Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
1. EINLEITUNG
2. HISTORISCHER HINTERGRUND
2.1 GRÜNDUNG DES STAATES LIBERIA
2.2 STAATSAUFBAU UND GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KONFLIKTE
2.3 DAS REGIME SAMUEL DOE
3. DER LIBERIANISCHE BÜRGERKRIEG - EINE ANALYSE
3.1 VERLAUF
3.2 AKTEURE
3.3 KONFLIKTURSACHEN
3.4 AUSWIRKUNGEN
4. SEXUALISIERTE GEWALT IM LIBERIANISCHEN BÜRGERKRIEG
4.1 BEGRIFFLICHE EINGRENZUNG
4.2 MOTIVE UND AUSWIRKUNGEN SEXUALISIERTER GEWALT
4.3 SEXUALISIERTE GEWALT ALS KRIEGSWAFFE
4.4 FOLGEN FÜR DIE BEVÖLKERUNG
5. FAZIT
BIBLIOGRAPHIE
1. Einleitung
Lange Zeit fand das Phänomen der sexualisierten Gewalt in bewaffneten Konflikten kaum Aufmerksamkeit, wurde verschwiegen, verharmlost oder gar negiert. Heute weiß man, dass sexualisierte Gewalt vermutlich in allen größeren Konflikten der Geschichte zum Einsatz kam und bis heute angewendet wird. Dabei wird in vielen Fällen sexualisier- te Gewalt aus strategischen Gründen benutzt und auf diese Weise gezielt als Kriegswaffe instrumentalisiert.
Erst in den vergangenen Jahrzehnten wurde im Rahmen von Menschenrechtsdiskursen, den internationalen Abkommen zum Kriegsverbrechen und der Feminismusdebatten begonnen, dieses Thema zu enttabuisieren und zu problematisieren. Eine wichtige Rolle spielte dabei die durch die Ad-hoc-Kriegsverbrechertribunale vorgenommene Aufarbei- tung der Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien 1992 sowie des Genozids in Ruanda 1994. Diese konnten durch Zeugenaussagen einiger Opfer erstmals nachweisen, dass es während der bewaffneten Auseinandersetzungen massenweise zu Vergewaltigungen und erzwungenen Schwangerschaften kam. Beide Tribunale haben mittlerweile zahlrei- che bahnbrechende Urteile gefällt und sexualisierte Gewalt unter vielen verschiedenen Verbrechenskategorien erfolgreich angeklagt. Im Zuge dessen wurde sexualisierte Ge- walt genauer definiert und unter internationalem Recht als Kriegsverbrechen und Ver- brechen gegen die Menschlichkeit gelistet.
Trotzdem wird bis heute das Phänomen sexualisierte Gewalt in seiner individuellen Grausamkeit oft als ein Nebenprodukt bewaffneter Konflikte verstanden. Diese Arbeit hingegen betrachtet sexualisierte Gewalt nicht aus individueller, sondern aus makrosoziologischer Sicht und zeigt die Ausmaße deren Einflussmöglichkeiten in bewaffneten Konflikten am Beispiel des Bürgerkriegs in Liberia auf.
Liberia stellt auf Grund seiner geschichtlichen Entstehung und politischen Entwicklung einen Sonderfall in Afrika dar. Es gehört zu den wenigen afrikanischen Ländern, welche keine Kolonialisierung (im eigentlichen Sinn) erfuhren. Dennoch war die Entwicklung des Staates von seiner Gründung an von einer Fremdherrschaft geprägt, welche das Land aufspaltete und zu einem 14-jährigen Bürgerkrieg führte, der schwere wirtschaftliche, gesellschaftliche, politische und strukturelle Missstände hinterließ.
Der Bürgerkrieg wurde von mehreren sich gegenüberstehenden Parteien dominiert, welche allesamt mit einem hohen Maß an Gewalt und Brutalität vorgingen. Eine wichti- ge Rolle spielte hierbei der Einsatz von sexualisierter Gewalt als effektives Mittel für eine flächendeckende physische und psychische Schädigung der Bevölkerung und ihrer sozia- len und kulturellen Strukturen. Hierbei stellt sich die Frage, warum der Einsatz sexuali- sierter Gewalt in bewaffneten Konflikten so effektiv ist und deshalb in so vielen Konflik- ten nachgewiesen werden kann. Welche Rolle spielte die sexualisierte Gewalt im liberianischen Bürgerkrieg und welche Auswirkungen sexueller Gewalt lassen sich in der heutigen Nachkriegsgesellschaft in Liberia erkennen?
