Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Bedingungsanalyse der Lerngruppe und Schlussfolgerungen für die Gestaltung des Unterrichts
2. Didaktisch-methodische Überlegungen und Begründungen
2.1 Stellung der Stunde in der Stoffeinheit
2.2 Sachanalyse
2.3 Darstellung und Begründung der Lernziele
2.4 Begründung der didaktisch-methodischen Entscheidungen
3. Tabellarische Verlaufsplanung
4. Literaturverzeichnis
5. Anhang
Anhang A – Sitzplan
Anhang B – Informationsblatt Expertengruppen
Anhang C – Überblickstabelle
Anhang D – Kontrollkarten
Anhang E – Erwartungsbild Überblickstabelle
Anhang F – Informationsblatt Stammgruppen
Anhang G – mögliches Schema
Anhang H – Dilemmabsp.-Karten
Anhang I – Präsentation
1. Bedingungsanalyse der Lerngruppe und Schlussfolgerungen für die Gestaltung des Unterrichts
Seit Beginn des Schuljahres 2014/15 unterrichte ich die Kursstufe 11 am Gymnasium im Fach Ethik im grundlegenden Anforderungsniveau und damit zwei Einzelstunden pro Woche. Insgesamt besteht der Kurs aus 13 Schülerinnen und Schülern[1] und setzt sich aus 6 Jungen und 7 Mädchen zusammen.
Bei dem Kurs handelt es sich um eine mittelmäßige bis leistungsschwächere Lerngruppe. Sie weist erhebliche Defizite hinsichtlich fachlicher Vorkenntnisse, so etwa den Grundpositionen philosophischer Ethik, auf. Das Stoffgebiet der Anthropologie[2] bietet den Schülern einen leichteren Zugang als das abstrakte Themenfeld der Erkenntnistheorie, welches im 1. Schulhalbjahr behandelt wurde. Trotz der vorherrschenden Leistungsschwäche zeigt die Lerngruppe jedoch im Unterricht ein allgemeines Interesse am Lerngegenstand sowie ein motiviertes Bemühen um ein philosophisches Verständnis und dessen Vertiefung.
Zu den leistungsstärksten Schülern zählen F., J. und S., während A., M. und J. zu den leistungsschwächsten gehören.
Dank eines steten reflektierenden Diskurses mit den Schülern zu den angewandten Methoden und Arbeitsweisen, konnte erfasst werden, dass sie mittels kooperativer Arbeitsformen und Lernhilfen einen besseren Zugang zum Lerngegenstand finden und fundierte Erkenntnisse vorweisen können. Dem geht vorwiegend eine Phase des selbstständigen Textstudiums voraus, wonach also das Think-Pair-Share-Prinzip als lukrativ bezeichnet werden kann.
In mündlichen Unterrichtsphasen gestaltet sich die Mitarbeit der Schüler nach wie vor sehr zögerlich und es kommt nur gelegentlich bis selten zu unaufgeforderten Wortmeldungen. Trotz eines verstärkten Methodeneinsatzes, der eine freie philosophische Diskussion anregen soll, wie z.B. dem Vier-Ecken-Gespräch oder der Debatte, zeigen die Schüler weiterhin wenig Bereitschaft an Schüler-Schüler-Diskussionen teilzunehmen und setzen ihren Fokus immer noch vorwiegend auf die Lehrperson. Selbst die drei leistungsstärkeren Schüler melden sich kaum zu Wort oder äußern ihre Beiträge nur verhalten und unsicher. Auswertende Unterrichtsgespräche werden also auch weiterhin durch eine progressive Fragetechnik von der Lehrperson gestützt und gelenkt. Doch durch eine dem Leistungsniveau angepasste und gut geführte Moderation des Unterrichtsgesprächs kann ein grundlegendes bis tiefergehendes Verständnis bei allen Schülern im Anschluss daran angenommen werden und erweist sich stets als sinnvoll.
Mittels geeigneter Methoden und Differenzierungsverfahren, bspw. in Form von Hilfs-angeboten, wird versucht, den unterschiedlichen Begabungs- und Leistungstypen im Ethikunterricht gerecht zu werden. Dieses bekannte und im Kurs bewährte Verfahren sichert, dass jeder Schüler gemäß seiner Stärken und Schwächen, den Lerngegenstand entsprechend untersuchen und verstehen kann. Somit wird Selbstbewusstsein und –sicherheit erzeugt, was in zukunftsweisender Hinsicht zu einem stärkeren diskursiven Austausch und zu Gesprächsbereitschaft führen soll.
