums
3.1. Beschränktes Erkenntnisvermögen und überbordender Wille
3.2. Die Freiheit des Menschen
4 Das unvollkommene Einzelne im vollkommenen Ganzen
5 Resümé
6 Verwendete Literatur
1 Einleitung
Was können wir wirklich wissen und bei welchen Aussagen über die Welt sollten wir lieber Skepsis walten lassen? Was sind die Grundlagen unserer Erkenntnis und wie lassen sich diese wiederum Begründen? Für René Descartes waren dies die zentralen Fragen, welchen er, in seinen 1641 erschienen Meditationes de Prima Philosophia, nachging. Dabei stellt Descartes alle seine bisherigen Annahmen über die Welt in Frage um grundlegend zu überprüfen, welche Aussagen über die Welt als unbezwei- felbar angesehen werden können. Diese Aussagen würden anschließend das Funda- ment zur Errichtung eines umfassenden Wissensgebäudes bilden. Zu diesen unbe- zweifelbaren Wahrheiten gehören das cogito ergo sum - ich denke also bin ich, so- wie die notwendig wahre Existenz eines nichtbetrügerischen Gottes, welcher der Schöpfer der Gesamtheit aller Dinge ist.
In der vierten Meditation versucht Descartes die Irrbarkeit des Menschen zu erklären. Aus den vorangegangen Meditationen, im speziellen der Behauptung eines nichtbe- trügerischen Gottes, ergibt sich die Frage warum der Mensch irrt. Wie ist es mitein- ander vereinbar, dass Gott als vollkommenes Wesen, das nicht täuscht, uns als an- scheinend Getäuschte geschaffen haben kann? Sind wir überhaupt Getäuschte? Oder lassen sich die Irrtümer denen wir als Menschen so oft aufliegen anders erklären? Gibt es vielleicht sogar gute Gründe für diesen Zustand? Dies sind die Fragen denen Descartes mit mehr oder weniger befriedigenden Antworten in der vierten Meditati- on entgegentritt.
In der vorliegenden Arbeit möchte ich die Argumentation Descartes' vierter Meditati- on nachzeichnen und auf diese Weise kritisch bewerten. Von der Betrachtung Gottes und dessen Unschuld an unseren Irrtümern im ersten Teil komme ich anschließend zur Erklärung des Irrtumsproblems durch den falschen Gebrauch unserer geistigen Eigenschaften. Im letzten Teil überprüfe ich das Verhältnis der Vollkommenheit des Ganzen zu der Unvollkommenheit des Menschen. Ich denke hier werde ich zeigen können, dass Descartes' Behauptungen über die Vollkommenheit des Ganzen und die Undurchschaubarkeit Gottes in Widerspruch zur These stehen, dass die unbezweifel- baren Wahrheiten in uns Gottes Werk sind.
2 Über die Betrachtung Gottes zur Erkenntnis der übrigen Dinge
Zunächst beginnt die vierte Meditation mit einer Zusammenfassung des Erkenntnis- standes, der aus den vorangegangenen Meditationen hervorgegangen ist. Descartes stellte fest, dass seine »Vorstellungen vom menschlichen Geist als einem denkenden Ding, das keine Ausdehnung nach Länge, Breite und Höhe und auch nichts mit dem Körper gemein hat, viel deutlicher als die Vorstellung von einem körperlichen Ding« sind (Descartes, Meditationes de Prima Philosophia, Vierte Meditation, Seite 139; im Folgenden zitiert als: AT VII, 52; VM 139). Die Deutlichkeit seiner Vorstellun- gen sind der Grund, weshalb Descartes meint diese, im Gegensatz zu den körperli- chen Dingen, in das Zentrum seiner Betrachtung zu stellen. In den Ansammlungen seinen Vorstellungen wiederum gibt es eine, die sich durch ihre Vollkommenheit von allen anderen unterscheidet. Dies ist die Vorstellung von Gott. Da er sich selbst als unvollkommenes Ding wahrnimmt, welches jedoch die Vorstellung eines vollkom- menen Wesens, d.h. von Gott, hat, sieht er seine eigene Existenz als von Gott abhän- gig an.