Zur Bearbeitung dieser Fragen werden zunächst die Hintergründe der Entstehung Liberias sowie die Situation vor Beginn des Bürgerkriegs aufgezeigt. Anschließend folgt eine Konfliktanalyse, welche unter anderem Aufschluss gibt über die Akteure, Motive und Instrumente des bewaffneten Konfliktes. Das Kapitel 3 behandelt das Thema sexualisierte Gewalt, nimmt eine begriffliche Abgrenzung vor und geht auf die Rolle der sexualisierten Gewalt als Kriegswaffe und Kriegsstrategie ein.
2. historischer Hintergrund
Im 18. Jahrhundert war die sogenannte „Pfefferküste“ in Westafrika eine der gefragtesten Regionen für die Deportation afrikanischer Sklavenarbeiter nach Amerika, wo die Plantagenwirtschaft derzeit einen Aufschwung erfuhr und billige Arbeitskräfte benötigt wurden. Anfang des 19. Jahrhunderts kam es insbesondere in den Südstaaten zu sozialen Spannungen zwischen „schwarz“ und „weiß“ (Fuest 1996: 27).
Nach dem Verbot der Sklaverei im Jahr 1807 und dem Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion kam es 1817 zur Gründung der American Colonization Society (ACS), welche die Rückführung und Neuansiedlung befreiter afrikanischer Sklavenarbeiter in Westafrika plante. Diese private Organisation wurde von amerikanischen Spitzenpolitikern wie Abraham Lincoln und James Monroe angeführt.
Die ersten Auswanderer wurden 1821 gemeinsam mit Missionaren und ehemaligen Sklavenhaltern aus Politik und Wirtschaft an die Küste des heutigen Liberia gesandt, wo sie sich als sogenannte Americo-Liberianer niederließen und jeweils große Ländereien zur Bewirtschaftung erhielten. Sie alle verließen ihr Geburtsland Amerika in der Hoffnung auf ein freies und würdiges Leben.
2.1 Gründung des Staates Liberia
Bis zu 19.000 freigelassene Sklaven bzw. „farbige“ Nachkommen von ehemaligen Skla- venarbeitern und ca. 5.000 Afrikaner befreiter Sklavenschiffe emigrierten im Laufe des 19. Jahrhunderts nach Liberia. Mit „List und Waffengewalt“ kam die Kolonisationsgesell- schaft zu „Kaufverträgen“ und brachte auf diese Weise einen ganzen Küstenstreifen un- ter ihre Kontrolle (Fuest 1996: 28). In den 1830ern wurden jedoch zunehmend Forde- rungen nach Handelsfreiheit und Autonomie laut, denn nur souveräne Staaten dürfen Steuern einnehmen und Zölle erheben.
1842 wurde Joseph Jenkins Roberts der erste nichtweiße Gouverneur der Kolonie und im Jahr 1847 riefen die Siedler Liberia als unabhängige Republik aus mit Joseph J. Roberts als deren erster Präsident. De facto blieb Liberia jedoch weiterhin eine informelle Kolo- nie der USA. Die Americo-Liberianer blieben in vielerlei Hinsicht ihren amerikanischen Wurzeln treu: Ihre Verfassung und Regierungsform war an die amerikanische angelehnt, viele liberianische Siedlungen wurden, wie auch die Hauptstadt Monrovia, nach ameri- kanischen Politikern benannt und Liberia war weiterhin wirtschaftlich stark von den USA abhängig.
Die Hauptaufgaben des neugegründeten Staates bestanden nun darin, eine eigene Wirt- schaft aufzubauen, die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zu integrieren und eine Bildungsschicht zu etablieren, denn nur wenige Siedler hatten eine akademische Ausbil- dung erhalten.
2.2 Staatsaufbau und gesellschaftspolitische Konflikte
Die Amerikaner fanden bei ihrer Ankunft Anfang des 19.Jh. keineswegs nur einsamen Regenwald vor. Man geht davon aus, dass sich unter anderem die ethnischen Gruppen der Gola und Kpelle bereits 6000 v.Chr. auf dem Gebiet des heutigen Liberia ansiedel- ten. Im 16.Jh. gab es eine starke Zuwanderung anderer Ethnien, die bis ins 19.Jh. hinein als segmentäre Gesellschaften mit unterschiedlichen Sprachen und Kulturen nebenei- nander lebten.
Bei der Ansiedlung der befreiten Sklaven wurden viele Widerstände der einheimischen Bevölkerung gewaltsam niedergeschlagen, was in der Weltöffentlichkeit teils als Religions- und Befreiungskriege verbucht wurde, denn die Gola waren unter anderem noch als Sklavenhändler aktiv und fürchteten die Eingriffe der Amerikaner in ihre Geschäfte. Die Kpelle und Kru lebten vorwiegend von Subsistenzwirtschaft.