Mir als Lehrperson begegnen die Schüler freundlich, aufgeschlossen und respektvoll, sodass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich ist.
2. Didaktisch-methodische Überlegungen und Begründungen
2.1 Stellung der Stunde in der Stoffeinheit
Die Lehrprobenstunde fügt sich in die Stoffeinheit Anthropologie [3] ein. Von zentralem Stellenwert ist hierbei Kants philosophisch bedeutende Frage: Was ist der Mensch? Meine grundlegende Intention für diese Reihe ist, dass die Schüler sich bewusst mit dieser Fragestellung auseinandersetzen. So sollen sie eine persönliche Antwort auf Kants Frage entwickeln, d.h. ihr persönliches Menschenbild artikulieren und begründen, und dieses am Ende der Reihe reflektieren und bestenfalls erweitern können. Dieses Vorhaben trägt in sich das langfristige Ziel, das persönliche Selbstverständnis der Schüler und ihre Erkenntnis des eigenen Selbst zu fördern. Auf diesem anthropologischen Erfahrungsweg gilt es, naturwissenschaftliche, religiöse, soziologische, politische, kulturelle und philosophische Perspektiven zu ergründen und zu hinterfragen.
Bisher schloss sich an die Entwicklung von vorläufigen schülereigenen Auffassungen vom Wesen des Menschen eine kontrastive Auseinandersetzung mit dem Menschen zwischen den Feldern Natur und Technik an. Methodisch wurde hierbei besonders mit originalen und didaktisierten Texten, Differenzierungsmaßnahmen in Form von Hilfsangeboten, der Filmanalyse und der Strukturlegetechnik als selbstständige Texterschließungsmethode gearbeitet.
Die Lehrpobenstunde greift thematisch die psychologische Deutung des Menschen nach Sigmund Freud auf. Den Kernpunkt stellt hierbei das Spannungsfeld des Menschen zwischen dem Lust- und Moralitätsprinzip dar. In der vorhergehenden Stunde erfolgten eine kurze Vorstellung des Psychoanalytikers und die Erarbeitung der Freud’schen Bewusstseinsstufen. Das psychologische Menschenbild wird abgeschlossen durch eine Betrachtung der durch Freud zugefügten Kränkung an der Menschheit im Vergleich zu vorhergehenden.
Im Folgenden wird ein tabellarischer Überblick über einen ausgewählten Zeitraum der Unterrichtsreihe gegeben, wodurch die Lehrprobenstunde eingebettet in den größeren Zusammenhang der gesamten Stoffeinheit betrachtet werden kann.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2 Sachanalyse
Sigmund Freud (1856 – 1939) gilt als Begründer der Psychoanalyse. Er hinterfragte die Persönlichkeit des Menschen und entwickelte dazu in zwei Schritten ein Strukturmodell der Seele. So unterschied er in seiner Forschung zuerst das Bewusstsein als rationale Seite des Menschen vom einflussreichen Unbewussten, dem triebgesteuerten Bereich. Anschließend entwickelte er diese Topik zu einem Instanzenmodell weiter. Danach wird das menschliche Verhalten bestimmt durch das Es, Ich und Über-Ich. Das Es entspricht dabei dem Unbewussten, das gemäß dem hedonistischen Lustprinzip nach Triebbefriedigung strebt. Das Über-Ich folgt dem Moralitätsprinzip und umfasst die gesellschaftlich geltenden Norm- und Wertvorstellungen. Das Ich hat die Aufgabe der Selbstbehauptung und ist dem Menschen im Bewusstsein präsent. Es versucht den Interessen und Anforderungen des Es und Über-Ich gerecht zu werden, und das unter Beachtung der außenweltlichen Bedingungen, wonach hierbei das Realitätsprinzip greift. Das Ich versucht stets Harmonie zu bewahren, doch wird der Druck durch das Es und das Über-Ich erhöht, fällt es ihm zunehmend schwerer, einen optimalen Kompromiss zu finden. Freuds Kränkung an der Menschheit besteht letztlich darin, dass er dem Ich nachweisen will, es sei nicht einmal Herr im eigenen Haus.[4]
2.3 Darstellung und Begründung der Lernziele
In der Lehrprobenstunde sollen folgende Lernziele erreicht werden:
(1) Die Schüler können Freuds psychologisches Instanzenmodell mit Hilfe des textgestützten Gruppenpuzzle-Verfahrens nachvollziehen und schematisch darstellen.
(2) Die Schüler können Freuds Instanzenmodell auf ein szenisches Spiel übertragen und anwenden.
