Phasen der Gruppenentwicklung und ihre Prozesse

Anregungen zur konstruktiven Förderung des Wir-Gefühls in einer heilpädagogischen Tagesstätte


Hausarbeit, 2014

13 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Definition des Begriffs „Gruppe“

3. Beschreibung der Gruppenstruktur

4. Rollen im Gruppenfeld

5. Gruppenentwicklung

6. Praxistipps - Die Anfangsphase pädagogisch begleiten

7. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen“ (Aristoteles: Politik V, 4). Gerade wenn das Ende einer Gruppe nicht Zufall sein soll, muss auf den Anfang besonderen Wert gelegt werden. Die Anfangsphase stellt also einen besonders essentiellen Teil der Gruppenbildung dar und nimmt in etwa das erste Viertel einer längeren Veranstaltung ein (vgl. Langmaack/ Braune- Krickau 2010). Für diese äußerst sensible Phase gibt es eine Reihe von Dingen, die man unbedingt beachten sollte. Diese Arbeit beschäftigt sich also mit der Frage, wie man als Gruppenleiter einer heilpädagogischen Tagesstätte, die Gruppenbildung konstruktiv unterstützen kann, um sowohl dem Einzelnen innerhalb der Gruppendynamik gerecht zu werden, sowie im Hinblick auf eine sich festigende Gruppe im Ganzen. Dazu wird zunächst genauer definiert, was im Allgemeinen unter einer Gruppe verstanden wird. Um am Ende Praxistipps erteilen zu können, soll in der Arbeit zunächst auf die Gruppenstruktur sowie auf die Rollen innerhalb eines Gruppenfeldes eingegangen werden, um im Vorfeld auf die sensiblen, in der Anfangsphase ablaufenden Prozesse, der Gruppenentwicklung vorzubereiten. Im Anschluss daran, werden anhand mehrerer Modelle die Phasen der Gruppenentwicklung beschrieben, um dann explizit darauf einzugehen, wie und mit welchen konkreten Methoden man als Gruppenleiter die Anfangsphase pädagogisch begleiten kann. Auf all dies wird im Folgenden eingegangen:

2. Definition des Begriffs „Gruppe“

Hofstätter (1986) unternahm den Versuch, Menschen, die im Plural, also Gemeinsam, auftreten, anhand ihrer spezifischen Merkmale, Grundgegebenheiten und Beziehungskonstellationen, in unterschiedliche Klassifizierungen einzuteilen. Er kam schließlich zu der Einteilung in die Oberbegriffe Menge, Klasse, Masse, Gruppe und Familie, wobei die Familie als sogenannte Primärgruppe eine Sonderform der Gruppe darstellt, welche einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung eines Individuums einnimmt. Im Folgenden soll das Hauptaugenmerk auf die „Gruppe“ im geläufigsten Sinne gelegt werden (vgl. Hofstätter 1986). Rein etymologisch betrachtet, findet das Wort „Gruppe“ seinen Ursprung im französischen Begriff ´groupe´, was man im Allgemeinen als Vielzahl an Menschen, Gegenständen oder Tieren mit Gemeinsamkeiten deuten könnte. Schon bei Aristoteles findet sich implizit die Beschreibung des Wortes „Gruppe“ und ihrer Funktionen, in seiner Erklärung zum Menschen als soziales Wesen, wieder. Aristoteles konstatierte, dass der Mensch als ´zoon politikon´ von der Gemeinschaft und dem Leben in Gruppen abhängig sei. Der Mensch benötige das Zusammenleben, um sich entwickeln und zu seiner vollständigen Entfaltung gelangen zu können (vgl. Ribar 1995). Dieser Erklärung schlossen sich zahlreiche Weitere Definitionsversuche an. Für Lewin (1959) ist eine Gruppe eine dynamische Ganzheit, welche sich durch die wechselseitige Abhängigkeiten ihrer Mitglieder auszeichnet, während Newcomb (1959) diese Definition um den Aspekt der gemeinsam verbindlichen Normen erweitert: Eine Gruppe besteht „aus zwei oder mehr Personen, die bezüglich bestimmter Dinge und Fragen gemeinsame Normen haben und deren soziale Rollen eng miteinander verknüpft sind“. Diese Definition erscheint allerdings etwas schwammig, da eine Gruppe prinzipiell erst durch die Mitgliedschaft dreier Personen von einer Dyade zu einer Gruppe fusioniert, da so eine größere Vielzahl an Beziehungskonstellationen möglich ist und die Gruppe durch den Austritt einer Person, nicht von der sofortigen Auflösung bedroht ist. Nach Homans (1960, S. 29) „versteht man unter einer Gruppe eine Reihe von Personen, die in einer bestimmten Zeitspanne häufig miteinander Umgang haben und deren Anzahl so gering ist, daß [sic!] jede Person mit allen in Verbindung treten kann, und zwar nicht nur mittelbar über andere Menschen, sondern von Angesicht zu Angesicht“. Der wichtigste Aspekt aus dieser Definition, der sich auch von den anderen Definitionen deutlich abhebt, ist hier die Inklusion der unbedingten Notwendigkeit des Face-to-face-Kontaktes zwischen den Gruppenmitgliedern. Subsummiert man nun die Hauptaussagen der einzelnen Definitionen, so lassen sich die zentralen Merkmale einer Gruppe herausarbeiten. Durch den direkten Kontakt der Gruppenmitglieder, zeichnet sich ein enges soziales Interaktionssystem ab, welches gemeinsame Ziele und Normen über einen längeren Zeitraum hinweg verfolgt, wodurch ein Wir-Gefühl erzeugt werden kann. Innerhalb dieser Gruppendynamiken bilden sich bestimmte verhaltensintegrierende Rollensysteme heraus (vgl. Wellhöfer 2007). Im Rahmen dieser Arbeit, steht stets die Gruppe einer heilpädagogischen Tagesstätte (HPT) im Fokus. Dabei handelt es sich nicht um eine informelle, sondern um eine formale Gruppe, welche einem bestimmten Zweck dient und auf der Basis der Erreichung konkreter Ziele agiert. Dabei unterliegt der Aufbau einer strengen Hierarchie. In einer HPT geht es stets darum, den Kindern und Jugendlichen ein Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln. Sie sollen in den Gruppen ihre sozialen Grundbedürfnisse befriedigen können, sowie Lernen, für ihr eigenes Verhalten Verantwortung übernehmen zu können. Innerhalb der Gruppe lernen sie, Konflikte gewaltfrei auszutragen, sich mit anderen zu solidarisieren, zu kommunizieren, eigene Interessen zu erkennen, zu lieben und auch geliebt zu werden. So können die Kinder und Jugendlichen, welche meist eine sozial schwierige Vergangenheit hinter sich haben, das Leben wieder als sinnvoll erfahren (vgl. Griesbeck, Krämer 1981).