Zum Zeitpunkt der Staatsgründung begrenzte sich die Kontrolle der Regierung auf den besiedelten Küstenstreifen, während kaum Kontakte ins Hinterland bestanden. Erst durch weiteres Vorrücken in den folgenden Jahrzehnten und schließlich auch nach den Gebietsverhandlungen der Berliner Afrika-Konferenz 1885 wurde das Hinterland administrativ erschlossen und die Bevölkerung erhöhte sich von 45.000 im Jahr 1900 bis auf ca. 1 Million im Jahr 1930 (Olukoju 2006: 11).
Die Einheimischen wurden verpflichtet, als billige Arbeiter auf den neuerworbenen Plan- tagen der Americo-Liberianer zu arbeiten. Trotzdem genossen die neuen Siedler, die sich bald Americo-Liberianer oder Liberio-Amerikaner nannten, sowohl bei der breiten Be- völkerung als auch in der Weltöffentlichkeit zunächst ein hohes Ansehen. Die amerikani- sche Mission der Sklavenbefreiung und ihre „Rückintegration in ihre Heimat“ fanden in der ganzen Welt große Zustimmung und positive Schlagzeilen. Sie symbolisierten die afrikanische Freiheit, das Ende der Sklaverei und den „guten Willen“ der westlichen Welt. Dass bereits in den 1820ern viele US-amerikanische Firmen durch die entstande- nen Kautschukplantagen enorme Gewinne erzielten, spielte dabei nur eine untergeord- nete Rolle.
Die neuen Plantagenbesitzer orientierten sich stark an denen des amerikanischen Sü- dens. Sie hoben sich durch ihre westliche Mode, die zweistöckige Architektur ihrer Häu- ser, die amerikanischen Lebensmittelimporte, ihre christliche Religion, ihre Sprache und monogame Lebensweise sehr stark von der einheimischen Bevölkerung ab. Aufgrund dessen wurden die Americo-Liberianer auch als „weiße Männer“ bezeichnet (Kappel 1982: 75).
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts machten die Liberio-Amerikaner nur ca. 2% der Gesamtbevölkerung aus (Abassiattei 1984: 13). Auch heute sind es nur ca. 2,5%.1 Der Rest der Bevölkerung setzte sich aus ca. 16 verschiedenen, zahlenmäßig aber relativ ausgewogenen Ethnien zusammen. Während der Küstenstreifen vorwiegend von Christen besiedelt wurde, existierten im Landesinneren weiterhin verschiedene traditionelle, animistische Religionen und ca. 20% der Bevölkerung war muslimisch.
Auch unter den Neuansiedlern gab es erhebliche soziale Unterschiede. Bereits zu Beginn der Besiedlung fanden Machtkämpfe zwischen den hellhäutigeren „Mulatten“ und den schwarzen Afro-Amerikanern statt. Erstere hatten oft schon in Amerika bedeutendere Stellungen und/oder Besitz und galten als gebildeter und intelligenter, letztere galten als den Einheimischen „nähergestellt“ und somit als geeignetere Vermittler. Während sich die schwarzen Siedler in der Landwirtschaft etablierten, wurden viele „Mulatten“ Politi- ker, Rechtsanwälte, reiche Händler, höhere Verwaltungsangestellte oder Kirchenführer und bildeten auf diese Weise eine Elite an der Spitze einer strengen wirtschaftlichen und politischen Hierarchie. Instrumente ihrer Herrschaft über den Rest der Bevölkerung wa- Nach der Unabhängigkeit setzte sich Liberias erster Präsident Joseph J. Roberts zuneh- mend für eine Assimilationspolitik ein und stellte mit steigender Landzunahme die Frage, was mit der einheimischen Bevölkerung geschehen soll. Aus einer Rede Roberts 1850:
May we not ask ourselves, gentlemen, what do we owe them? And what are our duties to them in a civil and religious light? […] They must be raised to a condition to partake with us in all the affairs of the government, and to be in all respects on an equal footing with other citizens of this Republic (Abassiattai 1984: 119f).
Allerdings wurde die Kultur der Americo-Liberianer als überlegen betrachtet und deshalb sollte trotz ihrer Minderheit die Anpassung und Integration der einheimischen Bevölkerung in die westliche Kultur der Migranten erfolgen. Zudem galten die Einheimischen als geeigneter für die harte Arbeit, nicht für die Bildung. Roberts bezeichnete sie 1858 als „ignorant of nearly all the useful branches of human knowledge- ignorant of the Bible and of the Savior therein revealed, deeply degraded brethren held enchained by long habits of superstition and idolatry” (ebd.: 121).