Die genannten Lernziele sind durch den Thüringer Lehrplan 2009 zu begründen und orientieren sich an den Kompetenzfeldern. Neben der Beherrschung fachlichen Grundwissens steht hierbei das kooperative und handlungsorientierte Lernen im Vordergrund.[5]
Das Lernziel (1) bildet die theoretische Grundlage zur Erreichung des zweiten. So sollen die Schüler in ihrer Expertengruppe erst die einzelnen Instanzen der Psyche des Menschen gemäß Freud in ihrer Entstehung und Bestimmung nachvollziehen. In der Stammgruppe findet anschließend ein Austausch über ihr Zusammenwirken statt und soll in Form eines selbstständig entwickelten Schemas wiedergegeben werden.
Dieses Lernvorhaben lässt sich den Anforderungsbereichen I und II zuordnen.[6] Beginnend mit der Reproduktion eines begrenzten philosophischen Sachverhaltes in Form der Erschließung einzelner Instanzen wird zu einer Übertragung und Rekonstruktion komplexer Zusammenhänge durch die schematische Darstellung des gesamten Modells übergegangen. Auf diese Weise wird neben der Sachkompetenz besonders die Methoden- und, durch die Form des kooperativen Vorgehens, die Sozialkompetenz gefördert.
Das Lernziel (2) umfasst, dass die Schüler ihre bisher erarbeiteten Kenntnisse zu Freuds Modell der menschlichen Psyche auf ein Dilemmabeispiel aus ihrer Lebenswelt übertragen. Da hierbei ein Transferschritt von Gelerntem auf eine Anwendungssituation erfolgt, lässt sich diese Lerntätigkeit im Anforderungsbereich III verorten.[7] Dieser Arbeitsbereich sorgt für eine nachhaltige Festigung der angeeigneten Sachkompetenz und fördert durch seine präsentative Darstellungsform in besonderem Maße die Methoden- und Selbstkompetenz.
2.4 Begründung der didaktisch-methodischen Entscheidungen
Den Auftakt der Philosophiestunde bildet die Präsentation zweier kontrastiver Menschenbilder. Zu der provokativen Einstiegsfrage, ob der Mensch ein lustgesteuertes Triebwesen oder ein moralisches Vernunftwesen sei, gehört eine entsprechende Bilduntermalung, um das Schülerinteresse anzuregen. Die Schüler sollen sich hierzu spontan entsprechend ihrer persönlichen Auffassung auf einer Meinungslinie positionieren. Damit wird zum einen erreicht, dass sich alle mit dieser psychologischen Fragestellung auseinandersetzen und zum anderen lernen sie auf diese Weise, zu einer Problemfrage Stellung zu beziehen und ihren persönlichen Standpunkt zu erklären. Es wird angenommen, dass es einigen Schülern schwer fallen wird, ihre eigene Meinung fundiert und argumentativ schlüssig zu begründen, was allerdings durch den Lernprozess während dieser Stunde gefördert werden soll. Ausgehend von dieser Gegenüberstellung soll Sigmund Freuds psychologisches Menschenbild untersucht werden.
Der Weg zur Aneignung des Lerngegenstands erfolgt mit Hilfe des Gruppenpuzzle-Verfahrens, welches sich in drei progressive Arbeitsphasen gliedert. Diese werden den Schülern im Vorfeld transparent und schlüssig aufgezeigt. Hierbei soll deutlich werden, dass ein sukzessiver Verstehensprozess einer kreativen Anwendungsphase vorausgeht. Während der 1. Gruppenpuzzle-Phase erarbeiten die Schüler in festgelegten Expertengruppen Freuds einzelne psychologische Instanzen Es, Ich und Über-Ich. Die Zusammensetzung der Expertenteams wird dabei nach der Leistungsfähigkeit differenziert. So wird auf eine ausgewogene Verteilung von leistungsstärkeren und –schwächeren Schülern für alle Gruppen geachtet.[8] Die Experten erhalten einen didaktisierten Text, welcher kurz über Freuds Instanzenmodell im Ganzen informiert und ausführliche Informationen zu ihrer Instanz bietet, wodurch an dieser Stelle der Blick vom Allgemeinen auf das Besondere gelenkt werden soll.[9] Die jeweilige Instanz sollen sie nach dem Inhalt, Ziel sowie Prinzip untersuchen und hierzu die betreffende Zeile in der Überblickstabelle ausfüllen.[10] Um ein grundlegendes Verständnis bei allen Schülern zu sichern, können diese zur Ergebnisüberprüfung oder Unterstützung die betreffende Kontrollkarte einsehen.