»Ich schließe ganz klar von dieser einen Tatsache, daß [sic!] jene Vorstellung in mir ist oder vielmehr daß [sic!] ich als Inhaber jener Vorstellung existiere, auf die Existenz Gottes und die Abhängigkeit meiner ganzen Existenz von ihm in jedem einzelnen Moment.« (AT VII, 53; VM 139)
Der Grund für diese Annahme liegt unter anderem darin, dass Descartes in der drit- ten Meditation feststellte, dass eine Ursache immer mindestens genauso viel Potenti- al in sich bergen muss wie ihre Wirkung. Er selbst als unvollkommenes Wesen kann demnach nicht die Ursache seiner Vorstellung eines vollkommenen und unendlichen Wesens sein. Aus diesem Grung muss es notwendigerweise ein vollkommenes We- sen geben, das ihm diese Idee einpflanzte. Gott gilt für Descartes somit als bewiesen.
In der »Betrachtung des wahrhaften Gottes, in dem alle Schätze der Wissenschaft und Weisheit verborgen sind« glaubt Descartes den Weg »zur Erkenntnis der übrigen Dinge« zu sehen (ebd.). Gott, so argumentiert er, würde ihn niemals täuschen, »denn in allem Lug und Trug steckt etwas von einer Unvollkommenheit« (ebd., 141). Doch ist nicht die Fähigkeit zu täuschen zwangsläufig auch in einem vollkommenen We- sen enthalten? Vollkommen zu sein bedeutet schließlich nicht nur sämtliche positive Eigenschaften in sich zu vereinen, sondern alles Existente und Vorstellbare. Somit müssten auch Täuschfähigkeiten in Gott angelegt sein. Ich denke Descartes würde nicht bestreiten, dass Gott die Fähigkeit besitzt zu täuschen. Er ist sich jedoch sicher, dass ein vollkommenes Wesen nicht die Absicht hat ihn zu täuschen, da sich gerade in der »Absicht zu täuschen ohne Zweifel Bosheit oder Ohnmacht« (ebd.) zeigen und somit nicht den Vollkommenheitskriterien entsprechen würde.[[1]] Damit bildet der vollkommene Gott eine unbezweifelbare Basis des Wissens.
Im Anschluss stellt Descartes fest, dass sein Urteilsvermögen, wie alles andere auch, was er an sich feststellen kann, von Gott gegeben ist. Aus der Existenz eines nicht- täuschenden Gottes und des von eben jenem vollkommenen Wesen erhaltenen Ur- teilsvermögens schließt Descartes, dass er »dem Anschein nach niemals irren« dürfte (ebd.). Das Irrtumsfreiheit in ihm nicht existiert, ist Descartes jedoch sehr wohl be- wusst denn er stellt fest, dass er »gleichwohl zahllosen Irrungen ausgesetzt« (ebd.) ist. An dieser Stelle setzt der Schwerpunkt der vierten Meditation an: Wie ist die Idee eines vollkommenen Wesens, das uns geschaffen haben soll und uns niemals täu- schen würde, mit der Fehlerhaftigkeit unserer Erkenntnisse vereinbar? Es scheint hier also ein Problem zu geben, das unbedingt geklärt werden muss, damit am Ende nicht behauptet werden kann, Gott existiere vielleicht doch nicht, oder falls er tatsächlich existiere, seine Natur nicht unbezweifelbar vollkommenen ist.