In den 1970er Jahren, als die meisten afrikanischen Staaten bereits ihre Unabhängigkeit erlangt hatten, waren über 95% der liberianischen Bevölkerung noch immer den typisch kolonialistischen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Diskriminierungen ausge- setzt. Im Zuge dessen nahm die Unzufriedenheit über die Korruption und das Machtmo- nopol der Ameriko-Liberianer, verstärkt durch die andauernde Wirtschaftskrise des Lan- des, Formen einer organisierten politischen Opposition an, welche 1980 in einem ge- waltsamen Putsch gipfelte. Als neuer Staatschef beendete Samuel K. Doe als Angehöri- ger der Krahn die Herrschaft der Ameriko-Liberianer im Land (Fuest 1996: 31).
2.3 Das Regime Samuel Doe
Doe errichtete ein autoritär-repressives Militärregime und betrieb eine „Ethnisierung der Herrschaft zugunsten seiner eigenen Volksgruppe der Krahn [͙“ (Hofmeier 2005: 172). Die Misswirtschaft der ameriko-liberianischen Elite hinterließ einen großen Schuldenberg, die Ökonomie war deformiert und einseitig auf den Export ausgerichtet, das alte Patronagesystem wurde gegen ein neues ausgetauscht. Viele Gelder flossen in den Ausbau des Militärapparates, während die neue Regierung nichts unternahm, um die Lage der Bevölkerung zu verbessern (ebd.: 31f).
Bekannt wurde Doe durch sein brutales Vorgehen gegen Regimegegner, welche er öf- fentlich hinrichten ließ. Während sinkende „Terms of Trade“, schlechtes Investitionskli- ma, Kapitalflucht und die vernachlässigte Landwirtschaft die wirtschaftliche Lage weiter verschlechterten, erhöhten sich in den 1980er Jahren zunächst die Wirtschafts- und Militärhilfen der USA. 1985 wurde Doe durch manipulierte Wahlen Liberias dritter Präsident (Olukoju 2006: 15). Indessen verschlechterte sich die Lage der Bevölkerung durch Steuererhöhungen, Zunahme der Arbeitslosigkeit, Vernachlässigung des Gesundheits- und Bildungssektors und die Misswirtschaft verheerend. (Fuest 1996: 32).
Den mit dem IWF verhandelten Demokratisierungsprozess umging Doe, indem er gezielt Angehörigen seiner eigenen Ethnie zu Führungspositionen verhalf, Oppositionsparteien von der Präsidentschaftswahl ausschloss und jegliche politische Oppositionen gewaltsam militärisch bekämpfte, wobei er dabei auch gezielt verfeindete Volksgruppen verfolgte. Währenddessen gründete sich in der benachbarten Elfenbeinküste die National Patriotic Front of Liberia (NPFL) unter der Führung von Charles Taylor, welche 1989 erfolgreich einen bewaffneten Aufstand gegen Doe vornahm und damit einen 14-jährigen Bürger- krieg auslöste.
3. Der Liberianische Bürgerkrieg - eine Analyse
3.1 Verlauf
Mit dem Ausbruch des Bürgerkrieges 1989 und der Hinrichtung Does 1990 durch den Taylorverbündeten Yormie Johnson ist die Verwaltungsstruktur des Landes faktisch aufgehoben worden. Das Land war in mehrere, von den einzelnen Kriegsparteien kontrollierte Teile gespalten. Während des Krieges wurde das Land zunächst in zwei Wirtschaftsgebiete geteilt. Zum einen den Raum Monrovia-Buchanan und zum anderen alle restlichen Gebiete außerhalb dessen, welche zwischen 1990 und 1992 ausschließlich von der Rebellengruppe Charles Taylors kontrolliert wurden.
Johnson spaltete sich durch die Gründung der Independent National Front of Liberia (INPFL) von Taylor ab. Beide Parteien erhoben Anspruch auf die Alleinherrschaft. Nach 1992 zerfiel das Gebiet außerhalb Monrovias durch eine weitere Zersplitterung der Kriegsparteien in Hoheitsgebiete der unterschiedlichen Warlords.
Die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS sandte auf Drängen Nigerias 1990 die ECOWAS Monitory Group ECOMOG nach Monrovia. Ende 1990 wurde unter dem Schutz von ECOMOG in Monrovia eine Übergangsregierung gebildet. Taylor erkann- te diese jedoch nicht an und forderte weiterhin die Alleinherrschaft (Korte: 60).
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1 http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01- Nodes_Uebersichtsseiten/Liberia_node.html (letzter Zugriff am 18.03.2014) ren vor allem das seit 1869 bestehende Einparteiensystem, der Freimaurer Orden und die Kirchen (ebd.: 117, Fuest 1996: 29).