[11] Für die 2. Phase bilden die Schüler geregelte Stammgruppen,[12] bei welchen ebenfalls auf eine heterogene Zusammensetzung gemäß der Leistungsfähigkeit geachtet wird. Hierbei tauschen die Schüler ihre angeeigneten Kenntnisse zu den einzelnen Instanzen aus und vervollständigen die Überblickstabelle, womit das theoretische Fachwissen zu Freuds psychologischer Theorie für alle Schüler gesichert wird.[13] Des Weiteren sollen die Schüler an dieser Stelle ihren Blick vom Besonderen wieder zurück auf das Allgemeine und seinen komplexen Strukturzusammenhang richten, indem sie auf Grundlage des zweiten Informationstextes,[14] der das Zusammenspiel der Instanzen wiedergibt, selbstständig ein veranschaulichendes Schema[15] entwerfen. Dieses wird im Anschluss von einer Stammgruppe präsentiert und erklärt, wobei die anderen Gruppen mit Hilfe ihrer Schemen Informationen ergänzen und Verständnisfragen stellen können. Nach der ca. 25 minütigen Verstehensphase erfolgt der Übergang in die Anwendungsphase, welcher für die Schüler durch den Rückgang in die Expertengruppen deutlich werden soll. Aufgabe während der 3. Arbeitsphase ist es, auf der theoretisch erarbeiteten Grundlage, ein szenisches Rollenspiel zu entwickeln. Dieses soll eine fiktive Dilemmasituation aus der Lebenswelt der Schüler darstellen und durch eine von ihnen bestimmte Instanz gelöst werden. Gleichzeitig soll dabei Freuds Strukturmodell der Psyche veranschaulicht werden. Hilfestellung erhalten die Gruppen lediglich durch nach Bedarf einsehbare Tippkarten, welche drei verschiedene beispielhafte Dilemmasituationen aus ihrer Lebenswelt skizzieren, und somit als Anregung genutzt werden können.[16] Hierbei findet ein Transfer von theoretischem Wissen auf eine Anwendungssituation statt. Diese Methode verfolgt das Ziel, über das typische Spektrum klassischer Ausdrucks- und Präsentationsformen hinauszukommen und Philosophie mit Kopf, Herz und Hand für die Schüler erlebbar zu machen. Gestützt wird dies durch den hohen Grad an Bewegung während des Unterrichts, wodurch besonders motorische Lerntypen angesprochen werden. Außerdem erfolgt aufgrund der progressiven Strukturierung und Steuerung des Lernprozesses eine tiefergehende und nachhaltigere kognitive Verankerung der philosophischen Theorie.
Abhängig vom zeitlichen Verlauf besteht die Sicherung der Anwendungsphase in der szenischen Darbietung von ein bis drei Expertengruppen. In Form eines Lehrer-Schüler-Gesprächs mit kriteriengeleiteten Fragestellungen werden die anderen Schüler zu einer Auswertung der Rollenspiele angehalten. So schätzen sie etwa ein, inwiefern es sich um eine gelungene Veranschaulichung und praktische Umsetzung des Freud’schen Strukturmodells handelte und reflektieren, ob die Instanz, welche maßgeblich zur Lösung des Dilemmas führte, adäquat dargestellt wurde.
[...]
[1] Im Folgenden wird aus Gründen der Lesbarkeit auf die weibliche Form verzichtet. Die maskuline
Form steht selbstverständlich für beide Geschlechter.
[2] Die Anthropologie bezeichnet die Lehre vom Menschen.
[3] Vgl.: Thüringer Kultusministerium: Ziele und inhaltliche Orientierungen für die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe im Fach Ethik 2009. S. 13f.
[4] Vgl.: Brüning, B.: Grundwissen Philosophie. Sekundarstufe II. Berlin: Cornelsen 2013. S. 190f.
[5] Vgl.: Thüringer Kultusministerium: Ziele und inhaltliche Orientierungen für die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe im Fach Ethik 2009. S. 4f.
[6] Vgl.: Ebd. S. 7f.
[7] Vgl. Ebd.
[8] Drei Schülergruppen, bestehend aus 2 x 4 und 1 x 5 Schülern. Sitzplan für die Expertengruppen S. Anhang A.
[9] Informationsblatt Expertengruppen S. Anhang B.
[10] Überblickstabelle S. Anhang C.
[11] Kontrollkarten S. Anhang D.
[12] Sitzplan für die Stammgruppen. S. Anhang A.
[13] Erwartungsbild Überblickstabelle S. Anhang E.
[14] Informationsblatt Stammgruppen S. Anhang F.
[15] Mögliches Schema S. Anhang G.
[16] Dilemmabsp.-Karten S. Anhang H.