3 Die Ursachen des Irrtums
Gott, so ist und bleibt für Descartes unumstößlich sicher, ist ganz sicher nicht die Ur- sache seiner Irrtümer. Denn richtet er seine Gedanken auf ihn, so findet er »keinen Anlaß [sic!] zu Irrtum oder Falschheit« (ebd.). In diesem Falle muss er es selbst sein, der die Ursache ist. Gott habe ihn zwar geschaffen, jedoch sei er nicht für die Fehler in seinen Erkenntnissen verantwortlich. Descartes behauptet also, »daß [sic!] der Irr- tum als solcher nichts Wirkliches von Gott Herrührendes, sondern nur ein Mangel ist« (ebd., 143). Da wir eben diesem Mängeln der Erkenntnisfähigkeit in unseren Ur- teilen keine Beachtung schenken, folgt notwendig, dass wir uns hin und wieder irren. Nach Descartes steht es uns jedoch frei uns gewissen Urteilen zu enthalten, und so-
Lilli Allanen bemerkt in ihrer Auseinandersetzung mit der vierten Meditation die Ähnlichkeiten in Descartes' und Augustinus' Gottesbildern: »In the Augustinian tradition, whose influence is nowhe- re more visible than in the Fourth Meditation, truth, being, and goodness are one. If truth is identi - fied with being, falsity is non-being.« (Allanen, The Metaphysics of Error and Will, 84). mit die Quelle des Irrtums zum versiegen zu bringen. Im Folgenden will ich die Be- gründung menschlicher Irrtümer genauer beleuchten.
3.1. Beschränktes Erkenntnisvermögen und überbordender Wille
Zunächst scheint sich aus dem Gedanken, dass Gott mich zwar mit allen meine Fä- higkeiten geschaffen hat, jedoch nicht die Ursache meiner Irrtümer sein soll, ein Wi- derspruch zu ergeben. Wäre denn nicht der Gott der mich erschaffen hat auch verant- wortlich dafür, dass ich so fehlerhaft bin? Intuitiv neige ich dazu Gott für die Män- gel, mit denen man sich als Mensch konfrontiert sieht, verantwortlich zu machen. Doch Descartes behauptet etwas anderes: er stellt erstens über sich selbst fest, dass er von Gott als ein Ding geschaffen wurde, das zwar nicht an dessen Vollkommenheit heranreicht: »Ich bin gleichsam nur ein Mittelding zwischen Gott und Nichts oder zwischen dem vollkommensten Sein und dem Nichtsein angesiedelt«, fügt jedoch zweitens hinzu: »daß [sic!] ich also, um zu irren, keines besonderen Vermögens be- darf, das mir von Gott zu diesem Zweck verliehen wäre« (ebd., 141). Die Argumen- tation Descartes' verstehe ich so, dass Gott mir keine positiv vorhandene Eigenschaft verliehen hat, die mich befähigt irren zu können. Vielmehr scheint es so zu sein, dass mir etwas nicht in vollkommenen Maße gegeben wurde und daraus die Irrtümer ent- springen. Doch kann man Gott dafür verantwortlich machen, dass er den Menschen etwas nicht gegeben hat? Aus der Sicht, dass Mängel nicht etwas positiv Vorhande- nes, sondern eher das Fehlen von etwas sind, ergibt sich, dass die Unvollkommenheit menschlicher Existenz Ursachen hat, die definitiv in Gott zu suchen sind.[[2]] Ist Gott also doch Schuld an meinen Fehlern? Keineswegs. Gott ist zwar die Ursache für mei- ne Existenz und der Qualitäten mit denen ich mich ausgestattet sehe, doch von dem Zeitpunkt meiner Schöpfung an, muss ich selbst mit diesen Eigenschaften umgehen. Das Prinzip erklärt Gregor Betz am Beispiel eines Schmiedes, der das Werkzeug für einen Zimmermann oder einen Tischler herstellt. Wenn die Handwerker mit dem vom Schmied hergestellten Ausgangsmaterial fehlerhafte Endresultate, wie beispiels- weise schiefe Dachstühle oder wackelnde Stühle herstellen, so kann nicht der Schmied für das mangelhafte Endprodukt verantwortlich gemacht werden (vgl. Betz,
Dieses Zugeständnis macht auch Descartes unmittelbar darauf. Doch besteht er darauf, dass es gut so ist wie es ist, das wir es jedoch nicht verstehen können. Ich befasse mich in Teil »4 Vollkommenheit und Unvollkommenheit« eingehender mit diesem Gedanken.
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