3. Beschreibung der Gruppenstruktur

Die Struktur einer Gruppe, kann auch als ihr Gruppenfeld beschrieben werden, dieses bietet einen Einblick in die vorherrschenden Werte und Regeln innerhalb einer Gruppe. Das Riemann-Thomann-Kreuz dient den nachfolgenden Betrachtungen als Prozess- Phasen-Modell, anhand dessen sich das Entstehen von Gruppenstrukturen beschreiben lässt. Man kann dadurch einen Zugang zu den Tiefendimensionen einer Gruppe finden, sowie die Hierarchiestruktur entschlüsseln. Das Modell zeichnet sich durch vier unterschiedliche Erwartungen (Nähe, Distanz, Dauer, Wechsel) an einen Gruppenprozess aus, die je von der Person des Gruppenmitgliedes abhängig ist (vgl. Stahl 2012). „Jeder dieser vier Strömungen […] lassen sich typische Qualitäten (Werte, Haltungen, Prinzipien) zuordnen“ (ebd., S. 230). Menschen, die Wert auf Distanz legen, ist es z. B. wichtig, sich von anderen abzugrenzen, während Menschen mit dem Bedürfnis nach Nähe eher Angst vor einer Vereinsamung haben und daher erhoffen, sich ihren Mitmenschen öffnen zu können. Die einen streben Dauer an, die anderen haben wiederum die Angst, durch Gewohnheiten eingeschränkt zu werden und haben das unbedingte Bedürfnis nach Wandlung und Entwicklung. Die Zusammensetzung dieser charakterlichen Stärken, aber auch Schwächen bildet den individuellen Zielpool einer Gruppe. Jedes Individuum verfügt innerhalb des Riemann-Thomann-Kreuzes über ein seelisches Heimatgebiet, welches an seinen Stärken ausgerichtet ist und in welchem er sich sicher fühlt. Jeder verfügt auch über einen gewissen Toleranzbereich, in welchem Andersartigkeit als nicht angsteinflößend wahrgenommen wird. Wird dieser allerdings überschritten, befindet man sich im seelischen Ausland, dem Schatten (vgl. ebd.). Dieser ist äußerst verunsichernd und „Menschen, Situationen, Empfindungen, Konzepte und Theorien, die im Schattenreich beheimatet sind, werden als unzumutbar, fremd und inakzeptabel empfunden“ (ebd., S. 238). Je sicherer ein Individuum sich innerhalb seines eigenen Heimatgebiets fühlt, desto toleranter verhält er sich gegenüber dem Schattenreich. Dies bietet für Gruppenleiter (GL) den Vorteil, vom Charakter eines Mitglieds, auf dessen Zielpool schließen zu können. Der GL kann das Riemann-Thomann-Kreuz bei seiner Arbeit mit der Gruppe auch wie einen Kompass nutzen, da mit dessen Hilfe die Struktur des Miteinanders erkannt werden kann. Diese Bewegt sich stets zwischen den Polen ´Abgegrenztheit´ und ´Berechenbarkeit´. Daraus ergibt sich ein je individuelles Gruppenfeld, welches Aufschluss über die vorherrschenden Werte, Prinzipien und Weltsichten bietet. Dabei handelt es sich um vier Gruppenfelder:

Gemeinschaft, Truppe, Team und Haufen, welches den Querschnitt der seelischen Heimatgebiete aller Mitglieder verkörpert. Manche Personen können aus dem Feld herausfallen, dies stellt allerdings kein Problem dar, solange er sich in der Nähe davon aufhält, so muss er lediglich Toleranz gegenüber den Anderen aufbringen. Für Menschen, die jenseits des Gruppenfeldes beheimatet sind, würde das Dazugehören nur Selbstbeherrschung bedeuten. In diesem Fall ist es für diese Person besser, die Gruppe zu verlassen, um sich selbst treu zu bleiben. In der Gründungsphase (Forming) verfügt die Gruppe noch über kein Feld, daher ist es noch vollkommen formbar. In einer HPT sollte deshalb angestrebt werden, aus einem anfänglichen „ Haufen “, welcher sich durch Eigensinn, Egozentrik und Bindungslosigkeit auszeichnet, zu einer „ Gemeinschaft “ heranzureifen, welche zwar durch gewisse Verbindlichkeiten behaftet ist, aber durch das Band eines starken Wir-Gefühls und Herzlichkeit zusammengehalten wird. So kann die Gemeinschaft durchaus mit der Geborgenheit einer Familie verglichen werden, was besonders den Kindern zu gute kommt, die diese Geborgenheit dort nie erfahren konnten. Kommen nun in der Anfangsphase also neue Kinder, mit neuen Wahrnehmungs- und Denkgewohnheiten, in eine bereits bestehende Gruppe, so gerät diese Gruppe unter Anpassungsdruck. Kann diese Phase nicht mit den vorhandenen Schemata überwunden werden (Assimilation), so muss das Gruppenfeld umstrukturiert werden (Akkommodation). Dies bedeutet, dass die bisherigen Strukturen verlassen werden und die neuen Regeln zunächst noch erstritten werden müssen, weshalb auch die Rollen- und Machtverteilung ins wanken gerät. Der GL muss in dieser Phase ein konstruktives Re- Forming und Storming vorbereiten, in dem alle Sichtweisen dargestellt werden und im besten Fall die andere Seite akzeptiert wird (vgl. Stahl 2012).

4. Rollen im Gruppenfeld

„Rollen vereinfachen das Gruppengeschehen, indem sie Verhaltenswahrscheinlichkeiten festlegen“ (ebd., S. 296). Sie bieten den Gruppenmitgliedern also eine gewisse Sicherheit, und die Komplexität der Geschehnisse wird maßgeblich reduziert, was auch die Stabilität des Gruppenfeldes sichert. Die Rolle weist dem Einzelnen auch einen festen Platz zu, sodass er weiß, wer er in der Gruppe ist und wo er steht, dies befreit zwar einerseits von Selbstunsicherheit, andererseits wird das Individuum auch in ein enges Korsett aus Verhaltenserwartungen geschnürt (vgl. ebd.). „Eine Rolle bezeichnet die Menge aller Erwartungen, die die Teilnehmer an das Verhalten des Rolleninhabers stellen“ (Baumann/ Gordalla 2014, S. 25).

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Details

Titel
Phasen der Gruppenentwicklung und ihre Prozesse
Untertitel
Anregungen zur konstruktiven Förderung des Wir-Gefühls in einer heilpädagogischen Tagesstätte
Hochschule
Universität Augsburg
Note
2,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
13
Katalognummer
V298547
ISBN (eBook)
9783656951674
ISBN (Buch)
9783656951681
Dateigröße
474 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gruppe, Gruppenstruktur, Gruppendynamik, Rollen, Gruppenfeld, Gruppenentwicklung, Anwendung, Praxis, Praxistipps, Anfangsphase, pädagogisch, begleiten
Arbeit zitieren
Sonja Trenker (Autor:in), 2014, Phasen der Gruppenentwicklung und ihre Prozesse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/298547

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